Bettina Lemmel

Totengrund

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Totengrund

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sie stand am Rande des Totengrundes. Sie fröstelte und  zog  ihre Jacke enger um sich. Es war nebelig geworden und sie roch, daß der Herbst nicht mehr allzu fern war. Sie blickte ins Tal hinab, auf die im Nebel so bizarr wirkenden Wachholderbüsche und das Heidekraut, daß in der  aufkommenden Dämmerung aussah, wie ein langer schwarz-grauer Flickenteppich, der sich durch das gesamte Tal zog. Ein ungewöhnliche und schon fast unheimliche Stille lag über dem Tal.

 

Wie war sie überhaupt hierher gekommen? Sie wußte es nicht genau. Sie war einfach losgerannt. Sie hatte kopflos das Haus verlassen und es war ihr egal gewesen, daß die Leute ihr erstaunt und kopfschüttelnd hinterher schauten. Aber sie mußte da raus. Es war wieder dieseVisison, die sie schon öfter gequält hatte, doch an diesem Abend war sie besonders deutlich und drohend über sie hereingebrochen. Sie hatte ihr den Atem genommen und sie hatte Angst zu ersticken. Dabei war es nur eine Zeitung gewesen. Der übliche Stadtanzeiger aber die kleine Schlagzeile war deutlich, obwohl sie nur etwa einen Absatz betrug: „Wieder kleines Mädchen vermißt“. Seit gestern abend wird die kleine Jennifer S. aus W. vermißt. Sie war unterwegs mit dem Fahrrad von einer Freundin nach Hause, doch dort kam sie nicht an. Ihr Fahrrad wurde in der Nähe des Fürstengrabes gefunden. Hinweise melden sie bitte der örtlichen Polizeidienststelle.

 

Sie war vom Tisch aufgesprungen und nach draußen getaumelt und dann einfach nur gelaufen. Bis zum Totengrund. Dort stand sie nun. Dabei hatte der Abend so schön angefangen. Hilke und Sven waren vorbeigekommen und sie waren in die kleine Gaststätte gegangen, um zu essen und sich über den Klatsch in Stadt und Land auszutauschen. Hilke und Sven lebten seit 10 Jahren in H. und sie war vor zwei Jahren aus H. aufs Land gezogen, um ihrem Beruf als Landschaftsgärtnerin nachzugehen. Sie fühlte sich wohl in W. und das Häuschen, daß sie gemietet hatte, entsprach absolut ihren Vorstellungen vom Leben auf dem Land. Sicher vermißte sie das Leben in H. und  war gierig auf Neuigkeiten, aber in W. konnte sie ihrer Kreativität voll und ganz nachgehen. Hier hatte sie die Ruhe, die ihr in H. gefehlt hatte. Aber hier fing auch alles an.

 

Die erste Vision hatte sie in der ersten Nacht im neuen Haus. Sie konnte nicht schlafen und wanderte durchs dunkle Haus. Auf einmal wurde ihr schwindelig und fast schwarz vor Augen. Da sah sie ihn. Er stand einfach da und so schnell er erschienen war, verschwand er wieder. Sie hielt sich krampfhaft an der Tischkante fest und das Herz pochte ihr bis zum Hals. Panik kroch in ihr hoch. Was war das? Was hatte sie da gesehen? Sie konnte es sich nicht erklären. Zitternd sank sie auf einen Stuhl. Sie mußte sich beruhigen! Sie atmete tief durch und ihr Herzschlag normalisierte sich. Sie starrte auf den Fleck, wo eben noch die Gestalt gestanden  hatte. Das Gesicht hatte sie nur schemenhaft erkannt aber die Gestalt hatte sie als hühnenhaft und bedrohlich gesehen. Sie schauderte. Obwohl sie die Gestalt nur kurz gesehen hatte, hatte sie die Bedrohung, die von ihr ausging, ganz genau gespürt.

 

Das war jetzt vor zwei Jahren gewesen. Die Visionen waren immer wieder gekommen und sie konnte sich nicht erklären warum. Sie wußte, daß sie ein sehr emotionaler Mensch war(deswegen gingen auch die meisten ihrer Beziehungen in die Brüche) aber daß sie Visionen heimsuchen würden, konnte sie nicht ahnen. Sie hatte mit keinem darüber gesprochen, aus Angst, als Verrückte abgestempelt zu werden. Doch jetzt mußte sie erklären, warum sie so plötzlich aus der Gaststätte geflohen war. Sie seufzte. Es war inzwischen dunkel geworden und sie wollte gerade zurück zur Gaststätte, als sie Schritte vernahm. Sie drehte sich um. Es war Sven, der ihr gefolgt war und nun auf sie zu kam. „Anne! Mensch Anne, da bist du ja! Wir haben uns Sorgen gemacht. Was war denn los? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Er wirkte verwirrt und besorgt. Er sah sie an. „Ich bin dir, glaub ich, eine Erklärung schuldig. Es tut mir leid. Ich bin irgendwie ausgerastet“ „ Ja, aber warum denn? Was ist da drinnen mit dir passiert?“ „Oh, Sven, ich würde es dir ja gern sagen aber es ist alles so verrückt und ich kann es ja selber nicht begreifen!“ Sie sah ihn an wie ein gehetzter Hund. Die Panik drohte sie zu übermannen. „Nun beruhige dich erstmal. Komm, wir gehen zurück. Hilke ist bestimmt schon ganz außer sich vor Sorge. Außerdem wird es langsam echt kalt!“ Als sie bei der Gaststätte ankamen, sahen sie Hilke, die vor der Tür auf und ab ging. „Anne, Sven! Endlich! Ich hab mir Sorgen gemacht. Was ist denn los? Wo wart ihr denn? Was um Himmels...“ „Hilke, nun komm mal wieder runter. Laß sie doch erstmal rein!“ Sven drückte Hilke beiseite und schob Anna durch die Tür. Drinnen suchte er einen Tisch abseits von den anderen. Er bestellte dreimal Punsch und sah Anna an. Sie wirkte immer noch verstört und starrte auf ihr Punschglas.“ Ich konnte nicht anders. Ich mußte einfach raus!“ Sie sah ihre beiden Freunde an. Wie sollte sie das nur erklären?

