Joana Angelides

Harun El Rashid

Aus der Sicht von HARUN EL RASHID
Einst ging Harun el Rashid durch seine Stadt und stöberte Ungerechtigkeiten und Sorgen seiner Untertanen auf.

Wenn er das nun in einer mitteleuropäischen Stadt an der schönen blauen Donau machen würde, wo heute, an der damaligen Zeit gemessen, sicher genau so viele seiner Untertanen leben wie damals, würde er sich sehr wundern.
Es gibt zwar Taschendiebe, Bettler und dealende Straßenhändler, aber keine Bauch tanzenden Mädchen auf den Plätzen. Fast alle Frauen sind unverschleiert und die Männer haben keine Säbel umgeschnallt. Nirgends ein fliegender Teppich zu sehen, nur häßliche Blechdinger mit vier Rädern, die sich leider nicht in die Lüfte heben.
Anders würde es sich schon darstellen, wenn er nun im am Faschingdienstag käme.
Da könnte er schon seltsam gekleidete Menschen sehen, z.b. Piraten mit Augenklappen und Holzfuß, die gemeinsam mit einem als Kätzchen verkleideten Mädchen in einer Tornische gedrückt, sich leise Märchen ins Ohr flüstern, wie einst Sheherezade es bei ihm tat.
Es gibt keine öffentlichen Auspeitschungen und keine Steinigungen am Samstag abend aber dafür schickt man Menschen in eisige Arenen und läßt sie vor dem Kalifenpalast am Ring zu Musik auf Kufen im Kreise fahren, bis sie umfallen.
Hofnarren und Harlekine eilen von einem Lokal ins andere und kommen völlig betrunken wieder heraus. Alles verlottert und Alkohol fließt in Strömen.
Das müßte sofort abgestellt werden.
In keinem der Kaffees gibt es Wasserpfeifen, nicht genug damit, in fast allen ist das Rauchen sogar verboten. Wer hat das veranlasst? Wo ist der Aufschrei der Massen?
Da werden Köpfe rollen!
Und wo sind die tanzenden Derwische?
Am Platz vor dem Dom begegnen ihm zwar einige Gruppen in lange dunkle Kaftan gekleidete Männer, doch gehen die nur bedächtig herum, keiner dreht sich zu Trommeln und Rasseln oder schwingt seine Arme oder Tücher.
Er sieht aber auch andere dunkel gekleidete Männer und seltsamerweise auch Frauen, mit strengen Blicken und Notizblöcken, die eilig irgendwelche Zettel verteilen und ebenso eilig um die Ecken verschwinden, als würden sie was Verbotenes tun.
Harun el Rashid ist gar nicht amüsiert. Seltsame Sitten sind auf Erden eingekehrt.
Vielleicht begegnet ihm aber auch sein Nachfolger aus dem Kalifenpalast am Ring, der derzeit herrschende Häuptling der Stadt. Ebenfalls mit einem weiten Umhang bekleidet, außen rotweiß und innen durchgehend weinrot gefüttert. Da jeder Mann dessen Silhouette jedoch schon von weitem erkennt, trägt er eine Augenmaske, sie macht ihn außerdem sexy.
Auch er will seine Stadt heimlich erkunden, will die Sorgen und Nöte seiner Mitbürger aus nächster Nähe sehen. Doch gibt es nichts, was er notieren kann. Alle sind fröhlich, lachen und sind kostümiert. Manche sind als Polizisten verkleidet, oder tun nur so, manche gehen als Obdachlose, die tun nicht nur so.
Nackte Tatsachen werden dokumentiert, manche verdeckt, andere offen zur Schau gestellt.
Einer umarmt eine Laterne beim Kalifenpalast am Ring und prostet ihm zu. Ein anderer ruft "Prost Helmut, oder so ähnlich!"
 
Da hat Harun el Rashid genug gesehen, er zieht seinen Teppich aus dem weiten Umhang hervor, setzt sich darauf und schwingt sich in den nächtlichen Himmel.
Sein Nachfolger betrachtet nachdenklich das Glas in seiner Hand, schaut ihm erstaunt nach und wirft es dann Kopf schüttelnd weg.
Ja ja, bei uns in Vindobona......
Alles Fasching und viel Vergnügen.
Prost
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Joana Angelides).
Der Beitrag wurde von Joana Angelides auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Joana Angelides als Lieblingsautorin markieren

Buch von Joana Angelides:

cover

Im Schatten des Olivenbaumes von Joana Angelides



Ein Olivenbaum zieht die Menschen in seinen Bann und bestimmt besonders das Leben einer leidenschaftlichen Frau.
Sie trifft eine überraschende Entscheidung.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Joana Angelides

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Cool ist geil von Joana Angelides (Satire)
Weihnachtslüge von Klaus-D. Heid (Satire)
Nur ein Stein - Lebendige Gedanken zur toten Materie von Christa Astl (Gedanken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen