Ingrid Grote

Holidays in Kampodia Kapitel V

Wieso treffen sich diese Leute in Kampodia? Hat sie etwa jemand dort hin gelockt? Warum kommt Rebekka nicht mit Männern klar? Werden Rebekka und Daniel zueinander finden? Ist Morgaine wirklich Daniels Tochter? Was ist das dunkle Geheimnis von Max? Und ist es ein Dämon, der Kampodia von Zeit zu Zeit heimsucht? Fragen über Fragen...
Und dieses Mal verweise ich direkt auf meine HP, da kann man besser gucken (Fenster in der Breite verkleinern) und auch besser drucken, falls denn Bedarf besteht:
 
KAPITEL V - Teil 1 GEWITTER
Es geschah nicht oft, dass Daddy Archibald seine Tochter schockte, aber diesmal schaffte er es. Er war nämlich sauer auf Andromeda wegen der Schadensersatzklage, die ihm der Anwalt eines von seiner Tochter verprügelten kleinen Idioten angedroht hatte. Er hatte die Klage zwar verhindert durch Zahlung einer großzügigen Summe an die Familie des kleinen Idioten, aber Andromeda wurde allmählich zu teuer. Und ihr Gerechtigkeitssinn in allen Ehren, aber musste sie den Jungs immer gleich die Nase einschlagen? Das Kind schien wohl unbefriedigt zu sein.
Archibald war kein Heuchler wie gewisse andere Väter, die ihre fast erwachsenen Söhne in einen Puff schickten, damit sie dort die ‚Liebe’ kennen lernten, und die andererseits ihren fast erwachsenen Töchtern einen Keuschheitsgürtel anlegen wollten, nein, so einer war Archibald nicht. Er meinte allen Ernstes, wenn Andy mal so richtig guten Sex hätte, dann wären ihre Gelüste auf eingeschlagene Nasen vielleicht nicht mehr ganz so groß. Und diese seine Meinung teilte er seiner Tochter auch ganz unverblümt mit.
„Das hat doch gar nichts miteinander zu tun“, sagte Andromeda empört. „Also wirklich Daddy, du mit deinem zwanghaften Denken an Sex. Du bist nicht ganz normal!“
„Und du bist auch nicht ganz normal!“ konterte ihr Daddy.
„Ich höre mir das nicht mehr länger an“, Andromeda war wirklich wütend. „Ich gehe jetzt zu Max, der würde er mir nie so einen Quatsch erzählen.“
„Geh’ ruhig zu Max.“ Archie erhob seine Stimme ein wenig. In diesem Augenblick war er im Gegensatz zu sonst ein kleines bisschen eifersüchtig auf Max und sein gutes Verhältnis zu Andy, und er hatte das Bedürfnis, deswegen seine Tochter ein bisschen zu ärgern. „Meinst du, dein Max bleibt ewig hier? Neeiiin, bestimmt nicht! Irgendwann wird er heiraten und Kinder kriegen, und dann wird er woanders seinen eigenen Betrieb aufmachen.“
Andromeda war geschockt. Max gehörte so zu ihrem Leben, dass alleine die Vorstellung, er könnte eines Tages nicht mehr da sein, vollkommen absurd war. Vollkommen unvorstellbar war.
„Quatsch!“, giftete sie. „Max und heiraten! Er ist doch überhaupt nicht der Typ dazu!“
„Andromeda, ich bitte dich! Ist er schwul?“ Archie machte eine sehr effektvolle Pause, bevor er leicht ironisch weitersprach: „Oder ist er etwa impotent?“
Andromeda erinnerte sich sofort an einen gewissen Abend vor ein paar Jahren und musste sich selber zähneknirschend diese beiden Fragen verneinen. Automatisch schob sich dieses Bild vor ihre Augen, als er mit dieser fremden Frau in seinem Schlafzimmer DAS getan hatte... Aus ihr völlig unbekannten Gründen hatte sich dieses Bild in ihr Gehirn eingeätzt.
Sie schüttelte den Kopf, teils, um die Frage ihres Vaters nach Max’, oh Gott, Potenz zu verneinen und teils, um das Bild zu verscheuchen.
„Aber was soll er denn woanders?“ fragte sie schließlich, kleinlaut und nachdenklich geworden.
„Du bist wirklich naiv, mein Kind. Meinst du, Kampodia ist der Nabel der Welt?“ Die Stimme ihres Vaters klang nun ein wenig sarkastisch.
„Max wird nie von hier weggehen“, sagte Andromeda verzweifelt. Ihr Vater hatte etwas in ihr aufgeweckt, das sie gar nicht wissen wollte. Natürlich war das Verwalterhäuschen viel zu klein für eine Familie. Familie? Nein! Das war unvorstellbar. Max mit einer Frau, die immer um ihn herum wäre und eventuell mit Kindern? Er hätte dann bestimmt keine Zeit und kein Interesse mehr, sich um Andromeda zu kümmern.
Er könnte allerdings auch weggehen von Kampodia. Das wäre noch schlimmer. Und es wäre für sie unvorstellbar.
Andy ist verunsichert. Sie hat sich noch nie die Frage gestellt, ob Max eines Tages heiraten wird, ob er Kinder haben wird und ob er hier auf dem Gut bleiben wird.
Alles war für sie selbstverständlich: Dass Max nicht heiraten wird, ja vielleicht hat er irgendwo Kinder, er hat mit verdammt vielen Frauen rumgemacht, so kam es ihr jedenfalls vor, aber andererseits ist er sehr vorsichtig – wieder erscheint das Bild von damals vor ihren Augen, und wieder schüttelt sie den Kopf, um es zu vertreiben.
Ihr Vater schaut sie an, als wäre sie nicht ganz gescheit.
Die Frauen, die waren nie sehr lange da, das war alles nichts ernstes, oder wird er doch irgendwann einmal... Aber er wird auf jeden Fall für immer hier in Kampodia bleiben. Alles andere ist für Andromeda nicht vorstellbar.
Alles andere ist absolut erschreckend. Das fühlt sie auf einmal so deutlich, dass sie nach Luft ringen muss. Sie muss mit ihm sprechen, ihn fragen, was er vorhat.
Und sie schämt sich, weil sie noch nie daran gedacht hat, dass er vielleicht irgendwann heiraten und Kinder haben will. Sie schämt sich, und außer der Scham ist da noch ein anderes Gefühl, sie kann es nicht benennen. Der Gedanke an eine zukünftige Frau Lakosta verstört sie und tut gleichzeitig auf seltsame unbekannte Art weh.
„Ich muss noch mal weg“, sie verabschiedet sich nicht von ihrem Vater, der ihr verwundert nachschaut, stürmt die Treppe hinunter und läuft über den Hof zu Max' Haus.
 
Die Lakostas waren Nachfahren ungarischer, böhmischer und rumänischer Einwanderer, und sie lebten traditionell in den ärmlichen kleinen Häusern des Unteren Dorfes.
Max war der uneheliche Sohn eines Frühsaisonarbeiters, wie Max' Mutter berichtete, es handelte sich um einen italienischstämmigen gut aussehenden Schurken, der sich am Ende der Saison im wahrsten Sinne des Wortes vom Acker gemacht und nie erfahren hatte, dass ein Sohn von ihm in Kampodia lebte.
Der kleine Max wuchs also vaterlos auf, erzogen wurde er von seinen älteren Vettern.
Der kleine Max war ein richtiger Rotzlöffel, prügelte sich laufend mit den größeren Jungens aus dem Dorf herum, ließ sich absolut nichts gefallen und war aufgrund seiner körperlichen Stärke auch für die größeren Jungens ein gefährlicher Gegner. Er war ein richtiger Tunichtgut, ging selten zur Schule, trieb sich mit seinen Vettern herum, bis er dann mit ungefähr fünfzehn Jahren den Dreh kriegte und sich selber aus dem Sumpf herauszog, in den er geraten war. Er fing an, wieder regelmäßig zur Schule zu gehen, wo er gewaltig viel aufzuholen hatte, und er fing an, neben der Schule Jobs zu haben, um mit dem Geld seine Mutter zu unterstützen. Seine Mutter hatte nämlich ziemlich große Opfer gebracht, damit Max aufs Gymnasium gehen konnte.
Archibald von Kampe, der sich immer schon einen Sohn gewünscht hatte, fand Gefallen an dem mittlerweile größeren Rotzlöffel und ließ ihn auf dem Gut in den Ställen arbeiten, wo er sich gewissenhaft und verantwortungsvoll zeigte. Archibald ermutigte ihn auch, Agronomie zu studieren, denn Max liebte das Land, er mochte die Städte nicht – im Gegensatz zu fast all seinen Altersgenossen in Kampodia, die es magisch in die großen Städte im weiteren Umkreis zog – und er wollte später irgendetwas mit Landwirtschaft machen. Max studierte im Ruhrgebiet Agrarwissenschaften mit dem Nebenfach Ökologie. Max wusste schon sehr früh, Anfang der 90er Jahre, dass in der deutschen und natürlich auch der europäischen Landwirtschaft nur nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gehandelt wurde. Die meisten Anbauflächen waren mittlerweile so ausgelaugt, so bar jeder natürlichen Nährstoffe und Mikroorganismen und deswegen so stark überdüngt und außerdem übersättigt mit Pesti-, Fungi- und Herbiziden, dass die landwirtschaftlichen Produkte schon hart an der Grenze zur Gesundheitsschädlichkeit angelangt waren. Toten Boden wieder zum Leben zu erwecken, alternative Landbestellung, das wurde Max' Traum.
Er musste natürlich nebenbei arbeiteten, um das Studium finanzieren zu können. Am Anfang fuhr er Pizza aus, und irgendwann verschaffte ihm seine ruhige gelassene Art dann den Job im E-body.
In der Wintersaison spielte er unregelmäßig Eishockey, falls sein Job ihm Zeit dazu ließ (Wer das Schlittschuhfahren auf dem rauen Eis der  Teiche in Kampodia erlernt hat, der ist darin unschlagbar), und der Verein, in dem er spielte war sehr interessiert an ihm. Aber er wollte kein Berufssportler werden, er wollte in Ruhe studieren, sich dann irgendwo niederlassen und das Leben führen, das ihm vorschwebte. Er ließ sich nicht von Archibald unterstützen, er bat ihn nur darum, ab und zu an den Wochenenden, wenn er seine Mutter besuchte – die übrigens mit 38 Jahren einen Witwer aus dem Oberen Dorf geheiratet hatte und mit ihm sehr glücklich war – auf dem Gut arbeiten zu dürfen. Was ihm Archie natürlich nicht verwehrte. Als Max einen ausgezeichneten Abschluss an der Universität machte, bekam er tatsächlich mehrere Arbeitsangebote von ländlichen Betrieben, die er im Laufe seines Praktikums kennen gelernt hatte. Aber er entschied sich dafür, für Archie zu arbeiten, und der überließ ihm die volle Verantwortung für das Gut. Max verwandelte das Gut in einen Reiterhof, züchtete Pferde, verkaufte sie mit Gewinn, verwandelte totes Land in lebendigen Boden, ließ die Gäste arbeiten – sie arbeiteten mit dem gleichen Eifer, mit dem Tom Sawyers Freunde einen Zaun anstrichen, den Tom eigentlich selbst hatte anstreichen sollen – und durch gutes Marketing verkaufte Max die ökologisch angebauten pflanzlichen Produkte mit enormen Gewinn, denn die so genannte Bio-Kost erfreute sich immer größerer Beliebtheit.
Natürlich war auch Andromeda ein Grund für Max, im Alter von fünfundzwanzig Jahren nach Kampodia zurückzukehren, denn er liebte dieses Kind und fühlte sich für sie verantwortlich.
Seine erste sexuelle Erfahrung machte der damals vierzehnjährige Max übrigens auf dem Heuboden in den Ställen des Campeschen Gutshofes, bevor ein Reiterstübchen daraus wurde, und zwar mit einem sechzehnjährigen Küchenmädchen. Das war ein Jahr, bevor seine schöne sechs Jahre ältere Kusine Zirza auf ihn aufmerksam wurde. Damals war sie frisch mit Archie verheiratet.
 
