Michael Masomi
Madonna ist alt geworden
Ich
trank meinen SC. Das Eis klirrte in dem leicht beschlagenen Glas und
der süße, raue Geschmack des Whiskylikör ran meinen
Kehle herunter. Samstag. Ein typischer Samstag! Nichts zu tun, nur
ruh' n. Die Arbeit war getan, bis Montag würde sie ohne mich
auskommen müssen.
Wie
lange würde ich sie noch ausüben können, wenn ich
meine freien Tage immer mit Schnaps ertrank?
Meine Bong, die schon
bessere Tage gesehen hatte, Risse und Kittchen zierten ihr Antlitz
und ich musste auch langsam den Whisky im Innern gegen frischen
austauschen, stand auf dem Tisch. Gibt es etwas geileres, als süßes
Gras durch einen Sud aus Whisky zu ziehen. Ein einmaliges Ereignis.
Jedes Mal. Je älter der Whisky wurde, um so besser schmeckte der
Shit. Doch wenn das Zenit des flüssigen Sonnenlichtes
überschritten war, schmeckte es nur noch bitter.
Ich
rauchte den letzten Kopf mit einer Grimasse aus Verachtung und spülte
mit SC nach.
Beschwingt schlurfte
ich zur Küche und goss den Scotch (denn nur dafür war er
gut!) in den Ausguss und schaute dem öligen Zeug hinterher.
Wieder zwei Monate Dope.
Früher, als ich
noch jünger war, so in den Neunzigern, da rauchten wir alle
zusammen. Wir saßen auf dem Spielplatz, auf dem es damals
keine Kinder gab, rauchten und tranken Bier. Hatten einen
Kassettenrekorder dabei und hörten Metal. Wir Jungs waren alle
18, oder 19 und die Mädels waren so um die 15, 16. Vielleicht
waren auch einige Jüngere dabei.
Wir
waren die coolen Jungs. Wir hatten kein Mofa, dafür hatten wir
Mädchen. Und die nicht zu knapp. Es war damals schon so,
Schmalzlocke, die von Omi ein Moped bekam, bekam keine Muschi ab.
Ungeschriebenes Gesetz bei den Mädchen: Die Gesetzlosen sind die
coolen!
Denn
Fahrer können nicht Trinken, ohne ihren Lappen zu verlieren.
Dabei fällt mir ein, Alex war schon älter. Er hatte einen
Scirocco, das alte Modell, mit der flachen Schnauze. 125 PS bei
leichtem Aufbau, das Biest hob auf der Landstraße ab.
Seine Freundin
pinkelte mir einmal auf den Finger, als sie und ich uns mit einer
Tüte Schnaps ins Gebüsch schlugen. Ihre Mummu war so kahl
und sie vibrierte bei dem Geschäft. Sie war so dürr, und
wenn ich heute an sie denke, weiß ich nicht, ob ich sie sehe,
oder Tula aus Günther Grass' Novelle „Katz&Maus“. Doch
sie hatte wahnsinnig lange Beine. Und sie kannte die Wörter Nein
und Treu nicht. (Habe sie vor knapp fünf Jahren mal auf dem
Markt getroffen, sie war stark verwelkt.)
Wir
waren schon ein Team.
Der
Peter, - Gott möge seiner Seele gnädig sein! Er müsste
jetzt auch schon fast 17 Jahre tot sein?! Seine Freundin hat ihm im
Drogenrausch ein Messer ins Herz gestoßen.- der war eine
Marke. Straßenschitzo, würde ich heute sagen. Der Vögelte
alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Ein dünner,
schrotiger Kerl. Ich erinnere mich noch, so als sei es Gestern erst
gewesen, wie er vor Annikas Vater davon lief, weil er deren Schwester
vernascht hatte.
Silke war behindert.
Nicht körperlich, aber geistig. Und Anni? Sie war eine
dreizehnjährige Lolita, die man kein zweites Mal traf. Sie
hatte nichts mit Nabokovs Dolores gemein. Sie war ein Kind, gefangen
in dem Körper einer Frau und ihr Vater hütete sie mit
Argusaugen.
Wir
wollten sie alle knacken, doch wir hatten zu viel Schiss vor ihrem
Alten.
Silke war zwei Jahre
älter, aber viel naiver, als ihre kleine Schwester. Die kam nur
immer Minutenweise auf den Spielplatz um uns Jungs verrückt
zumachen. ( Die anderen Mädchen, die die sich mit uns abgaben,
hassten sie vom Grunde ihrer jungen Herzen. ) Silke blieb immer
stehen und lächelte verträumt, wenn wir sie ansprachen. Sie
hatte einen schweren Hirnschaden seit der Geburt und konnte
eigentlich keinem Gespräch länger folgen als zwei Minuten.
Wenn sie nicht mehr weiter wusste, steckte sie ihre Zunge durch die
Lippen, machte ein Furzgeräusch und klatschte hektisch in die
Hände. Dann lief sie schrill lachend weg.
