Fraidoon Nazemi

Granatäpfel

Kandahar ist eine große Stadt im Süden Afghanistans. Viele Menschen, die nach Pakistan fahren wollen, müssen letztlich über diese Stadt dorthin. Eine große Handelsstadt mit sehr gastfreundlichen Menschen.
 
Ich muss sechs Jahre alt gewesen sein, als ich mit meinen Eltern in diese Stadt fuhr. Meine Eltern besuchten meinen Onkel, der hier arbeitete. Er war Arzt und wurde eigentlich aus Kabul dorthin zwangsversetzt,  weil er ein ewiger Querulant war. Immer musste er sich mit seinen Vorgesetzten anlegen. Als Strafe hatte man ihn in diese Paschtunenbastion versetzt! Meine Mutter besuchte ihn, weil er sich dort so einsam fühlte.
 
Wir reisten extra aus Kabul und hatten eine höllische Reise hinter uns und wohnten in einem  einfachen Gasthaus. Das Gebäude bestand komplett aus Lehm. Im Lehm der Wand konnte man noch die Reste von Stroh sehen. Bei uns wird immer Lehm mit Stroh gemischt und als Baumaterial benutzt.
 
Neben unserem  Gasthaus befand sich ein großer, lebhafter Markt. Ich durfte nicht allein dorthin. Oft blieb ich zu Hause, während meine Eltern meinen Onkel besuchten oder einkaufen gingen. Ich fand es langweilig mit meinen Eltern zu gehen.
 
Ich traute mich einmal ganz alleine auf die Strasse und ging zum Markt. Dort gab es allerlei zu sehen. Gemüsehändler, die ihr Gemüse auf dem Boden oder auf den Rücken von Maultieren oder Eseln anboten, viele Menschen , die geschäftig hin und her gingen, Kamele, Eseln, Kinder, Hunde … Ich schlenderte durch den Markt und betrachtete erstaunt das Treiben. Es war  faszinierend!
 
Am Rande des Marktes, etwas abseits vom großen Treiben war ein einfacher Stand. Es war ein auf dem Boden ausgebreitetes Tuch einer Verkäufern, die ein Kind am Arm hielt und einige komische Früchte verkaufte. Ich fand diese komischen, roten Früchte sehr interessant und blieb davor stehen. Die Früchte sahen aus wie Äpfel, hatten aber einen kräftigen Stiel, der aussah als hätten sie eine wunderschöne Krone. Einer der Früchte war in zwei Hälften geteilt, so konnte man das Innere sehen. Es war durch teils dünne, teils zarte Wände in verschiedenen Kammern geteilt. Zwischen diesen Kammern befanden sich unzählige von einem kräftigen roten Fruchtfleisch umhüllte Kerne. Die hülle bestand aus einer derben, lederartigen Schale. Das war die schönste Frucht, die ich je gesehen hatte!
 
Die Verkäuferin war vielleicht dreißig Jahre alt und sah sehr freundlich aus, lächelte immerzu. Vielleicht blieb ich gerade deshalb hier stehen. Ihre pechschwarzen Haare berührten den Boden während sie im Schneidersitz mit ihrem Kind spielte. Das Kind war so alt vie ich. Sie spielten und lachten die ganze Zeit, als hätten sie nichts zu tun. Alle anderen Verkäufer holten sich eine heisere Stimme vor lauter Geschrei. Diese Frau war aber sehr verspielt und gut gelaunt. Ihre Augen waren so wundervoll, voller Energie, sie leuchteten immer, wenn die Sonne in sie schien. Manchmal schien es als würden ihre Augen strahlen, obwohl die Sonnenstrahlen ihre Augen nicht erfassten. Ihre Augenfarbe änderte sich von rabenschwarz auf dunkles braun als die Sonnenstrahlen sie erfassten. Das Kind war auch sehr verspielt. Ab und zu fragte es und sie antworte sehr geduldig. Er wollte z.B. wissen, warum die Maultiere so ruhig bleiben und sich den ganzen Tag kaum bewegen obwohl sie eine so schwere Last zu tragen haben. Sie antwortete so gut sie konnte. Mir fiel auf, dass die Kinder schwierige Fragen stellen. An den Backen des Kindes konnte man rote Flecken sehen. Wahrscheinlich, dachte ich mir,  hatte er gerade eines dieser Äpfel gegessen. Es sah so glücklich aus. Rannte herum, spielte mit den Eseln und Maultieren der Verkäufer und kletterte manchmal auf dem Rücken der Mutter.
 
Die Verkäuferin hatte mich gesehen. Winkte mir zu und bat mich näher zu kommen. Ich wurde rot, wollte schnell weglaufen, weil ich kein Geld hatte. Sie winkte noch mal ganz freundlich und gütig zu. Ich fasste meinen ganzen Mut zusammen und ging einige kleine Schritte nach vorne. Ihr Sohn sah dies und kam ebenfalls zu uns.
 
„Was sind das für komische Äpfel?“, fragte ich und hatte das Gefühl mein Herz schlägt bis zum Hals vor lauter Aufregung.
 
