Katja Heinrich

Sodbrennen - 22. Moloch Möbelgeschäft

 

Eine neue Aufgabe steht mir bevor. Einerseits motiviert durch den Therapeuten, andererseits dringend notwendig, denn mein Schreibtischstuhl kommt vermutlich nicht durch den nächsten TÜV.
Da ich den größten Teil meiner Zeit bekanntermaßen am Computer verbringe, benötige ich ein äußerst gutes, möglichst orthopädisches Modell. Mit anderen Worten, ich muss das Ding austesten und kann es nicht im Internet bestellen.
Natürlich habe ich schon telefonisch versucht, den gleichen Stuhl wieder zu bekommen, aber leider gibt es den nicht mehr. Daher muss ich wohl oder übel mal wieder hinaus.
Nach den üblichen Überprüfungen von Herd, Waschmaschine, Fenster, Portemonnaie, Schlüssel etc. verlasse ich meine Wohnung und fahre zum nächstliegenden Möbelladen, weil ich dort schon einmal gewesen bin, und stelle fest, dass sich einiges verändert hat, seit meinem letzten Besuch – daher kralle mir gleich einen Verkäufer und frage nach Bürostühlen der besonderen Art. Ich ernte einen verwirrten Blick, woraufhin ich ihm entnervt erkläre, dass ich einen besonders guten, orthopädischen Schreibtischstuhl suche.
Ängstlich macht er mir klar, dass er erst zwei Tage in dem Geschäft arbeitet und sich noch nicht auskennt.
Ich bin von Dilettanten umgeben.
Hektisch suche in die nächste Blitzbirne, da stellt sich heraus, dass die nicht zuständig ist für Stühle, sondern in der Bettenabteilung zuhause ist. Prima, eine Schlafmütze hat mir gerade noch gefehlt.
Leicht angesäuert bitte ich die Dame, mir einen Verkäufer zu suchen, der Ahnung von Bürostühlen hat und sich in der Lage sieht, mich zu beraten.
Diensteifrig huscht kurz drauf ein kleines Männlein zu mir und fragt nach meinen Bedürfnissen.
Bedürfnisse?
Ich hab das Bedürfnis, mich hier auf den Boden zu werfen und zu schreien oder wahlweise, weil keimfreier, eine Bombe explodieren zu lassen.
Ich frage wiederholt nach einem orthopädischen Bürostuhl in schwarzem Leder und lasse mich dann von dem Männlein zur richtigen Abteilung führen.
Dort angekommen wird mein Verkäuferchen offensichtlich ausgerufen, entschuldigt sich und entschwindet, bevor ich mich an ihm festkrallen kann. Immerhin verspricht er sofort zurückzukommen.
Ich laufe durch die Reihen Stühle und setze mich hier und da zum Test.
Während ich einen Stuhl genauer inspiziere, höre ich es hinter mir mehrmals niesen. Erschrocken drehe ich mich um und erblicke einen verseuchten verlotterten Schnupfenträger, der auf mich zustürmt.
„Wolke? Wolke Odenthal?“ schreit er mich an und nimmt mich in den Arm.
Ich nicke stumm, unfähig mich zu bewegen, versteife mich vollkommen unter seiner Umarmung, die mir nicht nur mechanisch die Luft raubt, der Typ riecht unermesslich nach Knoblauch. Ich kenne den nicht. Ich will das nicht.
„Mensch, Wolke, das ist muss an die 10 Jahre her sein.“ niest mir der Typ zu und lässt von mir ab um ein benutztes, zerfetztes Tempo aus seiner Hosentasche zu nesteln und sich lautstark zu schnäuzen.
Krampfhaft versuche ich aus dem Keimfeld zu gelangen und trete unauffällig den Rückzug an.
Der Typ steckt seine Rotzfahne zurück und ergreift begeistert meine Hände, ich würge und merke wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht weicht.
„Wolke? Geht’s dir nicht gut? Du hast eine Erkältung, was? Ich auch, das Wetter ist ja furchtbar zurzeit.“
Nun legt er liebevoll den Arm um mich, geleitet mich zu einem der Stühle und zwingt mich zum Setzen.
Ich habe noch immer keinen Ton herausgebracht, wage kaum zu atmen, um nicht seine Keime zu inhalieren und weiß noch immer nicht, wer zum Teufel dieser Mensch ist und woher er meinen Namen kennt.