Peter fickte sie in
der Tiefgarage neben ihrem Wohnhaus. Auf der Motorhaube eines alten
Fords.
Ihr
Vater kam dazu, als Peter abspritzte und sie sich die Lippen ab
schleckte.
Silkes Vater wollte
nur den Müll runter bringen, als er seine Tochter lachen hörte,
während sich der siebzehnjährige Lummel einen von der
Palme holte.
Wir
fielen vor Lachen fast von den Bänken und hätten unsere
Joints verloren, als wir den dicken, wilden Mann hinter dem kleinen
Peter in seiner Bomberjacke und ohne Hosen herlaufen sahen.
Er
hatte seine Jüngste immer beschützt, kam doch nie auf die
Idee, dass sich jemand an seine verrückte Tochter vergehen
könnte.
Doch so war er der
Peter. Immer schon mit einem Bein im Grab – Zwei Jahre später
lag er schon unter der Erde.
Sein
Vater hatte seine Mutter früh verlassen. Seine Mutter lernte
einen anderen kennen und als Peter zehn war, ließ sie ihn bei
ihm zurück, weil sie meinte ohne Kind besser zurecht zukommen.
Ein
halbes Jahr bevor er starb, schwängerte er ein Mädchen aus
unserer Clique. Er muss eine siebzehnjährige Tochter haben, die
nun in unserer Stadt lebt. Ich habe sie nie getroffen.
Sie
und die ominösen Scheißflecken in einem dunklen Keller
dürften alles sein was von diesem Jungen übrig geblieben
ist. Ich will euch nicht mit Einzelheiten quälen, ich sage nur
so viel: Wenn man Analverkehr hat, sollte die (oder der?!) Jenige
nicht furzen. Es gab ein tolles gesprenkeltes Bild an der grauweißen
Kellerwand und Peters berühmte Bomberjacke stank mindestens ein
halbes Jahr.
Wie
lernte ich ihn kennen? Zwei Jahre früher. Er war neu auf
unserem Terrain. War irgendwie mit meiner Ex zusammen, die noch drei
Jahre älter war als ich und sie schien ihn gegen mich
aufzuhetzen. Er hatte ein Butterflymesser dabei, was durch den Film
American Fighter sehr berühmt geworden war. Mit dem fuchtelte er
mir vor der Nase herum, bis ich meine 38ziger Gas zog und ihm sie
genau vor die Eier hielt.
„Make my day!“
sagte ich zu ihm in bester Eastwoodmanier und schaute ihm gelassen in
die kleinen, unsicheren Augen.
Er
klappte das Messer zusammen und ich steckte die Gaswaffe wieder ein.
Damals konnte man
Waffen noch unter 18 bekommen. Heute ist sogar das Saufen auf der
Straße verboten!
Seit
dem Tag waren wir Freunde.
Meine zwei wichtigsten
Erlebnisse mit ihm waren diese: Ein Dreier, mit einer scharfen
Blondine und auf Madonnas „Like a virgin“ wichsen.
Ich
ging wieder ins Wohnzimmer, setzte die Bong auf den Tisch und füllte
sie wieder mit Johnny Walker. Steckte das nächste Köpfchen
auf und zog durch.
Erinnerungen sind wie
Kaugummi. Man wird sie nur schwer los. Und je älter man wird, um
so öfter tritt man in sie rein. Ich ließ mich in meinen
Sessel sinken und zappte durch die Programme auf dem LCD Schirm. Da
lief es. „Laisla Bonita“, doch nicht von Madonna gesungen,
sondern life performt von der französischen Hüpflolita
Alizee. Sie wackelte mit ihrem süßen Teenyarsch auf der
Bühne herum und ihr durchsichtiges Oberteil ließ ihre
festen, runden Brüste erahnen. Ich seufzte.
Wieder Erinnerungen.
Ihre
Stimme war fast klarer als die von der Queen of Pop. Und sie war so
jung! War Madonna je so jung gewesen? Ich blieb fasziniert vor dem
Bildschirm sitzen. Das originale Video wurde eingespielt. Madonna.
Ja, sie war unser Idol. Wir liebten sie, auch wenn wir sie damals
nicht hörten waren wir doch von ihr eingenommen. Sie wollten wir
immer haben. Selbst heute wenn sie in „Hung On“ mit ihrem Hintern
wackelt. Will ich sie noch haben.
Ich
trank einen weiteren Whisky und atmete schwer.
Madonna ist alt
geworden!
Ich
frage mich, ob ich immer so viel Haut über meinen Augen hatte?
Und war mein Bauch immer so rund? Ich sehe Peter in seiner
Bomberjacke und weiß, obwohl ich bei seiner Beerdigung nicht
dabei war, er trägt sie immer noch.
Und
ich singe den Song von den Onkelz: Nur die Besten sterben jung!
Vorheriger TitelNächster Titel
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Michael Masomi).
Der Beitrag wurde von Michael Masomi auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2008.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).