„Schnucki?“,
(sc)hallte die Stimme von Schatzi-Mausi aus der Küche zu mir
herüber. „Kannst du mal eben kommen?“ Ich saß gerade
vor dem Fernseher. Normalerweise müsste „Schnucki“ jetzt
auch sofort aufstehen und seinen Pflichten als braver Lebensgefährte
nachkommen. Soll heißen: So schnell, wie möglich zu seinem
Schatzi-Mausi eilen. Allerdings gab es da etwas, was mich davon
abhielt. Vielleicht nur eine unbedeutende Kleinigkeit. Vielleicht nur
eine winzige Nuance in ihrer Aussprache. Aber: Die Art und Weise, wie
Schatzi-Mausi nach mir gerufen hatte, machte mich nervös. Es war
die Betonung, die sie auf das „u“ und das „i“ gelegt hatte.
„Schnuuhckiii?“
Das konnte nichts Gutes bedeuten. Nein! Wirklich nicht!! Das letzte
Mal, als sie so nach mir gerufen hatte, war ihr ein Ohrring in die
Kloschüssel gefallen und sie fand es zu eklig und widerwärtig,
ihn da selbst wieder rauszuholen. Dafür gibt es ja ...
„Schnuuuuh-Ckiiiieh?!“
Ich war mir absolut sicher, dass es sich um etwas Unangenehmes
handeln musste, das sie von mir wollte und überlegte fieberhaft,
wie ich es anstellen könnte, um nicht in die Küche gehen zu
müssen. Die einzige Idee, die mir in den Sinn kam, war ein
Sprung aus dem Fenster, gefolgt von einer Flucht die Straße
hinunter, ins Exil, zum Dönermann meines Vertrauens.
Unglücklicherweise würde sich dieser Plan nicht in die Tat
umsetzen lassen. Und wenn, dann nur unter größten Opfern.
Weil: Wir wohnen im dritten Stock. Versteht mich nicht falsch. Ich
liebe meine Freundin. Mehr, als jede andere. Sie ist für mich
das wichtigste, was ich habe. (Abgesehen von meiner DVD-Sammlung
vielleicht ...) Aber manchmal kann es schon schwer mit ihr sein. Sehr
schwer sogar.
„Verdammte
Scheiße!“, kreischte Schatzi-Mausi. Oh, je! Jetzt habe ich es
wieder geschafft. Jetzt habe ich sie wieder verärgert. Und das,
obwohl ich nichts gemacht habe. Bei näherer Betrachtung war das
wohl genau das Problem: Ich hatte eben nichts gemacht.
„Jetzt
komm´ endlich!!!“ Tja, was soll man(n) da nur machen? Was
blieb mir anderes übrig, als zu tun, was mir gesagt wurde? Nix!
Stöhnend erhob ich mich von der Couch und ging in die Küche.
Ich fühlte mich wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank. Und
meine schlimmsten Erwartungen erfüllten sich. Doch das kam erst
später.
Schatzi-Mausi
stand vor dem Kühlschrank. Als sie mich bemerkte, ging sie einen
Schritt beiseite.
„Jetzt
schau´ dir bloß mal diese Sauerei da an!“ Ich tat es.
„Ja?“,
fragte ich dann arglos. „Und nun?“
Ihre
Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Wenn Blicke töten könnten,
dann hätte dieser es zweifellos auch getan. Glücklicherweise
geht das nicht. Andernfalls wäre ich nämlich schon tausend
Tode gestorben. Andererseits geht das natürlich auch nicht, weil
ich ja nach dem ersten Bösen Blick von ihr nicht mehr
aufgestanden wäre.
„Da
fragst du noch?“, empörte sich Schatzi-Mausi. Ihre Stimme
schraubte sie um eine Oktave höher. Langsam wurde es mir dann
doch unangenehm, ihr in die Augen zu sehen. Darum richtete ich meine
Aufmerksamkeit wieder auf den offenen Kühlschrank. Was könnte
sie nur konkret meinen? Gemessen an dem Grad ihrer Erregtheit
erwartete ich fast schon, einen Schrumpfkopf, oder eine halb verweste
Katze in der Kühlung zu finden. Ich hielt Ausschau nach
derartigen Widerwärtigkeiten. Fehlanzeige. Darum: Fieberhaftes
Überlegen. Es war mir beim besten Willen nicht möglich,
etwas zu entdecken, was meiner Ansicht nach die Bezeichnung „Sauerei“
wirklich verdient hätte. Zugegebenermaßen, es sollte in
unserem Kühlschrank schon ein wenig ordentlicher und
hygienischer zugehen, aber: Auch wenn es nicht wirklich sauber und
rein da drinnen war ... Das war doch kein Grund, sich so aufzuregen
und mich deswegen extra vom Fernseher weg zu holen. Oder?
