Marcus Gieske

Die Stimme

 

 

In der Stille der Nacht dröhnte die Stimme extrem laut im Kopf. Sie schien sich langsam auszubreiten und von überall her zu kommen. Warum konnte der Schlaf dem Grauen kein Ende bereiten? Warum konnte man diese Stimme im Kopf nicht los werden? Der krampfhafte Versuch  gegen die immer wiederkehrenden Silben im Bewusstsein anzukämpfen war aussichtslos. Es gab keine Chance. „Töte“, befahlen die klirrenden Worte im Hirn, „töte und Du wirst frei sein“, es gab kein Entrinnen, die Stimme hatte  auch in dieser Nacht wieder ihren unbarmherzigen Würgegriff angelegt.

 

 

Elke Wegener wachte an diesem Morgen wieder zehn Minuten bevor ihr Wecker klingelte auf. Irgendwie war das immer so, selbst jetzt wo sie Urlaub hatte. Nachdem Duschen und Anziehen abgehandelt waren, kochte sie sich eine Kanne Kaffee und holte die Zeitung rein. „Die Angst geht um! Serienkiller tötete schon drei Frauen“ vekündete die reisserische Headline. Elke Wegener hatte nicht das Bedürfnis den ganzen Artikel zu lesen, er hätte nur die gute Urlaubsstimmung zunichte gemacht. Gleich würde sie sich mit ihrer besten Freundin treffen und ausgiebigst shoppen gehen, eben einen schönen Tag haben, da wollte sie die Schrecken dieser Welt nicht präsentiert bekommen. Sie las noch den Wetterbericht und ihr Horoskop, griff dann nach ihrem Autoschlüssel und der Handtasche und verliess kurz darauf Ihre Wohnung.

 

 

 

Diese Wegener kommt mir gerade recht, dachte Hausmeister Lorsch, der gerade dabei war den Reinigungszustand des Treppenhauses zu überprüfen. „Morgen Frau Wegener, denken Sie in Zukunft mal daran Ihren Müll korrekt zu trennen, sonst muss ich Sie leider bei der Stadt melden. Ich habe das bereits mehrfach angemahnt, richten Sie sich also bitte danach!“ Diese blöde Zicke hatte doch tatsächlich bloss mit“ ja, ja“ geantwortet und ihn einfach stehen lassen. Unglaublich! Hoffentlich würde er diese eingebildete Tussi irgendwie loswerden können. Warum konnte die nicht einfach ausziehen? Das wäre doch die beste Lösung.

 

 

 

Nach der ärgerlichen Begegnung mit dem Hausmeister, hatte Elke Wegeners Laune einen kleinen Tiefschlag erlitten und sie hatte es sehr eilig das Parkhaus zu erreichen. Sie fragte sich mal wieder was der „alte Sack“ eigentlich gegen sie hatte und wünschte Lorsch würde einfach verschwinden, ins Altersheim, oder besser noch, auf den Friedhof.

 

 

 

„Töte“ wisperte die Stimme eindringlich, „töte und Du wirst frei sein“. Ein Zittern durchlief den Körper, das durfte doch nicht wahr sein, jetzt kam sie schon am helllichten Tag. Die Hände klammerten  sich am Lenkrad fest und der sehnliche Wunsch es möge vorübergehen wurde übermächtig. Wie ein Spuk war es vorbei und übrig blieb nur noch das hektische Klopfen eines Herzens.

 

 

 

