Tobias Zimon

Strange Dayz After

.....ein Schritt, ein Fuß vor den anderen weiter, noch viel weiter über sandigen Boden ........

Am Horizont, dort wo eben noch der kleine munter sprudelnde klare Bergbach floß, erkannte er immer deutlicher die Silhouette eines vom Wind und Zeit gebeugten Hauses. Es war nicht leicht es, mit bloßem Auge, durch die flimmernde Luft hindurch überhaupt wahrzunehmen. Jetzt wurde er Schritt für Schritt über den heißen ausgetrockneten Boden sicherer, das es wirk-lich dort stand. Er setzte nur noch mechanisch einen Fuß vor den Anderen, taumelte, fiel und kroch seit Tagen durch diese Steppe und jetzt wußte er weshalb. Endlich hatte er ein reelles Ziel; nicht so ein Hirngespinst wie das Feld mit den Schatten- und Nahrungsspendenden Obstbäumen, das Meer oder der klare Bergbach, die sich immer wieder in Sand auflösten, und seine Hoffnung demontierten. Er schätzte die Entfernung noch auf zehn, höchstens zwölf Kilometer und begann fast schon hysterisch zu lachen.

Am Abend des folgenden Tages fiel er den letzten kleinen Hügel vor dem Haus hinab in Richtung des Brunnens, den er schon vor Stunden erkannt hatte. Der verbeulte Blecheimer lag im Schatten des Brunnens und der grobe ausgefranste Strick der ihn mit der hölzernen Winde verband, hing über das Natursteinmäuerchen lose in die Dunkelheit. Als er den Eimer er-reichte und diesen, mit einem Grinsen in seinem sonnengegerbten Gesicht, vergleichbar einem Basketballspieler, in nebenstehenden Brunnen versenkte, drang kurz darauf ein hoffnungsvolles Platschen an seine Ohren. Sofort begann er den Hebel der Holzkonstruktion zu drehen und versuchte in der Tiefe des Brunnens etwas zu erkennen. Als aus der Dunkelheit der Eimer zurück in Reichweite kam, griff er mit einer hastigen Bewegung an dessen Bügel und hievte ihn auf den Rand des Brunnens. Sein Gesicht spiegelte sich auf der Oberfläche des Wassers während er den Eimer in beide Hände nahm und sich an den Hals setzte. Obwohl ein großer Teil des Wassers aufgrund einer Trinkdusche nicht seinen Magen erreichte, reichte die Menge den Durst zu löschen und einen kleinen Krampf in seiner Magengegend auszulösen. Ungeachtet dessen ließ er sich auf die Knie sinken, lehnte sich mit dem Rücken an das Mäuerchen, dachte noch einen Moment an einen gewissen „Air“ und sank dann in einen tiefen traumlosen Schlaf.

Etwa um die Mittagszeit erwachte er, mit den Armen immer noch den Eimer umschlungen, aus einem unruhigen Schlaf und begann das Haus zu erkunden. Auf der Terrasse stand ein Tisch mit einigen gemütlich erscheinenden Stühlen und ein Grill der ziemlich alt und dreckig erschien. Im hinteren Teil des wohl eher „gewesenen“ Gartens war noch der obere Teil eines Ge-wächshauses zu sehen, umgeben von dornigen vertrockneten Sträuchern. Er schritt über die Terrasse direkt auf die Tür zu, die schon bloß durch Zuruf sich von selbst aus den Angel hob. Nachdem die Tür mehr oder weniger freiwillig den Weg freigegeben hatte trat er über deren Reste hinweg in das Haus ein. Der Staubschicht und dem Zustand des Hauses nach zu urteilen mußten die ehemaligen Bewohner schon längere Zeit außer Haus gewesen sein. Vielleicht hatten Sie auch einfach aufgegeben, den sogenannten „lieben“ Gott einen guten Mann sein lassen oder Sie waren gestorben wie so viele andere vor und nach Ihnen.

Der Art der Einrichtung dieser Behausung opferte er zunächst keinen Moment lang seine Aufmerksamkeit, sein Jagdinstinkt ließ ihm dazu erst die Gelegenheit, nachdem er die ehemalige Küche, und in einem Schrank mehrere Packungen verschweißte Kekse gefunden hatte. Diese Verpflegung war nicht neu für Ihn, er kannte sie von früher, aus einer anderen Zeit, vielleicht aus einem früheren Leben. Während seiner Erkundungsmission hatte er alle Räume durchsucht, nun riß er die mattgrüne Folie auf und seine kühnsten Träume wurden wahr. Er ging in das Wohnzimmer und setzte sich genüßlich kauend in einen Sessel, der wegen seines Platzes vor dem großen Fenster etwas von einer Theaterloge ausstrahlte.

Aus diesem Sessel heraus waren die Überreste der Einrichtung für Ihn nur teilweise sichtbar, da der Sessel mit seinen überdimensionalen Ohren den Blickwinkel stark einengte; so blieben der Bilderrahmen, mit den schon vergilbten Wellen auf den restlichen Fetzen der Leinwand, das Skelett einer Standuhr in der Ecke des Raumes und der kleine Schreibtisch neben dem ehemaligen Kamin, seinen Augen nun verborgen.