 

 

 

 

 

 

 

Später am Abend, als Sven und Hilke längst nach H. zurückgefahren waren, lag sie wach in ihrem Bett und die Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was hatte das alles zu bedeuten? Was war mit den verschwundenen Mädchen? Was hatten ihre Visionen damit zu tun? Hatten sie überhaupt etwas damit zu tun? Hätte sie Hilke und Sven alles sagen sollen? Sollte sie überhaupt jemandem etwas sagen? Sollte sie vielleicht sogar zur Polizei gehen? Würden die ihr aber etwas von dem glauben, was sie zu erzählen hatte? Sie wälzte sich im Bett herum. Ihr Kopf dröhnte. Sie wollte schlafen, wollte das alles vergessen, aber es gelang ihr nicht. Als es dämmerte, stand sie auf. Ihre Beine waren bleischwer und ihr Kopf drohte zu zerplatzen. Sie ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Dann ging sie ans Medizinschränkchen und nahm eine Packung Aspirin heraus. Sie drückte zwei Tabletten raus und schluckte sie runter. Dann machte sie sich einen Kaffee  und setzte sich an den Küchentisch. Dort fiel ihr Blick auf den Stadtanzeiger von gestern. Sie blätterte zu der Seite mit dem Artikel, den sie gestern in der Gaststätte gesehen hatte. Sie las ihn noch einmal. Jennifer S. war verschwunden und sie wohnte hier ganz in der Nähe. Ihr Fahrrad wurde am Fürstengrab gefunden. Wieso das Fürstengrab? Wieso schon wieder das Fürstengrab? Das alles verwirrte sie und sie schlug die Zeitung wieder zusammen. Was sollte sie machen? Sie legte ihren Kopf auf die Tischplatte, als das Telefon klingelte. Sie ging in den Flur und nahm den Hörer ab. „Hallo?“ “Hallo Anna, hier ist Sven. Wie geht’s dir denn? Besser?“ „ Oh, Sven, nein, ehrlich gesagt nicht. Ich habe heute Nacht kein Auge zu getan. Könnt ihr herkommen?“ Sie brauchte jetzt jemanden um sich ,mit dem sie reden konnte. „Klar, ich frag Hilke und wenn es geht, nehmen wir eine Woche Urlaub und dann kümmern wir uns um dich, ok?“ „Sven, das wäre toll! Vielen Dank!“ Sie legte auf und ging zurück in die Küche. Sie mußte etwas unternehmen, das war ihr klar geworden, doch sie wußte nicht was.

 

 

 

 

 

 

 

„Sven, jetzt ras doch nicht so. Wir haben doch noch genug Zeit! Wir müssen doch erst um drei da sein!“ Hilke sah auf den Tacho. 150km/h. Das war typisch Sven. „Außerdem wolltest du doch noch tanken und die letzte Tankstelle vor der Ausfahrt kommt gleich!“ Sven verlangsamte das Tempo. Er wußte, daß Hilke manchmal zu Übertreibungen neigte aber er sah ein, daß es nichts brachte, wenn sie im Graben landen würden. Er wechselte die Spur und fuhr auf die Tankstelle. Hilke verschwand im Reiseshop und er stöpselte den Tankstutzen auf und führte den Tankschlauch ein. Er blickte hoch und da sah er einen Mann mit einem kleinen Mädchen. Der Mann zog das Mädchen an der Hand zu seinem Wagen und redete auf es ein, denn es war offensichtlich, daß das Mädchen nicht bereit war, einzusteigen. Steven schätzte die Kleine auf ungefähr acht. Sie hatte blonde, lange Haare, die zu zwei Zöpfen geflochten waren und trug einen roten Overall und Stiefel dazu. Der Mann sah aus, wie ein typischer Geschäftsmann mit Schlips und Hemd. Er wirkte hühnenhaft und dieser Eindruck wurde von dem dunklen Mantel, den er trug, noch verstärkt. Sven schüttelte den Kopf. Er und Hilke waren sich einig darüber, mit dem Kinderkriegen noch zu warten. Sie hatten beide einen Job, der sie zeitlich voll ausfüllte aber es gab immer wieder Eltern, die sich nicht im Klaren waren, wie zeitintensiv ein Kind ist. Hilke riß ihn aus seinen Gedanken und hielt ihm eine im Shop erstandene Heidschnucke unter die Nase “Hier, ist die nicht süß? Das wird Anne vielleicht etwas aufmuntern! Die blökt sogar, wenn man ihr über den Rücken streicht!“ Sven rollte mit den Augen. Warum kaufen Frauen immer solche Sachen? Hilke knuffte ihn in die Seite “Hee, jetzt guck nicht so, mach mir lieber die Tür auf!“ Sie stiegen ein und Sven lenkte den Wagen zur Ausfahrt. Im Rückspiegel sah er noch, wie der Mann mit dem Mädchen in einen schwarzen Volvo stieg und ebenfalls zur Ausfahrt fuhr.

 

 

 

Später saßen sie in Annes gemütlichem Wohnzimmer . Der Tee dampfte aus seiner Kanne und auf einem Teller lagen selbstgebackene Kekse. Anna war nervös. Einerseits freute sie sich, daß die beiden da waren, andererseits hatte sie Angst davor, ihnen das zu erklären, was im Gasthaus geschehen war. Sie blickte ihre beiden Freunde an. Jetzt mußte es raus. Sie räusperte sich. Sven und Hilke blickten auf. „Ich freue mich, daß ihr hier seid. Es ist so lieb von euch, euren Urlaub zu opfern, um mir zu helfen. Aber zuerst muß ich euch erklären, was da eigentlich in der Gasstätte mit mir passiert ist“ Sie fing an und nach einer Weile sprudelten die Wörter nur so aus ihrem Mund. Und sie fühlte sich unendlich erleichtert. Endlich konnte sie darüber reden, mußte die ganze Last nicht mehr alleine tragen. Als sie endete, sah sie zu Hilke und Sven. Die saßen mit ungläubigem Staunen da. „Wow! Das muß ich erstmal verdauen!“ Sven blickte zu Hilke „Warum hast du uns denn nicht schon

