Franziska Klett

Die Stadt

Ich stehe an der Bushaltestelle und jeden Moment wird mein Bus kommen. Es sind noch andere Leute um mich herum, sie warten alle auf denselben Bus wie ich. Ich schau sie an und sie schauen mich an. Ich erkenne auf keines der Gesichter irgendwelche Freude, kein einziges Lächeln oder Schmunzeln. Alle schauen so ernst und alle sehen irgendwie nachdenklich aus. Manche versuchen ihre Unzufriedenheit durch eine Zigarette zu vertuschen, doch ich spüre sie. Manche schauen mich an, mustern mich von oben bis unten, das nervt mich, doch ich gebe ihnen nur einen Blick als Antwort zurück. Da kommt auch schon der Bus. Alle stehen sie auf und warten darauf in den Bus einsteigen zu können. Ich gehe mit ihnen. Im Bus wieder lauter fremde Gesichter, Gesichter die man noch nie zuvor gesehen hat. Dann noch diese Stille, man traut sich ja kaum noch an seinem Kaugummi zu kauen so unheimlich still ist es. Keiner redet etwas und wieder sind es diese Blicke der anderen, die ich spüre. Jeder schaut den anderen seltsam an. Es ist diese Seltsamkeit im Bus die ich nicht verstehe. Eigentlich möchte jeder bestimmt wissen, was der andere so macht und wohin er fährt, wenn er ihn anschaut. Oder jemand findet einen interessant und möchte gerne mehr über ihn erfahren, aber keiner sagt das was er denkt. Es ist diese Art Schüchternheit und Verlegenheit die man den Menschen mit auf den Weg gegeben hat. Ich fahre allein in die Stadt, denn ich möchte allein sein. Allein mit meinen Gedanken, denn für meine Gedanken brauche ich niemand anderen. Allein sein ist oft heilender als wenn Menschen um dich herum sind und dich mit ihren Fragen bohrend löchern. Was hast du? Sag doch was los ist? All das wollen sie immer wissen und eigentlich will man ihnen ihre Fragen gar nicht beantworten, man will sie unbeantwortet lassen und nur für sich selbst beantworten. Doch da ist dann dieses Gefühl, dass man seine Freunde ja nicht enttäuschen will und nicht verärgern will, denn guten Freunden kann man ja vertrauen, doch kann man das wirklich? Ist es nicht oft besser allein mit seinen Sorgen zu sein? Ohne Freunde gibt es oft weniger Probleme und da spreche ich aus Erfahrung. Jedoch wäre das Leben ohne sie ziemlich langweilig und wertlos. Mit diesen Gedanken im Kopf steige ich aus dem Bus und befinde mich in der Stadt.
Die Stadt. Es ist vielleicht keine Großstadt, aber es ist meine Lieblingsstadt. Immer wenn ich allein sein will, kehre ich gerne hierher zurück. Hier hab ich jeden Freiraum den ich brauche, denn zu Hause im Alltag fühle ich mich eingeengt, eingesperrt, der vielen unerledigten Arbeiten hilflos ausgeliefert. Doch so ist es nicht in der Stadt. Die Stadt ist voller Menschen und ich gehe dann immer an meinen Lieblingsplatz, meinen so genannten „Watch Out“ Platz. Hier sitze ich immer in meinem Lieblingscafé und beobachte die Leute bei ihrem Treiben. Ich bestelle mir immer das Selbe, einen Cappuccino mit vielen Schokoflocken. Ich liebe Cappuccino. Dann sitze ich immer da und schau sie alle an und spüre wieder diese Blicke auf mich zu kommen. Ihre Blicke. Blicke die einen töten können, Blicke die einen zur Weisglut treiben können und Blicke die nachdenklich machen. Aber was noch nachdenklicher macht sind Augen. Augen können niemals lügen und man kann in ihnen alles erkennen. Ich sehe zum Beispiel diese alte Dame an dem Tisch neben mir. Sie trinkt Kaffee und ich erkenne in ihren Augen, dass sie traurig ist. Niemand ist bei mir, sie ist genau so wie ich, nur dass sie noch ihren kleinen weißen Hund hat. Ich kenne diese Rasse, ich erkenne sie aus der Werbung für irgendein Hundefutter wieder. Ihr Mann ist bestimmt schon gestorben, Enkel scheint sie keine zu haben, nur ihr Hund ist ihr noch geblieben, na ja aber wenigstens hat sie jemanden im Gegensatz zu mir. Dann wäre da noch dieses junge Mädchen, es scheint zwischen 18 und 20 zu sein, welches mit herab gesenkten Kopf am Straßenrand vor der dem Café sitzt. Ihr Haar sieht zersaust aus und ihre Klamotten sind sehr ansprechend. Sie wirken sehr anziehend für die Männerwelt. Ob sie eine von diesen ist, die es für 10 Euro machen? Ob sie auf einen neuen Kunden wartet, der sie mitnimmt, damit sie es ihm besorgen kann? An einem anderen Tisch erkenne ich eine Frau mit leeren starren Augen. Ihre Haare sind nicht besonders lang und mit viel Haar Gel nach oben befestigt. Sie hat einen richtigen Punkverschnitt und ihre Kleider sehen auch so aus. Schwarzes T-Shirt mit kleinen Löchern, einer Kette mit Stacheln, es ist eine von diesen angeblichen Modeketten, die voll im Trend liegen sollen, diese schwarzen Ketten mit den silbernen Stacheln dran, die im Großen und Ganzen nicht besser aussehen als ein Hunde ern überdeckt hat. Ihre Schuhe kann ich nicht genau erkennen, aber ich denke es werden welche halsband. Dazu trägt sie eine Jeans bei der sie einzelne Löcher mit poppigen Bügelbild von diesen roten Schuhen sein, diese Art Schuhe die aussehen als seien es Schuhe von einem Clown. Viel zu groß schauen die immer aus, ich habe schon viele Leute in der Stadt damit rumlaufen sehen. Wieder so ein Modetrend? Eigentlich sieht die Frau ja ganz nett aus nur ihre leeren Augen machen mir Sorgen. Sie sind starr als könnten sie sich gar nicht mehr bewegen. Nein, ich erkenne diese Augen, es sind Augen die von Drogen beeinflusst worden sind. Ich hoffe die Frau wird irgendwann vernünftig und kommt davon weg. Ich wünsche es ihr. Mein Cappuccino ist inzwischen leer. Genau so leer wie diese Augen. Hier hab ich genug gesehen. Ich bezahle und gehe weiter durch die Stadt. Ich gehe genauer gesagt die Fußgängerzone entlang. Nach einer Viertel Stunde zu Fuß gelange ich zu einem Brunnen. Meinem Brunnen. Auf meinem Weg vernehme ich wieder diese Blicke. Sie stören mich jedoch nicht mehr so sehr wie am Anfang. Dann steht er vor mir, der Brunnen. Es ist ein alter Brunnen, er ist schon etwas heruntergekommen und schmutzig und auf seinem Grund schwimmen viele kleine Geldstücke die die Leute rein geworfen haben. Es soll ja angeblich Glück bringen. Ob das stimmt? Sollte ich dies auch mal probieren? Ich war schon oft hier an dem alten Brunnen und hab noch nie etwas hineingeworfen, denn es war immer mein Brunnen, den ich nicht noch mehr verschmutzen wollte, wie es schon immer die anderen Leute taten. Auch wenn er nicht die Schönheit der Natur ist, liebe ich ihn so wie er ist und ich liebe diese Stelle an der er sich befindet. Hier kommen viele Passanten vorbei, vor allem sobald die Sonne ein paar ihrer Strahlen durch die Wolken jagt. Dann bleiben viele stehen und setzten sich auf eine der Bänke, die um den Brunnen herum gebaut worden sind. Manchmal kommen noch ein paar freche Spatzen angeflogen, um irgendwelche Brotsamen aufzufressen, welche die Leute in ihrer Hektik beim Essen verloren haben. Und dann sehe ich wieder welche von ihnen. Ich sehe wieder die feinen Damen hektisch durch die Stadt laufen mit ihren Schuhen, bei denen die Absätze die Frauen immer um 3 bis 4 Zentimeter größer aussehen lassen als sie es wirklich sind. Alle haben immer diese sexy Klamotten an sei es nun Miniröcke mit hohen Stiefeln oder ein scharfes Kleid. Alle sind geschminkt, sind schlank und alle sehen immer so gut aus. Eigentlich müssten alle Männer reihenweise bei ihnen Schlange stehen. Meilenweit kann man noch ihre langen Haare im Wind wehen sehen und ihren Duft riecht man noch aus hunderten von Metern. So will ich auch mal sein, wenn ich groß bin. So cool und locker, in einem supergeilen Outfit, will ich einmal durch die Stadt laufen und dabei Blicke auf mich ziehen. Keine nervigen Blicke, sondern die Blicke der Männer. Und dann wird man auch mein Parfum noch aus einer meilenweiten Entfernung riechen können. Eine schöne Vorstellung. Doch mit dieser Vorstellung verzieht sich plötzlich der kleine Sonnenstrahl, der es noch durch die grauen Herbstwolken am Himmel geschafft hat. Ein Sturm kommt auf und die bunten Blätter kreisen förmlich im Wind. Sie tanzen auf und ab. Der Wind wird stärker und ich begebe mich fort von meinem Lieblingsbrunnen und mach mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Unterwegs wirbeln die Blätter sprichwörtlich nur so vor meiner Nase herum. Ich schau nach oben, der Himmel wird immer dunkler und ich spüre leichte Wassertropfen auf mich herabfallen. Nun aber schnell. Auch die anderen Leute haben es gemerkt und eilen schnell unter ein Dach oder gehen in ein Geschäft, dort ist es auch trocken. Manche haben auch ihre Regenschirme aufgespannt. Ich renne nun durch die Stadt im feuchten Regen, ich laufe durch die Fußgängerzone vorbei an meinem Café und zurück zur Bushaltestelle. Unterwegs spürte ich wieder ihre Blicke. Ich hatte Glück, ich habe es noch rechtzeitig zur Bushaltestelle geschafft bevor der Regen heftiger wurde. Ich steh nun unter ihr. Der Regen prasselt in Strömen aus der Wolkendecke herunter. Herunter auf die Stadt, auf ihre Blicke. Auf dem Fahrplan entnahm ich, dass mein Bus in 5 Minuten kommen würde. Diesmal war ich allein an der Bushaltestelle. Der Bus kam pünktlich und ich stieg ein. Wieder diese seltsamen Blicke, doch diesmal waren sie mir egal. Vorbei zog ich an ihnen wie der helle, grelle Blitz der im selben Augenblick am Himmel zu sehen war und die Stadt einen Moment lang beleuchtete. Ich machte es mir auf einem der Sitze bequem und keiner außer mir hatte wohl ein Lächeln auf den Lippen. Ich fuhr nach Hause.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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