Hans Volker Holler

Ein Tag im Paradies



Das Aluminiumboot, el deslizador, lag am Ufer vor den Hütten. Der Fluß führte in diesen letzten Januartagen nur wenig Wasser, auf dem sich die Nachmittagssonne rot-golden wiederspiegelte. Die grüne Farbe des Schiffsbuges lockte die kleinen zitronen-gelben Schmetterlinge an, der Anstrich war fast nicht mehr zu sehen.
Von der Terrasse der zweiten, mittleren Lodge aus beobachtete ich die Falter und trank dabei aus einem Wasserglas ab und zu scharfen aguardiente, einen auf Trinkstärke herabgesetzten reinen Alkohol, der aus süßen Bananen gebrannt wird.
Obwohl diese nordöstliche Region Ecuadors direkt auf der imaginären Äquatorlinie liegt, wird es nur sehr selten wirklich heiß. Durch den Fluß und die nahen Anden bedingt, hält eine leichte Brise die Luft fast immer in Bewegung. Aber nur fünfhundert Meter weiter, abseits vom Wasser, droht eine schwüle Hitze an manchen Tagen alles zu ersticken.
Das Säuseln der Blätter in der Bananenplantage erinnerte mich an ein schwereloses Windspiel und die aus dem Zirpen und Grillen der millionenfachen Insektenwelt bestehenden Hintergrundgeräusche wirkte an diesem Nachmittag besonders einschläfernd auf mich. Ich drehte meinen Kopf und blickte über die Plantage hinweg, hinter der die Wunderwelt Amazoniens begann. Tiefer, alles in sich einsaugender lebendiger Urwald und Dschungel.
Müde erhob ich mich aus dem Palmholzsessel, ging zwei Schritte bis zum Geländer der Veranda und winkte meiner Gefährtin zu die das Geschirr eines späten Mittagessens, weiter unterhalb des Bootes, im Wasser spülte.
Chelo ist eine eingeborene Waldindianerin, mit der ich seit ungefähr einem Jahr zusammen lebte.
Ich fläzte mich wieder in den Sessel und trank einen weiteren Schluck von dem scharfen Fusel.
Den frühen Morgen und den Vormittag hatte ich damit zugebracht den vorderen, am Pfad liegenden Teil der Plantage zu säubern. Schnell wachsende und schmarotzende Gewächse, manche mannshoch, fielen unter den Hieben der Machete. Jetzt, Sunden später, begannen sie unter den Bananenstauden zu verdorren. Während der bevorstehenden Regenzeit würden die Überreste in die lockere Dschungelerde gespült werden und einen Kreislauf schließen, der seit Jahrmillionen gleich ist. Mit dem kleinen Unterschied, daß ich hier nachgeholfen hatte.
Bedingt durch die morgendliche Arbeit verspürte ich einen vagen, keineswegs unangenehmen Schmerz in meinen Muskeln während ich darüber nachdachte, was ich noch alles tun wollte, um dieses Fleckchen Erde nach meinen und Chelos Vorstellungen umzugestalten.
Eine Brise wehte vom Fluß herüber und die warme Luft umspielte meinen nackten Oberkörper. Der abkühlende Schweiß auf meinen Poren ließ mich frösteln. Dazu schienen in meinen Innereien die gebackenen Bananen, das Fleisch und Olivenöl Blitzkriege zu führen. Doch dagegen gibt es eine Allerweltsmedizin: aguardiente!
Über einige Stufen, sie waren in einem alten Kanu eingelassen das jetzt schräg gegen die Veranda gelehnt war und als Treppe diente, stieg ich nach unten. An der ersten Lodge vorbei schritt ich über einen kleinen Vorplatz zum Küchentrakt. Zuerst verscheuchte ich ein paar Hühner um dann aus dem altersschwachen Kerosinkühlschrank einen neue Flasche eisgekühlten aguardiente zu angeln. Während ich mich zur Terrasse zurück begab entkorkte ich die Buddel mit den Zähnen und nahm, oben angekommen, einen ersten Schluck direkt aus der Flasche.