 

früher was gesagt? Wir hätten dir doch geholfen. Ich meine, wir helfen dir auch jetzt natürlich, aber. oh Mann, das ist echt ein Ding!“ Eine Weile sagte niemand etwas und jeder hing seinen Gedanken nach. Sven unterbrach die Stille mit entschlossener Stimme“ Ok, wo fangen wir am besten an? Ich denke, wir sollten rausfinden, was deine Visionen mit den verschwundenen  Mädchen zu tun haben und ob sie überhaupt etwas damit zu tun haben. Jedenfalls ist es schon komisch, daß du beim Überfliegen des Zeitungsartikels wieder die selbe Vision hast, nur schien sie ja stärker zu sein, als die anderen. Was genau spürst du bei so einer Vision?“ Anna überlegte“ Eigentlich kommt es ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Meist wird mir schwindelig und dann seh ich ihn. Aber immer nur ihn. Ich kann sein Gesicht nicht erkennen aber er wirkt so bedrohlich und er ist groß, sehr groß! Und es ist alles etwas verschwommen, halt irreal!“ „Was passiert eigentlich bei so einer Vision? Sind das irgendwelche telepathischen Fähigkeiten oder so was?“ Hilke blickte fragend. „So genau weiß ich das auch nicht. Aber es könnte was in der Richtung sein, denke ich“ Sven sah Anne an. Doch die war mit ihren Gedanken ganz woanders. Was war mit dem Fürstengrab. Warum tauchte es schon wieder auf. Da muß ein Zusammenhang sein. Es kann doch kein Zufall sein, daß... sie wurde aus ihren Gedanken gerissen “Hee,  Anne! Anne, wer ist dieses Mädchen? Kennst du sie näher?“ Anne blickt zu Sven“ Was? Nein, ich hab sie nur ein paar mal hier gesehen, wieso?“  „Könntest du nicht mit den Eltern mal reden? Vielleicht hilft das ja weiter“ „ Ich kann doch nicht einfach so zu den Eltern marschieren und sagen; Hallo, ich habe Visionen und die haben vielleicht mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun!“ Anne schnaubte. „ Vielleicht sollte sie doch zur Polizei gehen“ warf Hilke ein. Sven nickte“ Ja, vielleicht ist das besser“ Anne unterdrückte ein Gähnen. „Tut mir leid ihr zwei, aber ich bin ziemlich erledigt. Können wir morgen weitermachen?“

 

 

 

 

 

 

 

Mitten in der Nacht, wachte sie auf. Sie blickte auf die Uhr. Es war gerade zwei. Sie überlegte. Hatte sie geträumt? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie stand auf und ging in die Küche. Sie setzte den Wasserkessel auf und nahm sich eine Tasse aus dem Schrank. Da sah sie die alten Zeitungen, die sie in die Ecke gelegt hatte, mit der Absicht, sie in den Müll zu tun. Sie kniete sich davor und sah sich die alten Zeitungen durch. Dann fand sie die Ausgabe, die sie suchte. Sie war von vor 6 Wochen und hatte erheblich unter Kaffee und sonstigen Flüssigkeiten gelitten. Sie nahm sie und begann, sie durchzublättern. Dann stieß sie auf den Artikel im Lokalteil: Mädchen vermißt! Die kleine Maren B. aus N. ist seit gestern Mittag verschwunden. Sie ist von der Schule nicht nach Hause gekommen. Sie trägt einen grünen Anorak und blaue Halbschuhe. Außerdem trägt sie eine Brille und hat kurze braune Haare. Ihr Schulranzen wurde in unmittelbarer Nähe des Fürstengrabes gefunden. Wer Hinweise auf ihren Aufenthaltsort hat, wird gebeten, sich bei der zuständigen Polizeibehörde zu melden.

 

Sie dachte nach. Sie hatte die Visionen, seit sie in W. lebte und jetzt waren zwei kleine Mädchen verschwunden. Sah sie etwa den Mann, der etwas mit dem Verschwinden der Mädchen zu tun hatte? Und was hatte das Fürstengrab mit all dem zu tun? Sie seufzte. Das klang alles wie an den Haaren herbeigezogen. Was sollte sie tun? Sie sah auf die Uhr. Es war mittlerweile fast drei und sie stand auf und ging ins Schlafzimmer. Sie legte sich ins Bett und schlief auf der Stelle ein.

 

 

 

 

 

 

 

Ein köstlicher Duft ließ sie am nächsten Morgen aufwachen. Sie ging in die Küche und sah dort Sven am Herde stehen. „ Wow, Hilke hat dich ja gut im Griff!“ Sven grinste“ Es geht nichts über ein ordentliches Frühstück! Setzt dich, der Kaffee ist gleich fertig und Hilke müßte auch gleich aus dem Bad kommen“ Anne ging zu den alten Zeitungen und nahm die Seite mit dem Artikel, den sie nachts gelesen hatte. „Hier, den hab ich heut Nacht gefunden“ Sven nahm ihn und las ihn durch. „ Schon wieder das Fürstengrab und es war auch ein Mädchen hier aus der Nähe. Wie wärs, wenn wir heute mal zum Fürstengrab gehen und es uns ansehen?“ „  Ja, das ist eine Idee und vielleicht bringt es ja was“ Hilke kam in die Küche gerauscht und zog eine Duftwolke aus Lavendel und Vanille hinter sich her „ Guten morgen, das Bad ist jetzt frei!“ „ Na endlich!“ Sven zwinkerte ihr zu. „ Und jetzt hinsetzten und frühstücken!“ Anne merkte, daß sie richtig Hunger hatte und griff zu. Nachdem sie mit dem Frühstück fertig waren, brachten sie die Küche in Ordnung, zogen sich wetterfest an, da es angefangen hatte zu regnen, und gingen in die Heide. Sie gingen an der Gaststätte vorbei, kamen an dem Parkplatz vorbei, wo im Sommer die Pferdekutschen auf Touristen warten und bogen in einen kleinen Weg ein, der zum Totengrund führte. Sie marschierten munter redend nebeneinander, der Regen störte sie nicht. Als sie am Totengrund ankamen, blieben sie stehen. Der Totengrund lag in einer Senke, die von Wald umgeben war. Ein Wanderweg führte rund um das Tal. Im Tal selbst standen vereinzelt Wachholderbüsche, zwischen denen Heidschnucken nach Freßbarem suchten. Die Heide war längst verblüht und hatte die Farbe von Rost angenommen. „Warum heißt das denn hier eigentlich Totengrund? Haben die Leute hier etwa früher ihre Toten begraben?“ Hilke schauderte. „ Nein, damit hat das nichts zu tun. Der Name sagt nur aus, daß das hier toter Grund ist, also daß hier nichts gewachsen ist, was die Leute früher hätten gebrauchen können!“ „ Wieso, die Wachholderbüsche sind doch auch ganz schön!“ „ Ja, aber die kann man nicht essen!“ „ Nee, aber Trinken!“ Anne grinste. Sven und Hilke schauten etwas verwirrt zu ihr rüber. „ Oder habt ihr etwa noch nie einen Gin probiert?“ „ Also Sven ja schon öfters aber ich...“ „ Hee, freches Ding!“ Sven ging spielerisch auf Hilke los und die spurtete prustend davon. Anne schüttelte lachend den Kopf. „ Los ihr beiden, laßt uns weiter gehen!“ Sie folgten dem Wanderweg durch den Wald und erreichten schließlich die offene Heide. Es war kein Mensch unterwegs aber das war nicht verwunderlich, schließlich war es mitten in der Woche und der Sommer vorbei. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen, und die Sonne versuchte, sich durch die Wolken zu kämpfen. „ Hee seht mal, hier geht es zum Fürstengrab!“ Hilke zeigte auf einen Stein, der als Wegweiser am Rande des Weges lag. „ Wollen wir hin?“ Sven sah zu Anne. „ Kann ja nicht schaden“

 

 

 

 

 

 

 

Hilke sah enttäuscht zu dem Hügel „Da ist ja gar nichts zu sehen!“ „ Was dachtest du denn? Dachtest du, da steht ein edler Tempel mit Gold und Efeu berankt?“ „ Nee, aber wenn man Fürstengrab hört, denkt man doch an was Großes. Warum heißt das denn so? Liegt da wirklich ein Fürst begraben?“ Hilke sah Anne an. „ Tut mir leid, das weiß ich nicht aber ich nehme an, es handelt sich hier nur um ein normales aber etwas größeres Hügelgrab. Die gibt’s hier überall und dort haben die Leute wirklich ihre Toten begraben“ Hilke kaute auf ihrer Unterlippe „ Kann man da mal rauf gehen?“ Und damit war sie schon über den Zaun gestiegen „ Hilke, ich glaub nicht, daß das erlaubt ist!“ Aber Hilke war schon hinter dem Hügel verschwunden. „ Sven schüttelte den Kopf und machte Anstalten, ebenfalls über den Zaun zu steigen. Er sah sich nach Anne um. Die stand da und blickte skeptisch. „ Nun komm schon. Es kann nichts passieren. Wir wollen uns hier nur mal umsehen!“ Anne folgte, jedoch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Sie blickte sich um, konnte aber nicht ungewöhnliches entdecken. Was hätte sie auch entdecken sollen? Sie schüttelte den Kopf. Was glaubte sie hier zu finden? Etwa die Mädchen? Das war doch absurd! Sie ging weiter und erreichte die Rückseite des Hügels. Sven und Hilke waren nicht zu sehen, also stieg sie den Hügel hoch. Von oben konnte sie weit über die Heide blicken und entdeckte auch Hilke und Sven, die sich an den Zaun gelehnt miteinander unterhielten. Sie wollte gerade die Hand zum Winken erheben, als sie ein Summen vernahm. Sie sah zu Hilke und Sven aber die schienen nichts zu hören. Das Summen wurde immer lauter und lauter und sie mußte sich die Ohren zu halten. Trotzdem drang es tief in ihren Kopf ein. Sie schloß die Augen und ihr Magen begann sich umzudrehen. Dann wurde ihr schwarz vor Augen und sie verlor den Boden unter ihren Füßen.

 

 

 

 

 

 

 

Sie schwebte. Schwerelos glitt sie durch die Dunkelheit. Es war still. Sie blickte an sich herunter. Sie sah ihre Füße und ihre Hände, doch sie schienen durchsichtig zu sein. Wie Glas. Ganz zart. Sie versuchte, sich zu bewegen, doch es gelang ihr nicht recht. Ihre Bewegungen waren langsam, sie konnte sie nicht koordinieren. Sie blickte wieder hoch. Wo war sie? War es ein Raum? Aber es gab keine Begrenzungen. Es gab kein Oben und kein Unten. Und auch seitlich war nichts zu erkennen. Sie wollte reden, doch es kam nur unverständliches Gemurmel aus ihrem Mund. Die Wörter waren zäh wie Kaugummi. Aber sie mußte sich bemerkbar machen. Doch alle Versuche blieben umsonst

 

 

 

 

 

 

 

Kommissar Wendtland pfiff ungeduldig durch die Zähne. Dieser verflixte Hund! Immer mußte er überall seine neugierige Schnauze reinstecken und alles erschnüffeln. Er blickte sich um. Es war nichts von dem Hund zu hören, geschweige denn zu sehen.  Wo steckte der Kerl denn wieder? Er war damals dagegen gewesen, sich einen Hund anzuschaffen aber gegen seine Frau konnte er sich in dieser Beziehung nicht durchsetzten und so hatten sie diesen kleinen Kerl schließlich aus dem Tierheim geholt. Es war ein Jack Russel Terrier mit kurzen Beinen, kurzem Schwanz und einem frechen Gesicht, in dem ein Auge etwas schräg nach oben stand und ihm so ein spitzbübisches Aussehen gab. Seine Frau war sofort hingerissen von dem Hund und auch er mußte nach einiger Zeit zugeben, daß er dem kleinen Tier nicht ganz abgeneigt war. Sie hatten ihn Fips getauft, denn seine Frau sagte, er sähe wie ein Fips aus.

 

 

 

 

 

 

 

Im Gebüsch raschelte es und kurz darauf schoß ein kleiner dreckverschmierter Hund heraus und sprang laut bellend an seinen Beinen hoch. „ Laß das!“ Er versuchte, den Hund abzuwehren. Fips setzte sich hin und legte den Kopf schief, als erwarte er die nächste Anweisung. Der Kommissar mußte lächeln. Dieser kleine Kerl schafft es immer wieder, mich um den Finger zu wickeln! Er suchte einen Stock und schleuderte ihn von sich. Fips sprang auf und jagte hinterher. Auch der Kommissar setzte sich wieder in Bewegung. Er ging gerne durch die Heide und gerade jetzt brauchte er die Ruhe und die Weite dieses schönen Landstrichs. Sein Chef hatte ihm Urlaub empfohlen, doch daran konnte er jetzt nicht denken. Die verschwundenen Mädchen ließen ihm keine Ruhe. Dieser Fall kostete ihn seine ganze Aufmerksamkeit und sein kriminalistisches Geschick, für das er auf der Polizeischule berühmt war. Er hatte die Fähigkeit das letzte aus den Verdächtigen rauszukitzeln, gewürzt mit einer Prise Selbstironie und diesem durchdringenden Blick, der schließlich so ziemlich jeden Verdächtigen zum Reden bringt. In diesem Fall jedoch brachte es ihn nicht weiter, denn es gab nicht wirklich einen Verdächtigen. Es gab eigentlich gar nichts, außer den verschwundenen Mädchen und ein paar nicht brauchbarer Zeugenaussagen. Er seufzte und sah sich um. Fips kam gerade mit einem übergroßen Stock über die Heide geflitzt. Er pfiff noch einmal durch die Zähne, der Hund ließ den Stock fallen und kam auf ihn zu. „ Komm, wir gehen nach Hause. Frauchen wartet bestimmt schon mit einem schönen heißen Tee auf uns! Na ja, vielleicht bekommst du ja eher einen Hundekuchen“

 

 

 

 

 

 

 

Als er das Haus betrat, stieg ihm ein köstlicher Plätzchenduft in die Nase. Er ging ins Wohnzimmer und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. „Hallo Schatz!“ Seine Frau drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und gab ihm einen Tasse Tee in die Hand!“ Wie war der Spaziergang? Fips ist ja ganz außer sich“ „ Ja, der war wieder in jedem Loch und hat sämtliche Stöcke abgeschleppt!“ Er kraulte ihn hinter den Ohren, worauf sich der Hund zu einer Kugel zusammenrollte und wegschlummerte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Er stieg auf sein Fahrrad. Er musste wissen, was da los ist, obwohl er sich wie einer dieser hartnäckigen Gaffer vorkam, die er immer innerlich verfluchte. Er trat in die Pedalen und fuhr dem Geräusch der Sirenen entgegen. Allzu weit konnte es nicht sein. Er vermutete die Richtung des Fürstengrabes. Er keuchte. Die Anstrengung ließ ihn schwitzen. Er bemühte sich, das Fahrrad in der Spur zu halten. Der Weg war matschig und er rutschte mehr als das er fuhr.

 

Als er am Grab ankam, sah er, wie gerade eine junge Frau auf die Trage des Rettungswagens gelegt wurde. Er stieg ab und erkannte den Arzt, der auf ein junges Paar beruhigend einredete.

 

„ Moin Dr. !“ „ Ach, der Kommissar. Was machst du denn hier? Hast du nicht frei heute?"     „ Ja, aber dachte, ich seh mal nach, was hier los ist! Was ist denn hier passiert?“ „ Na ja, eigentlich nicht viel. Die junge Frau da ist bewusstlos auf dem Grab zusammengesackt. Sie ist noch nicht richtig ansprechbar und ihre Freunde “ er deutete auf das Pärchen- „haben irgendwas von Visionen erzählt. Wahrscheinlich der Schock. Vielleicht bekommst du ja was raus.“ Er drehte sich zu einen Rettungsassistenten um: “Alles klar? Na, dann los“ Er stieg in den Wagen. „ Also, dann Kommissar. Wenn was ist, du weißt ja, wo du mich findest. Bis dann!“ Er schloss die Tür und der Wagen fuhr ab. Kommissar Wendland winkte kurz und ging dann zu dem jungen Paar. „Guten Tag. Mein Name ist Kommissar Wendland. Ihre Freundin wird ins Kreiskrankenhaus H. gebracht. Wenn sie wollen, bringe ich sie hin“ „Polizei? Aber wieso denn?“ Die Frau wirkte verstört. „ Ich bin nur durch Zufall hier“ Lügen war dem Kommissar verhasst aber er dachte, dass genauere Erklärungen, warum er hier war, die beiden nur noch mehr verunsicherten. „Soll ich sie mitnehmen? Sie müssten mich dann zu mir nach Hause begleiten, ich bin mit dem Fahrrad da aber es ist nicht weit von hier“ Die beiden nickten und der Kommissar nahm sein Fahrrad und die beiden folgten ihm.

