Hans-Peter Zürcher

Abschied

 
6. April 2008
 
Die Eintönigkeit der Bahnfahrt wird an jeder Haltestelle, die kurz zuvor ausgerufen wird, für kurze Zeit unterbrochen. Ob wohl der Zug gut besetzt ist, herrscht Ruhe und eine eher eintönige Stimmung. Einige Passagiere haben keinen Sitzplatz und stehen draußen vor dem Abteil. Die meisten der Fahrgäste hören über ihre mp3 – Spieler Musik, sind in eine Zeitung oder in ein Buch vertieft oder dösen vor sich hin. Die Ruhe im Eisenbahnwagen genieße ich zum einen, ein wenig geplaudert aber hätte ich schon sehr gern. So beobachte ich dann die einzelnen Fahrgäste. Die. die schon länger im Zug saßen, kannte ich nun schon einiger maßen gut, so meinte ich wenigstens. Im Abteil mir gegenüber sitzen zwei junge Frauen. Auch sie sind jede für sich mit Musik und etwas lesbarem beschäftigt. Kommunikation scheint heute nicht mehr gefragt zu sein, alle wollen nur noch für sich alleine sein, keine Gespräche, kein Lächeln, nichts, alle sitzen da mit dem gleichen versteinerten Gesichtsausdruck. Auf der linken Seite kann man zwischen den Häusererreihen und Baumalleen ab und zu den Bodensee erkenne mit dem nahen, gegenüberliegenden Schweizerufer. Der Himmel ist bedeckt, doch die Weitsicht ist dank Föhn vorhanden. Das eintönige Rumpeln und Wiegeln des Eisenbahnzuges wurde kürz vor einer jeweiligen Einfahrt in einen Bahnhof durch hüpfendes dädedämmdädedämmdämm, das einen metallischen Nachklang hatte, unterbrochen. Aus dem Lautsprecher einen eher unpersönliche Durchsage, die im Rattern beim überfahren der Weiche beinah untergeht: “ Radolfzell, bitte benutzen sie zum Aussteigen den Ausgang auf der linken Seite „.  Die Bremsen quietschen, der Zug hält an. Im Wagen entsteht geschäftiges treiben, einige Passagiere steigen aus, die die bis an hin draußen  vor dem Abteil gestanden haben, suchen nun nach einem freien Platz. Draußen auf dem Fahrsteig steht eng umschlungenes und sich heftig küssendes  Liebespaar. Er löst sich aus der Umarmung und möchte einsteigen, kann aber nicht loslassen, sie umarmen sich erneut heftig und innig. Sie lösen sich wieder, schauen hoch zu Bahnhofuhr, beide Tränen in den Augen und umarmen sich nochmals heftig. Zwei, drei Worte,  ein Kuss, einletzter Händedruck, dann entgleitet der Mann aus der Hand seiner Geliebten und eilt dem Eingang zu. Völlig verweint steht sie nun suchen da und schaut aufgeregt, in welches Abteil er dann einsteigen würde. Er kommt in unser Wagenabteil, hastig eine Träne abwischend und setzt sich mir gegenüber zu den beiden jungen Frauen. Die beiden Liebenden werfen sich nun beständig und beherzt Kusshände zu und versuchen, trotz ihres sichtlich großen Trennungsschmerzes zu lächeln. Langsam beginnt sich der Zug in Bewegung zu setzten. Der Mann stützt sich mit der einen Hand am Fenster ab, mit der schickt er seiner Geliebten nochmals einen letzten Kuss zu und sinkt dann zurück in seinen Sessel, die Hände übereinander gelegt auf das Mitteltischchen.  Ein Strom von leisen Tränen rinnt über sein Gesicht. Er scheint nicht bemerkt zu haben, dass die junge Frau, die ihm gegenüber sitzt, ihn mit großen Augen beobachtet. Sie hatte, wie ich auch, diesen Abschied bereits auf dem Bahnsteig beobachtet.  Und nun geschah etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte. Sie zieht ihre Ohrhörer raus, stellt den mp3 – Spieler ab und legt ihre Hand auf die Hände von ihrem ihr gegenüber fremden Mann. Mit der Anderen reicht sie ihm ein Taschentuch und lächelt ihn verständnisvoll an. Sie scheint selbst von diesem Abschied berührt zu sein. Dädedämmdädedämmdämm, der Zug rattert über die letzten Weichen von Radolfzell, draußen flitzen Bäume, und Häuser vorbei, ein letztes Aufblitzen des Bodensees, dann eine düstern werdende Landschaft mit Wald und Felder, eine Landschaft, die langsam beginnt einzudunkeln.
 
© 2008 bei Hans-Peter Zürcher

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