Den Blick durch das mannshohe Fenster auf die Ihm bestens vertraute Landschaft konnte er nicht genießen, dazu fehlte einfach die Kraft. Bei dem Gedanken an die letzten zwei Wochen, oder waren es jetzt schon Jahre, im Schoß von Mutter Natur krampfte sich sein Magen um die frisch eingedrungenen Kekskrümel. Nachdem seine Eingeweide ihre innige Umarmung lösten, bemerkte er neben dem Sessel ein kleines, unter einer dicken Staubschicht verstecktes Tischchen, das er jetzt erst, nach einigen Augenblicken besinnlicher Ruhe entdeckte.
Wolken aus dem aufwirbelnden Staub nahmen ihm vorübergehend die Sicht während er den kleinen Tisch zurechtrückte und die Oberfläche mit den Händen abwischte. Die Intarsia auf der Platte erblickten seit langer Zeit wieder das Licht der Welt und strahlten Ihm poliert und wiederbelebt entgegen. Die Schublade unter der Platte war klein aber dennoch edel ver-ziert, sodas sie mit dem Bronzeknauf nur so protzte. Beim öffnen knarrte das alte Holz und gab den Blick auf ein kunstvoll und filigran gearbeitetes Kästchen frei, welches der Größe der Schublade genau angepaßt zu seien schien. Verwundert über diesen Fund nahm er das Kästchen in die Hand und schüttelte, horchte vorsichtig und fühlte sich wie ein neugieriges Kind in weihnachtlicher Vorfreude. Nachdem er überzeugt war, das von dem Kästchen keine Gefahr ausging legte er es auf seine Knie und machte sich daran es zu öffnen. Die Kiste glich einer Schatztruhe die Long John Sil-ver alle Ehre gemacht hätte, nur en miniature. Der Deckel wölbte sich, reich verziert mit einem Muster das an eine grüne Hecke erinnerte, dem Betrachter entgegen, während die Ecken und Füße des Kästchens mit filigranen Silberarbeiten umschlossen wurden. Im Vergleich zur einer richtigen Schatzkiste befand sich auf der Vorderseite statt einer massigen Vorhängeschloß nur ein kleiner unscheinbar glänzender Haken der in einer Öse gleichen Formats einhakte.
Nachdem er den Haken löste und den Deckel mit einem kleinen Quietschen öffnete, gab die Truhe ihr Geheimnis frei: zwei Dosen, eine kleine verchromte Metallplatte, ein kleines Messer und eine Packung mit langen Papieren, die an rechteckige Notizzettel erinnerten, in der einige Papp-streifen steckten. Die größere Dose, mit einem eingefaßten braunen Stein auf dem Deckel lag neben der Kleineren, ähnlich der Ersten, nur mit grünem Stein, auf der Metallplatte. Die Klinge des Messers lag parallel zur unteren Kante der Platte, direkt unterhalb der beiden Dosen und verdeckte zur Hälfte die Verpackung der Papiere.