 

 

 

 

 

 

 

Sie gingen schweigend nebeneinander her. Dem Kommissar brannten einige Fragen auf der Zunge aber er wartete, bis die beiden von sich aus etwas erzählten. Das gehörte zu seiner Taktik und damit hatte er immer am meisten erfahren. Als sein Haus in Sichtweite war, sagte er:“ Wir sind gleich da. Ich muss nur das Rad in die Garage bringen. Gehen sie schon mal zum Auto und warten sie da“ Er deutete auf einen ziemlich alt und rostig aussehenden Kombi. Die beiden gingen zum Auto und er schob sein Fahrrad in die Garage und kramte den Autoschlüssel aus seiner Manteltasche. Er überlegte, ob er seiner Frau Bescheid sagen sollte, verwarf diesen Gedanken jedoch. Er konnte es ihr auch später erklären. Er stieg ein und startete den Wagen. Mit einem glucksenden Geräusch setzte sich dieser in Bewegung. Als sie auf der Autobahn waren, fing die junge Frau an zu sprechen:“ Oh Mann, der Schreck sitzt mir ganz schön tief. Tut mir leid, ich bin sonst nicht so schweigsam“ Der junge Mann grinste leicht. „ Ich bin Hilke und das ist mein Freund Sven. Wir waren bei Anna- das ist die Frau, die ins Krankenhaus gebracht worden ist- zu Besuch. Wir wollten ihr helfen na ja, eher unterstützen bei ihrem Problem, wobei es eigentlich kein Problem ist. Doch, irgendwie schon. Ich weiß auch nicht. Das muss sich alles sehr verwirrend anhören, deshalb erzähle ich am besten, was vorgefallen ist“ Und sie erzählte, wie es angefangen hatte und ließ nicht eine Kleinigkeit aus. Als sie fertig war, standen sie schon lange auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus. Wendland hatte bis jetzt nichts gesagt. Nun drehte er sich um und sah die beiden an:“ Da könnten sie in eine ziemlich heikle Sache rein reingeraten sein. Ich will sie nicht verunsichern aber Tatsache ist, dass wirklich seit einiger Zeit hier immer wieder kleine Mädchen verschwinden und wir“- er überlegte, ob er die beiden einweihen sollte aber sie steckten eh schon mit in der Sache drin- „haben noch keine wirkliche Spur. Kein nützlicher Hinweis, keine Anhaltspunkte!“ „ Dann meinen sie, dass diese Visionen von Anna evtl. weiterhelfen könnten?“ Jetzt hatte sich auch Sven zu Wort gemeldet. „ Na ja, sie wissen ja vermutlich selbst, wie komisch es sich anhört, wenn die Polizei Hinweisen nachgeht, die aus Visionen oder Vorahnungen oder so was in der Art stammen. Die Leute sind da immer sehr skeptisch. Glauben sie mir, ich hatte schon mit vielen Menschen zu tun, die angeblich in die Zukunft sehen konnten oder mit Wünschelruten verlorene Haustiere wiederfinden wollten. Nicht, dass ich ihnen nun absolut nicht glaube, dazu ist die Geschichte viel zu heikel, aber ich bin Polizist und ich brauche Tatsachen und Beweise. Wir werden jetzt erst mal ins Krankenhaus gehen und nach ihrer Freundin sehen und wenn sie sich gut genug fühlt, kann sie mir alles erzählen. Einverstanden?“ Sie gingen in die Eingangshalle und der Kommissar erkundigte sich beim Pförtner nach der jungen Patientin. „Station 1, Zimmer 12 im ersten Stock“ Sie stiegen die Treppe rauf und gingen durch den kahlen Krankenhausflur. Zimmer 12 lag am Ende. Hilke klopfte leise an die Tür. „ Herein“ kam es ziemlich schwach von drinnen. Sie traten ein und Wendlands Blick fiel auf eine Junge Frau, so um die dreißig, mit blondem , schulterlangem Haar und einem erschreckend, blassen Gesicht. Sie lag in dem Bett am Fenster und in ihrem Arm steckte eine Kanüle, die mit einem Schlauch an einer Plastikflasche befestigt war, aus der eine farblose Flüssigkeit tropfte. Wendland schauderte innerlich. Er mochte keine Krankenhäuser, mochte den Geruch nicht und diese ganzen Apparaturen waren ihm suspekt und doch war er ständig hier. Nicht weil er dauernd krank war, sondern weil er Zeugen befragen und deren Angehörige beruhigen musste. Warum hatte er auch diesen Beruf gewählt und war nicht Lastwagenfahrer oder irgendwas anderes geworden? Diese Frage stellte er sich oft, jedoch verflogen die Zweifel auch wieder sehr schnell. Spätestens, wenn er einen Fall erfolgreich aufgeklärt hatte, wusste er, dass er den richtigen Beruf hatte.

 

 

 

 

 

 

 

„Guten Tag. Mein Name ist Kommissar Wendland. Wie geht es ihnen?“ „ Soweit ganz gut, glaube ich. Etwas schwach“ Sie sah ihre Freunde fragend an? Hilke erklärte rasch:“ Der Kommissar kam zufällig vorbei und hat uns hergefahren. Ähm, wir haben ihm schon alles erzählt aber vielleicht ist es besser, wenn du ihm auch noch mal alles aus deiner Sicht erzählst. Aber nur, wenn du dich gut genug fühlst!“ „ Ja ja, das geht schon“ Und sie erzählte alles. Der Kommissar hörte zu und außer ein paar Aha’s und Hhm’s sagte er nichts dazu. „ Das ist wirklich eine dolle Sache“, sagte er. „ ich muß ihnen aber gestehen, dass ich nichts über Visionen oder Vorahnungen weiß. Ich kann ihnen also da nicht viel weiterhelfen. Wenn sie aber einverstanden sind, würde ich sie, wenn sie wieder fit sind, gerne mit einem Mann bekannt machen, der sich damit auskennt. Es ist Professor für Geisteswissenschaften und hat die Parapsychologie zu seinem Hobby gemacht. Er ist pensioniert und hilft ab und zu der Polizei.“ „Parapsychologie?“ Anna schaute etwas skeptisch und auch Hilke und Sven wirkten erstaunt. Hilke hatte die Stirn gekraust und nagte an ihrer Unterlippe. „Sie wollen einen Geisterjäger fragen?“ Wendland lächelte. Die jungen Leute sehen einfach zu viel fern.“ Nein, er ist kein Geisterjäger und hat selbst noch nie einen gesehen. Er beschäftigt sich aber mit all diesen Phänomenen aus rein wissenschaftlichem Interesse. Sie sollten mal eines seiner Bücher lesen. Zum Beispiel das, über die Katakomben unter Paris und was da alles angeblich so rumspukt oder das Erscheinen der ehemaligen Gefangenen auf Alcatraz.“ „Aber wie hat er das belegt? Glaubt er denn selber an Geister? Wenn er doch keinen gesehen hat, wie will er denn anderen beschreiben, was vorgeht?“ Hilke kaute noch immer an ihrer Unterlippe. „Na ja er hat Augenzeugen befragt, in Archiven rumgewühlt und sich die Orte angesehen bei Tag und bei Nacht! Und er hatte Geräte dabei, denen man Aktivitäten nachweisen kann. Man kann Luftströmungen, Temperaturunterschiede oder magnetische Kraftfelder messen. Ob das nun ein Beweis für die Existenz für Geister ist, kann ich ihnen auch nicht sagen aber es versucht zu erklären.“ Sven sah den Kommissar an:“ Also ich glaube nicht an Geister und so ein Zeug. Ich denke, wenn ein Ort, sei es ein Haus oder sonst was, bekannt ist, weil es dort spukt, dann reden sich die Leute das ein und sehen was oder bilden sich ein, was zu sehen. Das kommt bestimmt alles aus dem Unterbewusstsein. Die Leute wollen einen Geist sehen und sehen dann auch einen“ Anna blickte zu Sven:“ Das hört sich so an, als wenn du mir auch nicht glaubst!“ Sie richtete sich auf. Sven beeilte sich, das Missgeschick schnell wieder auszubügeln:“ Nein, so war das nicht gemeint. Ich wollte doch nur-„ Wendland unterbrach ihn:“ Also, ich werde den Professor anrufen und ihm sagen, dass drei junge Leute sich gern mit ihm treffen wollen, um etwas über die Parapsychologie zu erfahren. Ist das in Ordnung?“ Alle drei nickten.“ Gut, dann schlage ich vor, dass ich sie beide nach Hause fahre und sie“ -er deutet auf Anna-„ sich erholen und sobald sie sich stark genug fühlen mich anrufen und dann sehen wir weiter“ damit schob er Hilke und Sven sanft zur Tür, nicht ohne vorher seine Visitenkarte auf den Nachttisch zu legen.

