Germaine Adelt

Zuckerkuchen

 
        Es roch nach Blut. Überall nach Blut. Die kurzzeitig bange Frage woher sie das wusste, warum sie den Geruch überhaupt so benennen konnte, beantwortete sich von allein. Die Sonntagsbraten. Ob nun Gans, Wild oder Kaninchen. Es galt immer erst die blutigen Kadaver auszunehmen und anschließend zu säubern. Sie hatte diese Arbeit gehasst und sich mit ihrer Volljährigkeit geschworen, nie wieder ein totes Tier zu berühren.
        Es roch nach kaltem, abgestandenem Blut. So wie früher, wenn das Tier in der Vorratskammer aufbewahrt wurde. Ungereinigt, da dies zu ihrer Aufgabe erklärt worden war um sie auf das Leben vorzubereiten. Damals wusste sie, dass sie niemals einen der Burschen aus dem Dorf heiraten wollte. Zwar waren sie hübsch anzusehen und manch einer durchaus begehrenswert. Aber wer einfach so unschuldige Tiere tötete, mit Absicht und ohne Not, mit dem mochte sie keine Kinder haben.
        Zwar war dies eine sehr ungerechte Einstellung, ging es doch um den Lebensunterhalt. Dennoch kam sie gegen das Gefühl der Rachsucht nicht an. Viel schlimmer war wohl die Tatsache, dass alle nicht bereit waren auszubrechen. Brav darauf warteten irgendwann Hof oder Land zu übernehmen. Und bis dahin die armen Kreaturen weiter töteten und funktionierten bis an ihr Lebensende.
        Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob die Gewalt, die furchtbaren Gräueltaten in den Medien nicht ihren Ursprung in dieser Lebensweise hatten. Wer von klein an gezwungen wurde Körper auszuweiden, stumpfte sicherlich im Laufe der Zeit zu sehr ab um noch ausreichend Mitgefühl haben zu können.
 
        Nun stand sie hier in der Veranda der Lennerts mit ihrem Kuchenblech voller noch warmen Zuckerkuchen in der Hand, umgeben von diesem widerlichen Geruch ohne etwas dagegen zu unternehmen und war somit auch nicht besser.
        Auf dem Hof konnte sie Karsten sehen, der mit einem großen Beil in der Scheune verschwand. Sie stöhnte leise und wollte gar nicht wissen, was er vorhatte.
        Dennoch tat er ihr ein wenig Leid. Er war nicht nur ein Metzger, sondern zudem noch von der Natur nicht gerade mit Schönheit bedacht. Groß und grobschlächtig wie Siegmund und die blasse Haut sowie die roten Haare von Annegret.
        Was ihr am meisten Leid tat, dass ausgerechnet Siegmund und Annegret kein gutes Haar an ihm ließen. Solange sie denken konnte, wurde Karsten von ihnen gedemütigt. Wenn es nicht sein Aussehen war, dann seine angebliche Schwerfälligkeit in den Bewegungen und im Denken.
        Nie hatte sie verstanden, warum er nicht mit der Volljährigkeit fort ging, so wie sie einst um seither nur noch besuchsweise zurückzukehren. Er war geblieben. Obwohl drei Jahre älter als sie, verließ er das Haus nicht, dass ihm nie sonderlich freundlich zugetan war.
 
        Sie wollte endlich das Backwerk loswerden und sah sich hilfesuchend um. Vielleicht waren alle auf dem Hof beschäftigt und sie wollte nicht weiter stören. Also ging sie zum Wohnzimmer um das Blech abstellen zu können.
        Die Tür ließ sich nur halb öffnen und stieß dann auf einen Widerstand. Sie drückte mit aller Kraft dagegen. Aber was auch immer hinter der Tür war, es war zu groß und zu schwer, um es einfach wegzuschieben.
        Was auch immer da lag war kein Tier, diese böse Ahnung überkam sie plötzlich und dann bemerkte sie, dass sie mit beiden Füßen in einer Lache stand, die eher an Himbeergelee als an Blut erinnerte. Sie spürte, wie ihr Herz immer schneller schlug und ihre innere Stimme redete auf sie ein, einfach wegzugehen und so zu tun, als wäre nichts passiert.
 
        „Ist der für mich?“ es war Karsten, der nun plötzlich hinter ihr stand. Er liebte  Zuckerkuchen, besonders dann wenn sie ihn gebacken hatte. Und so gesehen hatte sie sich eigentlich nur überreden lassen, um ihm etwas Gutes zu tun.
        „Ja hier.“ flüsterte sie und hielt ihm das Kuchenblech hin.
        „Geht nicht.“ grinste er und zeigte ihr seine blutverschmierten Hände.
        Der Gedanke, dass es das Blut von Siegmund sein könnte, rührte sie vorerst nicht besonders. Vielleicht konnte sie das alles einfach noch nicht glauben, vielleicht aber musste sie erst den eigenen Panzer durchbrechen, den sie sich zugelegt hatte. Als Kind, wenn sie das Töten der armen Kreaturen nicht mehr ertrug und den Anblick der blutigen Kadaver. Wenn sie sich fast übergeben musste, weil sie diesen Geruch nicht aushalten konnte und wenn Mutter sie dafür tadelte und alle anderen sie nur auslachten.
        „Stell es doch einfach ab.“ beharrte er ungerührt.
        „Die Tür klemmt.“, log sie.
        „Dann geh außen rum.“
        „Ach lass mal.“, wiegelte sie ab und schob das Blech entschlossen auf den Fenstersims. „Wo ist eigentlich Annegret?“
        „In der Scheune.“ murmelte er und für einen Moment war ihr, als lächele er still vor sich hin. „Warum?“
        „Ach, nicht so wichtig, Grüß sie schön von mir.“
        „Mach ich.“, murmelte er und schlurfte bedächtig zur Kellertür.
 
        An der Pumpe säuberte sie oberflächlich ihre Schuhe. Dann sah sie sich um wie ein scheues Reh, ob irgendjemand sie beobachtete. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde so tun als wäre nichts gewesen. Man würde ihr sowieso nicht glauben.
 
 
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Germaine Adelt).
Der Beitrag wurde von Germaine Adelt auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Germaine Adelt als Lieblingsautorin markieren

Buch von Germaine Adelt:

cover

Bringt mir den Dolch von Germaine Adelt



Was haben eine Hebamme, ein Englischstudent, eine Bürokauffrau, ein Übersetzer, eine Technische Zeichnerin, ein Gymnasiast, eine Reiseverkehrskauffrau, ein Müller, eine Sozialpädagogikstudentin, ein Kfz-Meister, ein Schulleiter i.R., ein Geographiestudent und ein Student der Geschichtswissenschaften gemeinsam?

Sie alle schreiben Lyrik und die schönsten Balladen sind in dieser Anthologie zusammengefasst.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Ernüchterung" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Germaine Adelt

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Gefälligkeiten von Germaine Adelt (Ernüchterung)
Heute...Tag des Mannes...pah ! von Rüdiger Nazar (Ernüchterung)
"Strg+Alt+Entf" von Johannes Schlögl (Science-Fiction)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen