Johannes Seipel

Der Herr übe Soll und Haben

 

Roland, vierzig Jahre alt, groß, schlank und kraftvoll, zu Fleisch gewordener Wille, hatte es geschafft.

Sein Bankhaus, die „3 Türme von Babel“, hatte ihn zum Vorstandssprecher berufen.


Roland war damals vierzehn Jahre alt, als er unbewusst den Grundstein für seine Karriere legte. Wenn im Sommer die Hitze in der Innenstadt unerträglich wurde, schlenderte der Junge zum Silbersee ins nahe Wäldchen, hielt die Füße ins Wasser und dachte an seinen viel zu früh verstorbenen Vater.


Eine dunkle Mädchenstimme war es, die Roland vor weiteren traurigen Gedanken bewahrte.

Träumst du von mir und vom großen Geld?“

Vom großen Geld, wie du von einem großen, dicken Fisch“, konterte Roland, als er das Mädchen mit den Watstiefeln und der Angelrute sah.

Hab‘ ihn schon ...! Ich bin die Sabine!“

Hab‘ es noch nicht ...! Ich bin der Roland!“

Na, dann pass mal auf, Roland!“

Und gleich holte Sabine die Schnur ein und legte die Angelrute neben sich ins Gras. Erhob sich langsam, zog die schwarzen Watstiefel bis zu den Oberschenkeln hoch, öffnete einen Knopf ihrer Bluse und präsentierte sich Roland in ihrer jungen Weiblichkeit.

Domina ...“, fiel es Roland aus dem Mund.

Ganz so schlimm wird es nicht werden“, beruhigte Sabine und ging dabei langsam auf den Jungen zu. Dann riss sie den Überraschten zu sich hoch, nahm sein schmales Gesicht in ihre Hände, zog es zu sich herunter, küsste ihn zuerst zärtlich, dann jedoch stürmisch.

Komm, wir gehen jetzt zu mir!“, sagte Sabine, nachdem sie sich von ihrer Attacke erholt hatte.


Als der Weg aus dem Schatten spendenden Wäldchen herausführte, sang Sabine dem Roland ihr Klagelied.

Schlimm die Hitze! Spendierst du mir ein Eis? Da vorne ist ein Stand.“


Was sollte er nun um Himmels willen tun? Sein Taschengeld war verbraucht.

Das Eis ist kalt und verkühlt dir den Magen“, erklärte Roland deshalb und plötzlich mit fester Stimme, „außerdem macht der viele Zucker dick.“


Als Sabine diesen Diätvorschlag verarbeitet hatte, sagte sie: „Du bist der Boss!“ Dann löste sie schnell und entschieden Rolands Arm von ihrer Schulter.

Warten wir doch mit einer längeren Umarmung bis zum Winter. Da ist es meistens kalt, wenn nicht gerade Frühling. Jetzt ist mir nur heiß!“


Schließlich standen sie vor dem schmucken Einfamilienhaus, in dem Sabine lebte.

Hier müssen wir uns trennen. Für immer! Du hast kein Geld! Wahrscheinlich nicht mal ein Beschaffungskonzept!“


Nun stand Roland als Vorstandssprecher seiner Bank wieder einmal hinter der verspiegelten Glasfassade in seinem Sprecherbüro, blickte auf die erleuchtete Stadt hinab und wusste plötzlich, wem er seine schnelle Karriere in Beruf und Gesellschaft verdankte.


Was mochte aus Sabine geworden sein? Heute könnte er ihr ein Eis kaufen. Und so sie es verlangte, sogar eine Eisfabrik.


© 05.02.2007 joLepies


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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