Das Parkhaus war in ein trübes Zwielicht getaucht, einige der Neonröhren waren mal wieder defekt und Elke Wegener beschleunigte unwillkürlich Ihre Schritte um ihren Wagen zügig zu erreichen und  sich wieder sicher zu fühlen. Die dröhnenden Schritte, die plötzlich hinter ihr waren liessen ihren Atem für eine Sekunde stocken. Sie riss instinktiv die Autotüre auf und hechtete ins Wageninnere. Ebenso geistesgegenwärtig verriegelte sie ihr Fahrzeug sofort von innen. Panikartig startete sie ihren Wagen und sah gerade noch eine schwarz gekleidete, komplett vermummte Gestalt hinter einer Reihe geparkter Autos verschwinden. Wie von Sinnen raste Elke Wegener mit quietschenden Reifen aus dem Parkhaus. Nachdem sie auf der Strasse fast ein anderes Fahrzeug gerammt hatte, stoppte sie ihren Wagen am Fahrbahnrand. Sie musste ruhiger werden, musste sich wieder unter Kontrolle bringen. Ihr kam in den Sinn, das sie doch neulich im Gericht, wo sie als Justizangestellte arbeitete, diesen netten Polizisten kennen gelernt hatte. Der war total sympathisch gewesen und sie hatte sogar mit ihm geflirtet. Er hatte ihr seine Karte gegeben und sie meinte sich zu erinnern, das er sogar Kommissar oder so etwas war. Sie musste ihn anrufen, er würde ihr bestimmt helfen. Verzweifelt kramte sie in ihrer Handtasche nach der Visitenkarte, fand aber nichts. Plötzlich fiel ihr ein, das sie die Karte ins Handschuhfach gelegt hatte und richtig, beim ersten Griff in das Ablagefach hielt sie ein bläuliches Kärtchen in der Hand, Kriminalhauptkommissar Frank Wiehl stand dort in einer etwas schnörkeligen Schrift. Sie nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte seine Nummer. Die angenehm tiefe Stimme mit der sich Wiehl meldete beruhigte ihre Nerven sofort. „Frau Wegener, das ist ja eine angenehme Überraschung, ich hatte nicht damit gerechnet so schnell von Ihnen zu hören“. Sie schilderte so ruhig sie es eben vermochte ihr beängstigendes Erlebnis. „Bleiben Sie bitte wo Sie sind, ich bin gleich bei Ihnen. Was fahren Sie für ein Auto und geben Sie mir bitte Ihr Kennzeichen, dann finde ich Sie auch sofort“. Als sie Wiehl die gewünschten Informationen durchgegeben hatte, klappte sie erleichtert ihr Handy zu und lehnte sich zurück. Er würde gleich bei ihr sein und es konnte nichts mehr passieren.

 

 

 

„Töte“ Da war die Stimme schon wieder und bohrte sich durch die Hirnwindungen. Mehrmals an einem einzigen Tag war sie noch nie aufgetreten. Die Hände pressten sich wie automatisch an die Schläfen, aber es half nicht. „Töte und Du wirst frei sein“ röhrte sie unbarmherzig und schien dabei von überall herzukommen.

 

 

 

Eine schwarze Limousine kam mit kreischenden Bremsen hinter Elke Wegeners blauem VW Beetle zum stehen. Wenige Sekunden später sass Frank Wiehl neben ihr auf dem Beifahrersitz. Als es ihm gelungen war sie zu beruhigen, schlug er vor sie zu ihrer Wohnung zu begleiten und sich bei der Gelegenheit gleich mal ihr Türschloss anzusehen. „Wissen Sie ich mache mir doch etwas Sorgen um Sie und ich möchte mir sicher sein, das niemand so einfach bei Ihnen reinspazieren kann“. Sie mochte ihn von Minute zu Minute lieber, ein echter Gentleman so was war heutzutage selten anzutreffen. Gerne nahm sie sein Angebot an und so gingen sie die kurze Strecke zurück zu dem Appartementhaus in dem sie wohnte. Sie klammerte sich an seinen Arm und war heilfroh nicht alleine zu sein. Sie fuhren mit dem Aufzug in den vierten Stock in dem ihre Wohnung lag. Oben angekommen inspizierte Wiehl eingehend ihr Türschloss und kam zu dem Schluss, das sie wohl relativ sicher sei. „Ihr Schloss ist auf dem neuesten Stand und die Tür ist stabil verankert, da kann so schnell keiner rein, zumindest nicht ohne erheblichen Lärm zu machen. In Ihrer Wohnung dürften Sie sicher sein. Bleiben Sie heute am besten hier, ich werde zwischendurch immer mal wieder nach dem Rechten sehen und ich sage auch den Kollegen Bescheid, die können dann auch mal hier vorbei fahren. Sie können mich natürlich auch jederzeit anrufen, egal aus welchem Grund und egal zu welcher Uhrzeit“. Elke Wegener bedankte sich und wurde leicht rot dabei, sie hätte ihn so gerne aufgehalten, ihn noch eine Weile um sich gehabt, aber ihre Einladung noch auf einen Kaffee zu bleiben hatte er dankend abgelehnt, aber er war ja auch im Dienst und dafür musste sie Verständnis haben.

 

 

 

Hausmeister Lorsch sah dem Mann nach, der gerade das Haus verliess und auf eine schwarze Limousine zusteuerte. Was wollte der Kerl hier? Den hatte er früher nicht bemerkt. Komischer Vogel, dachte Lorsch, wahrscheinlich war er der neue Freund von einer dieser Schnäpfen die hier zur Genüge wohnten. Er nahm seinen Besen und kehrte weiter den Bürgersteig.

 

 

 

„Oh Gott, Beate“ dachte Elke Wegener als sie die Tür hinter dem Kommissar geschlossen hatte. Sie musste ihre Freundin anrufen, die bestimmt schon mit genervtem Gesicht im Cafe hockte und auf sie wartete. Beate war sicher wieder viel zu früh an ihrem Treffpunkt angekommen, denn sie erledigte alle Dinge sehr schnell. Beim Autofahren artete diese Tatsache stets in permanentes Rasen aus. Auch ihre Redegeschwindigkeit degradierte Thomas Gottschalk zum „Langsam-Sprecher“. Wie immer hatte Elke Wegener das Gefühl, die Nummer noch gar nicht zu Ende gewählt zu haben, als die Stimme ihrer Freundin mit einem ärgerlichen „Mensch, wo bleibst du?“ aus dem Hörer schallte. Sie lieferte etwas stockend und atemlos einen Kurzbericht über ihr verwirrendes Erlebnis ab und beendete das Gespräch ziemlich abrupt. Sie fühlte sich total erledigt, Beate würde das verstehen. Sie ging in die Küche und machte sich einen Kaffee. Hoffentlich blieb ihrer Freundin so etwas erspart dachte sie und musste plötzlich grinsen, denn bevor der Kerl Beate etwas tun könnte hätte sie ihn schon  todgequatscht. Wieder ein wenig ruhiger, nahm sie ihre Kaffeetasse, setzte sich auf die Wohnzimmercouch und widmete sich dem Roman den sie gestern angefangen hatte. Eine kleine Flucht in eine andere Welt war jetzt genau das Richtige.

 

 

 

Elke Wegener wurde durch ein leise scharrendes Geräusch aus den Tiefen ihres Romans gerissen, in den sie gerade versunken war. Sie setzte sich aufrecht und lauschte in die Stille ihrer Wohnung. Da war es wieder, sehr leise aber doch wahrnehmbar und es schien ihr, als käme es aus der Richtung ihrer Wohnungstüre. Panik stieg in ihr auf wie ein roter Nebel und sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, etwas zu tun, aber sie sass nur wie erstarrt auf ihrer Couch und lauschte dem seltsamen Scharren an ihrer Tür. Die Laute wurden intensiver, da wollte jemand schnell in die Wohnung gelangen und endlich war Elke Wegener in der Lage zu handeln, sie riss das Telefon an sich und tippte blitzschnell die Handynummer von Frank Wiehl ein. „Bitte, bitte geh ran“ schrie sie in ihren Gedanken. Eine freundliche Computerstimme teilte ihr mit das der gewünschte Teilnehmer zur Zeit nicht zu erreichen sei und sie es später nocheinmal versuchen sollte. Ihr wurde übel. Plötzlich kam ihr der rettende Gedanke, Beate! Ihre Freundin wohnte in der Nähe und sie war garantiert schneller als die Polizei. Elke Wegeners linke Hand umklammerte das Handy während sie die Nummer ihrer Freundin wählte.........Dann klingelte ein Telefon, der Ton erschien ihr so laut das es in den Ohren schmerzte. Als in ihrem Gehirn aber die Erkenntnis ankam, woher der Klingelton gekommen war und wen sie gerade angerufen hatte, streikten ihre Nerven. Sie tippte wie von Sinnen immer wieder Beates Nummer und es klingelte fortwährend vor ihrer Eingangstüre. Als die Tür aufschwang fiel ihr das Telefon aus der Hand und sie wollte schreien, aber kein Ton kam über ihre Lippen.

 

 

 

Beate Scherer war mit einigen energischen Schritten bei ihr, sie war jetzt nicht mehr in Jeans und Sweatshirt wie sonst, sondern komplett in schwarzem Leder gekleidet, ihr Gesicht war nicht mehr freundlich und die Drahtschlinge in ihrer Hand verströmte keine Sicherheit. Es bereitete ihr keine Mühe der fassungslosen Elke Wegener den Draht um den Hals zu legen. Jetzt musste sie nur noch zuziehen und die Stimme würde fürs Erste schweigen, es war alles ganz einfach. „Sei endlich still“ schrie sie die Stimme in ihrem Hirn an, dann nahm sie ihre ganze Kraft zusammen und zog die Schlinge zu.

 

 

 

Der Schlag traf sie unvermittelt knallhart ins Genick und raubte ihr augenblicklich das Bewusstsein.

 

Hausmeister Lorsch schaute bedächtig auf die Rohrzange in seiner Hand. „Wissen Sie die kam mir sofort verdächtig vor, die schlich schon ein paar Tage hier rum und wenn ich sie angesprochen habe ist sie abgehauen“. Er holte eine Rolle Isolierband aus seiner Kitteltasche und begann Beate Scherer wie ein Paket zusammenzuschnüren. „Wir sollten jetzt mal die Polizei rufen und keine Angst ich erzähl denen nicht das Sie Ihren Müll nicht trennen“.

 

 Elke Wegener wünschte ihren Hausmeister nie wieder in ein Altersheim, geschweige denn an schlimmere Orte.

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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