Max ist nicht im Häuschen. Aber er kommt gerade aus dem Stall und führt sein Pferd, den riesigen Mustang Zagato am Halfter. Zagato ist nicht gesattelt, er trägt auch keine Kandare. Max behauptet immer, die Trense wäre nicht gut für die Pferde, weil gerade unerfahrene Reiter zu hart damit umgehen, und außerdem wäre das Western-Reiten mit Kandare viel bequemer.
Sie geht langsam zu ihm hin. Er trägt eine blaue Latzhose, ein graues T-Shirt und derbe Arbeitsstiefel und sieht aus wie ein ganz normaler Farmer, allerdings wie ein besonders gut aussehender muskulöser großer schwarzhaariger Farmer... Wieso hat sie nie bemerkt, wie gut er aussieht?
„Ich schicke ihn in den Urlaub. Er hat ihn sich verdient, der alte Knabe“, sagt Max, als sie bei ihm angekommen ist. Max meint die Pferdeweide mitten im Wald, wo sie im Sommer nach und nach die Pferde hinbringen, damit sie sich dort austoben können, mitten in der Natur auf einer riesigen Weide, die so groß ist, dass man die Umzäunung gar nicht bemerkt. Es gibt dort eine Art offenen Stall, damit die Tiere bei Unwettern Unterschlupf finden können, und ab und zu bringt jemand vom Gutshof den Tieren Heu und Stroh. Für Wasser ist gesorgt. Ein kleiner Bachlauf befindet sich am Rand der Weide, es ist derselbe Bachlauf, der die Strulle im Dorf speist, also hat er hervorragendes Wasser. Zagato trägt keinen Sattel, weil Max den Sattel sonst den ganzen Weg zurückschleppen müsste.
„Ich muss mit dir sprechen“, sagt Andromeda und spürt einige Schweißperlen auf ihrer Stirn. Ist es heute wirklich so heiß oder schwitzt sie nur, weil sie sich so aufgewühlt fühlt? Alles an ihr fühlt sich feucht an, ihr nackter Bauch zwischen dem Top und ihren Bermudas, ihr Nacken, obwohl sie ihr üppiges Haar zu einem Pferdschwanz hochgebunden hat, und sogar ihre nackten Knie scheinen feucht zu sein.
„Dann komm’ mit. Wir laufen hin.“ Max lässt den Mustang los, und der trottet wie ein Hund hinter ihnen her.
Schweigend schlagen sie den Weg an der Kirche ein, der in den Wald führt und sonst nirgendwohin, denn hinter dem Wald bauen sich die Berge auf. Man erkennt die Gipfel der fünf Berge, die oben kahles Gestein zeigen und von denen der eine auf seiner rechten Seite so aussieht wie das Profil des Expräsidenten Richard Nixon.
„Wieso heißt der nicht Nixon, wenn er schon so aussieht?“ sagt Max endlich, um das Schweigen zu brechen. „Nein, stattdessen heißt er Eberstein, ein wirklich nichtssagender Name für einen Berg...“
„Jaaa... Obwohl Eberstein auch recht hübsch ist...“, Andy ist nicht ganz bei der Sache. Sie weiß nicht, wie sie anfangen soll und denkt dann, ach was soll’s, ich frag ihn einfach.
„Max, sag’ mal, willst du eigentlich Kinder haben?“
„Also wirklich, Andy“, Max muss lachen. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“
„Ehrlich nicht? Und willst du vielleicht irgendwann einmal heiraten?“ Andromeda spürt, wie ihr wieder der Schweiß ausbricht, es ist wirklich fürchterlich heiß heute, es geht kein Windhauch, aber das liegt wahrscheinlich an dem dichten Fichtenwald, durch den sie gerade laufen. Sie gehen über einen schmalen ausgewaschenen Waldweg, und die hohen Nadelbäume reichen bis an ihn heran. Der dichte Nadelteppich im Wald dämpft alle Geräusche, und man hört auch keinen einzigen Vogel singen. Klar, denkt Andy, im Fichtenwald gibt es keine Vögel. Und hoffentlich auch keine wilden Eber...
„Was ist los mit dir, Andy? Also, übers Heiraten habe ich mir auch noch keine Gedanken gemacht.“ Max lacht wieder. „Und du weißt doch, wem mein Herz gehört.“ Das ist ein uralter Scherz zwischen ihnen. Andy hat als Kind einmal gesagt, sie wollte ihn heiraten, wenn sie einmal groß wäre, und Max hat daraufhin gesagt, dass er zu dieser Zeit ganz bestimmt schon ein alter Sack wäre, aber dass er sie trotzdem lieb hätte.
Hat er sie immer noch lieb, oder hat er das mit dem Liebhaben nur gesagt, um die damals achtjährige Andy ruhig zu stellen? Andromeda fühlt sich unbehaglich, sie fängt an, auf dem holprigen Waldweg zu stolpern und meint, ein fernes Knurren gehört zu haben. Sie hofft, es wäre ihr Magen gewesen.
„Was ist denn?“ sagt Max besorgt und greift nach ihr, um sie am Stolpern zu hindern.
Andromeda hält sich an seiner Hand fest. Sie ist verunsichert, sie meint, eine Veränderung im Wetter festzustellen. Und sie hat Recht, sie fühlt sich unbehaglich, weil der Luftdruck innerhalb kürzester Zeit rapide gefallen ist, und dieses Ereignis kündet meistens ein heftiges Gewitter an.
Ein Gewitter ist das Allerletzte, was sie jetzt erleben will. Beim letzten Gewitter ist sie dermaßen in Panik geraten, dass sie fast die Kontrolle über sich selbst verloren hat. Und dabei war sie in ihrem Zimmer und hatte die Bettdecke über sich gezogen...
„Es ist nicht mehr weit bis zur Weide, wir können uns da gut unterstellen.“ sagt Max ruhig, denn er will Andromeda nicht noch mehr beunruhigen. Mittlerweile ist es ihm klar, dass da ein Unwetter im Anzug ist, und zwar keins von schlechten Eltern. Sie haben das Wetterleuchten nicht gesehen, das Gewitter kam von hinten, jetzt sitzt es vor den hohen Bergen fest, und mittlerweile zuckt und blitzt es am Himmel, dass es wie ein gefährliches Feuerwerk aussieht.
Sie hören Zagato wiehern, der Mustang bäumt sich auf, macht eine Kehrtwendung und galoppiert davon in Richtung Gutshof. Max lässt ihn laufen, zum einem, weil er nichts machen kann, zum anderen, weil Zagato den Weg nach Hause von alleine finden wird.
Ein erster kräftiger Donner ertönt. Ein sehr lauter Donner. Und er ist nur die Vorhut von weiteren...
 
Und sie hört das Laute, das fürchterlich knallt und vor dem sie fürchterliche Angst hat. Und sie sieht die grellen Lichter, die nach dem Lauten kommen. Immer abwechselnd geschieht das, ein grelles Licht, so dass sie vor Angst die Augen zukneift und kurz darauf ein gewaltiges Krachen, gegen das sie nichts machen kann, denn sie ist ja noch ein Baby, das zwar ein bisschen laufen oder vielmehr stolpern kann, aber dass man sich die Ohren zuhalten kann – was sind Ohren – davon weiß sie nichts.
 
Andromeda versucht, nach links in den Wald zu laufen, um vor den grellen Blitzen zu fliehen und um den Donner nicht mehr hören zu müssen.
„Verdammt noch mal, Andy. Wo willst du hin?“ Max läuft ihr hinterher und hält sie fest, aber sie reißt sich los.
Es fängt urplötzlich an zu regnen, als ob der Himmel alle Schleusen geöffnet hätte. Es ist ein fürchterliches Chaos von Blitzen, von Donnerschlägen... Und dann rauscht ein sintflutartiger Niederschlag vom Himmel herunter, dass es nur so prasselt.
 
Dann kommt das Nasse von oben und saugt sich in ihren Sachen fest, und dann kommt das Kalte, das sie zum Zittern bringt.
 
Andromeda wirft sich auf den weichen nadelbedeckten Waldboden und versucht, sich in den dichten Nadelteppich einzugraben.
 
Sie findet schließlich in einem Haufen Laub Zuflucht, das Laub erinnert sie wohl an die Decke, die sie zu Hause in ihrem Kinderbett hat, und sie gräbt sich instinktiv darin ein. Das Kalte und das Nasse verdrängen ein wenig die Schmerzen in ihren Wunden, die von dem Tier und von dem starren borstigen Unterholz stammen, in das sie gekrochen ist, um instinktiv Schutz zu suchen.
Es dauert Ewigkeiten, das Kalte, das Nasse, die Schmerzen, bis sie schließlich nur noch leise vor sich hinwimmert und auf irgend jemanden wartet, der sie von diesen Sachen erlösen wird. Aber es kommt niemand.
Dann auf einmal gibt es eine Änderung.
Jemand berührt sie, und wieder hat sie Angst, es wäre das große Tier, das ihr schon einmal Schmerzen zugefügt hat.
Aber es ist nicht das große Tier.
 
Es ist Max, und er ist warm und sicher, und sie schlingt ihre Arme um ihn, weil er so warm und sicher ist.
Schlagartig hört sie den Donner nur noch gedämpft, und auch die Blitze haben ihren gleißenden Schrecken verloren.
Sie legt ihren Kopf an Max’ Brust, und Max hält sie in seinen Armen, und sie ist getröstet. Der strömende Regen verwandelt sich automatisch in eine erfrischende Dusche nach einem heißen Tag.
Und alles ist gut.
Das Gefühl der Beruhigung hält allerdings nicht lange vor und macht auf einmal einem anderen völlig unerwarteten Gefühl Platz. Einem erregenden Gefühl, einem aufwühlenden Gefühl.
Sie legt ihre Arme um Max Hals und fängt an, Max zu küssen.
Max ist zuerst verwirrt, dann jedoch kann er ihr nicht widerstehen, er liebt sie schließlich, und das Gefühl, sie so eng in seinen Armen zu halten, überwältigt ihn, obwohl er weiß, dass daraus nicht Gutes entstehen kann.
Sie küssen sich hungrig wie Besessene, und das sind sie wohl auch, sie erforschen sich mit ihren Zungen, mit ihren Händen, liebkosen sich wie von Sinnen.
Sie liegen eine Ewigkeit auf dem Nadelteppich unter den Tannen, küssen sich und spüren einander. Sie versuchen, so nahe wie möglich beieinander zu sein. Sie schauen sich an, als hätten sie sich noch nie gesehen, berühren sich fassungslos, küssen sich immer wieder... Es ist wie ein endloser Reigen von wilden innigen Zärtlichkeiten.
Das Gewitter hat sich mittlerweile entfernt, und der Regen ist wirklich nur noch eine erfrischende Dusche nach einem heißen Tag.
Max ist nach diesen ewigen Minuten derjenige, der sich als erster zurückzieht.
„Max?“ Andromeda verspürt einen schmerzlichen Verlust. Warum zieht er sich zurück? Warum? Sie kann es kaum ertragen, ihn nicht mehr zu spüren. Gerade ist sie dabei gewesen, sich ihm hinzugeben, ohne nach irgendetwas zu fragen und dann... Was zum Teufel ist los mit ihm? Warum steht er auf und lässt sie allein?
„Ich hätte das nicht tun dürfen“, sagt Max verlegen.
„Warum nicht?“ Auch Andromeda erhebt sich langsam.
„Es ist nicht gut für dich. Du bist noch zu jung.“ Max’ Antwort auf ihre Frage klingt schal und beschissen wie die Antwort von Erwachsenen auf die Fragen von Kindern.
„Warum nicht?“ Andromeda lässt nicht locker. Sie hat etwas in ihm gespürt, das er mit seinen dämlichen Erwachsenenphrasen nicht verleugnen kann. Also, warum zum Teufel will er alles verleugnen, was gerade passiert ist?
„Andy, du weißt doch, du bist mein Mädchen. Aber du bist noch viel zu jung dafür. Also lass uns das vergessen.“
„Dein Mädchen bin ich also? Warum erzählst du dann so einen Mist?“ Sie ergreift seine Hand und streichelte sie.
„Wir sollten jetzt nach Hause gehen“, sagt er streng, lässt aber zu, dass sie weiter seine Hand streichelt und dann wie früher, als sie noch ein kleines Mädchen war, ihre Handfläche unter seine schiebt. Als Zeichen des Vertrauens, und instinktiv weiß sie, dass ihm das gefallen wird.
Er spürt ihre Handfläche unter seiner Hand, und ihre Berührung fühlt sich so ... ja so ergeben an, dass ihm die Augen feucht werden.
Oh Gott, er liebt sie. Es darf nicht sein, aber was soll er dagegen machen. Dieser endlose Kuss hat Wünsche in ihm aufgeweckt, die er bisher verleugnet hat, sie ist das süßeste Geschöpf dieser Erde, und wenn sie auch nur ahnen würde, was sie ihm bedeutet... Nein, sie darf es nicht ahnen.
Die Blitze und der Donner hatten sich entfernt, und regnete nicht mehr, als beide den Waldweg in Richtung Gut zurückgingen. Sie hatten sich bei den Händen gefasst, sie sahen beide aus, als hätten sie sich zuerst im Dreck und dann im Schlamm gewälzt, sie sahen beide aus, als hätten sie eine hitzige Liebesnacht miteinander verbracht, aber sie hatten sich doch nur geküsst, und für Andromeda hatte sich auch nur ihr Leben verändert.
Max, er war es! Nur Max konnte ihre Ängste besänftigen, nur Max war es, der ihre Erregung anfeuern konnte, nur Max war es. Nur er...
Als sie nach einer Viertelstunde die Kirche und kurz darauf den Gutshof erreichten, hielten sie sich immer noch an den Händen.
„Ich komm’ nachher bei dir vorbei“, sagte Andromeda zu Max, löste ihre Hand aus seiner und ging beschwingt in Richtung Herrenhaus.
Max sah ihr sehnsüchtig nach und dachte: Jetzt ist es passiert, der Anfang vom Ende, aber es ist schön, es ist so verdammt schön. Sie ist so schön, so gut... Was zum Teufel soll ich nur machen?
 