Verwundert klappte er den Deckel ganz nach hinten, wobei im Licht das durch die Glasfront eindrang der Schatten einer kleinen Wolke über den zum Vorschein gekommenen Zeichnungen auf der Innenseite zog. Die erste Wolke die er seit Ewigkeiten sehen konnte erinnerte Ihn an eine Kinoleinwand kurz nach dem Abspann eines monumentalen Films. Der Gedanke das Kinos heutzutage doch wieder seltener geworden sind, ließ Ihn erschauern und er wischte die Erinnerungen an Kinos, Popcorn und Hollywoodvisionen mit einer abfälligen Handbewegung beiseite. Die Zeichnungen genauer betrachtend, öffnete er, inzwischen von Neugier getrieben, die größere der beiden Dosen. Die Zeichnungen konnte er bei genauerer Visite als eine zusammenhängende, kreisförmige an ein Zifferblatt erinnernde Struktur erkennen. Dort wo bei einer Uhr die Zeiger ansetzten, befand sich ein kleiner Kreis mit einer brennenden Kerzenspitze als Zentrum. Durch die wahr-scheinlich kindliche Prägung begann er bei der die Botschaft der Zeichnung zu entschlüsseln.
Die Zeichnung, die bei einer Uhr auf der „Eins“ gelegen hätte, zeigte Fingerspitzen die etwas rollten, daß stark an die Pappstreifen aus diesem ungewöhnlichen „Schatz“ erinnerte. Er legte die bereites geöffnete Dose samt Deckel beiseite auf den Tisch, würdigte sie keines Blickes und fing der Zeichnung folgend mit dem Rollen eines kleinen Pappstreifens an. Nachdem der Streifen eine Form ähnlich seiner Vorlage bekommen hatte, legte er ihn vor sich auf den Tisch. Die Zeichnungen, jede einzelne in einem Kreis eingeschlossen, wurden durch einen größeren Kreis, einer e-hemals sehr populären Dornenkrone ähnlich, miteinander verbunden und so konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit auf die folgende Zeichnung , die auf der „Drei“. Sie zeigte in mehreren kleinen Zeichnungen wie ein Rechteck an verschiedenen Stellen gefaltet wurde. Die einzelnen dargestellten Schritte schienen innerhalb des Kreises wie ein selbständiges Universum zu schweben. Der Logik folgend brachte er eins der Papiere, mit einer asiatisch wirkenden, ruhigen Sorgfalt in Form. Seine Umwelt nahm er kaum noch wahr, sein Verstand war inzwischen nur noch auf des Rätsels Lösung aus. Inzwischen grinste er freudig wie ein Kamel auf dem Weg zum nächsten Wasserloch das den Geschmack des kühlen Naß schon auf seiner noch staubtrockenen Zunge spürte. Die „Fünf“ vereinigte den gerollten Streifen und das präparierte Blatt Papier, und brachte den Inhalt der ersten Dose ins Spiel. In dieser Darstellung breiten die Fingerspitzen einen Teppich mit dem Inhalt der Dose auf dem Papier aus. Er legte die Papprolle auf das Papier, nahm den Deckel von der Dose und begann einen Flaum aus seltsam trockenen braunen Fasern auf dem Papier zu verteilen. Noch während er damit beschäftigt war, lugte er schon in den folgenden Kreis und langte im nächsten Moment schon nach der Dose mit dem glänzend grünen Stein, um der Anleitung zu folgen. Nummer „Sieben“ hieß ihm den Inhalt der kleineren Dose über dem Teppich zu zerreiben, und so legte er einen feinen grünen Weg über den braunen Untergrund. Dieser Baustoff war ebenfalls ziemlich trocken und zerfiel unter dem leichten Druck seiner Finger mehr oder weniger zu Staub. Sein Weg zu diesem Ort war nicht so fein gewesen und vor allem viel breiter, sehr viel breiter als das irgendein Papier ihn hätte umschließen können. Auf zu Nummer „Neun“ dachte er kurz bevor er das vor ihm liegende Blättchen in seine rauhen, knochig gewordenen Hände aufnahm. Die Zeichnung macht mit den üblichen Fingerspitzen und mehreren Pfeilen deutlich, das dieses Papier mit seinem gesamten Inhalt durch rollen, oder besser wickeln, in eine kegelähnliche Form gebracht werden sollte. Eine weitere Zeichnung im Kreis der „Neun“ beinhaltete ein neues Element, wel-ches er nach kurzem Überlegen als Zunge, die über das Papier leckt, einordnete.


Derr Rohling nahm in seinen Händen langsam die gewünschte, der Anleitung ähnliche Silhouette an , und er leckte sich über die Lippen. Dann zog er mit seiner Zungenspitze auf der gesamten Länge über den entstandenen Ke-gel und mußte sofort Schmunzeln als er feststellte das dadurch das Papier aneinanderklebte. Im letzten Kreis, der Nummer „Elf“, sah er wie die Fin-gerspitzen die augenscheinlich schwangere Skulptur schüttelten, mit dem Messergriff stopften und zuletzt überflüssige Teile wegschnitten.

Mit seinen Handgriffen noch in der letzten Schritten der Anleitung ver-graben, stellte er fest, das nun das Werk vollbracht sein sollte, kon-trollierte zur Sicherheit noch einmal die Anleitung auf Vollständigkeit und betrachtete dann das Ergebnis seines Schaffens. Obwohl seine hand-werklichen Fähigkeiten ihn selbst noch nie überzeugten, war er einen Mo-ment lang mit sich und der Welt zufrieden.

Nachdem er längere Zeit mit Grübeln, der Suche nach weiteren Zeichnungen und der stillen Betrachtung seines Meisterwerkes verbracht hatte, kam er zu dem Schluß, daß es nun an der Zeit sei die Früchte seiner Arbeit kos-ten. So nahm er sein Kunstwerk in die Hand, führte es zu seinem Mund, biß in das dünnere Ende; und verschlang das Kleinod seiner Handwerkskunst völlig. So etwas Trockenes hatte er selten zuvor gegessen, selbst die Ü-berlebensrationen waren im Vergleich hierzu geschmacklich verwässert. So starb er, schweißgebadet, nach wochenlangem beschwerlichen Fußmarsch und Strapazen, innerhalb von sechs Stunden nach seiner letzten Mahlzeit, in einem Sessel mit einem Panoramablick, vergeilchbar einer extrem kitschigen Postkarte, an einer Tabakvergiftung............

Strange Dayz After..........


© by Zimy (28.11.2001)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Wenn erst ein laues Lüftchen weht,
das sich naturgemäß dann dreht
und schnelle ganz geschwind,
aus diesem Lüftchen wird ein Wind,
der schließlich dann zum Sturme wird,
und gefahren in sich birgt-
Dann steht der Mensch als Kreatur,
vor den Gewalten der Natur.
Der Mensch wird vielleicht etwas klüger,
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