„Wer…?“ frage ich schwach.
„Ach Wolke, sag bloß, du weißt nicht mehr, wer ich bin? Wir haben doch zusammen studiert. Medizin, weißt du nicht mehr? Du hast doch dann gewechselt.“
Langsam dämmert es mir, aber noch immer habe ich keinen Namen, ich weiß nicht, ob es mich überhaupt interessiert, die ganze Situation ist mir zuwider, ich fühle mich vollkommen überfordert und weiß nicht einmal ansatzweise wie ich reagieren soll.
„Ingo. Wir hatten uns damals bei der Erstsemesterparty kennen gelernt.“ versucht er mir weiter zu helfen.
Ach du liebe Güte, Ingo! Nun weiß ich es. Ingo, der mir damals den gesamten Abend von seiner Freundin erzählte, die sich von ihm getrennt hatte. Egal, welche Ausreden und Ausflüchte ich hatte, er gabelte mich immer wieder auf und erzählte nahtlos weiter.
Ich glaube, Ingo war mit daran schuld, dass ich das Medizinstudium geschmissen habe. Nachdem er nämlich die Trennung endlich verdaut hatte, hing er an mir wie eine Klette.
„Ach Ingo.“ lächle ich schwach. „Ja, jetzt erinnere ich mich.“ Hilflos hebe ich die Schultern – und nun? Was tut man, wenn man alte Bekannte von früher trifft?
„Was tust du denn so?“ frage ich desinteressiert.
„Ach ich hab auch das Fach gewechselt,“ meint er, „ich studiere jetzt Philosophie und Sonderpädagogik.“
Aua, denke ich bei mir, das passt ja. Für die Fächer ist er geradezu prädestiniert und dass er immer noch studiert passt auch hervorragend zu ihm.
„Ach, wie interessant, philosophieren war ja schon immer dein Ding.“ Energisch stehe ich auf, und betrachte den Stuhl eingehender, er war sehr bequem gewesen.
Während mich Ingo zutextet und ich überhaupt nicht zuhöre, kommt der kleine Verkäufer zurück, entschuldigt sich ergeben und fragt erneut, wie er mir denn nun helfen kann. Ingo zieht sich ein wenig zurück.
Ich gebe ihm meine Kundennummer und erkläre, dass ich diesen Bürostuhl innerhalb einer Woche bei zuhause stehen haben möchte.
Dann bemühe ich mich freundlich zu wirken und verabschiede mich von Ingo.
„Du, das war ja ein toller Zufall, ich muss nun leider eilig weg, aber wir sollten uns mal treffen, gib mir doch deine Telefonnummer.“ sage ich – mit der festen Absicht niemals anzurufen, lieber frage ich nach seiner, als dass ich ihm meine geben muss.
Freudig schreibt Dieter – ach nein, Ingo mir seine Nummer auf einen vergammelten Zettel, den er aus den Untiefen einer Hosentasche gezogen hat  (vermutlich derselben, in der er auch sein Tempo gelagert hat) und gibt sie mir.
Nach kurzem Abschied eile ich wie von Taranteln gebissen aus dem Laden und fliehe nach Hause, wo ich erstmal meine Klamotten in die Maschine stopfe, ausgiebig dusche und anschließend mit Teebaumöl gurgle.
 
Niemals mehr kaufe ich einen Bürostuhl!

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Katja Heinrich).
Der Beitrag wurde von Katja Heinrich auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Katja Heinrich als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Knuddelbuddelbuntes Kinderland: Festeinband für das Vor- und Erstlesealter von Edeltrud Wisser



Ein Kinderland ist erlebnisreich, bunt und verlockend.
Diese Vielfalt ist in Form von Reimgedichten beschrieben.
Festeinband für das Vor- und Erstlesealter, mit farb. Abb. und Ausmalbildern
Ein Teil des Erlöses aus dem Buchverkauf fließt der Stiftung Fly&Help zu.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Katja Heinrich

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Sodbrennen - 4. Der Einkauf von Katja Heinrich (Satire)
24 Stunden von Klaus-D. Heid (Satire)
Die Traumfrau von Christiane Mielck-Retzdorff (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen