Andreas Rüdig

Die Jahreszeitengeschichten

Die Jareszeitengeschichten
 
Im Winter ist es weiß und kalt. Da schneit es nämlich viel. Im Frühling explodiert das Grün. Da wachsen die Blumen und Bäume. Im Sommer ist es heiß und sonnig. Da plantschen wir im Freibad. Und im Herbst sehen wir strahlend rote Baumblätter, wie sie zu Boden fallen. So ist der natürliche Jahreslauf.
 
"Du, Opa, stimmt es, daß dieser Bach früher im Winter zugefroren ist?"
Erstaunt schaue ich meinen Enkelsohn an. Natürlich stimmt es. Ich würde ihn doch nicht belügen, nur damit er sich für die Natur und seine Heimat interessiert.
"Natürlich stimmt es."
"Und stimmt es auch, daß ihr früher Löcher in das Eis gehauen habt und dann mit den nackten Füßen in das eiskalte Wasser gestiegen seid?"
"Das stimmt auch. Wir waren so scharf auf unsere Mädel, daß wir uns irgendwie abkühlen mußten."
"Und wieso sind da nicht eure Füße abgefroren?"
"Das ist ganz einfach. Die große Hüftschlagader bringt das sauerstoffreiche Blut ins Bein, während die Hüftvene der wichtigste Weg zurück zum Herzen ist. Galenoyse heißt eine natürlich bioaktive Substanz, die verhindert, daß menschliches Gewebe erfriert. Wenn man genügend davon in die Hüftschlagader spritzt, verteilt sie sich im ganzen Beingewebe. Das Galenoyse wirkt einen Tag. So lange kannst du deine Füße ins Eiswasser halten, ohne daß irgendetwas passiert."
"Hast du das etwa ausprobiert, Opa?"
"Ja. Habe ich. Ich hatte allerdings Pech dabei. Ich konnte es etwa 16 Stunden im Bach aushalten. Dann spielte mir mein Freund Xaver einen Streich. Er verabreichte mir Nies- und Juckpulver. Als ich mich überall kratzte und aus den Beinen kratzen wollte, mußte ich feststellen, daß meine Beine so fest im Oberflächeneis feststeckten, daß ich sie nicht von alleine losbekam. Also mußte ein Eisblock herausgesägt werden. Ich wurde nach Hause gebracht und meine Füße auf den waren Kohlenofen gelegt. Leider merkte ich zu spät, daß dabei meine Füße angekokelt sind. Seitdem besteht mein Fersenbein aus Metall..."
 
Wie ich es doch genieße, im Liegestuhl auf der Terrasse zu liegen und friedlich in den Garten gucken zu können; ab und zu halte ich ein Gartenbaubuch in der Hand. So kann ich dann überlegen, wie ich meinen Garten verschönern kann. Sie glauben gar nicht, wie viele Neuzüchtungen es bei den Blumen und Sträuchern gibt. Auch bei den Gartenwerkzeugen gibt es immer wieder Neuerungen. Sprechende und armschwenkende Vogelscheuchen gehören genauso dazu wie geräuscharme Motorkettensägen oder biologische Duftverstärker für Rosen. Moment mal, ich zeige es Ihnen hier im Katalog, damit Sie mir glauben. Doch halt - was muß ich da drüben in den Beeten für meine Früherdbeeren sehen? Die Nachbarsjungen sind dort, pflücken die ersten reifen Erdbeeren.
Verdammt und doppelt geschimpft. Die Jungen wissen doch, daß das Mundraub, somit eine Straftat und somit auch in ihrem Alter strafbeschwert ist. Doch es reicht nicht, mit ihnen zu ihren Eltern zu gehen und zu schimpfen. Ich muß zu drastischeren Maßnahmen greifen. Doch was tun? Oh, ich sehe, der Katalog bietet die Lösung. Er preißt Fingerfallen für Obstdiebe an. Äußerlich sehen die Fingerfallen wie Tierfallen aus. Der Gärtner befestigt die Fingerfallen an den Bäumen, Sträuchern und wo sonst Obst wächst. Sobald der Übeltäter zugreift, schnappt die Fingerfalle so fest zu, daß der Übeltäter in der Fall sitzt und nicht weglaufen kann. Er kann erst dann von der Polizei befreit werden, wenn die seine Personalien festgestellt hat.
Moment mal, ich glaube, ich habe 2 Paletten solcher Fingerfallen im Keller liegen. Ja genau, dort liegen sie ja. Schnell auspacken! Und schnell in den Erdbeersträuchern befestigen! Meine Güte, das Befestigen geht ja wirklich schnell und einfach. Zur Belohnung für meine gute Tat nehme ich mir eine Erdbeere - sie sehen schon jetzt im Mai knallrot und lecker aus. Aua! Verdammt noch mal! Da habe ich doch tatsächlich meine eigene Fingerfalle vergessen. Ich habe hineingegriffen, sie ausgelöst und - da ich die Hand schnell genug zurückziehe, hat mir die Fingerfalle den Nagel vom rechten kleinen Finger abgeschlagen. Die Blutung kann ich ganz schnell stillen. Den Fingernagel habe ich achtlos in den Boden gesteckt. Die Triebe des Nagels sprießen inzwischen, zart aber sichtbar. Nächstes Jahr kann ich bestimmt ernten. Dann werde ich wissen, wie schmackhaft Fingernägel sind.
 
