Klaus Georg

Begegnung

 

Die meisten Begegnungen, so geht es mir jedenfalls, rasen wie ein Schnellzug  vorbei. Manche mit ein wenig Lärm und viel Wind, die meisten still und leise, nur leider nichts hinterlassend.
Nicht einmal eine Erinnerung daran.
Aber manchmal, ganz selten nur, hat man das große Glück einen Menschen zu treffen, auf den das alles nicht zutrifft.
‚Diese Menschen’ hat eine liebe Freundin mir vor Jahren einmal gesagt ‚diese Menschen vergisst du nie.  Die begleiten dich für den Rest deines Lebens.’
Vor ein paar Tagen hatte ich eine solche Begegnung und ich glaube, sie hat Recht.
Mit meinem Motorrad fahre ich für Staatsanwaltschaft und Gerichte Terminpost aus. Nichts spektakuläres, aber ich fahre gerne Motorrad, bin den ganzen Tag an der frischen Luft und bekomme auch noch gutes Geld dafür.
Was will man mehr.
Manchmal fügt es sich nun, dass mehrere nebeneinander wohnende Leute Post von mit zugestellt bekommen. Dann stelle ich das Motorrad ab um alles schnell zu Fuß zu erledigen, lasse aber den Motor laufen.
Das ist alles andere als umweltfreundlich, ich weiß, aber wenn ich zweihundert Mal am Tag den Motor abstellen und neu zünden würde wäre das noch viel weniger umweltfreundlich und mein schönes ‚Moped’ , wie ich es ein wenig despektierlich aber immer noch liebevoll nenne, wäre bald im siebten Motorradhimmel. 
Wie auch immer, ab und zu fragt mich dann doch jemand mit ärgerlichem Blick, ob es denn nötig sei den Motor laufen zu lassen.
Ich sage natürlich ja, was auch sonst.
Ist der Blick dann immer noch ungläubig erkläre ich, dass bei der herrschenden Feuchtigkeit und den kühlen Temperaturen die Gefahr besteht, dass der Motor nicht mehr so richtig anspringt und ich dann erst einmal nicht mehr weiter kann.
Ich begleite meine Ausführungen natürlich sehr gestenreich und mit fachmännischem Gesichtsausdruck. Das funktioniert, merkwürdigerweise besonders bei Männern, fast immer.
Entdecke ich dann immer noch einen Hauch von Skepsis bei meinem Gegenüber, kommt meine letzte, aber auch stärkste Waffe zum Einsatz.
‚Hören Sie’ sage ich dann mit leicht genervtem Unterton ‚wenn Sie unbedingt wollen probier’ ich’s aus. Aber wenn er nicht wieder anspringt laden Sie mich zu sich nach Hause zu einer Tasse Kaffee ein. Abgemacht?’
Das hat bis jetzt noch immer gewirkt, ausnahmslos.
Wer lädt sich schon einen durchgefrorenen, nach Abgas riechenden und obendrein noch unrasierten Motorradfahrer so einfach ins Haus ein ?
Natürlich niemand, da bin ich mir ganz sicher.
Da war ich mir ganz sicher.
Bis vor drei Wochen.
Wie üblich fahre ich meine Route, komme in eine kleine Seitenstraße hinein und  orientiere mich kurz. Dann stelle mein Motorrad mit laufendem Motor ab und erledige was zu tun ist.
Eine kleine ältere Dame, die nur wenige Meter weiter an einer Garage gestanden hatte kommt zu mir hin, baut sich vor mir auf und fragt mich in wundervollem, breitem schwäbischen Dialekt warum ich denn den Motor ‚von dem Moped da’ laufen lassen würde. Und ob ich noch nie etwas von Umweltschutz gehört hätte.
Ich sollte an dieser Stelle vielleicht hinzufügen, dass ich außer mir selbst eigentlich niemandem erlaube, mein Motorrad ‚Moped’ zu nennen.
Kein Wunder also, dass es meiner anfänglichen Sympathie für sie schlagartig erging wie den Temperaturen im Winter : sie sank rapide.
Der weitere, leicht frostige Ablauf unseres Gesprächs bis hin zur Frage nach der Einladung zum Kaffee ist leicht und schnell erzählt : siehe oben.
Damit drehe ich mich um, will mich auf mein Motorrad setzen und weiterfahren.
‚Okay’ höre ich plötzlich hinter mir jemanden sagen ‚abgemacht.’
Ich stutze, steige wieder ab und sehe sie ungläubig an.
‚Wie bitte’ stottere ich ‚was haben Sie gerade gesagt ?’
 
‚Nun, junger Mann, sie sehen nicht so aus als wollten sie eine arme alte Frau ausrauben. Also riskier ich’s. Stellen Sie den Motor ab.’
 
