Friedhelm Eymael

Geburtstagswandern

Geburtstagswandern

Ein rüstiger einheimischer Bad-Zwestener Rentner, ausgerüstet mit Funksprechgerät und Trillerpfeife ist an meinem Geburtstag der Herr über meine Füße. Es sagt oder pfeift wie und wo es langgehen soll und ich und weitere 64 Männer und Frauen folgen.

Wir vertrauen ihm und er verspricht unser Vertrauen zu belohnen mit bronzenen, silbernen und goldenen Wandernadeln. Für jeden gelaufenen Kilometer ein kleines Stück Metall. Bei besonderer Ausdauer gibt es die goldene Nadel auch mit Diamant. Der Spaß kostet ein Wanderbuch für DM 1,-- und für jede Nadel DM 5,--. Die Nadel mit dem Diamanten ist DM 0,50 teuerer. Natürlich müssen die entsprechenden Kilometer abgeleistet werden. Als Nachweis hierfür erhält man treudeutsch einen Stempel in sein Wanderbuch gedrückt. Mit Datum und Unterschrift des Wandermeisters wird die Richtigkeit der gelaufenen Kilometer bestätigt.

Also auf geht es in den deutschen Wald bei sonnigen Wetter und Temperaturen um die Null Grad.

Die Gesellschaft ist bunt gemischt. Allein die Anzahl der verschiedenen Mützen kennzeichnet deutlich, dass sich darunter immer wieder andere Köpfe befinden. Auch die Schrittweite der einzelnen Personen hat unterschiedliche Reichweiten und schon nach kurzer Zeit zieht sich ein immer länger werdender Lindwurm durch die Bad Zwestener Wälder. Mit der Trillerpfeife wird der Vortrupp zu anhalten gezwungen. Die ihr entweichenden Töne blasen Autorität in die Luft, erreichen die Vorderleute und lassen die ihre Schritte abrupt zum Stillstand bringen.

Der Lindwurm zieht sich wieder zusammen und der Hüter der Herde zählt seine Schafe.

Auch er kommt auf 64 mützenbestückte menschliche Wesen.

Es kann weitergehen. Die Landschaft um uns herum ist in ein helles Weiß eingetaucht und der liebe Gott hat auch die kahlen Bäume und Tannen mit weißen Tupfern und kleinen Schneebällen versehen. Die Sonne blickt ab und zu hinter einer Milchglasscheibe hervor und verwöhnt die wandernde Gesellschaft als helle gelbe Kugel mit ihrem Licht.

Der Weg geht bergan. Mit länger anhaltender Steigung verstummen die lauten Sprechgesänge die von Unterhaltungen aus zweier, dreier oder vierer Gruppen in die kalten Winterluft entweichen. Es wird Zeit regelmäßiger Luft zu holen und bei manchen reicht die Kraft nicht auch noch zusätzlich Sprechblasen auszuhauchen. Der Lindwurm wird an der Steigung wieder länger und als die ersten den vermeintlichen Höhepunkt der Wanderung erreicht haben ertönt wieder die Trillerpfeife. Es ist Zeit sich zu sammeln. Die letzten zockeln an, als die ersten wieder kalte Füße haben und der Marsch durch die weiße Winterlandschaft kann weitergehen.

Ein erbitterter Kampf um die heiß begehrte Wandernadel geht in die zweite Runde.

Unser rüstiger Rentner benutzt sein Funkgerät um uns in einem Kaffee und Kuchenparadies anzumelden. Für jeden einzelnen scheint er die Genehmigung zum Betreten einzuholen, damit keines seiner Schäfchen draußen in der Kälte bleiben muss. Ich vermute nach seinem Funkspruch wird die gesamte Gaststätte von anderen Gästen geräumt, oder einfach zum ersten Mal an diesem Tag geöffnet.

Der Weg führt an einen Flüsschen vorbei, dass gemächlich vor sich hin plätschert und dessen Ränder von den niedrigen Temperaturen leicht angefrostet sind. Die Gesellschaft hat ihre Gespräche wieder aufgenommen. Im vorübergehen kann ich eine ganze Menge Wortfetzen auffangen, die ich aber nicht bewerte oder beurteile. Ich will mich selber an dieser gemütlichen Plauderstunde beteiligen und suche nach einem geeigneten Objekt.

Ich muss nach Einzelgängern spähen, sie eine Weile beobachten und mich dann durch runter- oder raufschalten meiner Gangart an sie anpirschen. Na ja, und dann mich dazu durchringen aktiv zu werden. Der erste Kontakt. Es funktioniert und eine gemächliches Gespräch gleich dem Flüsschen an dem wir entlanglaufen entwickelt sich. SO geht die Zeit schneller rum und ich achte nicht mehr so sehr auf meine Gedanken, die sich um das Für und Wieder beim Kampf um eine der Wandernadeln drehten.

Wir erreichen das Café, treten ein und viele treten sofort aus. Das heißt sie müssen sich erleichtern und suchen die Toilette auf. Wie ich vermutet hatte war das gesamte Lokal für uns reserviert. Kaffeetassen schon eingedeckt und Kannen voll mit heißem Kaffee standen auf den Tischen.

Wir suchten uns unsere Plätze und kämpften mit der Entscheidung Kuchen oder keinen Kuchen. Die Ergebnisse waren unterschiedlich, sowie der Kaffee mal Schwarz, mal mit Milch und mal mit Milch und Zucker in die Münder der Wandergesellschaft verschwand.

Unser rüstiger Wanderführer trug zur allgemeinen Erheiterung ein Gedicht über Männer vor.

Die Verse waren einfach mit viel Witz und klangen in der Vortragsmelodie die für runde Geburtstage geeignet war. Ich nahm für mich in Anspruch, dass der Vortrag zu meinem Ehrentag einem großen Publikum zugänglich gemacht wurde.

Aus Dank kaufte ich eine Wanderkarte und erhielt meinen ersten Stempel eingedrückt. Jetzt fehlen mir nur noch fünf und ich kann die Wandernadel mit Diamanten als Trophäe mit nach Hause bringen. Ich weiß nicht ob es mir gelingen wird, aber mein Ehrgeiz ist geweckt.

Als alle die Kälte der langen Wanderung aus ihren Gliedern verscheucht hatten schritt der Meister der hessischen Wälder zu einem weiteren Höhepunkt des Nachmittages. Ich durfte der öffentlichen Verleihung der von verschieden Mützenträgern erworbenen Wandernadeln beiwohnen. Die hart erkämpften Nadeln wurden feierlich überreicht. Alle klatschten brav ihren Beifall und ich selber wünschte mich in den Mittelpunkt der Gesellschaft bei der Verleihung der goldenen Nadel mit Diamanten. Doch dazu brauche ich noch fünf weitere Stempel unseres Funkgeräteträgers.

Es folgte der Rückmarsch, der bereits untergehenden Sonne entgegen. Die letzten Kräfte wurden mobilisiert um vor der Dunkelheit den Schutz unserer Bettenbunker und Seelenheilungsstätte zu erreichen. Außerdem gab es bald schon Abendbrot und eine lange Wanderung macht nun mal  auch echt hungrig.

Alles im Allen war es ein schöner Geburtstagsspaziergang, weil keiner wusste oder ahnte dass ein Geburtstagskind unter ihnen die Strapazen an seinem Ehrentag auf sich genommen hat um endlich auch eine Wandernadel sein eigen zu nennen. Der Anfang ist gemacht.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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