Während
ich also das Innenleben unseres Kühlschranks durchforstete,
stand Schatzi-Mausi abwartend daneben. Es ging ihr nicht schnell
genug. Sie tippte mit dem Fuß auf den Boden: Klack! Und wieder
und wieder: Klack-Klack! (Warum müssen Weiber nur immer so
ungeduldig sein?) Ich tat so, als ob ich es nicht bemerken würde.
Klack-Klack! Normalerweise ist das die beste Vorgehensweise.
Irgendwann erkennt Schatzi-Mausi dann auch die Sinnlosigkeit ihres
Tuns und hört von alleine damit auf. Und richtig! Nach
zweiunddreißig Klacks (Nur ein grober Schätzwert! Ich habe
wirklich nicht mitgezählt!!) hatte sie keine Lust mehr, auf das
Laminat zu trommeln. Um mir die Suche nach der „Sauerei“ zu
erleichtern, zeigte Schatzi-Mausi schließlich mit
ausgestrecktem Finger darauf. Die Flasche mit der thailändischen
Chili-Sauce, die im obersten Fach lag. Die war gemeint. Den Deckel
hatte irgendjemand nicht wieder ordentlich drauf geschraubt. Darum
hat er sich auch streng an die Gesetze der Schwerkraft gehalten und
ist runter gefallen. Und deshalb ist der Inhalt der Flasche wohl auch
ausgelaufen, genau so wie es die Gravitation von ihm verlangt hat.
„Aha!
Wäre mir jetzt echt nicht aufgefallen!“ Ich schwöre es:
Das ist die reine Wahrheit. Es war auch leicht zu übersehen, wie
der rote Matsch hinten an der Rückwand von ganz oben nach ganz
unten hinab geflossen ist. Schatzi-Mausi sah mich an. Erwartete einen
Kommentar. Und denn bekam sie auch:
„Ach,
das ist doch wirklich nicht so schlimm!“
„Dafür
bist doch wieder du verantwortlich!“ Eine derartige Beschuldigung
ist typisch für mein Schatzi-Mausi. Jetzt bin ich wieder schuld!
Klar, wer auch sonst? Man
könnte natürlich den Einwand erheben, dass in dieser
Wohnung nur zwei Personen leben und deswegen der Kreis der
Verdächtigen überaus eng ist. Aber. Irgendwie finde ich es
trotzdem nicht richtig, nur aufgrund von Indizien so vorschnell
beschuldigt und angeklagt zu werden. Oder hatte sie mich vielleicht
letzte Nacht dabei gesehen? Nein! Das hatte sie nicht. Konnte sie
auch gar nicht. Schatzi-Mausi hatte da tief und fest geschlafen. Das
weiß ich noch so genau, weil sie geschnarcht und sich angehört
hatte, wie ein ganzes Sägewerk. Also: Von diesem Standpunkt aus
betrachtet müsste ich nicht unbedingt schuld an dieser „Sauerei“
sein. Dummerweise kam Schatzi-Mausi nicht auf so einen Gedanken. Und
ich habe es ihr auch nicht gesagt. Ich habe mich nicht getraut. Es
wäre einfach taktisch unklug gewesen. Frei von jeder Art
diplomatischen Geschicks ... Also? Was tun?? Man(n) sagt Dinge, wie:
„Ja, Schatzi-Mausi. Ich kann dich verstehen.“ Und außerdem
noch: „Da hast du aber so was von recht!“ Denn, wenn man den
Vesuv am Ausbruch hindern kann, dann sollte man das meiner Meinung
nach auch tun. (Schatzi-Mausi kann ab und zu sehr impulsiv sein!
Darum ist hier Vorsicht geboten!!) Leider reichte ihr mein Geständnis
nicht. Nicht alleine. Darum musste ich noch mehr sagen. Und tat es
auch:
„Das,
... Ähm, ... Das wollte ich noch sauber machen.“
„Und
wann?“
„Ähm,
... Morgen?“
„Morgen,
Morgen, nur nicht heute ...“ Sie stemmte die Hände in die
Hüften. Mir wurde klar: Ich hatte die falsche Antwort gegeben.