Ich muss sie angestarrt haben als hätte sie mir gerade einen Heiratsantrag gemacht. Jedenfalls fing sie schallend an zu lachen.
‚Was ist nun?’ fragt sie mich lachend ‚stellen Sie jetzt den Motor ab oder kneifen Sie ?’
‚Wo, ahem, wo wohnen Sie denn ?’
‚Gleich hier’ sagt sie und deutet auf das Haus neben dem wir stehen.
Noch nie hat mich jemand im wahrsten Sinne des Wortes so kalt erwischt wie diese kleine sympathische alte Dame.
Der Motor würde wieder anspringen, das wusste ich.
Und ich wäre bis auf die Knochen blamiert. Das wusste ich auch.
‚Gut’ sage ich also leichthin, mache den Motor aus, nehme den Schlüssel ab und drehe mich zu ihr hin ‚gehen wir Kaffee trinken.’
‚Und was ist mit dem Motor?’ fragt sie mich erstaunt ‚wollen Sie denn nicht schauen ob er wieder angeht?’
‚Brauche ich nicht.’ erkläre ich wortreich ‚der rührt sich jetzt sowieso erst mal nicht mehr.’
Da schaut sie mich ein paar Sekunden lang an, lächelt wissend und geht langsam auf ihr Haus zu.
Drinnen führt sie mich durch eine helle, lichtdurchflutete Diele ins Wohnzimmer.
‚Nehmen Sie Platz’ sagt sie und deutet auf einen Ledersessel, ‚der Kaffee ist gleich fertig.’
Wenig später sitzen wir uns gegenüber, duftenden Kaffee und ein wenig Gebäck zwischen uns.
Meine Verlegenheit hat sie gut überspielt. Was ich denn so mache, hat sie mich gefragt, ob ich verheiratet wäre und Kinder hätte.
Nach ein paar Minuten hatte ich mich von meinem Schock erholt und auch angefangen zu fragen.
 
Ob ihr Mann denn nichts dagegen hätte dass sie mich so einfach zu einem Kaffee eingeladen hat.
‚Glaube ich nicht’ sagt sie, während sie an ihrem Kaffee nippt ‚mein Mann ist vor fast einem Jahr gestorben. Seit dem wohne ich hier alleine.’
Die Traurigkeit in ihrer Stimme war nicht zu überhören, geradezu greifbar.
‚Fast 20 Jahre haben wir hier gewohnt, wissen Sie. Wir haben uns unser Leben eingerichtet und es uns schön gemacht. Und plötzlich ist alles vorbei.’
Mit ihrer Serviette wischt sie sich eine Träne ab.
‚Entschuldigen Sie’  sagt sie mit leicht zitternder Stimme, ‚ich wollte Sie nicht mit meiner Trauer belästigen.’
‚Sie belästigen mich überhaupt nicht’ versichere ich ihr ‚aber Sie haben doch sicher etliche Freunde, die Ihnen helfen und zur Seite stehen.’
‚Freunde’ wiederholt sie und sieht mich direkt an ‚Oh Freunde hatten wir genug, dachte ich jedenfalls. Aber als mein Mann starb waren sie plötzlich alle weg, wie vom Erdboden verschluckt waren sie.’
Tiefe Traurigkeit lag in ihrer Stimme, Traurigkeit und Einsamkeit.
‚Als mein Mann nicht mehr da war sind auch die Freunde verschwunden. Keiner hat nach mir gefragt oder sich um mich gekümmert, verstehen Sie das ?’
Was sollte ich ihr sagen ? Urplötzlich hatte ich das Gefühl, mit Schneeschuhen über ein Minenfeld zu laufen.
‚Ich weiß nicht was Ihre Freunde davon abgehalten hat Sie einmal anzurufen’ sage ich ehrlich ‚ Ich weiß nur dass die meisten Menschen große Schwierigkeiten haben mit Verlusten umzugehen.’
‚Ich weiß’ erwidert sie ‚doch niemand ist vor Verlusten gefeit, jeder beklagt mal einen Verlust, jeder verliert einmal etwas wichtiges.’
‚Schon, aber Trauer, denken sie, zeigt man nur in den eigenen vier Wänden, aber nicht vor der Haustüre.’
‚Aber warum denn nur’ sagt sie mit großen Augen ‚ich verstehe das nicht, ich will es nicht verstehen. Trauer ist doch etwas ganz natürliches, etwas ganz normales.’
‚Sie haben ja Recht, aber Trauer ist auch etwas ganz persönliches. Und wie alles persönliche macht auch die Trauer angreifbar wenn man sich ihr hingibt.’
‚Angreifbar? Und was hat das mit den Freunden zu tun ?’
‚Nun, die meisten Menschen scheuen sich in diesen persönlichen Bereich einzudringen. Sie wollen nicht lästig oder gar aufdringlich erscheinen, sie glauben Trauer müsse man mit sich selbst ausmachen.’
 
Nachdenklich sitzt sie mir gegenüber und starrt auf ihre Tasse.
‚Und woher wissen Sie das alles?’
‚Ich weiß es nicht, ich vermute es nur.’
‚Und sie glauben also...?’
‚Ich glaube einfach dass der Eine oder Andere schon gerne geholfen hätte’ vollende ich ihren angefangenen Satz ‚sich aber nicht getraut hat anzurufen.’
 
Langsam trinke ich den letzten Rest Kaffee aus und stehe auf. Für mich wird es höchste Zeit meine Arbeit wieder aufzunehmen.
 
‚Und vielleicht wartet ja auch jemand nur darauf dass Sie sich melden.’
‚Glauben Sie wirklich ? Und woher weiß ich ob Sie...?’
‚Ob ich Recht habe ? Keine Ahnung, vermutlich weiß das niemand. Aber was haben Sie zu verlieren ?’
 
Mein Motorrad ist - wie erwartet - ohne Mucken gestartet, was ihr übrigens ein leises, verständnisvolles Lächeln entlockt hat.
Und so endet die kleine Geschichte über einen Menschen, den ich ganz sicher niemals vergessen werde.
Ach ja, vor etwa einer Woche habe ich die alte Dame mit einer etwa gleichaltrigen Dame in einem kleinen Cafe an der Ecke sitzen sehen.
Sie hat mich erkannt, winkte mir kurz zu und hielt dabei den Daumen nach oben.
Was auch immer das heißen mag, ich wünsche es ihr.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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