„Das sind keine Äpfel sondern Granatäpfel“, erwiderte sie mit einer sanften, milden Stimme. Ihre stimme kam mir vertraut vor. Nachdem sie mit mir gesprochen hatte, hatte ich keine Angst mehr, ihre warme, vertraute, nette Stimme gab mir Mut.
 
„Sie kommen vom Himmel!“, sagte sie, ganz sicher und ohne jeden Zweifel. „Ja ganz recht, sie kommen vom Himmel“, wiederholte der Sohn mit selbstsicherer Stimme. „Die Kerne, die du siehst“ sagte sie mit einem Leuchten in den Augen, “sind ursprünglich kleine Sterne gewesen.“. „Es gibt ein Gärtner im Himmel, er steckt alle kleinen Sterne in diese Früchte, dann gibt er ihnen noch einen roten Saft, der später das Fruchtfleisch wird.“ Ich hörte ganz erstaunt zu. Sie fuhr fort und sagte: „weißt Du warum sie eine so derbe Haut haben? “ fragte sie mich. „ Die Schale ist deshalb so derb, damit die Sterne nicht wegfliegen.“ Fügte sie hinzu. Es kam mir alles so seltsam vor. Wie soll ein Gärtner die ganzen Sterne einfangen können, woher hat diese Frau die Früchte bekommen? Ich hatte sehr viele Fragen. Sie war aber so gütig und freundlich, dass es egal war was sie sagte. Ich fühlte mich geborgen hier.
 
„Wie hat der Gärtner die Sterne eingefangen?“ fragte ich ganz neugierig. „Mit einem großen Sternennetz“, sagte sie ganz selbstverständlich. „Gehen die Sterne nicht alle, wachsen die irgendwo nach?“ fragte ich erneut. “Die Sterne wachsen auf dem Sternenbaum, sobald sie reif sind werden sie ins All freigelassen.“ Fügte sie hinzu. „Und wo steht dieser Sternenbaum?“ fragte ich ganz ungläubig.  „Auf dem Planeten Starlix, dort wachsen auch andere Sterne, große Sterne und Sonnen heran“ sagte der Sohn ganz stolz. Während er das sagte, konnte man spüren wie stolz er auf dieses Wissen war. Er hob dabei den Kopf leicht an, schloss die Augenlieder etwas, zog die Augenbrauen hoch und schaute leicht zur Seite, beobachte mich aus dem Augenrand. Mir fiel auf, dass ich in diesem Augenblick den ganzen Markt, ja die ganze Welt vergessen hatte. Ich war voll auf dieses Geschehen konzentriert. Diese Frau strahlte eine unglaubliche Liebe und Vertrauen aus. Man schämte sich an ihre Worte zu zweifeln. Ich fragte dann  „warum kaufen die Leute eure Früchte nicht, warum gibt ihr euch keine Mühe sie zu verkaufen?“ „Die Leute wissen nicht, dass dies keine gewöhnlichen Granatäpfel sind“ sagte die Frau mit einer ganz leisen, ja flüsternden Stimme, als ob sie mir ein Geheimnis verrate“ „Möchtest Du welche haben?“ Fragte sie ganz sanft. Ich sagte voller Begeisterung „ JA!!“, und während ich zu ihr lief, merkte ich, dass ich kein Geld hatte. Ich blieb stehen und sagte „nein ich will keine“. Sie merkte, dass ich nicht bezahlen konnte und schenkte mir zwei von ihren vier Granatäpfeln und zwar die beiden schönsten. Ich nahm die Früchte und hatte in diesem Moment Tränen in den Augen. Ich konnte es kaum fassen. Ich lief so schnell ich konnte nach Hause und suchte nach Geld, fand eine Tasche meiner Mutter und nahm einen großen Geldschein heraus, wusste nicht wie viel es war, und lief ganz schnell zur Verkäuferin. Während ich lief musste ich vor Freude weinen, ich hatte so tolle Menschen getroffen und dachte mir unterwegs ob sie sich über diesen! Schein freuen würden.
 
Ich hatte vor ihr diesen großen Schein zu schenken. Als ich ankam merkte ich, dass die beiden schon weg waren. „Vielleicht waren sie woanders“, dachte ich und lief ganz verwirrt durch den ganzen Markt und weinte. Ich suchte sie verzweifelt und konnte sie nicht finden.
 
Plötzlich fasste eine Hand meinen Oberarm und ich erstarrte vor Angst. Als ich mich umdrehte sah ich meine Eltern. Sie waren auf dem Weg nach Hause. Fragten mich was ich hier mache, warum ich barfuss durch den Markt laufe, wieso ich einen Tausend-Rupie-Schein in der Hand habe und...
 
Ich konnte nicht antworten. Wollte nur noch nach Hause und meine Grantäpfel sehen.
 
Ich habe die Grantäpfel nie gegessen und habe auch niemanden essen lassen, ich wollte nicht, die Sterne wegfliegen lassen....
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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