Das Aluminiumboot, el deslizador, lag am Ufer vor den Hütten. Der
Fluß führte in diesen letzten Januartagen nur wenig Wasser, auf dem sich die
Nachmittagssonne rot-golden wiederspiegelte. Die grüne Farbe des Schiffsbuges
lockte die kleinen zitronen-gelben Schmetterlinge an, der Anstrich war fast
nicht mehr zu sehen.
Von der Terrasse der zweiten, mittleren Lodge aus
beobachtete ich die Falter und trank dabei aus einem Wasserglas ab und zu
scharfen aguardiente, einen auf Trinkstärke herabgesetzten reinen Alkohol, der
aus süßen Bananen gebrannt wird.
Obwohl diese nordöstliche Region Ecuadors
direkt auf der imaginären Äquatorlinie liegt, wird es nur sehr selten wirklich
heiß. Durch den Fluß und die nahen Anden bedingt, hält eine leichte Brise die
Luft fast immer in Bewegung. Aber nur fünfhundert Meter weiter, abseits vom
Wasser, droht eine schwüle Hitze an manchen Tagen alles zu ersticken.
Das
Säuseln der Blätter in der Bananenplantage erinnerte mich an ein schwereloses
Windspiel und die aus dem Zirpen und Grillen der millionenfachen Insektenwelt
bestehenden Hintergrundgeräusche wirkte an diesem Nachmittag besonders
einschläfernd auf mich. Ich drehte meinen Kopf und blickte über die Plantage
hinweg, hinter der die Wunderwelt Amazoniens begann. Tiefer, alles in sich
einsaugender lebendiger Urwald und Dschungel.
Müde erhob ich mich aus dem
Palmholzsessel, ging zwei Schritte bis zum Geländer der Veranda und winkte
meiner Gefährtin zu die das Geschirr eines späten Mittagessens, weiter unterhalb
des Bootes, im Wasser spülte.
Chelo ist eine eingeborene Waldindianerin, mit
der ich seit ungefähr einem Jahr zusammen lebte.
Ich fläzte mich wieder in
den Sessel und trank einen weiteren Schluck von dem scharfen Fusel.
Den
frühen Morgen und den Vormittag hatte ich damit zugebracht den vorderen, am Pfad
liegenden Teil der Plantage zu säubern. Schnell wachsende und schmarotzende
Gewächse, manche mannshoch, fielen unter den Hieben der Machete. Jetzt, Sunden
später, begannen sie unter den Bananenstauden zu verdorren. Während der
bevorstehenden Regenzeit würden die Überreste in die lockere Dschungelerde
gespült werden und einen Kreislauf schließen, der seit Jahrmillionen gleich ist.
Mit dem kleinen Unterschied, daß ich hier nachgeholfen hatte.
Bedingt durch
die morgendliche Arbeit verspürte ich einen vagen, keineswegs unangenehmen
Schmerz in meinen Muskeln während ich darüber nachdachte, was ich noch alles tun
wollte, um dieses Fleckchen Erde nach meinen und Chelos Vorstellungen
umzugestalten.
Eine Brise wehte vom Fluß herüber und die warme Luft
umspielte meinen nackten Oberkörper. Der abkühlende Schweiß auf meinen Poren
ließ mich frösteln. Dazu schienen in meinen Innereien die gebackenen Bananen,
das Fleisch und Olivenöl Blitzkriege zu führen. Doch dagegen gibt es eine
Allerweltsmedizin: aguardiente!
Über einige Stufen, sie waren in einem alten
Kanu eingelassen das jetzt schräg gegen die Veranda gelehnt war und als Treppe
diente, stieg ich nach unten. An der ersten Lodge vorbei schritt ich über einen
kleinen Vorplatz zum Küchentrakt. Zuerst verscheuchte ich ein paar Hühner um
dann aus dem altersschwachen Kerosinkühlschrank einen neue Flasche eisgekühlten
aguardiente zu angeln. Während ich mich zur Terrasse zurück begab entkorkte ich
die Buddel mit den Zähnen und nahm, oben angekommen, einen ersten Schluck direkt
aus der Flasche.