Zu spät am Morgen. Aber: Eine Chance hatte ich noch!
„Jetzt
gleich?“ Diesmal lag ich richtig. Schatzi-Mausi hatte gehört,
was sie hatte hören wollen. Sie nickte zustimmend. Dann war sie
immerhin so nett und brachte mir einen Putzlappen vorbei. Ich tat,
was von mir verlangt wurde. Schließlich muss man seinen
Pflichten als braver Lebensgefährte nachkommen. Was tut man(n)
nicht alles für eine intakte Beziehung? Allerdings gab es da
noch ein kleines Problem: Putzen ist nichts für mich! Denn: Ich
bin ein Mann!! Diese ganze Wischerei entspricht einfach nicht der
klassischen Rollenverteilung. Dummerweise sieht Schatzi-Mausi das
anders. Sie ist emanzipiert. Ich seufzte. Früher war das anders.
Früher war das besser. In der Steinzeit ist der Mann ein Jäger
und Sammler gewesen und die Frau hatte sich um den Haushalt zu
kümmern. Wenn es damals schon Kühlschränke und
thailändische Chilisaucen gegeben hätte, dann wäre es
sicherlich der Job von Schatzi-Mausis Urahnin gewesen, so was wieder
sauber zu machen. Außerdem: Mich hat der rote Matsch doch
überhaupt nicht gestört! Wenn es nach mir gegangen wäre,
hätte diese zähflüssige Pampe ruhig weiter an der
Rückwand kleben bleiben können. Deshalb empfand ich meine
Betätigung als Putzkraft als erniedrigend.
Um
meinen stillen Protest deutlich zu machen, entschied ich mich gegen
eine porentief reine Reinigung. Es wurde eine grobe, oberflächliche
Behandlung des Schmutzes. Die krustigen Flecken, die schon am weißen
Plastik fest getrocknet waren, ließen sich höchstwahrscheinlich
eh´ nur mit Spezialreiniger wegmachen. Also: Chemische Keulen,
die wir sicherlich nicht im Haus gehabt hätten.
Dann
präsentierte ich meinem Schatzi-Mausi stolz das Ergebnis meiner
Säuberungsaktion. Ihre Reaktion darauf war nicht so gut. Nee,
wirklich nicht. Sie war enttäuscht von mir.
„Sauber
machen heißt NICHT, den Dreck gleichmäßig
verschmieren!“
„Das
hab´ ich nicht!“
„Doch,
das hast du!“
Also?
Was tun?? Man(n) sagt Dinge, wie: „Ja, Schatzi-Mausi. Ich kann
dich verstehen.“ Und außerdem noch: „Da hast du aber so was
von recht!“ Denn, wenn man den Vesuv am Ausbruch hindern kann, dann
sollte man das meiner Meinung nach auch tun. (Schatzi-Mausi kann ab
und zu sehr impulsiv sein! Darum ist hier Vorsicht geboten!!)
„Soll
ich den Kühlschrank nochmal Sau-Bär machen?“, bot ich
Schatzi-Mausi zur Versöhnung an. Sie schüttelte müde
den Kopf.
„Nein!
Lass´ gut sein!! Ich mach´ das.“ Sie nahm mir den
Putzlappen aus der Hand. „Du kriegst das ja eh´ nicht so hin,
wie ich es haben will.“
Tja,
was soll man(n) da nur sagen? Ich hatte es mal wieder geschafft. Ich
war in diesem Moment am Ziel. Ich habe es fertig gebracht, auf
Umwegen, meinen Willen durchzusetzen! Wenn das kein Grund zum
Glückselig-Sein ist!! Schatzi-Mausi wollte gerade eben damit
anfangen, den Kühlschrank auszuräumen, als sie auf die Uhr
blickte. Es wurde Zeit für ihre Lieblings-TeleNovella.
„Aber,
das mache ich nicht heute!“, fasste sie den Entschluss. Die
Kühlschranktür wurde zu geknallt. „Morgen ist ja auch
noch ein Tag!“
Und
da war er wieder: So ein Moment, in dem ich mein Schatzi-Mausi über
alles auf der Welt liebte. Ganz einfach „nur“, weil sie so ist,
wie sie eben ist ...