Germaine Adelt

Vergessene Zeit

 
    Unruhig sah Elfriede zur Uhr. Sie hätte nicht so lange mit Erna plaudern dürfen. Jetzt rannte ihr die Zeit davon und es galt noch soviel zu erledigen.
    Wenigstens das Mittagessen für Max wollte sie noch pünktlich fertig haben, dass mit dem Fenster putzen musste eben warten.
    Das kleine Café in der Stadt war aber auch zu gemütlich, als dass man dem widerstehen könnte. Sie hatte sich mit Erna soviel zu erzählen und der Ober hatte galant immer wieder ihre Kaffeetassen aufgefüllt, so dass sie völlig die Zeit vergessen hatte. Zeit, die ihr jetzt fehlte. Elfriede studierte erneut den Busfahrplan an der Haltestelle. Sie hatte sich nicht geirrt. Der nächste Bus sollte in zehn Minuten kommen, dass hieß in einer guten halben Stunde war sie zu Hause. Wenn sie die Salzkartoffeln gleich aufsetzte, konnte sie alles noch beizeiten schaffen. Das mit dem Hackbraten musste sie verschieben, das würde zu lange dauern. Und Max war auch mit Spinat und Spiegelei zufrieden.
    Sie setzte sich auf die leere Bank und genoss die ersten wenigen Sonnenstrahlen, nach dem schweren Regen. Es war schon verwunderlich, dass sie um diese Zeit als Einzige auf den Bus wartete. Aber ihre Gedanken waren schon beim Dessert.
 
    Markus atmete tief durch. Er mochte seine Arbeit, aber an manchen Tagen waren ihm die alten Menschen zuviel. Besonderes dann, wenn sie sich wie kleine Kinder aufführten, inklusive in das Bett zu machen.
    „Geht es wieder?“ fragte Jana und er nickte müde. Die Arbeit selbst machte ihm nichts aus. Was ihm die Kraft nahm, war den Gedanke an den Verfall derer, die in ihrem früheren Leben gestandene Persönlichkeiten waren.
    „Komm her“, forderte Jana und tupfte ihm ungefragt etwas Kölnisch Wasser auf sein Handgelenk. Er lächelte. Die Gerüche die ein Alterswohnsitz mit sich brachten, störten ihn schon lange nicht mehr aber die Geste fand er rührend.
    „Du weißt schon, dass heute Sonntag ist.“ flüsterte sie.
    „Natürlich, ist das eine Fangfrage?“
    „Nicht ganz“, schmunzelte Jana und deutete mit ihrem Finger aus dem Fenster. „Der achter kommt gleich durch. Jeden Sonntag um halb vier. Na ja und am Ende nimmt er noch unsere gute alte Frau Tobias mit.“
Markus sah aus dem Fenster und stöhnte leise. Da saß sie, Elfriede Tobias, einstige Schulsekretärin, adrett zurecht gemacht mit einem entzückenden Hütchen auf dem Kopf, und wartete auf den Bus ins Nirgendwo.
    „Ob wir den Sohn anrufen?“
    Jana winkte ab: „Vergiss es, den erkennt sie schon seit Jahren nicht mehr.“
    „Wo sie wohl hin will?“, murmelte Markus nachdenklich.
    „Das weiß nur sie allein.“ Jana sah zur Uhr. „Du oder ich?“
    „Wie du möchtest.“
    „Dann geh du. Rede ein bisschen mit ihr.“
    „Und was soll ich ihr sagen?“
    Jana hob fragend ihre Schultern: „Dir wird schon was einfallen. Bis morgen hat sie es sowieso vergessen.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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