Hardy Schneck

Birkenhain des Todes

                                                                                             Der Birkenhain des Todes          

23.November 1942. Ostfront, Abschnitt Welikije Luki.Seit Tagen hatte es nicht mehr geschneit. Dafür herrschte starker Frost. So um 28 Grad minus zeigte das Thermometer. Ich lag mit meiner Einheit, einer Feldkanonen Batterie 2cm Vierling, verlastet auf Halbketten KFz in einer befestigten Stellung an einem leichten Hang. Die Kanonen waren abgeprotzt und standen, gut getarnt und verschanzt in Feuerrichtung Osten.
Vor uns lag eine weite Ebene und keine 300 Meter entfernt ein dichtes Birkenwäldchen mit reichlich Unterholz, Hecken und Buschwerk.Seit 12 Tagen hatte es keinerlei Feindberührung gegeben. Freund und Feind waren von 'General Winter' umklammert. Die Kälte war so stark, dass es täglich zu Erfrierungen an Gliedmaßen der Landser kam. Winterkleidung, Fehlanzeige. Man hatte uns stets vertröstet:Es kommt Winterbekleidung und Ausrüstung. Doch nichts tat sich. Warme Mahlzeiten? So gut wie nie. Einmal gab es Erbseneintopf (Erbswurst), doch bevor sie uns erreichte, war sie gefroren und wir mußten uns mit dem Bajonett die 'Suppe' in Würfel schneiden, um sie dann zu lutschen. Ja, so war das.
Jetzt war es 6.30 Uhr. Ich verließ den Unterstand, der angenehm geheizt war, denn wir hatten einen selbstgebauten Ofen. Als ich nach draußen trat, stach mir der eiskalte Ostwind wie mit tausend Nadeln ins Gesicht. Sofort begannen meine Augen zu tränen und ich zog meinen Schal hoch. Seit April 1942 war ich Unteroffizier und Geschützführer. Meine Zug bestand noch aus 12 Mann von einst 18. Sechs gute Männer hatten ihr junges Leben für 'Führer,Volk und Vaterland hingegeben und lagen irgendwo im Niemansland in russischer Erde. Kein Mensch würde später ihre Gräber besuchen, geschweige denn finden. Der Alarmposten grüßte mich und murmelte was von "keine besonderen Vorkommnisse". Ich schritt durch den Graben und sah hier und da bleiche Gesichter mit dunklen Schatten unter ihren Augen. Mancher rieb sich die Hände, die in Sommerhandschuhen steckten, andere traten von einem Fuß auf den anderen, um sich ein bischen Bewegung und Wärme zu verschaffen. Endlich erreiche ich den vorgeschobenen Beobachter. Angestrengt blickte er durch sein Scherenfernrohr, das er ab und zu mit einem Tuch am Okular und Objektiv abwischte, da es dauernd beschlug."Morjen Uffz," "Morgen, tut sich was?" "Alles ruhig, doch der Iwan hat was vor, ich sah Rauch aufsteigen,dort". Er wies mit der Hand in Richtung des Wäldchens.Tatächlich, ein dünnes Rauchfähnchen stieg dort auf und wurde sofort vom Wind aufgelöst."Funkgerät klar?" fragte ich ihn. "Alles in Ordnung". Ich klopfte ihm auf die Schulter und begab mich wieder auf den Rückweg. Langsam wurde es heller. Der grauweiße Himmel verhieß nichts gutes. "Es wird Schnee geben", dachte ich bei mir. Gerade hatte ich etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, als es geschah. Ein grummeln und jaulen erfüllte urplötzlich die Luft. Artillerie! Sofort warf ich mich auf den Grabenboden. Eiskristalle stoben auf und dann schlug es ein. Die Granaten barsten etwa 200 bis 15o Meter vor unseren Linien. Ich schaute vorsichtig über den Grabenrand und sah die Dreckfontänen aufspringen. Das war nichts neues, das kannten wir, das konnte uns nicht erschüttern. Viel schlimmer war das, was danach kam und es kam. So plötzlich, wie das Feuer einsetzte, so stoppte es auch wieder und dann sah ich sie: Weißschwarz getarnte Infanterie zu Hunderten und dann hörte ich auch schon ihr grauenhaftes "urräh,urräh" Geschrei, das uns immer wieder einen Schauder hervorrief. Sofort rannte ich zu meinen Geschützen, doch meine Männer waren auf Zack. Die Richtschützen kurbelten Seite und Höhe und auch die SMG-Schützen hielten 'Feuerbereitschaft'. Ein Melder schrie:"Nicht feuern,Befehl abwarten!" Derweil näherten sich auf breiter Front die Wellen der Russen. Nur noch wenige 100 Meter trennten sie von unseren Bereitstellungen, als das grummeln und jaulen wieder begann. Diesmal aber waren es die Unseren! Die deutsche schwere Artillerie, die circa 8 km hinter uns lag, war durch die Vorderen Beobachter mit genauen Koordinaten versorgt worden und so schlugen jetzt die schweren Granaten mitten in die Haufen des angreifendes Feindes ein. In ihrer Verzweifelung und Panik wandten sich die Rotarmisten jetzt dem Wäldchen zu, in der Hoffnung, dort Deckung zu finden. Ein fataler Irrtum.Die Artillerie verstummte und jetzt kam der Feuerbefehl für unsere Waffen. Die Maschinenkanonen spuckten ihre todbringenden Feuergirlanden in den Hain. Jedes Geschütz hatte ein eigenes Zielgebiet erfaßt. Die SMGs (schwere Maschinengewehre) fetzten in die Menschenmassen und mähten sie nieder. Der Schnee färbte sich rot.Ich stand in meinem Graben und starrte auf das Inferno. Einige Kameraden hatten ihre Munition verschossen und standen ebenfalls, manche rauchten sogar. Vom Feind war keinerlei Gegenwehr mehr zu erwarten. Mittlerweile waren seit dem Beginn des Angriffes 4 Stunden vergangen. Die Geschütze hämmerten weiter ihr Stakkato und die Hülsenberge wuchsen. Doch irgendwann hieß es "STOPFEN"! Die Ruhe nach diesem Höllenfeuer war bedrückend. Man hörte leise Schmerzensschreie, die aber bald verstummten. Der Batteriechef ließ alle Unteroffiziere und Feldwebel zum Gefechtsstand rufen und man beratschlagte das weitere Vorgehen. Ein Stoßtrupp sollte in das Birkenwäldchen eindringen und erkunden. Ich meldete mich zusammen mit noch zwölf weiteren Kameraden und vorsichtig sichernd schritten wir auf dem gefrorenen, knirschenden Schnee dem Wäldchen entgegen. Nun sahen wir das Ausmaß der Verwüstung:Zwischen dunklen Granattrichtern lagen zerfetzte Gestalten, hier und da auch mal ein Pferd. Als wir uns dem Waldrand näherten, stockte mir der Atem: Es war, als hätten Gärtner mit übergroßen Heckenscheren Gassen in den Wald geschnitten und überall, dicht bei dicht lagen zigfach durchschossene Leiber, Gliedmaßen hingen im Geäst und Blut, überall Blut, Fleischstücke, Gedärme,ja Köpfe und halbe Rümpfe. Ein apokalyptisches Inferno. Niemand lebte mehr. Die Kameraden starrten entsetzt auf die Schlachtstätte, einige übergaben sich, andere hielten sich die Augen zu. Hier gab es nichts mehr zu bekämpfen. Als wir zurück waren, sahen wir dass man schon dabei war , die leeren Patronenhülsen zu sammeln um sie der Verwertung zuzuführen. Die Waffen und das Gerät des Feindes wurde, sofern es noch brauchbar war, später eingesammelt. Die Verluste des Feindes schätzte man auf mehr als 600 Tote, eigene Verluste betrugen 7 Tote und 14 Verletzte.Nie wieder sah ich ein solches Blutbad, ein Gemetzel des Grauens.
Bemerkung des Verfassers:Hier endet der Augenzeugenbericht des Unteroffiziers Helmut S. Er überlebte den Krieg und verstarb 1997 im Alter von 82 Jahren. Sein Bericht sei uns Mahnung und Warnung, möge sich solches nie wieder ereignen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.03.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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