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KAPITEL V - Teil 2 DISCO QUEEN
Rebekka, Zirza und die blonde hagere Biggi machten sich spätabends zurecht. Das bedeutete, dass Rebekka ihr Haar lässig hochraffte, einen fast unsichtbaren Lippenstift auflegte und ein relativ weit ausgeschnittenes Spitzenshirt anzog zu ihrer üblichen schwarzen Leinenhose. Die anderen brauchten natürlich erheblich mehr Zeit für das Aufbretzeln. Und dieses geschah natürlich an einem Samstag, weil am Samstag der Laden proppevoll sein sollte – oder zumindest viel voller als an den anderen Tagen.
Sie hatten nämlich vor, in die berühmteste Kleindisco von Brunswick zu gehen. Berühmt war die Disco deswegen, weil es die einzige Disco in Brunswick war. Vor zehn Uhr sollte man allerdings nicht dort erscheinen, wie Ortskundige berichteten. Vor zehn Uhr war nämlich dort nur tote Hose angesagt.
Rebekka wunderte sich nicht, dass die hagere blonde Biggi mitging, denn die hatte im Augenblick wohl ziemlich viel Stress mit ihrem kleinen Gatten Sammy, der sich mehr mit der Bar und den Getränken darin als mit seiner Ehefrau beschäftigte.
Die Disco ist nicht besonders groß. Es gibt eine quadratisch gebaute Theke mit drei Seiten zum Sitzen, und Zirza ordnet an: „Wir setzen uns auf keinen Fall an einen Tisch, sondern an die Theke!“
Rebekka ist das recht, denn sie haben an der Bar im Gutshof schon ein paar Likörchen genommen - die ihnen ironischerweise Biggis Mann serviert hat, dem es anscheinend egal ist, dass seine Frau ohne ihn ausgeht – und die Welt ist heute Abend schön weich schattiert und sehr freundlich.
„Hallo Dennis“, hört sie neben sich Zirza jemanden begrüßen.
„Hallo Zirza, wie geht’s dir denn so“, sagt der Angesprochene und redet weiter: „Sag’ mal Zirza, wer zum Teufel ist diese bezaubernde Frau da neben dir.“
Zirza lacht und stellt ihm Rebekka als liebe Freundin vor.
Rebekka trinkt locker mit ihren beiden Kameradinnen mit.
Rebekka lässt ihre Blicke schweifen und sieht erstaunt einen ihr bekannten Mann an der Theke gegenüber auf einem Barhocker sitzen. Er schaut nachdenklich in sein Glas und hat anscheinend keine Augen für seine Umwelt.
Sie geht zu ihm hinüber, sie stellt sich neben ihn, stupst ihn an und sagt so ganz nebenbei, und es ist ein Schuss ins Blaue: „Du denkst an sie, was?“
„Sieht man das so offenkundig?“ Max ist überrascht.
„Ich sehe es!“ sagt Rebekka.
„Aber das ändert nichts daran, dass sie unerreichbar für mich ist.“ Max schaute sie an mit einem Schmerz in seinen grauen Augen, den Rebekka noch nie bei ihm gesehen hat.
„Aber warum denn? Gut, du bist viel älter, aber ihr seid so ein schönes Paar“, sagt Rebekka.
„Es ist etwas aus meiner Vergangenheit...“
„Lass mich mal überlegen“, Rebekka hat da so einen Verdacht und legt den Kopf in den Nacken. „Du hattest was mit Zirza!“ sagt sie schließlich triumphierend.
Max gibt darauf keine Antwort.
„Du schaust sie immer so hasserfüllt an. Das sieht man“, sagt Rebekka mit Überzeugung.
„Sieht man das?“ Max scheint erschrocken zu sein.
„Ich sehe es.“
„Rebekka, bitte nimm dich vor ihr in Acht. Sie kann unangenehm werden. Nein das ist falsch, sie IST unangenehm.“
„Aber sie ist doch nett...“
„Nett? Oh Gott!“ Max schweigt eine Weile, bevor er fortfährt: „Wenn nett sein bedeutet, dass sie dich manipuliert und dich zu Taten treibt, die du sonst nicht im Traum begehen würdest, gut... dann kannst du sie nett nennen.“
„Ooooh?“ Rebekka ist ein bisschen geschockt. Aber da sie auch ein bisschen betrunken ist, nimmt sie Max nicht richtig ernst.
„Also pass auf deine Drinks auf und... ach was“, Max lächelt, „du kannst schon selber auf dich aufpassen. Willst du vielleicht tanzen?“
Rebekka überlegt. „Nein besser nicht“, sagt sie dann schließlich. „Du würdest ja doch nur an sie denken.“
„Du hast Recht, “ sagt Max. „Und du? Du würdest auch nur an ihn denken. Und deswegen gehe ich jetzt besser nach Hause.“
„Wen meinst du?“ Rebekka stellt sich ganz blöd.
Max erhebt sich von seinem Barhocker, wirft einen Geldschein auf die Theke und macht Anstalten, die Disko zu verlassen. „Na wen wohl!“
„Ach, du spinnst ja!“
„Na gut, ist ja auch egal. Aber trau’ ihr nicht“, sagt er noch einmal eindringlich zu Rebekka.
Rebekka starrt ihm nach, als er die Disco verlässt. Sie ist ein wenig sauer, weil er meint, sie durchschauen zu können. Außerdem glaubt sie nicht wirklich, dass Zirza gefährlich ist, nein, das kann nicht sein. Max muss sich irren.
Zirza hat Max und Rebekka von der anderen Seite der Theke aus beobachtet. Max könnte lästig werden, aber sie kann nichts gegen ihn tun. Er ahnt oder weiß vielleicht einiges über sie, der Dreckskerl.
Rebekka hat jetzt das dringende Bedürfnis, noch mehr zu trinken. Und sie hat das Bedürfnis, sich zu amüsieren. Und zwar sich mit einem netten Mann zu amüsieren, der sie zu schätzen weiß. Ein durchgeknallter Ziegenbock ist ja ganz nett, aber nicht ganz das gleiche wie ein richtiger Mann. Und Daniel ist zwar ein richtiger Mann, an den strategischen Stellen auf jeden Fall, sie muss kichern, aber der ist so labil, der verliebt sich in jede Frau, mit der er pennt. Und das ist nicht sehr vertrauenswürdig. Außerdem ist er in den letzten Tagen ihr gegenüber ziemlich kühl gewesen. Und das stört sie aus unbekannten Gründen irgendwie.
Also stürzt Rebekka sich in das Vergnügen. Sie trinkt einen seltsamen grünen Likör, der bestimmt ziemlich hochprozentig ist und dieses durch seine Süße verbirgt.
Man gibt sich gegenseitig Likörchen aus. Die Frauen geben natürlich selten einen aus, das ist auf dem Lande nicht üblich, auf dem Lande bezahlt immer noch der Mann (Böse Zungen behaupten, dass schon diverse Männer pleite gegangen sind, weil sie aus Versehen zwei bis drei ihnen bekannte Frauen in einer Kneipe getroffen haben). Und der Bezahler ist in diesem Fall der Metzgermeister Dennis, welcher von Rebekka fasziniert ist. Er schaut sie bewundernd an und weicht nicht von ihrer Seite.
Bis sie auf die Tanzfläche geht. Ab da sind seine Blicke nicht mehr bewundernd, sondern anbetend und verlangend.
Rebekka tanzt für sich allein, falsch, in Wirklichkeit tanzt sie für jemanden, der aber nicht hier ist. Und für jemanden, der es sicher nicht wert ist.
Also tanzt sie für Dennis, er ist hier, und er ist nett. Oder? Doch, er ist nett, und er bewundert sie.
Rebekka gerät immer mehr in einen wunderbaren euphorischen Zustand. Wenn sie aufs Klo geht, hört sie rhythmische Klänge und tanzt dazu, bis sie herausfindet, dass es sich um Geräusche handelt, die von der Lüftung produziert werden. Ist aber trotzdem ein irrer Sound, und er wiederholt sich immer wieder... Immer wieder... Sie muss kichern!

Zirza hat eine irre Idee. Sie will Rebekka hypnotisieren. Rebekka lacht sich kaputt, sie ist bestimmt vollkommen immun gegen so was. Aber trotzdem machen sie es in einer ruhigen Ecke der Disko, nur merkt Rebekka leider nicht viel davon. Also muss sie immun dagegen sein, wäre ja noch schöner, wenn man sie einfach hypnotisieren könnte und überhaupt...
Dennis sieht wirklich nicht schlecht aus, tatsächlich sieht er im Laufe der Nacht immer besser aus, und seine Aufmerksamkeit gehört nur ihr allein, stellt Rebekka fest.
Sie kann sagen, was sie will, Dennis ist von ihr fasziniert. Und sie kann machen, was sie will, auch davon ist er fasziniert. Wenn sie sich von der Theke wegdreht, dann dreht er sich auch von der Theke weg. Wenn sie ein paar Schritte von der Theke weggeht, dann geht er auch ein paar Schritte von der Theke weg. Er hängt an ihr wie eine Marionette. Es ist ein wahnsinnig gutes Gefühl, jemanden dirigieren zu können, und es gibt ihr ein gewisses Gefühl von Macht, das den Frust verdrängen muss, den sie mit Daniel erlebt. Ha, Daniel ist doch sonst immer so ein Weichei, was ist los mit ihm? Und wieso fühlt sie sich immer zu den sogenannten harten Männern hingezogen? Geht doch sowieso in die Hose... Aber Dennis ist nett, natürlich hat er nicht den Hauch einer Chance, aber er ist ein schöner Zeitvertreib, das denkt Rebekka vage, denn sie kann die Gedanken nicht mehr richtig in Worte kleiden.
 
Zirza beobachtet nun Rebekka und Dennis. Für die blonde Biggi, die im Laufe der Nacht – und zwar als der Laden offiziell schon zu ist – eine schnelle Nummer mit dem gut aussehenden jungen Barkeeper auf einer Bank macht, interessiert Zirza sich nicht. Sie interessiert sich nur für Rebekka und für das, was Rebekka mit Dennis anstellt. Denn Rebekka ist trotz ihrer rauen Schale ein liebes Mädchen, ein liebebedürftiges Mädchen. Und Zirza möchte diesem lieben einsamen Mädchen gerne ein wenig Abwechslung verschaffen und ein bisschen Spaß…
Der Witz ist, niemand ahnt, dass sie genau über Rebekka Bescheid weiß, sie weiß wo sie geboren ist, sie weiß wie alt sie ist, sie weiß, wer ihre Eltern sind. Es ist wirklich so, als wäre sie eine Verwandte von ihr. Bei diesem Gedanken bricht Zirza fast in Gelächter aus.
Und sie glaubt nun, dass es an der Zeit ist, Rebekka die Tropfen in ihren grünen Cocktail zu geben...
 
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KAPITEL V - Teil 3 ERNÜCHTERUNG
Rebekka wachte am nächsten späten Morgen mit einem verquollenen Kopf auf, der wie sie meinte, eigentlich nicht zu ihr gehören konnte. Aber sie hatte ihn, das stand fest, und das Schlimmste war, dass sie sich an nichts mehr erinnern könnte. Höchstens an so ein ekelhaftes grünliches Getränk, von dem sie noch nie etwas gehört hatte und das es anscheinend nur in dieser Ecke des Universums gab. Jedenfalls ging es ihr mordsmäßig schlecht, sie konnte einfach nicht aufstehen und blieb deswegen im Bett liegen.
Daniel klopfte um die Mittagszeit an.
Keiner öffnete die Tür, und so ging er einfach in die Wohnung hinein. Er fand Rebekka ziemlich desolat und voll angezogen in ihrem zerwühlten Bett vor.
„Oh!“ sagte er mitleidig, denn Daniel wusste, wie man sich nach einem zünftigen Besäufnis fühlte.
„Geh’ weg!“
„Da ist ein Typ, der behauptet, du wolltest mit ihm frühstücken.“ Daniels Stimme klang spöttisch und irgendwie ungläubig.
„Was! Wie? Keine Ahnung“, murmelte Rebekka. „Wimmel’ ihn ab. Ich kenn’ keinen, mit dem ich... oh! Frühstück? Mir wird schlecht!“ Sie griff sich an die Stirn.
„Hast du ’ne Amnesie oder was?“ Daniel war absichtlich ein wenig rau, denn er war ein bisschen sauer auf diesen unverschämten Kerl, der Rebekka zum Frühstück eingeladen hatte.
„Nein, ich weiß nur nicht, was passiert ist“, sagte Rebekka stöhnend und hielt ihren Kopf vorsichtig fest.
Daraufhin musste Daniel lachen, obwohl er das gar nicht wollte. „War wohl ein bisschen viel gestern Nacht...“
„Ach w… Oh Gott!“ Rebekka spürte, wie ihr irgendetwas hochkam, das sie unbedingt loswerden musste. Sie sprang eilig aus dem Bett – Gott sei Dank trug sie noch alles, was sie gestern Nacht angehabt hatte – und lief ins Badezimmer, um sich über der Kloschüssel zu übergeben. Als von alleine nichts herauskam, steckte sie sich einen Finger in den Hals, das war widerlich, aber sie würgte daraufhin ein ekelhaftes Zeug aus mit ein paar dicken Brocken drin. Das war wohl das Abendessen von gestern. Und die Vorstellung, dass sie mit ihrem Gesicht über einer Kloschüssel hing, war ekelerregend genug, dass sie wieder einen Schwall von Flüssigkeit in die Kloschüssel erbrach, ohne dass sie sich vorher einen Finger in den Hals stecken musste.
Als nichts mehr herauskam, setzte sie sich auf den Rand der Wanne und stierte vor sich hin. Es war entsetzlich! Sie hielt ihren Kopf über die Badewanne und brauste sich mit eiskaltem Wasser das Gesicht ab, wobei die Haare auch etwas Wasser mitbekamen. Das tat zwar kurzfristig ein wenig gut, hielt aber nicht sehr lange vor. Dann machte sie den Versuch, sich die Zähne zu putzen, aber dabei tat ihr der Kopf zu weh, also hörte sie schnell damit auf.
Was hatte Daniel da geschwätzt? Ein Frühstück mit einem Typen? Sie hatte keine Ahnung, was er meinte. Und warum fehlten ihr mehrere Stunden der gestrigen Nacht? Zu peinlich das.
Rebekka frottierte sich mit einem Handtuch vorsichtig die Haare, um ihrem höllisch wehtuenden Kopf nicht noch mehr weh zu tun, sie verließ das Badezimmer, öffnete den Kühlschrank und griff sich eine Flasche Mineralwasser. Setzte sie sich an den Mund und nahm einen endlosen Schluck daraus. Dann legte sie sich wieder ins Bett.
„Was soll ich dem Mann denn jetzt sagen?“ Daniels Stimme dröhnte in ihrem Kopf. „Was ist denn jetzt mit dem Frühstück?“
„Bitte nicht schreien! Ich kenne keinen. Ich kenne kein Frühstück. Lass’ mich doch in Ruhe!“
„Also wirklich Rebekka, du kannst den Typen doch nicht erst einheizen und dich dann verpissen, also, ich muss schon sagen...“
„Bitte bitte nicht so laut!“ Rebekka machte ein gequältes Gesicht, drehte sich zur anderen Seite und kringelte sich eng zusammen.
Daniel musste wieder lachen. Er war zwar ein bisschen sauer auf sie, aber es schien nichts passiert zu sein, weswegen er sich Sorgen machen musste. Oder weswegen sie sich Sorgen machen musste.
Er betrachtete sie eine Weile, dann legte er sich vorsichtig neben sie und umarmte sie zart. Sein Kopf war ganz nahe an ihrem, und er roch ihr Haar und ihre Haut. Er versuchte, ihr mit seinem Körper nicht näher zu kommen, obwohl ihre Anziehungskraft gewaltig war. Er wollte einfach nur neben ihr liegen und sie im Arm halten. Sie machte eine Bewegung und drückte sich mit dem Hintern näher an ihn. Das war nun wirklich fatal, denn die Ergebnisse waren danach. Trotzdem widerstand er der Versuchung, sie enger an sich zu ziehen und sich mit einem bestimmten Körperteil, das wahrscheinlich steif war wie, leider fiel ihm kein Vergleich ein, an ihrem weichen Körper zu reiben. Nein, es war gut so, er wollte sie nur im Arm halten für eine Weile, sonst wollte er nichts, obwohl... Nein besser nicht.
Rebekka spürte es, und es war nicht unangenehm. Aber das konnte sie ihm natürlich nicht zeigen. Also stöhnte sie auf und tat so, als ob sie schliefe. Instinktiv schob sie ihm ihr Hinterteil entgegen, aber leider reagierte er nicht, und sie war ein wenig enttäuscht. Aber in diesem Moment an Sex zu denken, aua, allein der Gedanke daran tat schon weh, und sie stöhnte wieder auf. Aber so war es auch gut. Eigentlich war es richtig schön. Sie entspannte sich und schlief ein.
 
Rebekka wusste nicht, dass sie Glück gehabt hatte. Zirza hatte eigentlich geplant, sie mit dem Metzgermeister Dennis, Inhaber von einer der zwei Metzgereien in Kampodia, frisch geschieden und scharf wie eine Rasierklinge, ins Bett gehen zu lassen, aber diese Pfeife Rebekka konnte überhaupt keinen Alkohol vertragen und hatte – schon voll besoffen – den entscheidenden Drink umgekippt, in dem sich die Tropfen befanden, die sie vollkommen hilflos und geil machen sollten. Und Dennis, ein ehemaliger Schulfreund von Zirza, wollte auch nicht so mitspielen, wie es Zirza vorschwebte, er hatte sich tatsächlich in Rebekka verliebt – der Idiot – und sie zum Frühstück in sein Haus eingeladen. Und jetzt war er total fertig, weil die süße Rebekka nicht zum Frühstück gekommen war.
Nun denn, es hatte zwar nicht geklappt wie vorgesehen, aber so war es auch nicht schlecht. Dennis würde nämlich wie ein liebeskranker Kater um das Gut herumschleichen, und das würde wiederum den guten Daniel bestimmt ein wenig von Rebekka entfernen.
Das kostbare Kind war nämlich leichter zu kriegen, wenn man es von jeweils einem Elternteil isolierte. Das bedeutete Verlust an Schutz und so weiter... Und wenn ein Elternteil weg war, dann konnte der andere leicht ausgeschaltet werden. Denn Daniel war tatsächlich der Vater, man hatte nachgeforscht und es durch unauffällige Gentests festgestellt. Darin war die Firma meisterhaft. Nur ihre Drogen und Halluzigene waren noch besser als ihre Spionage. Und Zirza war ein williger Helfer der Firma, sie war eine Frau ohne Gewissen und verdiente durch Spionage wesentlich mehr als durch ihre Boutiquen. Sie fragte sich allerdings immer noch, wieso Daniel und Rebekka hier aufeinander getroffen waren. Aber möglicherweise war die kleine Morgaine der auslösende Faktor gewesen. Das Kind war wirklich unberechenbar, es schien alle Fäden zu ziehen, ohne es zu wissen. Es konnte anscheinend in die Zukunft schauen, und es konnte vielleicht auch andere beeinflussen. Vielleicht durch Träume? Aber das würde man feststellen. Und man würde es nachahmen können durch das Wissen, welches in der Firma auf dem höchsten Stand der Technik war... Okay, dieser Entfremdungsversuch hatte nicht so richtig geklappt, denn die beiden machten weder den Eindruck eines glücklichen Paares, noch den Eindruck, als ob sie sich an die Gurgel gehen würden.
Eine wirklich harte Nuss! Aber sie würde schon bald zum Angriff übergehen. Sie hatte da einen Plan entwickelt, der schwer nach Kindesentführung roch. Sie musste nur noch den richtigen Zeitpunkt abpassen. Und ‚Kindesentführung’, das war auch so ein Wort, bei dem sie lauthals loslachen musste. Kindesentführung war in ihrer Familie fast schon Tradition...
 
Um sieben Uhr, als Rebekka ihre Übelkeit ausgeschlafen und sich einigermaßen frisch gemacht hatte, ging sie hinunter zum Essen.
Sie erinnerte sich mittlerweile vage an einen gewissen Dennis. Sie hatte zwar keinen richtigen Hunger, dafür aber einen mörderischen Appetit auf Salat und auf gut gewürzten Tomatensaft. Und heute Abend gab es dem Himmel sei Dank viele verschiedene Salate am gutbestückten Büffet.
Daniel tauchte neben ihr auf. Sie dachte daran, wie er hinter ihr gelegen hatte, es war schön gewesen, so warm und friedlich. Dann erinnerte sie sich an die Gefühle, die sie nebenbei gehabt hatte, die waren auch warm aber nicht ganz so friedlich gewesen, ziemlich aufwühlend und beunruhigend waren sie gewesen...
„Geht’s dir besser?“ fragte Daniel, während er sich selber Salat und Rühreier nahm.
„Geht so“, sagte sie spröde. Ihre Hände zitterten ein wenig, aber das kam bestimmt vom Saufen. Sie nahm sich verschiedene Salate und Salatsoßen, dazu Baguette und Tzaziki und setzte sich an einen Tisch. Es waren nicht viele Leute da, und das war gut so, denn sie hatte keine Lust auf blöde Kommentare von gewissen stadtbekannten Saufbolden wie Sammy zum Beispiel. Daniel folgte ihr und setzte sich neben sie.
„Sie stinkt!“ sagte er, während er gedankenverloren reichlich Curry-Ketchup neben die Rühreier auf seinem Teller schüttete.
„Quatsch! Sie ist nett.“ Rebekka wusste sofort, wen er meinte
„Sie stinkt!“ wiederholte Daniel nach einer Weile und betrachtete irgendwie erstaunt seinen Teller mit dem Curry-Ketchup.
„Magst du das, mit dem Ketchup“, fragte Rebekka anzüglich.
„Was? Nein eigentlich nicht.“ Daniel schob den Teller beiseite. „Sie stinkt nach einem Parfüm, das ich noch nie ausstehen konnte. Ich weiß nicht, wie Millionen von Männern es bei diesen Frauen geschafft haben, einen hochzukriegen bei diesem Gestank.“
Rebekka starrte ihn an. Was zum Teufel war in ihn gefahren? Aber sie fühlte sich irgendwie getroffen bei dem Wort ‚hochzukriegen’. Es brachte sie richtig in Stimmung, dieses Wort, und das ärgerte sie.
„Ich habe nichts gerochen!“ sagte sie und schaute ihn streng an, aber er reagierte nicht darauf..
„Dieses Parfüm, es riecht wie frischer Fisch, nicht so stinkig wie Seefisch, es ist ein Süßwasserfisch, Vielleicht ist es eine Forelle oder ein Karpfen, aber es ist, verdammt noch mal ein stinkiger Fisch.“
„Ich habe wirklich nichts gerochen!“
„Ich schon. Ich bin allergisch auf diesen Geruch. Und ich verstehe nicht, wie Frauen es ertragen können mit diesem Gestank. Die können ja noch nicht einmal davor weglaufen.“
„Daniel, ich bitte dich! Was soll das?“
„Was ich damit meine ist: Sei ein bisschen vorsichtiger bei Zirza.“
„Misch’ dich bitte nicht in meine Angelegenheiten!“ Das fehlte gerade noch, dass er entschied, mit wem sie Freundschaft halten sollte und mit wem nicht.
„Max meint das auch“, sagte Daniel ein wenig verzweifelt.
„Dann soll Max sich bitte auch nicht in meine Angelegenheiten mischen!“ Rebekka sah ihn zornig an. Männer! Sie wollten ihr immer vorschreiben, was sie tun oder lassen sollte, aber sie hatte die Nase voll von ihnen. Sie aß schweigend ihren Salat auf und kümmerte sich nicht mehr um Daniel.
Zwei Minuten später kam der Metzgermeister Dennis in den Raum, er blickte sich suchend um, sah Rebekka und eilte freudestrahlend an ihren Tisch, wobei er Daniel vollkommen ignorierte.
„Rebekka!“ Er küsste ihr doch tatsächlich die Hand, was sie verlegen machte, vor allem weil Daniel neben ihr saß, und sie zog die Hand schnell zurück.
„Mit dem Frühstück hat es ja nicht geklappt“ plauderte Dennis munter weiter, „aber was hältst du davon, wenn wir in die Mühle gehen, das ist ein neues Restaurant, sehr hübsch ist es, und es wird dir bestimmt gefallen.“
Rebekka schaute Dennis gequält an. Was hatte sie da angefangen beziehungsweise aufgeweckt? Was sollte sie sagen, ohne den guten Metzgermeister zu verletzen? Und dann noch mit einem Daniel neben sich, der bestimmt interessiert zuhörte...
„Heute nicht, Dennis“, brachte sie schließlich mühsam heraus. „Ich fühle mich immer noch nicht so... Und ich denke, ich werde gleich wieder ins Bett gehen.“ Sie merkte, dass Daniel sie von der Seite her anschaute. Himmel, sollte er doch denken, was er wollte!
„Aber ein andermal bestimmt!“ sagte sie, und tatsächlich ließ Dennis sich damit abspeisen und trat den Rückzug an. Und es war noch nicht einmal eine Lüge, sie fühlte sich tatsächlich immer noch nicht gut.
„Ein andermal bestimmt?“ hörte sie Daniels spöttische Stimme. „Bist du sicher, dass du das ertragen kannst?“
„Ich weiß nicht“, sagte Rebekka mürrisch, sie fühlte sich einfach zu schwach, um mit ihm herumzustreiten. Und wieso erkannte er immer ihren wunden Punkt, das war ja schon unheimlich. Und wieso konnte ER sie nicht mal einladen in ein romantisches Restaurant? Oh nein, dachte sie entsetzt, jetzt weicht mein Gehirn schon auf. Himmel noch mal, ein romantisches Restaurant! Bis jetzt hatte sie sich überhaupt nicht um Romantik gekümmert, hatte immer über die Frauen gelacht, die im Kerzenschein mit ihrem Liebsten dinieren und sentimentales Zeugs mit ihm reden wollten, sie hatte nie das Verlangen zu so etwas gehabt. Das war einfach unrealistisch – und vor allem unerreichbar bei ihrer gefühlsmäßigen Veranlagung. Und jetzt das? Was war nur los mit ihr? Konnte es die unendliche Stille in den Nächten sein? Oder vielleicht die Landluft? Vielleicht war es der stinkende Kunstdünger, den man jetzt manchmal hier riechen konnte. Er stammte natürlich nicht von den Feldern, die Max bewirtschaftete, sondern von den Feldern der Kleinbauern des Dorfes.
Oh, da waren Morgaine und Claudia, sie hatten sich gerade an einen Tisch gesetzt...
„Dann geh’ ich jetzt mal zu Morgaine“, murmelte sie vor sich hin und erhob sich von ihrem Stuhl.
Ihr Töchterchen Morgaine schaute sie grinsend an. Rebekka lachte verlegen zurück. Morgaine hatte sie heute früh bestimmt gesehen, als sie in ihrem Elend und dazu noch voll angezogen auf dem Bett lag. Wie peinlich das war! Rebekka nahm sich vor, nie wieder übermäßig zu trinken, denn es war absolut Scheiße und führte zu nichts außer zu heftigen Kopfschmerzen, allgemeiner Übelkeit und schwerem Bedauern, dass man und überhaupt und so...
„Das macht Mammi so schnell nicht wieder“, sagte sie zu Morgaine, und Morgaine quietschte vor Lachen. Claudia Mansell allerdings schaute wirklich besorgt drein. Klar, sie konnte Zirza nicht ausstehen, das hatte Rebekka mittlerweile gemerkt. Und das irritierte sie mehr als Daniels Abneigung gegen Zirza. Claudia war so lieb, sie hatte einen scharfen Verstand, und sie war unbedingt vertrauenswürdig, auch wenn sie Jahre in einer psychiatrischen Klinik verbracht hatte.
„Ich pass’ schon auf, Claudia“, sagte sie schließlich und legte ihre Hand auf Claudias Hand. Claudia schaute sie erstaunt an, und dann schlich sich etwas Wundervolles in ihre Augen und sie drückte Rebekkas Hand zart. Wieso berühren mich heute alle so zart, dachte Rebekka verwundert. Erst Daniel und jetzt Claudia...
Daniel saß noch eine Weile am Tisch, während er immer noch auf seinen Teller mit den Rühreier und dem Curry-Ketchup starrte, dann verließ er den Raum und ging nach oben.
Rebekka sah ihm nach. Und Morgaine sah ihm auch nach.
„Ist er traurig?“ fragte sie.
„Ich weiß es nicht“, sagte Rebekka.

Wenig später hörte sie Gitarrengeklimper aus seinem Zimmer. Es lag am anderen Ende des Ganges, also beruhigend weit weg von ihrem.
Daniel übte viel auf seiner Gitarre, egal ob in seinem Zimmer oder draußen im Garten. Rebekka sagte seine Musik nicht viel. Manchmal kamen ihr einige Sachen vage bekannt vor, dann aber wurde die Melodie von Daniel verfälscht, glitt in etwas anderes hinüber, glitt in etwas Schräges, etwas Disharmonisches hinüber, und Rebekka musste den Kopf schütteln. Er spielte das, was er wohl spielen wollte, mühelos und leicht. Nur konnte sie nicht viel damit anfangen. Warum musste er diese versetzten seltsamen Stücke spielen, die sich so anhörten, als wären sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen?
Trotzdem hörte sie ihm gerne zu, wenn auch nur von weitem. Sie bewunderte Leute, die ein Instrument spielen konnten. Sie selber war in dieser Hinsicht total unbegabt. Ich bin der absolute Durchschnitt, dachte sie, ich habe keinerlei künstlerische Fähigkeiten.
 
PS: Jahre später sollte Rebekka Aufsehen erregen, als sie ihren ersten Roman veröffentlichte. Nicht viel später waren auch ihre Kurzgeschichten in der Top-Ten der Belletristik-Liste zu finden.
 
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KAPITEL V - Teil 4 MAX – TANTEN, REBEKKA – ANDROMEDA
„... nicht mit rechten Dingen zu, aber falls wirklich ...“
Mehr hörte Max nicht, als er an der Küche vorbeiging, wo sich Tante Bernadette und Tante Mansell gerade leise unterhielten und sofort verstummten, als sie jemanden an der Tür vorbeigehen sahen. Eigentlich wollte Max ein wenig im Pool schwimmen und sich dadurch abkühlen, denn das Zusammensein mit Andy war so erregend, dass sein Körper permanent in Flammen stand. Sie durfte nicht spüren, wie sehr es ihn nach ihr verlangte. Er musste immer der ältere, der vernünftigere von ihnen sein, und seine Beherrschtheit brachte sie ziemlich in Rage.
Vor der Tür zum Poolraum blieb Max stehen und dachte über die vielleicht vollkommen unverdächtigen Worte nach, möglicherweise waren sie nur aus dem Zusammenhang gerissen. Aber wenn nicht, dann war es ein wichtiger Hinweis. Beide, Tante Bernadette sowie auch Claudia Mansell waren schon seit Jahren im Haus. Claudia noch länger als Tante Bernadette, obwohl sie sich ziemlich oft wegen ihres labilen geistigen Zustandes in gewissen Kliniken behandeln ließ. Claudia Mansell als Kassiopeias liebevolle Schwägerin war bei dieser unglücksvollen Geburt dabei gewesen, als Kassiopeia unter den Händen des Arztes verblutete. Und niemand, außer vielleicht Archie trauerte mehr über Kassiopeias Tod als Claudia. Und vielleicht hatte sie an ihr eigenes Kind gedacht – das tot geboren wurde – als sie sich daraufhin hingebungsvoll um die kleine Andromeda kümmerte.
Max ging in den Poolraum, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche, während er weitergrübelte.
Und Tante Bernadette hatte auch zwei geliebte Menschen verloren, und zwar ihre eigene Tochter und deren Kind, und man hatte sie tatsächlich verdächtigte, den Tod von Tochter und Enkelkind durch Fahrlässigkeit verschuldet zu haben. Bernadette war natürlich im Laufe der Jahre ein bisschen kurzsichtig geworden, aber trotzdem konnte sie immer noch einen Wiesenchampignon von einem Knollenblätterpilz unterscheiden. Und dennoch waren wohl mehrere hochgiftige Pilze in das Pilzgericht gelangt, das sie selber ihrer Tochter gebracht hatte, als diese ihr eigenes Kind und die kleine Andromeda gestillt hatte. Andromeda überlebte, aber die anderen starben. Tante Bernadette erlitt einen Nervenzusammenbruch, der sie drei Monate ans Bett fesselte. Die Anklage wegen fahrlässiger Tötung wurde schließlich fallengelassen, es gab keine Beweise gegen sie. Aber allein der Verdacht, der auf ihr gelegen hatte, veränderte die Tante, ihr Wesen wurde düster, und ihr Leben war trostlos seit dem Tod ihrer Tochter und ihrer Enkelin, zumal sie sich selber die Schuld daran gab, ohne zu wissen, was überhaupt passiert war.
Während er schwamm, dachte Max weiter nach. Die Abneigung der Tanten gegen Zirza war kaum zu übersehen. Vielleicht nahm Tante Mansell es ihr übel, dass sie so schnell die Nachfolgerin von Kassiopeia geworden war. Das konnte man verstehen. Aber was konnte Tante Bernadette Zirza übel nehmen? Max fiel dazu absolut nichts ein, außerdem wurden seine Gedanken immer wieder durch Andromeda abgelenkt, beziehungsweise umgelenkt, und er konnte sich zeitweilig nicht mehr auf die... ach ja, die Tanten konzentrieren. Sie war so süß, ihre Küsse, ihre Berührungen, sie war eben Andy, sein Mädchen. Und sie musste geschützt werden. Das hatte Vorrang vor allen anderen Dingen.
Und wenn dieses verdammte Weib irgend etwas damit zu tun hatte, dann würde er sie zur Strecke bringen, auch wenn er selber dabei draufging. Das war er Andy schuldig. Wieder schweiften seine Gedanken zu ihr hin. Beim Schwimmen konnte man das Träumen auch gar nicht verhindern...
Also, die Tanten – Max’ Gedanken rissen sich von Andromedas süßer Gestalt los und auch davon, dass ihre Brüste so perfekt in seine Hände passten – welche sollte er sich zuerst vorknöpfen? Nein, Max, nicht die Brüste, verdammt noch mal, sondern die Tanten! Wie konnte dieses Kind ihn nur so durcheinander bringen? Das hatte bisher noch keine andere Frau geschafft. Bis vor kurzem war er der beherrschte und der beherrschende Typ gewesen, der immer alles unter Kontrolle hatte, vor allem seine Gefühle. Es war natürlich nicht schwer, Gefühle unter Kontrolle zu haben, die gar nicht oder nur schwach vorhanden waren. Im Gegensatz zu jetzt. Ach, Andy...
Also die Tanten... Andererseits, wenn er sie sich alleine vorknöpfte, könnte dann die erste die andere vorwarnen. Vielleicht wäre es besser, sie beide zusammen auszuquetschen.
Eine halbe Stunde energischen Schwimmens hatte nicht gereicht, um Max’ Verlangen nach Andy wirklich abzukühlen. Wahrscheinlich würde auch eine Eisdusche das nicht schaffen.
Ein paar Minuten später öffnete Max die Tür zur Küche. Sie waren noch da, und das war gut so. Max hatte sich entschlossen, auf volles Risiko zu gehen und so zu tun, als wüsste er so einiges, um die Tanten damit sofort in die Defensive zu treiben.
„Dann erzählt mir jetzt doch mal, was damals wirklich passiert ist“, sagte er zu den Tanten, die vor ihm standen wie hypnotisierte Kaninchen. Sogar die sonst immer beherrschte Claudia schien leicht zu zittern.
Was sie ihm dann allerdings erzählten, ließ sein widerspenstiges, leicht nasses Haar noch mehr in die Höhe stehen, als es das normalerweise schon tat.
 