„Heute“, dachte ich, „werde ich mich ganz langsam und gemütlich besaufen.“
Mit dieser Idee goß ich das Glas voll und stellte den Rest des Gesöffs in den Schatten. Langsam ließ ich mich wieder in den Sessel gleiten, während ich dabei eine Großfamilie von Tukanen beobachtete. Die langschnäbeligen Pfefferfresser bewohnten die Kronen der hohen Balsabäume, die das Flußufer säumten.
Neben dem Sessel lag auf dem hölzernen Verandaboden ein Steinchen von der Größe eine Taubeneies. Ohne mich zu erheben ergriff ich es und wog es in der Hand. In hohem Bogen schleuderte ich den Kiesel in die Richtung des Bootes wo es mit einem metallischen „bing“ aufschlug und in einem weiteren, kleineren Bogen ins Wasser plumpste. Das Echo wurde von der schier undurchdringlichen grünen Wand des Dschungels zurück geworfen. Aber schon Augenblicke vorher flogen tausende der Zitronenfalter auf. Während ich dieses Schauspiel beobachtete, nahm ich einen neuerlichen Schluck des scharfen Getränkes aus dem Glas. Lautlos, ohne erkennbare Ordnung, ließen sich die Schmetterlinge wieder auf dem Aluminiumboot nieder um ihrer scheinbar sinnlosen Beschäftigung nachzugehen.
Ich hörte das junge, unverbrauchte Lachen Chelos, die mit einer Plastikschüssel und dem Geschirr auf dem Uferkamm stand.
„Ist das nicht schön? War das nicht gerade wunderschön?“ Ihr Blick schweifte wieder hin zu den Faltern auf dem Boot.
„Ja“, sagte ich gerade so laut, daß sie mich verstehen konnte, „ja, das war sehr schön!“
Chelo wandte sich ab und ging langsam, fast hoheitsvoll hinüber zum Küchentrakt. Die junge Frau hatte eine ganz besondere Art sich zu freuen. Dabei erinnerte sie mich an ein kleines Kind. Nicht, daß ich sie als infantil bezeichnen wollte; nein, das ganz sicher nicht. Ihre Art zu Lachen war eine ganz besondere. Wenn ich sie hörte merkte ich, daß sie bisher nur sehr wenig Kontakt zu der sogenannten Zivilisation hatte. Und ihr ist es gelungen, mich manchmal zu ganz spontanen Lachanfällen zu bringen. Gern hätte ich von ihr diese Art des Lachens noch einmal gelernt, bei der die Seele mit lacht. Genau so, wie sie es tat.
Heute hatten wir das letzte Trockenfleisch gegessen. Es war an der Zeit die Fallen neu auszulegen und die Angelschnüre zu überprüfen, die ich über Nacht im Fluß treiben ließ. Heute war Neumond. Jagdzeit.
Das ganze Jahr über sind in Äquatornähe die Tage gleich lang. Um sieben Uhr abends ist es dunkel. Stockdunkel bei Neumond. Die beste Zeit zum jagen ist dann zwischen sechs und acht Uhr abends und am morgen kurz vor bis eine Stunde nach Sonnenaufgang. Und das eine ganze Woche lang.
Ich nahm einen neuen Schluck aus dem Glas. Mit verzogenem Gesicht sprang ich auf und prustete das Gesöff über die Verandabrüstung weil es zu warm geworden war und höllisch in der Mundhöhle brannte.
Unter mir watschelte Coco, mein Freund. Dieses watschelnde, blau-gelbe Etwas war ein uralter Ara-Papagei, der momentan eine Stinkwut auf mich hatte.
Jedes mal, wenn es zum Frühstück für ihn kein hart gekochtes Frühstücksei gab, wurde er garstig. Zornig verschmähte er dann all die goldgelben Bananen und andere guten Dinge, die ich ihm statt dessen anbieten wollte. Er kündigte mir an solchen Tagen ganz einfach die Freundschaft! Meckernd zog er dann provozierend immer dort vorbei, wo ich mich gerade aufhielt oder er mich vermutete. Genau so wie jetzt. Hätte ich die Papageiensprache verstanden, wäre ich bestimmt rot geworden. Mit Sicherheit sind ein paar Zoten und nicht druckreife Wörter dabei gewesen. Sein Krächzen und Gezeter ließen auch Unruhe in der Tukan-Familie aufkommen. Sie machten sich mit Geschrei bemerkbar und verbaten sich wohl in ihrer Art dererlei Ruhestörung.
Von der Veranda herunter versprach ich Coco, für ein Frühstücksei am nächsten Morgen zu sorgen. Grinsend versicherte ich ihm, mit der Oberhenne persönlich zu sprechen. Das aber schien den Vogel nur noch mehr heraus zu fordern. Er meckerte in seiner vollen Lautstärke und verwandelte unser friedliches Stückchen Land in einen Hinterhof römischer Prägung. Als er sich, wie es schien, ausgelassen hatte, alles gesagt hatte, was wohl gesagt werden mußte, trollte er sich. Da er wegen einer Flügellähmung nicht mehr fliegen konnte, war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen das Besteigen der hohen Balsabäume. Mit seinen starken Krallen und dem gebogenen Schnabel hangelte er sich in die Kronen der Urwaldriesen. Von dort stritt er dann manchmal mit seinen uns überfliegenden Artgenossen.
Während ich noch über den Vogel grinste, bemerkte ich auf der gegenüber liegenden Flußseite eine Gruppe von Cofanes-Indianern die in ihren Einbäumen wohl den Jagdgründen ihres Stammes entgegentrieben.
Mit dem Motorboot ist ihr Dorf in sechs Stunden flußaufwärts zu erreichen.
Stolze Anachronismen, die sich ihre Sitten und ihre eigene Sprache noch erhalten haben. Wer einmal drei dieser Männer in der Tiefe des Dschungels gegenüber steht, so wie es mir passiert ist, fängt an, an eine pazifistische Welt zu glauben. Wer einmal in die Gesichter schaut die von Ohren eingerahmt sind, durch deren Läppchen Tierknochen gezogen sind und eine tiefe, ehrliche Freundlichkeit verspürt, die man längst vergessen glaubt, fängt bestimmt wieder an, an Menschlichkeit und Menschheit zu glauben.In diesen Momenten ist kein Platz für Feindseligkeiten, nur noch Raum zum Staunen, zum sich wundern.
Männer dieses Stammes waren es auch, die mir beim Bau der drei Lodges halfen. Nicht nur mit Ratschlägen, nein, sie waren bei der Planung, bei der Materialbeschaffung und der Errichtung dabei. Insgesamt waren es vier Häuser. Drei waren auf Pfählen aus Palmholz errichtet, eines nur etwa sechzig Zentimeter über dem Grund. Es diente als Haupthaus, hatte drei Zimmer von je zirka sechzehn Quadratmeter. Dort wohnten nun Chelo und ich. Die drei Pfahlbauten vermieteten wir an Individualtouristen, die ein verhältnismäßig risikoloses Dschungelabenteuer suchten.
Als ich nach der Fertigstellung des Komplexes dessen Schönheit begriff beschloß ich, dieses kleine Paradies mit niemandem zu teilen. Daß ich mit Chelo nun doch eine Lebensgefährtin gefunden hatte, war ein Zufall. Ein durchaus angenehmer, reizvoller und bereichernder Zufall.
Ich winkte zu den Indianern hinüber, die meinen Gruß erwiderten. Ich wußte, daß sie bei ihrer Rückkehr bei mir Rast machen werden, so, wie sie es immer taten, wenn sie von der Jagd oder dem Fischen zurückkehrten.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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