 

 

 

 

 

 

 

Die Rückfahrt verlief schweigend und nachdem er die beiden bei Annas Haus abgesetzt hatte und seinen Wagen in der Garage geparkt hatte, fiel ihm seine Frau ein. Jetzt musste er sich was ausdenken. Sie würde nicht erfreut sein, dass er an seinem freien Tag schon wieder dienstlich –jeden falls fast- unterwegs war. Er schloss die Haustür auf. „ Ich bin wieder da!“ Sie kam auf ihn zu“ Da bist du ja! Was war denn wieder los? Es war doch irgendwas?“ Sie sah ihn prüfend an. Sie kannte ihn einfach zu gut. Er setzte sich an den gedeckten Tisch.“ Ja es war was los am Grab drüben. Eine junge Frau ist da zusammengeklappt. Ich hab ihre Freunde zu ihr ins Krankenhaus gefahren“ Sie seufzte. Es war immer das gleiche. Einmal Polizist immer Polizist und immer und überall im Einsatz. Daran konnte sie sich nicht wirklich gewöhnen aber sie musste wohl. Das Essen verlief weiter schweigend und der Abend endete wie fast immer vor dem Fernseher.

 

 

 

Anna erwachte mitten in der Nacht. Der Traum war verwirrend und erschreckend gewesen. Sie sah sich um. Sie lag im Krankenhaus. Die Kanüle war mittlerweile aus ihrem Arm entfernt worden. Morgen konnte sie nach Hause gehen. Wo war sie da bloß reingeraten? Und wie kam sie da wieder raus? Und wie sollte sie das alles deuten? Sollten sie wirklich alle zu diesem Professor gehen? Würde das was helfen? Parapsychologie, was war das eigentlich genau? Sie überlegte. Womit beschäftigten sich diese Leute? Sie kramte in ihrem Gedächtnis. Sie hatte mal einen Artikel in einer Zeitschrift gelesen, der sich mit diesem Thema auseinander setzte. Es ging um okkulte Erscheinungen und Tele- und Psychokinese. Und darum, wie man es zu erfassen versuchte. Mit statistischen Versuchen oder mit Sammlung von Einzelfällen, bei denen aber die Möglichkeit von physikalischen Einflüssen, Zufällen, Täuschungen oder subjektiven Deutungen ausgeschlossen wird. Sie schloss die Augen. Irgendwie würde das alles schon gut gehen. Sie hoffte es. Und sie schlief  wieder dein.

 

 

 

 

 

 

 

Sven und Hilke saßen beim Frühstück in Annas Haus. Sven sah auf die Uhr.“ Wir müssen gleich los, Anna abholen. Sie wird wohl nichts dagegen haben, wenn wir ihr Auto nehmen. Die Schlüssel hab ich irgendwo hier rumfliegen sehen“ „ Ist gut. Ich will nur schnell noch die Spülmaschine einräumen“ Hilke stand auf und fing an, den Tisch abzuräumen. Sven machte sich derweil auf die Suche nach dem Autoschlüssel. Er ging in den Flur, wo er den Schlüssel vermutete. Auf einer kleinen Kommode stand ein Anrufbeantworter, der eine neue eingegangene Nachricht anzeigte. Sven überlegte. Sollte er? Nein, das könnte Anna nachher selbst machen. Er sah sich die Kommode genauer an und entdeckte halb unter einem Stapel Papier verborgen die Schlüssel. Er zog dran und der Stapel fiel zu Boden. Er bückte sich, um den Stapel wieder aufzuheben, da sah er ein Stück Papier, das wohl aus einer Zeitschrift herausgerissen wurde. Es war augenscheinlich ein Bericht von jemandem, der angab, übersinnliche Kräfte zu haben. Sven steckte den Bericht in die Hosentasche, legte die anderen Papiere auf die Kommode und ging in die Küche. „ Hab sie gefunden.“ Hilke sah auf“ Gut, dann können wir ja los. Sie wartet sicher schon ganz ungeduldig auf uns und freut sich auf ein leckeres Mittagessen. Den Krankenhausfraß wird sie bestimmt nicht vermissen“ Sie zogen sich an und verließen das Haus. „ Hier sieh mal, was ich gefunden habe“ Sven reichte Hilke den Zettel mit dem Bericht. Sie las ihn kurz und blickte zu Sven. „ Hhm, der lag wohl schon länger dort. Hier, der ist schon ein bisschen vergilbt“ Sie gab ihm den Ausschnitt zurück. „Sie muß schon länger von diesen Visionen heimgesucht worden sein. Na ja, wir werden sie mal fragen“