„Heute“, dachte ich, „werde ich mich ganz langsam und
gemütlich besaufen.“
Mit dieser Idee goß ich das Glas voll und stellte den
Rest des Gesöffs in den Schatten. Langsam ließ ich mich wieder in den Sessel
gleiten, während ich dabei eine Großfamilie von Tukanen beobachtete. Die
langschnäbeligen Pfefferfresser bewohnten die Kronen der hohen Balsabäume, die
das Flußufer säumten.
Neben dem Sessel lag auf dem hölzernen Verandaboden ein
Steinchen von der Größe eine Taubeneies. Ohne mich zu erheben ergriff ich es und
wog es in der Hand. In hohem Bogen schleuderte ich den Kiesel in die Richtung
des Bootes wo es mit einem metallischen „bing“ aufschlug und in einem weiteren,
kleineren Bogen ins Wasser plumpste. Das Echo wurde von der schier
undurchdringlichen grünen Wand des Dschungels zurück geworfen. Aber schon
Augenblicke vorher flogen tausende der Zitronenfalter auf. Während ich dieses
Schauspiel beobachtete, nahm ich einen neuerlichen Schluck des scharfen
Getränkes aus dem Glas. Lautlos, ohne erkennbare Ordnung, ließen sich die
Schmetterlinge wieder auf dem Aluminiumboot nieder um ihrer scheinbar sinnlosen
Beschäftigung nachzugehen.
Ich hörte das junge, unverbrauchte Lachen Chelos,
die mit einer Plastikschüssel und dem Geschirr auf dem Uferkamm stand.
„Ist
das nicht schön? War das nicht gerade wunderschön?“ Ihr Blick schweifte wieder
hin zu den Faltern auf dem Boot.
„Ja“, sagte ich gerade so laut, daß sie mich
verstehen konnte, „ja, das war sehr schön!“
Chelo wandte sich ab und ging
langsam, fast hoheitsvoll hinüber zum Küchentrakt. Die junge Frau hatte eine
ganz besondere Art sich zu freuen. Dabei erinnerte sie mich an ein kleines Kind.
Nicht, daß ich sie als infantil bezeichnen wollte; nein, das ganz sicher nicht.
Ihre Art zu Lachen war eine ganz besondere. Wenn ich sie hörte merkte ich, daß
sie bisher nur sehr wenig Kontakt zu der sogenannten Zivilisation hatte. Und ihr
ist es gelungen, mich manchmal zu ganz spontanen Lachanfällen zu bringen. Gern
hätte ich von ihr diese Art des Lachens noch einmal gelernt, bei der die Seele
mit lacht. Genau so, wie sie es tat.
Heute hatten wir das letzte
Trockenfleisch gegessen. Es war an der Zeit die Fallen neu auszulegen und die
Angelschnüre zu überprüfen, die ich über Nacht im Fluß treiben ließ. Heute war
Neumond. Jagdzeit.
Das ganze Jahr über sind in Äquatornähe die Tage gleich
lang. Um sieben Uhr abends ist es dunkel. Stockdunkel bei Neumond. Die beste
Zeit zum jagen ist dann zwischen sechs und acht Uhr abends und am morgen kurz
vor bis eine Stunde nach Sonnenaufgang. Und das eine ganze Woche lang.
Ich
nahm einen neuen Schluck aus dem Glas. Mit verzogenem Gesicht sprang ich auf und
prustete das Gesöff über die Verandabrüstung weil es zu warm geworden war und
höllisch in der Mundhöhle brannte.
Unter mir watschelte Coco, mein Freund.
Dieses watschelnde, blau-gelbe Etwas war ein uralter Ara-Papagei, der momentan
eine Stinkwut auf mich hatte.
Jedes mal, wenn es zum Frühstück für ihn kein
hart gekochtes Frühstücksei gab, wurde er garstig. Zornig verschmähte er dann
all die goldgelben Bananen und andere guten Dinge, die ich ihm statt dessen
anbieten wollte. Er kündigte mir an solchen Tagen ganz einfach die Freundschaft!