Rebekka geriet allmählich unter Zeitdruck. Es war mittlerweile die letzte Augustwoche, und sie hatte soviel Zeit mit Lesen und Ausflügen und Schwimmen und Sonnen und Reitenlernen und anderen Dingen verbracht, dass sie vom Kochen immer noch nicht viel Ahnung hatte. Die drei Nachmittage, die sie bei Tante Bernadette in der Küche verbracht hatte, waren ausgefüllt mit dem Erlernen von Grundkenntnissen, von denen Tante Bernadette behauptete, dass sie Rebekka in der Zukunft nützlich wären und zwar, um alles mögliche kochen zu können.
Aber Rebekka glaubte das eigentlich nicht. Gut, sie hatte der Köchin zugeschaut, als sie einen Braten zubereitete. Rebekka hatte gelernt, dass man am besten alles, egal ob Fleisch, Gemüse oder sogar Reis und Tomatenmark anbraten sollte, damit sich die lecker riechenden Röststoffe entfalten konnten, rein gekochte Sachen rochen und schmeckten dagegen nicht halb so gut. Sie hatte gelernt, Gemüse zu schneiden und eine Béchamelsoße und eine Soße Hollandaise zuzubereiten, was sehr haarig gewesen war mit dem Eigelb, das zum Schluss in die Hollandaise hinein musste. Aber diese Soßen war wichtig, hatte die Tante gesagt, denn man konnte sie zu allen möglichen anderen Soßen abwandeln, zum Beispiel zu einer Knoblauchsoße. Ferner hatte Rebekka gelernt, dass Fleisch nicht gleich Fleisch war, dass man einen Rinderbraten anders, nämlich heftiger anbraten musste als zum Beispiel ein Putengulasch. Und dass der Rinderbraten viel länger gegart werden musste als das Putengulasch, das angedünstet mit Knoblauch (schon wieder Knoblauch) und Zwiebeln nur ein paar Minuten in Sahne köcheln muss, und wenn die Sahne dann noch nicht genug reduziert worden war (reduziert, was für ein Wort, es hörte sich so professionell an) dann konnte man mit einem Hauch Tomatenmark eine etwas dickere, aber relativ geschmacksneutrale Soße hinbekommen. Eigentlich war das alles sehr einfach, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, noch nicht wirklich kochen zu können.
Und jetzt wollte Tante Bernadette ihr den Gemüsegarten des Gutes zeigen und erklären. Tante Bernadette sah verhärmt und traurig aus, sie hatte verweinte Augen und dachte anscheinend an ganz etwas anderes als an Gemüse und Gärten.
Auch Rebekka war nicht ganz bei der Sache. Der Urlaub war fast vorbei. Am Anfang hatte es so ausgesehen, als hätte sie ewig Zeit gehabt. Aber jetzt, wo nur noch ein paar Tage übrig waren, da konnte man leicht unter Zugzwang kommen. Rebekka wollte eigentlich gar nicht weg von Kampodia. Warum nicht hier bleiben? Für Morgaine wäre es fantastisch und für sie selber auch. Und ob sie jetzt in der Großstadt Miete bezahlte oder für eine Wohnung hier, das war doch wohl egal. Aber woher Arbeit bekommen? Archie fragen? Nein, das konnte sie nicht.
Ja wirklich, Rebekka träumte vom Landleben. Kampodia war wie ein Traum aus einer vergangenen Zeit. Gut, es war ein raues Leben – auf den ersten Blick idyllisch, auf den zweiten Blick vielleicht grausam, zum Beispiel wenn ein Schwein geschlachtet wurde... Aber das Schwein hatte ein relativ gutes Leben gehabt im Vergleich zu den anderen armen Viechern in den Massenställen, die hinterher durch halb Europa zu den Schlachthöfen gefahren wurden. Jeder Städter verdrängt instinktiv dieses Wissen. Der Städter kriegt schon Krämpfe, wenn er eine tote Taube sieht, denn der Tod hat in der Stadt nichts zu suchen...
Und vielleicht würde Andromeda irgendwann selber Kinder haben, und die könnten dann mit Morgaine spielen. Denn wie es aussah, hatten sie und Max endlich zueinander gefunden, obwohl Max, wie Rebekka meinte, noch nicht so richtig aus’m Quark kam. Nun denn, Andy war noch so jung...
Aber das waren wohl alles Träume. Erst einmal kam als Abschluss der Ferien der große Sommerball. Genauer gesagt war er in vier Tagen am Wochenende. Und da Rebekkas Tanzkenntnisse sich aufs Bluestanzen beschränkten, hatte sie heimlich bei Archie Unterricht genommen. Sie übten in der Bibliothek zu den Klängen eines Kassettenrecorders, und Rebekka fühlte sich nach ein paar Übungsstunden schon so tanzfest, dass sie dem Ball ohne Schrecken entgegensehen konnte. Ob Daniel mit ihr tanzen würde? Ach was, Daniel, immer wieder Daniel! Der war anscheinend ein bisschen sauer über ihren Verehrer Dennis, der sich von Daniels Unfreundlichkeit einfach nicht abschrecken ließ, sondern weiterhin abends vorbeikam und Rebekka in irgendwelche Lokalitäten einladen wollte. Sie konnte sich zwar immer mit Ausreden aus der Affäre ziehen, aber es war ein bisschen schwierig, den guten Dennis auf Distanz zu halten...
„Also, hier sind die Zwiebeln, Rebekka.“ Tante Bernadettes Stimme riss Rebekka aus ihren Träumen.
„Wo denn? Ich sehe keine....“
„Nun, sie sind unter der Erde“, Tante Bernadette seufzte auf und wischte sich kurz über die Augen, dann bückte sie sich und bewegte vorsichtig die langen wie Porree aussehenden Stängel hin und her, lockerte dadurch die Erde und zog schließlich eine wunderbar geformte Zwiebel aus dem Beet heraus.
„Tatsächlich, eine Zwiebel!“ sagte Rebekka ehrfürchtig. Bei näherem Hinsehen konnte man die Zwiebeln im Boden sehen, sie waren also nicht tief unter der Erde.
„Und bei den Karotten ist es genauso“, fuhr Tante Bernadette mit jetzt leicht zitternder Stimme fort und deutete auf ein wunderbar zartgrünes Blattgespinst, an dem sich wohl unter der Erde die Karotte befand.
„Darf ich mal eine rausziehen?“ Ohne die Antwort abzuwarten, rappelte Rebekka an dem zarten Grün herum... hatte es abgerissen, und die Karotte steckte immer noch im Boden.
„Oh oh!“
„Hier, nimm diese kleine Schüppe und lockere den Boden erst einmal auf. Sie gehen nicht so leicht heraus wie die Zwiebeln.“
Als Rebekka endlich eine Karotte aus dem Boden geprockelt hatte, ging es weiter zu den Salatbeeten. Der Kopfsalat, das war der einzige Salat, den Rebekka kannte, wuchs freundlicherweise über der Erde und musste nur noch abgeschnitten werden.
„Endiviensalat“, murmelte Tante Bernadette, „und Eichblattsalat. Und hier stehen die Gewürze.“ Sie deutete auf ein hoch gelegenes Beet, von dem man ohne sich zu bücken ernten konnte und in dem so Sachen wie Petersilie, Schnittlauch und noch viele andere Gewürze wuchsen, die Rebekka aber auch nicht kannte.
„Alles muss gut gewaschen werden... Ich muss dir unbedingt noch zeigen, wie man Salatsoßen macht.“ Wieder wischte sich Tante Bernadette über die Augen. „Aber heute nicht mehr. Rebekka, würdest du mich entschuldigen, ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen.“
„Natürlich“, sagte Rebekka mitfühlend. „Geht es dir nicht gut?“
„Es ist nichts.“ Tante Bernadette machte eine abwehrende Handbewegung. „Es ist gar nichts.“ Und sie ging mit langsamen müden Schritten zurück zum Herrenhaus.
Rebekka sah ihr verwundert nach, wurde aber dann abgelenkt von den Johannisbeersträuchern mit ihren prallen roten Fruchtbüscheln. Rebekka probierte ein paar Beeren, aber sie waren ziemlich sauer. Man musste sie in Zucker einlegen. Oh ja, Rebekka hatte schon viel gelernt. Ihr Blick wanderte zu den Erdbeeren. Die Erdbeerzeit war leider schon lange vorbei, aber es wuchsen immer noch ein paar dicke Nachzügler an den Erdbeerpflanzen. Rebekka probiert auch davon eine, und die war... einfach fantastisch! Nicht zu vergleichen mit denen, die man im Laden kaufen konnte. Rebekka suchte die Reihen der Pflanzen peinlich genau nach weiteren Nachzüglern ab und wurde noch weitere Male fündig.
„Hey Rebekka. Hast du Max vielleicht gesehen?“ Andy war gerade neben ihr aufgetaucht.
„Hhmmm“, Rebekka hatte sich gerade ein besonders großes Erdbeerexemplar in den Mund gesteckt. „Isch glaube, er ischt mit Daniel in die Kneipe gegangen.“
„Was?! Warum zum Geier gehen die in diese blöde Kneipe? Warum können die ihr Bier nicht hier trinken?“ Andromeda schien ein wenig sauer zu sein.
„Habt ihr Stress oder was?“ fragte Rebekka neugierig.
„Nein...“ Das Nein klang irgendwie zweifelnd, als ob Andromeda selber nicht wüsste, ob sie nun Stress mit Max hatte oder nicht.
„Was ist denn los?“
„Ach ich weiß nicht“, Andy köpfte mit einem Holzstock, den sie mitgebracht hatte, zornig eine der knackigen Dahlien, die die Reihen der Gemüsebeete auflockerten.
„Lass die unschuldigen Blumen in Ruhe. Die können doch nichts dafür“, sagte Rebekka. Es war ein schöner Garten, ein Nutzgarten zwar, der aber mit vielen bunten Blumen aufgelockert war.
„Ich glaube, er liebt mich nicht“, sagte Andromeda mit leiser leidender Stimme. „Zumindest nicht so, wie ich ihn liebe.“
„So ein Quatsch“, meinte Rebekka entrüstet. „Natürlich liebt er dich! Dieser Blick, wenn er dich anschaut, den habe ich schon früher bei ihm gesehen, und ich habe früher schon gedacht, der empfindet was für die Kleine...“
„Die Kleine!“ Andromedas Stimme klang jetzt bitter. „Genau das bin ich für ihn. Ein Kind!“
„Er guckt dich nicht an wie ein Kind, Andy.“
„Aber er behandelt mich wie ein Kind. Warum schläft er nicht mit mir? Weil ich ihn nicht geil genug mache! Immer macht er einen Rückzieher, wenn...“ Andromeda köpfte wütend eine weitere Dahlie.
„Ist es nicht ein bisschen früh dafür?“
„Nein, ich finde, es ist genau der richtig Zeitpunkt dafür, aber er will mich ja nicht. Er will wahrscheinlich jede andere beknackte Schlampe mehr als mich!“
„Quatsch, er liebt dich, das ist nicht zu übersehen.“
„Ach ja? Tut er das? Er hat es mir nämlich noch nie gesagt. Also, woran bin ich mit ihm?“
„Es gibt Menschen, die sagen eben nicht gerne diese Worte“, meinte Rebekka nachdenklich. „Ich selber habe... diese Worte auch noch nicht gesagt.“
„Ist nicht wahr!“ Andromeda war für einen Moment abgelenkt. „Und warum nicht?“
„Also“, Rebekka räusperte sich, bevor sie weiter sprach. „Ich habe es einfach nie so empfunden, als ob ich....“
„Echt nicht?“
„Nein, habe ich nicht. Ich konnte es nicht!“ Rebekkas Stimme klang nun spröde und unsicher, „weil es nicht wahr gewesen wäre.“
„Ach du lieber Himmel“, sagte Andromeda hilflos.
„Ja, ist schon seltsam“, murmelte Rebekka.
„Bei Max bin ich mir sicher. Er ist es! Und wenn er etwas Schlimmes tun würde, dann würde ich ihn trotzdem lieben, aber Max würde nie etwas Schlimmes tun...“, sprudelte es aus Andromeda heraus.
„Weißt du, dass ich dich beneide?“ sagte Rebekka.
„Quatsch, es ist nie zu spät für die Liebe“, sagte Andromeda für ihr Alter sehr weise. „Also, was ist? Sollen wir mal in die Kneipe gehen und die Jungs besuchen?“
„Okay. Ich hol’ schnell Morgaine, sie ist bei Claudia, die beiden lieben sich ja heiß und innig.“
Als sie sich kurz darauf mit Morgaine auf den Weg machten, lief ihnen Alfonso ein Stückchen hinterher. Der kleine Kater wollte wohl unbedingt mit in die Kneipe kommen. Als sie die Strulle erreicht hatten, scheuchte Andromeda ihn zurück, denn die Hauptstraße war zu gefährlich für einen kleinen Kater.
Alfonso war kein Blödmann. Er verstand, blieb leise maulend sitzen und schaute ihnen beleidigt nach.
„Kommt Fonso nicht mit?“ Morgaine, die an der Hand von Andy ging, blickte immer wieder bedauernd zurück auf ihren kleinen bepelzten vierbeinigen Freund.
„Nein, Fonso darf nicht mit“, erklärte Andy ihr. „Es ist zu gefährlich auf der Straße. Er könnte überfahren werden.“
Morgaine schaute auf einmal so, als ob sie etwas Schlimmes gesehen hätte, sie schüttelte den Kopf, als wollte sie ein bestimmtes Bild vertreiben, sie fing an, mit ihren kleinen Armen zu gestikulieren und sagte mit lauter Stimme: „Geh’ weg, Fonso! Geh’ nach Hause!“
Fonso schaute sie skeptisch an, dann drehte er sich um und trabte langsam zurück zum Gut. Aber wahrscheinlich hatte er nur Angst vor der Hauptstraße.
 