 

 

 

 

 

 

 

Anna stand ungeduldig vor dem Eingang der Klinik. Wo bleiben die nur? Sie wollte endlich nach Hause und was vernünftiges essen. Das Essen im Krankenhaus hatte sie nicht angerührt und war jetzt entsprechend hungrig. Sie ging auf und ab. Gerade als sie sich auf eine Bank setzten wollte, sah sie das Auto kommen. Sie winkte. Sven parkte den Wagen am Bordstein und Hilke sprang raus. „ Hallo!“ Sie umarmte ihre Freundin „ Komm, steig ein. Ich wette, du hast riesigen Hunger!” Anna grinste“ Allerdings! Das Essen in der Klinik kriegt man ja nicht runter. Und außerdem brauche ich eine heiße Dusche“ „ Stimmt!“ Hilke zog die Nase kraus. „ Hee, nicht so frech!“ Anna knuffte Hilke in die Seite. „ Los, rein ihr beiden“ Sven ließ den Wagen wieder an. „ Nun macht schon. Ab nach Hause. Ich will meine restlichen freien Tage nicht vor dem Krankenhaus verbringen!“ Sie stiegen ein und Sven gab Gas. Zu Hause kochte Sven erst mal Kaffee und Hilke setzte Anna alles vor, was sie im Kühlschrank fand.                „ Sag mal, willst du mich mästen? So verhungert bin ich nun auch wieder nicht“ Aber ihr lief das Wasser im Mund zusammen und sie langte zu. „ Was hältst du von dem Kommissar?“ Hilke sah Anna fragend an? Die antwortete mit vollem Mund“ Na ja, scheint ja so ganz nett zu sein“ „ Aber meinst du, dass er uns weiterhelfen kann?“ „ Hhm. Ich denke, wir sollten wirklich mal mit diesem Professor sprechen. Er kann uns wahrscheinlich keine Lösung meines Problems anbieten aber ich denke er kann mir und euch einen Einblick in diese Thematik verschaffen und uns somit vielleicht auch einen Weg zeigen, wie wir mit dieser ganzen Geschichte umgehen sollten“ Sie sah die beiden fragend an. „ Ist gut. Das scheint erst mal das beste zu sein“

 

 

 

 

 

 

 

Der Kommissar lief in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Morgen würde er wieder zum Dienst sein und er überlegte, was er mit dieser Sache anfangen sollte. Hatte diese Frau wirklich Visionen und hatten diese was mit dem Verschwinden der Mädchen zu tun? Wie sollte er seinem Vorgesetzten erklären, dass er vielleicht eine Spur hatte? Und war es überhaupt eine Spur? Er wusste es nicht. Er war zum ersten Mal ziemlich ratlos. Er hatte heute morgen mit dem Professor gesprochen und der hatte zugestimmt, sich die Geschichte einmal anzuhören. Vielleicht sollte er erst mal abwarten, was bei diesem Treffen rauskommen würde. Das hieß für ihn jetzt abwarten, bis sich die Frau meldete.

 

 

 

 

 

 

 

Es klingelte. Professor Herbert Hansen sah von seiner Zeitung auf. Das werden wohl die drei jungen Leute sein. Sehr pünktlich, dachte er und stand auf, um die Tür zu öffnen. „ Kommen sie doch bitte herein. Guten Tag, mein Name ist Professor Hansen.“ Hallo, das ist Hilke, meine Freundin und das ist Anna. Und ich bin Sven. Wegen Anna sind wir eigentlich hier. Ich weiß nicht, wie viel sie schon wissen über Annas Problem“ Sven sah den Professor fragend an. „ Ja, der Kommissar hat mir ein bisschen erzählt aber ich denke von ihnen erfahre ich sicher mehr.“ Er führte die drei in ein gemütliches Wohnzimmer. „Setzten sie sich doch. Möchten sie was trinken? Tee, Kaffee, Wasser oder Saft?“ „ Tee wäre toll“ „ Gut, dann werde ich mal Teewasser aufsetzten“ sagte der Professor und verschwand in die Küche. Während er in der Küche rumorte, sahen sich die drei verstohlen in dem Zimmer um. Es war sehr geschmackvoll eingerichtet. Offensichtlich hatte der Professor ein Fable für Antiquitäten  aber es waren auch einige moderne Möbelstücke im Raum, die sich perfekt mit den alten Möbeln ergänzten. Der Raum wirkte hell und sehr wohnlich. „ Denkt man gar nicht, dass der Professor sich in seiner Freizeit mit Geistererscheinungen befasst“ flüsterte Hilke zu Sven. “Was denkst du denn?“ raunte er zurück „ Glaubst du, er hat Bilder von Geistern an der Wand und eine Energiefalle in der Ecke stehen?“ „ Du siehst zu viel fern“ sagte Hilke und knuffte ihn in die Seite. Er wollte gerade zurück knuffen, da kam der Professor mit einem voll beladenen Tablett aus der Küche “ So, der Tee ist fertig. Ich habe noch ein paar Kekse gefunden“ Er stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich in einen alten Ohrensessel den dreien gegenüber. „Also, bevor ich ihnen etwas über die Parapsychologie erzähle, würde ich doch gern ihre Geschichte hören“ und dabei sah er Anna fragend an.

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Als junges Mädchen erfand ich schon lustige Geschichten, die ich meiner Nichte erzählte. Meine Dichterei geriet in Vergessenheit, erst meine Kinder Walter und Beatrix gaben mir, durch ihren herzigen Kindermund die Idee wieder zu schreiben.
Wie sie sehen, ging meine Phantasie mit mir durch und etliche Gedichtbände kamen raus. Ich hoffe auch sie finden das Eine oder Andere, worüber sie lächeln können. Viel Vergnügen beim Lesen wünscht ihre Margit.

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