Delia Kössler

Trügerische Strandidylle

Gedankenversunken träume ich auf meiner Liege am Strand vor mich hin. Im Schatten des Sonnenschirms und bei einem lauen Lüftchen lässt sich die Hitze ertragen. Ich starre in den sattblau leuchtenden Himmel, lausche dem Gemurmel der Leute um mich herum und sinke in einen wohligen Schlummer. Plötzlich reißt mich eine nasse kalte Hand aus meinen Träumen. Vor mir steht ein wassertriefender mächtiger Hüne im Wikinger-Kostüm und um ihn herum eine johlende Meute als Piraten verkleideter Kinder. Bevor ich mich sammeln kann, zerrt der Wikinger mich von der Liege und brüllt: „Du hast unsern Schatz gestohlen, stimmt’s Kinder!“ und die schmettern ihm ein einstimmiges „Ja!“ zurück. Der Wikinger hält mir ein Blatt Papier unter die Nase und deutet auf einen Punkt inmitten wirrer Striche, Zahlen und Zeichen. „Was hast du dazu zu sagen?“ Noch immer nicht ganz zu mir gekommen, versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Allmählich dämmert mir, was hier vorgeht: „Ich, ich… habe keine Ahnung, wo euer Schatz ist“, fang ich an zu stottern. „Seid ihr sicher, dass ihr eure Schatzkarte richtig herum gelesen habt?“ Das hätte ich wohl nicht sagen sollen. „Willst du uns für dumm verkaufen, du vorlauter kleiner Grünschnabel“, fährt der Wikinger mich wütend an. „Und ihr habt euch auch sicher nicht bei den Schritten verzählt?“, wende ich gespielt ängstlich ein. „Du wagst es zu widersprechen. Du weißt wohl nicht wer hier vor dir steht. Ein Wikinger verzählt sich nie, ist das klar und nun sag uns endlich, wo der Schatz ist!“, röhrt er mich an. Langsam finde ich Gefallen an dem Spiel und krame in meinem Rucksack. Ich finde nur einen schon etwas angeschlagenen Apfel. Den halte ich ihm entgegen: „Das ist das einzige, was ich euch anbieten kann.“ „Das ist ja die Höhe, du missratene kleine Wanze“, brüllt er mich an, „wir sind hier doch nicht bei Schneewittchen. Rück sofort den Schatz raus, sonst fliegst du ins Wasser.“ Und an die Kinderhorde gewandt ruft er: „Seid ihr dafür, dass wir diese unverschämte freche Kröte ins Meer werfen?“ Und wieder kreischt die Piratenbande zurück: „Ja!“ „Ist jemand dagegen – niemand!“, stellt und beantwortet der Wikinger seine Gegenfrage selbst. Einen Atemzug später finde ich mich auf den Schultern des Muskelmanns wieder, der mit großen Schritten in Richtung Wasser stampft. Jetzt muss mir schnell etwas einfallen. Ich habe keine große Lust so unerwartet baden zu gehen. Kurz vor dem Wasser rufe ich völlig plan- und ziellos: „Lass mich runter, ich sage euch, wo der Schatz ist!“ „Glauben wir diesem respektlosen madigen Würmchen?“, stachelt der Riese die Meute auf. Diesmal kommt zu meiner Überraschung keine einstimmige Antwort. Einige scheinen wirklich für möglich zu halten, dass ich ihren Schatz haben könnte. Unsanft abgesetzt spüre ich wieder festen Boden unter den Füßen. Umringt von der Rasselbande grübele ich noch immer fieberhaft nach einem rettenden Einfall. Da fährt mich der Wikinger auch schon an: „Also sprich, und wage dich nicht uns anzulügen, du kleine Mistmade, sonst machst du Bekanntschaft mit den Haien.“ In der Hoffnung Zeit zu gewinnen, fange ich an zu labern: „Ja nun, ihr wollt also wissen, wo der Schatz ist,…“ „Red nicht um den heißen Brei, sonst ist’s mit dir vorbei!“, grölt der Wikinger mich an. Jetzt fängt der auch noch an zu reimen, denke ich. Na warte, das kann ich auch: „Willst du jetzt den Schatz, dann mach mal endlich Platz.“ Verblüfft über soviel Respektlosigkeit tritt er tatsächlich ein Stück zur Seite und schaut sich grübelnd um. Ich nutze die Chance und ergreife die Flucht. Doch leider komme ich nicht weit. Die Meute holt mich schnell ein und ich bin wieder umzingelt. „Du hast deine Chance verwirkt, du jämmerlicher nichtsnutziger Wurm. Jetzt bist du nur noch Fischfutter.“, ruft der Wikinger drohend. Gespielt verzweifelt setze ich entgegen: „Okay, okay, ich … ich gebe auf, … ich habe den Schatz vergraben, … dort hinten bei dem großen Baum.“ „Das sollen wir dir glauben, das ist doch ne glatte Lüge, oder Leute!“, hetzt er die Horde erneut gegen mich auf. Die Kinder sind sich aber nicht so sicher und wollen doch lieber nachsehen. Der Wikinger packt mich am Kragen und stößt mich vor sich her. Ich denke: Wie lange wollen die ihr Spielchen noch mit mir treiben. Am Baum angekommen, beginnen einige Kinder sogleich, mit ihren Händen im Sand zu wühlen. Ich sehe mich Hilfe suchend um und entdecke einen kleinen dicklichen Burschen im Piratenkostüm, der sich von einem Bein aufs andere hüpfend Richtung Bootssteg bewegt. Über dem Kopf hält er mit beiden Händen eine rosafarbene Kiste und tanzt damit herum wie ein Irrer. „Hey, seht mal, der da hat euren Schatz gestohlen!“ verkünde ich erleichtert. Sofort hören die Kinder auf zu graben und stürmen angeführt von dem Wikinger und mit Haltet-den-Dieb-Rufen hinter dem Kerl her. Endlich erlöst, denke ich und beobachte wie der Pirat gefangen und der Schatz verteilt wird. Bei meiner Liege angelangt, lehne ich mich gemütlich zurück und genieße die wieder eingekehrte friedvolle Atmosphäre. Der Wind ist etwas aufgefrischt und lässt das Meer rauschen. Ich betrachte die bis zum Horizont reichenden in der Sonne silbrig-weiß glänzenden Schaumkronen der Wellen, denke belustigt an das eben überstandene „Abenteuer“ und schmunzle in behaglicher Zufriedenheit in mich hinein. Doch auf einmal werde ich erneut jäh aus meinen Gedanken gerissen. Die ganze wilde Meute steht wieder vor mir. „Für deine ausgekochten miesen kleinen Lügen und Frechheiten, die du uns vorhin serviert hast, fliegst du jetzt trotzdem ins Wasser, stimmt’s Kinder!“, schreit der Wikinger. Ein donnerndes ‚Ja’ lässt keinen Zweifel an der Ausführung ihres Vorhabens zu. So bin ich schließlich doch noch unfreiwillig baden gegangen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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„Krachen, Scheppern und dann gewaltiger Lärm, als ein schwerer Gegenstand an die Wand geworfen wurde. Oh verdammt, die Verrückte spielte drüben in der Küche schon wieder ihr absolutes Lieblingsspiel – Geister vertreiben. Gleich würde sie hierher ins Wohnzimmer stürzen, wo ich versuchte, in Ruhe meine Hausaufgaben zu machen. Und dann würde sie mir wieder lang und breit erklären, welches Gespenst gerade versucht hatte, durch die Wand zu gehen und sie anzugreifen. Ich hasste sie! Ich hasste dieses Weib aus ganzem Herzen!“ Die 13-jährige Eva lebt in einer nach außen hin heilen, kleinbürgerlichen Familie. Hinter der geschlossenen Tür herrscht Tag für Tag eine Hölle aus psychischer und physischer Gewalt durch die psychopathische Mutter und den egomanischen Vater. Verzweifelt versucht sie, sich daraus zu befreien. Vergebens - bis ihr ein altes Buch in die Hände fällt. Als letzten Ausweg beschwört sie daraus einen Teufel. Er bietet ihr seine Hilfe an. Aber sein Preis ist hoch...

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