Meckernd zog er dann provozierend immer dort vorbei, wo ich mich gerade aufhielt
oder er mich vermutete. Genau so wie jetzt. Hätte ich die Papageiensprache
verstanden, wäre ich bestimmt rot geworden. Mit Sicherheit sind ein paar Zoten
und nicht druckreife Wörter dabei gewesen. Sein Krächzen und Gezeter ließen auch
Unruhe in der Tukan-Familie aufkommen. Sie machten sich mit Geschrei bemerkbar
und verbaten sich wohl in ihrer Art dererlei Ruhestörung.
Von der Veranda
herunter versprach ich Coco, für ein Frühstücksei am nächsten Morgen zu sorgen.
Grinsend versicherte ich ihm, mit der Oberhenne persönlich zu sprechen. Das aber
schien den Vogel nur noch mehr heraus zu fordern. Er meckerte in seiner vollen
Lautstärke und verwandelte unser friedliches Stückchen Land in einen Hinterhof
römischer Prägung. Als er sich, wie es schien, ausgelassen hatte, alles gesagt
hatte, was wohl gesagt werden mußte, trollte er sich. Da er wegen einer
Flügellähmung nicht mehr fliegen konnte, war eine seiner
Lieblingsbeschäftigungen das Besteigen der hohen Balsabäume. Mit seinen starken
Krallen und dem gebogenen Schnabel hangelte er sich in die Kronen der
Urwaldriesen. Von dort stritt er dann manchmal mit seinen uns überfliegenden
Artgenossen.
Während ich noch über den Vogel grinste, bemerkte ich auf der
gegenüber liegenden Flußseite eine Gruppe von Cofanes-Indianern die in ihren
Einbäumen wohl den Jagdgründen ihres Stammes entgegentrieben.
Mit dem
Motorboot ist ihr Dorf in sechs Stunden flußaufwärts zu erreichen.
Stolze
Anachronismen, die sich ihre Sitten und ihre eigene Sprache noch erhalten haben.
Wer einmal drei dieser Männer in der Tiefe des Dschungels gegenüber steht, so
wie es mir passiert ist, fängt an, an eine pazifistische Welt zu glauben. Wer
einmal in die Gesichter schaut die von Ohren eingerahmt sind, durch deren
Läppchen Tierknochen gezogen sind und eine tiefe, ehrliche Freundlichkeit
verspürt, die man längst vergessen glaubt, fängt bestimmt wieder an, an
Menschlichkeit und Menschheit zu glauben.In diesen Momenten ist kein Platz für
Feindseligkeiten, nur noch Raum zum Staunen, zum sich wundern.
Männer dieses
Stammes waren es auch, die mir beim Bau der drei Lodges halfen. Nicht nur mit
Ratschlägen, nein, sie waren bei der Planung, bei der Materialbeschaffung und
der Errichtung dabei. Insgesamt waren es vier Häuser. Drei waren auf Pfählen aus
Palmholz errichtet, eines nur etwa sechzig Zentimeter über dem Grund. Es diente
als Haupthaus, hatte drei Zimmer von je zirka sechzehn Quadratmeter. Dort
wohnten nun Chelo und ich. Die drei Pfahlbauten vermieteten wir an
Individualtouristen, die ein verhältnismäßig risikoloses Dschungelabenteuer
suchten.
Als ich nach der Fertigstellung des Komplexes dessen Schönheit
begriff beschloß ich, dieses kleine Paradies mit niemandem zu teilen. Daß ich
mit Chelo nun doch eine Lebensgefährtin gefunden hatte, war ein Zufall. Ein
durchaus angenehmer, reizvoller und bereichernder Zufall.
Ich winkte zu den
Indianern hinüber, die meinen Gruß erwiderten. Ich wußte, daß sie bei ihrer
Rückkehr bei mir Rast machen werden, so, wie sie es immer taten, wenn sie von
der Jagd oder dem Fischen zurückkehrten.