 
Sommerzeit ist Urlaubszeit ist Reisezeit. Doch wohin reisen, wenn man schon die ganze Welt kennt? Urlaub auf dem Bauernhof ist langweilig. Außerdem stinkt es dort und es ist laut. Hausboote schwanken. Dort wird mir immer übel. Flüge in den Weltraum sind teuer und bieten nur eine eingeschränkte Sicht der Dinge.
Die Alternative? Sie ist ganz einfach. Bei uns ganz in der Nähe gibt es ein ausgedehntes System an Tropfsteinhöhlen. Einzelne Höhlenabschnitte wurde von einem Reiseveranstalter umgebaut. Jetzt gibt es dort Hotelzimmer mit Naßzelle, bequemen Betten, Fernseher, Computer und - ganz wichtig - viel himmlischer Ruhe für gestreßte Zivilisationsflüchtlinge wie mich.
Drei Wochen Abgeschiedenheit in der Unterwelt der Berge habe ich mir gemietet. Morgens kommt eine Zugehfrau, macht sauber, liefert das Essen für den jeweiligen Tag, nimmt die Bestellung für den nächsten Tag auf, nimmt meine Geschäftspost mit und verschwindet dann. Wäre eine kleine Reparatur erforderlich, würde morgens auch ein Hausmeister kommen und sie durchführen. Zum Glück brauchte ich ihn aber noch nicht. Den Nachmittag und die Nacht habe ich dann für mich.
Ich fühle mich hier richtig wohl. Ich kann jetzt endlich die Bücher lesen, für die ich früher keine Zeit hatte. Wäre da nicht ständig dieses Gerumpel. Der Lärm ist richtig unheimlich. Sorgen machen mir die herabfallenden Steine. Sind Sprengungen im Gange? Oder gibt es ein Erdbeben?
Krach! Gerumpel! Meine Güte, es ist tatsächlich ein Erdbeben. Und es hat einen kleinen Erdrutsch vor meiner Haustüre ausgelöst. Ah ja, Telefon, Licht und Strom funktionieren noch, die Toilette auch. Ich werde jetzt den Hausmeister anrufen. "Also Herr Müller, weswegen rufen Sie mich denn an? Nur wegen der paar Steine, die da herumliegen? Räumen Sie die gefälligst selbst weg!" - "Aber meine Fingernägel! Die werden doch dann dreckig!"
Der Hausmeister weigerte sich standhaft, seine Arbeit zu erledigen. Das Geröll reichte zum Glück nicht ganz zur Decke. Die Zugehfrau konnte zwar nicht mehr zu mir kommen, mir aber wenigstens Essen und Zeitungen durchreichen. Ich lernte das Bettenmachen und Geschirrspülen. Erst als eine Glühbirne kaputtging, mußte der Hausmeister die Geröllhalde wegräumen. Aber das war zum Glück zum Ende meines Urlaubs. Schade, daß er vorbei ist. Er was schön ruhig und erholsam...
 
 
Gestatten: Nonnenmacher. Ich bin der vorletzte meines Standes. Ich arbeite nämlich als Sauenschneider. Meine Aufgabe besteht darin, jene Tiere zu kastrieren, die in der Landwirtschaft als Fleischlieferatenten oder Zugtiere genutzt werden. Ich binde insbesondere Ebern, Hengsten und Stieren die Samenleiter ab; gelegentlich entnehme ich auch die Hoden. Weibliche Tiere kastriere ich durch die Entnahme der Eierstöcke.
Mein Beruf ist gefährlich. Sie können sich bestimmt vorstellen, daß die stolzen Hengste und kräftigen Stiere gerne die Damenwelt beglücken und ihre Gene an möglichst viele Nachkommen weitergeben möchten. Demzufolge treten sie ganz kräftig aus, wenn man sich ihnen an der falschen Stelle nähert.
Bei uns in der Region ist es so, daß die Bauern im Herbst entscheiden, welche Tiere für die Zucht geeignet sind und welche in die eigentliche Landwirtschaft kommen. Der Herbst ist die beste Zeit in meinem Jahr.
Sehe Sie den zottigen, dreckigen und schielenden Mann da drüben? Er ist seines Zeichens Zeichenschläger. Wie, Sie wissen nicht, was ein Zeichenschläger ist? Aufgabe des Zeichenschlägers ist es, Wald-, Weg- und Grenzzeichen in Bäume und Steine zu schlagen. In den Wäldern dienen diese Zeichen der Orientierung. Die gekennzeichneten Bäumde heißen "Lochbäume", die Rainsteine "Lachter".
Als ich vorgestern auf dem Wetg nach Quasselstrum bin, komme ich an einem kleinen Waldstück vorbei. Es ist früher Morgen, die Sonne noch nicht richtig aufgegangen. Die Luft ist diesig, die Sicht schlecht. Da bemerke ich ein felliges, stark behaartes Bündel am Waldrand liegen, das sich bewegt. Was ist das? Ein Bär? Nein, dafür ist das Bündel zu groß. Ich trete näher. Keine Ahnung, was das ist. Der Haufen Fell ist so unförmig, daß ich es keinem Tier zuordnen kann. Also greife ich zu meinem Taschenmesser, ziele genau und schleudere es in Richtung Fell. Da, ein spitzer Schrei, ein schneller Sprung - vor mir steht ein Mann, der sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. "Was soll das," fährt mich der Mann an. "Ich darf hier schlafen. Der Förster hat es mir erlaubt. Schließlich bin ich der Zeichenschläger." Seitdem ist der Mann nicht wirklich gut auf mich zu sprechen...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.06.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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