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KAPITEL V - Teil 5 DORFKNEIPE
Die Dorfkneipe war fast leer, denn alle im Dorf bereiten sich schon auf das Abendessen vor. Danach würde Mann eventuell ein wenig zum Kartenspielen hier erscheinen oder auch nicht, je nachdem wie die Frau drauf war...
Majestätisch und kein bisschen mit Komplexen belastet stand die Wirtin Maryann hinter der Theke.
Maid Maryann, das war ihr Spitzname – fast jeder im Dorf hatte einen Spitznamen – war genau das Gegenteil von dem, was man sich unter der zarten Geliebten von Robin Hood so vorstellte. Sie war recht üppig. Was soviel hieß, sie hatte eine Figur wie ein Fass. Sie trug eine schlecht gemachte Dauerwelle (eine wahrhaftig krause Krause) und hatte obendrein noch eine ausgesucht hässliche Brille auf der Nase, die ihr Spitzmausgesicht noch spitzmausiger machte und ihre Augen stark vergrößerte. Was nicht sehr vorteilhaft war, denn ihre Augen sahen aus wie die eines Raubvogels... Aber mal abgesehen von ihrem Äußeren war sie eine sehr nette Person.
„Pass auf dich auf“, hatte Max seinen Freund Daniel gewarnt, bevor sie hineingegangen waren. „Die gute Maryann ist nämlich scharf auf alles, was Hosen anhat. Ansonsten ist sie okay.“
„Ich werde schon aufpassen“, hatte Daniel gegrinst. „Aber was willst du überhaupt hier? Ich denke mal, Maryann den Hof machen ist es wohl nicht...“
„Ich brauche eine Auskunft von ihr.“ Mehr wollte Max nicht verraten.
Sie setzten sich an die Theke, und Maid Maryann war schwer angetan von den beiden blendend aussehenden Jungs, vor allem von dem blonden, der bis jetzt noch nie in ihrer Kneipe gewesen war. Der sah wirklich sagenhaft gut aus. Nicht dass Max nicht auch gut aussah, aber Max war ein harter Brocken, der sich nicht so ohne weiteres mit Maryann einlassen würde. Sie hatte es schon mehrmals versucht, leider ohne Erfolg...
„Du bist neu hier“, meinte die Maid begeistert und legte demonstrativ ihren üppigen Oberkörper (ihre Taille und ihre Hüften hatten übrigens den gleichen Umfang wie ihr Busen) über den Tresen und rückte Daniel somit ein gutes Stück näher.
Plötzlich wurde es Daniel ein wenig seltsam zumute. Nein, nicht weil die Maid ihm näher gerückt war, obwohl es ihm ein wenig Angst einflößte, nein, er sah sich auf einmal selber an der Theke sitzen, und zwar halb von hinten, und er sah sich zusätzlich noch im Spiegel hinter dem Schanktisch. Es machte ihn ein wenig schwindelig, denn es war wie eine Doppelbelichtung auf einem Foto. Dann begriff er es. Morgaine musste in der Nähe sein, aber wo konnte sie stecken? Und wenn Morgaine hier war, dann konnte auch Rebekka nicht weit sein.
Unauffällig blickte er sich in der Kneipe um. Außer ihm und Max waren nur noch zwei Männer da, die an einem Tisch saßen. Aber die Maid war gerade durch die Tür hinter dem Tresen hinausgegangen und hatte irgendwelchen Leuten Limonade gebracht. Es gab also noch einen anderen Raum, den man betreten konnte, ohne durch die Wirtsstube zu gehen. Dann fiel Daniel die Falttür auf, die sich links neben ihnen befand. Sie führte wohl in diesen Raum, war aber jetzt geschlossen bis auf einen kleinen Spalt.
„Ich glaube, wir werden beobachtet“, sagte er leise zu Max.
„Was? Wie?“ Max blickte erstaunt auf. Er schien über irgendetwas nachzugrübeln. Er war ja immer recht schweigsam, aber in den letzten beiden Tagen hatte er kaum ein Wort herausgebracht. Irgendetwas musste ihn schwer beschäftigen.
„Ich glaube, die Mädels sind im Nebenraum“, sagte Daniel leise. Möglicherweise war es ja Rebekka, die ihn beobachtete, und die Fee spionierte in Rebekkas Kopf herum und sandte ihm die Bilder, die sie dort fand. Das war aber auch eine verzwackte Sache.
Oh, jetzt wurde es etwas einfacher, er sah nur noch Rebekka, wie sie sich an die Falttür drückte, um durch die Ritze zu spähen und dort vielleicht ein wenig zu lauschen. Und dann sah er Andromeda, die sich eng an Rebekka drängte...
„Ich glaube, die veräppeln wir mal ein bisschen“, sagte Daniel grinsend und dachte sich in aller Ruhe etwas Nettes aus.
Max stimmte ihm zu, ohne groß was zu verstehen, denn er war immer noch in Gedanken versunken.
Im Gesellschaftsraum nebenan spähte Rebekka immer noch durch die Ritze der Falttür, die diesen Raum von der Wirtsstube abtrennte. Und sie konnte Daniel und Max ausgezeichnet sehen. Nicht direkt natürlich, aber sie sah sie halb von hinten, zusätzlich spiegelten sie sich großartig im Barspiegel hinter der Theke. Und Rebekka konnte tatsächlich auch einiges von ihrem Gespräch hören, denn sie saßen gerade mal zwei Meter von der Falttür entfernt auf ihren Barhockern.
„Was reden sie?“ fragte Andromeda neugierig. Für sie selber war kein Platz mehr an der Falttür, und deswegen hielt Andromeda sich dicht neben Rebekka auf. Leider konnte sie überhaupt nichts von dem sehen und hören, was im Nebenraum vor sich ging, sondern war auf Rebekkas Augen und Ohren angewiesen.
„Über einen Lotus Eleven. Wer ist das? Kennst du den?“
„Das ist kein Typ, sondern irgendein Rennwagen.“ Andromeda hatte natürlich durch Max sehr viel Ahnung von älteren englischen Renn- und Sportwagen.
„Das soll ein geiles Gerät sein.“
„Hhmmm. Das ist er...“
„Jetzt sagt Daniel irgendwas über einen Morgan Jap“, übermittelte Rebekka leise. „Ist das auch ein Rennwagen?“
„So ähnlich! Aber ein kleiner mit nur drei Rädern...“
„Jetzt erwähnt er einen Austin-Healey“, flüsterte Rebekka.
„Auto!“ sagte Andromeda lakonisch.
„Seven of Nine?“
„Das Auto kenne ich nicht“, meinte Andromeda nach einer Weile nachdenklich, und sie zerbrach sich sichtlich ihr Köpfchen darüber, um was es sich wohl handeln könnte. Vielleicht waren nur neun Stück von diesem Auto hergestellt worden und das war eben das siebte Exemplar.... Ja, das könnte es sein.
„Max sagt, dass diese stählernen Formen ja so was von geil wären, und Daniel macht so eine Geste, als ob dieses Auto eine Frau wäre...“
„Verdammt! Jetzt weiß ich’s! Die reden doch tatsächlich über Seven of Nine, diese Borg vom Raumschiff Voyager. Die Schweine! Was sagen sie noch über die?“ Andy machte eine zornige Handbewegung und versuchte sich doch noch neben Rebekka zu quetschen, aber das klappte nicht, weil Rebekka das gemeinerweise verhinderte.
„Daniel sagt, dass Seven of Nine so wunderbar abweisend und unnahbar aussieht und dass ihr sogar diese strenge Frisur steht und diese üppigen Lippen, die er normalerweise nicht so mag, stehen ihr wirklich gut zu Gesichte“, flüsterte Rebekka, die allmählich auch etwas sauer wurde.
„Und Max? Was sagt Max?“
„Er sagt, Seven hätte eine Figur wie eine Barbiepuppe aus Stahl und dass ihn das ziemlich anmacht, dass sie so streng ist.“
„Das glaube ich nicht!“, sagte Andromeda empört.
„Und jetzt sagt er, dass Seven of Nine niemals jemanden heimlich belauschen würde wie gewisse böse Mädchen hier...“ Rebekka verstummte entgeistert, als sie es kapierte. „Ach du lieber Himmel, sie wissen es. Die Schweine!“
Zwei Anstandsminuten später öffnete Max die Schiebetür und lächelte die drei Mädels an, die sittsam an einem Tisch saßen und aussahen, als könnten sie kein Wässerchen trüben.
Max holte sein Bier von der Theke und setzte sich zu Andromeda auf die Bank.
Morgaine lief durch die mittlerweile geöffnete Schiebetür in die Wirtsstube, nahm Daniel bei der Hand und führte ihn in den Gesellschaftsraum, wo die anderen saßen. Daniel setzte sich neben Rebekka und nahm Morgaine auf seinen Schoß.
Sie grinste ihn an. Und Daniel grinste sie an – und zum ersten Mal kam es Rebekka so vor, als ob die beiden sich ähnlich sähen. Reine Einbildung natürlich...
„Fee, du bist ’ne alte Petze!“ sagte Daniel zu Morgaine, woraufhin Morgaine noch mehr grinste, von seinem Schoß wollte und im Gesellschaftsraum alles untersuchte, vor allem diesen Erdnüsse ausspuckenden Automaten auf der Fensterbank.
„Ich brauche Geld!“ Morgaine hatte schnell das Prinzip des Kastens durchschaut. Man ließ sich von Leuten Geld geben, steckte es in den Kasten, und vielleicht kam dann irgendetwas heraus. Vollkommen egal was, Hauptsache heraus damit.
Daniel gab ihr aufseufzend ein paar Geldstücke, und die Fee Morgaine rappelte heftig an dem Ding herum und fluchte doch tatsächlich „Mist, verdammter!“ vor sich hin, als es nicht auf Anhieb klappte mit dem Rauskommen...
Daniel grinste wieder, und Rebekka schaute ein wenig missbilligend drein, musste dann aber auch lachen.
„Wie hast du es eigentlich gemerkt, das mit den Mädels?“ fragte Max ihn neugierig.
„Ach weißt du, die Fee hat so einiges drauf, damit könnten wir im Fernsehen auftreten.“ Daniel wollte es Max nicht genau erklären, denn sonst wäre der Gute wahrscheinlich in Panik verfallen. Jemand der in seinem Kopf lesen konnte! Daniel wusste mittlerweile ein wenig mehr über Max, Morgaine hatte ihm nämlich ein paar Bilder gezeigt, die Max dachte und die seltsamerweise immer ein widerliches scheußliches Wesen darstellten – aber aus diesen Bildern konnte sich Daniel nichts zusammenreimen, es blieb alles im Dunkeln, und es war absolut unverständlich. Er hatte nur gefühlt, dass Max über irgendetwas sehr unglücklich war.
„Ich muss noch mal mit Maryann reden.“ Max stand auf, ging wieder zur Theke und redete so leise mit der Maid, dass sogar die neugierige Andromeda mit ihren guten Ohren absolut nicht hören konnte, was er sagte. Die Wirtin verließ kurz darauf die Wirtsstube, kam aber nach ein paar Minuten wieder zurück und gab Max einen Zettel, den er in seine Hosentasche steckte. Daraufhin schien er sich freundlich bei der Maid zu bedanken, wobei die Maid aussah, als wollte sie ihn auf der Stelle vernaschen. Andromeda schaute finsteren Blickes zu.
