„Tag, Tschimmer, ich habe meinem Kollegen schon erlaubt,
sich zu setzen.“ Tschimmer, der größere von beiden, fegte verächtlich díe
offenen Bücher vom Schreibtisch und legte dafür seine grüne Mappe ab. Der
Hausherr sprang auf Befehl davon und rapportierte ein Stück Zeitung auf den
Tisch. Tschimmer nickte kaum. Er hatte inzwischen das ganze Zimmer voller
Einzelteile gestellt, die er einem großen Behälter entnommen hatte. Jetzt riss
er den Stecker aus der Wand, wobei die Stehlampe nur durch das beherzte
Eingreifen des Hausherrn vor dem Umfallen bewahrt wurde.
Tschimmer saugte. Er kritisierte den Teppich, dass er zu
empfindlich sei. Der Hausherren entschuldigte sich mit dem Hinweis auf sein
Einkommen. Tschimmer unterbrach ihn mit dem wissenden Lächeln und leerte nach
dreimaligem Hin und Her die Tüte auf der Zeitung. Gründlich schüttelte er sie,
wobei seine Linke den Tütenrand eisern aufs Papier presste. Nun zeigte er wohl
im Vertrauen auf das technische Wunder
auf ein mikroskopisches Häufchen Staubfusseln. Keiner durfte etwas sagen; der
Eindruck schien ihn zu überwältigen. Der Hausherr hatte offenbar lange genug auf das Häufchen
Schmutz, denn der fremde Herr löste sich befriedigt aus seiner starren Haltung
und begann, nachdem er die Tüte neu eingelegt hatte, wieder zu saugen. Diesmal
etwas länger. Der Hausherr setzte sich, weil er glaubte, dem Vorführer dadurch
am deutlichsten seinen Respekt zu zeigen. Doch erschien es ihm bald besser, mit
dem herumsausenden Sauggerät mitzuspringen und mit dern Kopf dicht über dem
Boden seiner Bewunderung Ausdruck zu verleihen.
Tschimmer schien mit der Reaktion des Schülers zufrieden;
jedenfalls sagte er nichts, was das Gcgenteil andeuten könnte. Oder aber war
sein Schweigen Verachtung? Musste man dem Vertreter nicht dankbar sein, dass er sich mit einem
unwissenden Kunden abgab?
Staubsauger besaß er natürlich schon. Aber bewies das nicht
um so mehr die Engelsgeduld und hilfreiche Anteilnahme dieser Herren?
Nun hatte er in seinem Übereifer Tschimmer tatsächlich bei
der Vorführung gestört. Halb beleidigt hielt dieser plötzlich inne. Schuldbewusst
sah der Hausherr herauf in die bedeutungsvoll unter den hochgezogenen Brauen
auf ihn gerichteten Augen der beiden. Er las keinen direkten Vorwurf in ihnen,
nur Ungläubigkeit. Sie schienen seinem guten Willen zu mißtrauen und seinen
Eifer für verdächtig zu halten. In dieser unbehaglichen Stellung er stand ja
noch immer vor dem Staubsauger mit dem Kopf dicht über dem Boden kam ihm die
Idee, nun den gesäuberten Teppich zu begutachten. Er legte sich der Länge nach
hin und versuchte, mít seinen Fingerspiten den Teppich zu öffnen, um zu zeigen,
dass er verstanden habe, worauf es ankam: Aber es war nicht möglich, bis auf
den Grund des Teppichs zu gelangen und den Henen zu zeigen, dass sie
erfolgreich die feinsten Staubkörnchen aus der Tiefe hervorgesaugt hatten. Je
mehr es ihm misslang, desto eifriger und schneller kratzte er am Teppich, riss
dabei schonungslos seine Fingernägel aus ihren Betten und achtete nicht des
Blutes, da nun langsam den Teppich zu
färben begann. Die beiden Herren hatten ihm bisher geduldig zugesehen.
Tschimmer beugte sich aber jetzt herab und schüttelte den Staubbeutel zum
zweiten Mal aus. Diesmal hatte er die Zeitung neben dem Hausherrrn auf den
Fußboden ausgebreitet. Dann trat er dem Hausherrn auf die Hand, wie um das
lästige Blut zu verdecken oder zu zeigen, dass es nicht auf Finger, sondern auf
einen guten Staubsauger ankäme. Gehorsam
drehte der Hausherr sein Gesicht dem Papier zu und drückte seine
Fassungslosigkeit über die Staubmenge, die jetzt sicher viermal so groß wie
beim ersten Mal war, dadurch aus, dass er langsam sein Gesicht in den weichen
und zugleich sandigen Staubball preßte.
Tschimmer erkannte das Interesse an und nahm den Fuß von des
Hausherrn Hand. Die Vorführung war beendet und der Kunde schien überzeugt.
Deshalb packten sie ihn, warfen ihn über einen Stuhl und drückten
ihm den Kugelschreiber in die wunden Hände, wobei sie ihm die Formulare
zuschoben. Der Preis schien keine Rolle zu spielen und wurde gar nicht erwähnt.
Der Hausherr war aber nun besorgt, zu bockig zu erscheinen.
Deshalb stellte er die Frage nach der Farbe. Aber die Herren ließen sich nicht
mit unnötig ablenken. Der zweite Herr hielt ihm sofort den Mund zu und drückte
seinen Kopf nach vorne, um ihn wohl an den Vertrag zu erinnem.