Schließlich kam er wieder in den Gesellschaftsraum zurück, schloss die Schiebetür, setzte sich neben Andromeda und legte einen Arm um ihre Schultern.
Sofort verflüchtigte sich der Ärger in Andromedas Gesicht, und sie schaute ihn an, sie schaute ihn so liebevoll an, dass Rebekka sofort neidisch wurde. Wann hatte jemand sie so liebevoll angeschaut? War schon länger her, und so richtig glücklich war sie dabei eigentlich nicht gewesen. War sie jemals richtig glücklich gewesen? Natürlich wusste Rebekka, dass Glück kein permanenter Zustand ist, sondern eher selten auftritt, aber bei ihr war dieser wirkliche seltene Zustand noch nie aufgetreten, zumindest nicht mit einem Mann. Hmmm, außer vielleicht in einer bestimmten Nacht, aber das zählte nicht.
Oh Gott, sie beneidete dieses Paar, das ihr gegenüber saß. Wann hatte sie jemals so etwas Normales erlebt, aber bei ihr war ja nie etwas normal gewesen. Nicht das mit Michael, erst recht nicht das mit Benny, dem Vater von Morgaine – und das mit Daniel, falsch und unrecht war es gewesen, nicht nur von ihm sondern auch von ihr! Oh Gott! Tränen stiegen ihr in die Augen. Auch als sie heiraten wollte, war nichts normal gewesen. Keine Verliebtheit, keine Ekstase, nur lauwarme Gefühle. Sie musste nur das Paar gegenüber anschauen, und schon konnte sie erkennen, dass nichts in ihrem Leben normal war oder jemals normal gewesen war. Und diese bedingungslose Liebe in Andys Augen... Es traf Rebekka wie ein Schlag.
Andy ergriff mit ihren Händen Max’ Hand, die auf ihrer Schulter lag und legte sie an ihre Lippen. Max lächelte hilflos zärtlich und versuchte seine Hand zurückzuziehen, aber Andy ließ es nicht zu. Dann fing sie an, seine Fingerspitzen zu küssen, und Max wurde doch tatsächlich ein wenig rot. Ein Mann von über dreißig wurde ein wenig rot. Unglaublich!
Rebekka sah den beiden fasziniert zu. Sie hätte wirklich heulen können. Sie spürte Daniels Körper neben sich und hatte auf einmal das Bedürfnis, seine Hand zu küssen. Das war unzweifelhaft auch nicht ganz normal.
„Also, am Wochenende ist der Ball“, sagte sie schließlich, um ihre Verlegenheit zu verbergen, und um vor allem dieses verliebte Paar nicht mehr ansehen zu müssen und diesen Verlust zu empfinden. Was ist eigentlich mit mir los, dachte sie aufgelöst.
„Ach ja, der Ball“, erinnerte sich Daniel.
„Zirza will unbedingt zum Ball wieder da sein“, plauderte Rebekka weiter. Sie hatte sich an Zirza gewöhnt, die immer unglaublich nett zu ihr war und sie in Mode- und Frisursachen beriet, etwas wozu Rebekka bis jetzt weder die Zeit noch das Geld gehabt hatte – und wohl auch weiterhin nicht haben würde.
„“Na toll“, meinte Daniel ein wenig spöttisch, denn er konnte Zirza nicht ausstehen.
„Ich freue mich jedenfalls auf den Ball“, meinte Rebekka trotzig. Sie hatte sich nämlich ein Kleid für den Ball gekauft. In Brunswick in einem Billigladen. Es war ein irgendwie chinesisches Kleid aus weißer glänzender Baumwolle mit zarten schwarzen Ornamenten, vorne hochgeschlossen, aber hinten mit einem tiefen Ausschnitt – und an der rechten Seite war es hoch geschlitzt, so dass man ihr Bein bis fast zur Taille sehen würde. Da war allerdings noch die Slipfrage, der Slip durfte eigentlich nur aus ein paar Bändern bestehen. Rebekka hatte vage im Sinn, dass sie Daniel mit diesem Kleid beeindrucken wollte. Er war recht kühl gewesen in letzter Zeit, und sie fühlte sich ein wenig übersehen. Andererseits war sie eben nicht so schön und interessant, um einen Mann auf Dauer beeindrucken zu können. Vielleicht war er ja mittlerweile anderweitig interessiert, es gab ja genug Frauen, die hinter ihm her waren. Seltsamerweise tat es weh, dass er offenkundig nicht mehr an ihr interessiert war. Es tat ganz besonders weh, wenn sie sich das Paar gegenüber anschaute, dieses Paar, das kaum die Hände voneinander lassen konnte, dieses Paar, dass trotz des Altersunterschiedes so großartig zusammenpasste. Vielleicht, weil es sich liebte? Oder weil es sich lieb hatte? Gab es da einen Unterschied zwischen lieben und lieb haben? Hatte sie jemals jemanden lieb gehabt? Außer Morgaine natürlich.
„Was meinst du, Max, wie läuft dieser Ball denn so ab?“ Daniel fragte Max, weil der als Eingeborener von Kampodia wohl am besten über diesen Ball Bescheid wissen musste.
„Der Ball? Er ist ganz nett. Nichts weltbewegendes natürlich“, sagte Max geistesabwesend. „Er verkörpert das Ende der Saison, die Gäste reisen ab. Der Sommer ist vorbei...“
„Wir werden auch bald abreisen“, erinnerte sich Rebekka und wandte sich an Daniel: „Das Billardqueue für Archie ist angekommen und diese dämliche Kristallschale für Zirza auch.“ Das waren Geschenke für ihre Gastgeber. Sie hatte sich mit Daniel zusammengetan, um diese Geschenke zu besorgen und um sie zu bezahlen. Daniel wollte ja auch mit ihr nach Hause fahren, weil Georg und seine äääh... Schnorrergurke schon lange weg waren und Daniel kein Auto dabei hatte. Es war ein wunderschönes Queue für Archie, und Rebekka hätte es gerne selber behalten. Aber diese Kristallschale, die Daniel für Zirza ausgesucht hatte, die war nicht so ihr Geschmack, aber Daniel hatte gemeint, dass sie Zirza bestimmt gefallen würde. Die Tanten bekamen weiche Kaschmirschals für den Winter in Kampodia, der wie Rebekka gehört hatte, schneereich und frostig war.
„Man braucht nur ein dunkles Jackett. Es gibt keinen Kostümzwang“, berichtete Max weiter, und Andromeda lächelte ihn an und liebkoste weiterhin seine Hand. Andy wusste, dass Max sich in Abendgarderobe nicht besonders wohl fühlte, obwohl er darin eine lässige Eleganz besaß, die möglicherweise von seinem italienisch-stämmigen Vater herstammen mochte.
„Warum kann ich nicht einfach hier bleiben?“ Rebekkas Stimme klang leise und ein wenig verzweifelt. Es stimmte, sie wollte hier bleiben, sie fühlte sich so wohl hier, aber es ging nicht, sie musste in die Stadt zurück, sie musste arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sie musste, sie musste... Es war schrecklich, immer nur zu müssen.
Daniel schaute sie verwundert an und sagte nichts darauf.
„Weiß jemand, was es zu essen gibt?“ Rebekka hatte sich beruhigt und fragte sich insgeheim, was da über sie gekommen war.
„Tante Bernadette sagte irgendwas von Grillen“, ließ Max sich hören.
Das gefiel Rebekka. Es würde viele Salate geben, leckeres Brot, leckere Soßen, Kräuterbutter und Knoblauch – verschiedene kleine Appetitanreger, unter anderem eingelegte Knoblauchzehen und Champignons, Pfefferschoten gefüllt mit Frischkäse, eingelegte Tomaten, würzigen Quark, rohes Gemüse und noch viele Sachen mehr. Fleisch? Ja, Fleisch würde es auch geben, gegrillt auf dem Riesenflammenrost in einer Ecke des Parks, aber nach dem Genuss der anderen guten Sachen hatte Rebekka erfahrungsgemäß überhaupt keinen Hunger mehr auf Fleisch.
„Du hängst in den letzten Tagen ziemlich viel mit den Tanten rum“, sagte Andy vorwurfsvoll zu Max, während sie wieder seine Hand an ihren Mund drückte.
„Meinst du?“ Max küsste sie zärtlich auf die Wange.
Und wieder überkam Rebekka der pure Neid und ein unglaubliches Gefühl des Mangels. Des Mangels an Liebe, an Liebhaben, an Zärtlichkeit, an Vertrauen, an Nähe. Vielleicht auch des Mangels an Sex. Sie hätte heulen können, egal worüber.
Als sie eine Stunde später die Kneipe verließen, hielt Max Andys Hand, er schien das Licht der Öffentlichkeit nicht mehr zu scheuen. Zumindest nicht in Bezug auf seine Beziehung zu Andy.
Daniel und Rebekka schlenderten hinter dem Paar her, sie hatten Morgaine in die Mitte genommen, und die Fee vergnügte sich damit, hoch in die Luft zu springen, und sie unterstützten ihre Sprünge und ließen sie immer ein paar Meter in der Luft schweben, bis Morgaine vor Vergnügen kreischte.
Dann auf einmal bekamen sie zu spüren, wie sich urplötzlich die Stimmung des Paares vor ihnen änderte.
Andy riss sich nämlich abrupt von Max los und starrte ihn an. „Du willst wegfahren!?“ sagte sie mit empörter Stimme.
„Es geht nicht anders, Andy“, Max versuchte, sie zu beschwichtigen und wollte sie in den Arm nehmen „Ich bin auch ganz bestimmt zum Ball wieder zurück.“
„Wenn du nicht pünktlich zum Ball wieder da bist, dann kannst du mich vergessen!“ Andy war zornig und trat einen Schritt zurück. „Und warum musst du ausgerechnet jetzt wegfahren?“
„Es geht wirklich nicht anders.“ Max’ Stimme klang ausweichend und zögernd, und Andy, zutiefst verunsichert – denn warum wollte er jetzt weg und vor allem, wohin wollte er jetzt weg – riss sich heftig und endgültig von ihm los und rannte alleine zum Herrenhaus zurück.
Max sah ihr mit einem hoffnungslosen verzweifelten Blick hinterher und murmelte einen Fluch in sich hinein, der sich natürlich nicht auf Andromeda bezog, sondern auf das, was er vorhatte zu tun.
Er lief ihr nicht hinterher, obwohl alles in ihm danach verlangte.
Andy ließ das Abendessen ausfallen. Der Appetit war ihr vergangen, und sie wollte Max an diesem Abend nicht mehr sehen.
Als sie am nächsten Morgen reuevoll und von Sehnsucht getrieben im Verwalterhaus Einlass begehrte, musste sie feststellen, dass er schon weg war und sein Landrover auch.
 
********************************************************
Ende KAPITEL V  Holidays in Kampodia   © Ingrid Grote 2008

Fortsetzung folgt
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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