Der Hausherr biss sich auf die Lippen und hätte sich gerne
für sein falsches Benehmen entschuldigt. Aber die Herren schienen es ihm nicht
nachzutragen; gleichmütig blickten sie auf das Papier.
Die Ruhe, mit der sie dem aufsässigen Benehmen des Hausherrn
begegneten, reizte diesen zu noch stärkerem Widerstand.
Einem plötzlichen Verlangen nicht widerstehend sagte er
bösartig wie ein Kind, dass er es sich überlegt habe und keinen Staubsauger
brauche.
Die Herren blickten sich aber nur kurz an. Auch ließen sie
ihn sofort frei. Ohne sich weiter um ihn zu kümmem, begann nun der zweite mit
seinem Vortrag. Tschimmer setzte sich und ließe sich von seinem Partner alles
genauestens erklären. Sie schienen dieses Spiel sehr zu lieben und lächelten
glücklich.
Dazu gehörte wohl auch, dass Tschimmer Fragen stellte. Aber
sie redeten gewissermaßen nur in Stichworten, denn sie kannten ja alles auf das
Beste. Manchmal blitzten ihre Augen listig hinüber zum Hausherrn, der sich
teilnahmslos stellte, jedoch sehr darunter litt, dass man ihn vom Spiel
ausschloß. Er hatte es sich zwar bewußt ertrotzt, aber es schmerzte ihn doch,
sich so hart bestraft zu sehen. Er hätte jetzt am liebsten ein Bad genommen, so
unwohl war ihm in seinen Kleidern. Am ganzen Körper mußt sich trotz seiner Schweißausbrüche Gänsehaut
gebildet haben. Um überhaupt etwas zu tun, schloß er sich ins Badezimmer ein
und verband seine Fingerkuppen.
Als er nach längerer Zeit wieder heraustrat, standen die
beiden Herren rechts und links bewegungslos an der Badezimmertüre und hatten
ihm ihre besorgt fragenden Gesichter zugewandt. Er aber schritt mutig hindurch
und begann sich das Gerät selbstständig anzusehen. Die beiden waren lautlos
gefolgt und sahen zu, wie er den Staubsauger auseinander nahm. Die etwa zehn
größten Teile versuchte er immer weiter zu zerlegen. Bald mußte er mit
Schraubenzieher und Hammer die vernieteten Teile sprengen, um auch die
einzelnen Drähte besichtigen zu können. Er hatte sich schon immer für
elektrische Systeme interessiert und versucht nun den Schaltplan zu ergründen. Da er die wunden Finger kaum benutzen
konnte, schnitt er mit der Schere quer durch die Wicklungen des Ankers und
konnte so die Richtungen studieren. Ja, er wusste sofort, dass es sich urn einen
Wechselstrommotor handeln musste. Um die beiden Vertreter nun auch einmal für
die wirklichen Probleme ihrer Ware zu interessieren, deutete er pedantisch auf
das Typenschild des Motors und zeigte ihnen durch Kopfnicken, dass die
Aufschritt zu recht bestand.
Die Herren waren seinen Ausführungen durchaus interessiert
gefolgt. Sie hatten sich nach und nach vor dem Haushern auf die Knie gelassen
und lehnten Stirn an Stirn über dem zerlegten Motor. Sie konnten einfach nicht
fassen, dass diese feinen Drähte und Metallplatten eine solch ungeheure
Saugkraft entwickeln konnten. Ja, sie begriffen jetzt, dass hier das eigentliche Geheimnis ihres Berufes
und ihres Erfolges schlummerte.
Der Hausherr war sehr dankbar, dass man ihm Gelegenheit zum
Lemen gab: Er wusste, dass man durch Lehren mehr lemt als der Schüler. Er
begriff auch die außerordentliche Freundlichkeit der Vertreter, die sicher weit
über ihre Befugnisse gingen und ihre Zeit opferten. Er glaubte, dass heute seine Bewusstseinsbildung einen
riesigen Schritt vorwärts getan habe.
Er hielt vor Bewegung inne, sah lange auf die beiden Männer,
die immer noch stumm vor Staunen Stirn an Stirn auf die ausgebreitete
elektrische Wunderwelt starrten, und küsste im überwallenden Gefühl des
Augenblicks beiden zärtlich die Wangen. Auch ihnen traten Tränen in die Augen, und alle drei
faßten sich an den Händen und blickten mit glänzenden Augen blind vor sich hin.
In diese Andacht splitterte die Wohnungstür mit Gepolter auf
und zwei fluchende Mämer drangen herein. Der eine zog die beiden Vertreter
blitzschnell an den Ohren zur Tür, wobei er mit geschicktem Angeln der Füße die
Ledertasche mit hinausschob. Der andere, ebenso geübt, holte sich das
Scheckbuch aus der Schublade und hatte schon, ehe der Hausherr auch nur seine
Hilfe hätte anbieten können, im Hinauseilen die Unterschrift getälscht. Ohne
sich urnzublicken, warf er noch den Kugelschreiber von draußen nach dem
zurückbleibenden Hausherrn.
Über die zwei Kleckse, die sein Atem an die Scheibe blies,
drückte dieser seine Nase und sah den Werbeomnibus in den nächsten Stadtteil
rasen.
Vorheriger TitelNächster TitelSatire ist eigentlich nicht so ganz zutreffend; es handelt sich eher um einen kafkaesken Stil, der die Wirklichkeit leicht verdreht um etwas klar zu machen, d.h. das Unwirkliche kommt in Gestalt reinster Normalität daher: absurder Verfremdungseffekt. Viel Spaß.Heinrich Waegner, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2008.
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