Achim Müller

Hab dich ganz doll lieb

Ich war erst 13 Jahre alt, ging in einer kleinen Stadt bei Köln in die 7. Klasse einer Hauptschule. Seit zwei Jahren hatte ich große Probleme in der Schule. Ich kam mit zwei Lehren und einigen Klassenkameraden nicht klar. Oft haben die anderen mich verhauen oder mir auf dem Schulweg aufgelauert. Ich war ein Außenseiter und ein Prügelknabe. Die Lehrer haben mir nicht geholfen. Meine Schulleistungen sind immer schlechter geworden, ich habe mich in der Schule nicht wohl gefühlt. Ich habe dann auch kaum noch Hausaufgaben gemacht. Oft habe ich im Unterricht gestört, Klassenbucheinträge bekommen. Meine Mutter ist mehrmals in die Schule bestellt worden. Mein Vater hast sich da rausgehalten, er arbeitet Wechselschicht, entweder ist er arbeiten oder er pennt. Zeit für mich hat er fast nie. Erst hat es einige Gespräche mit dem Vertrauenslehrer gegeben, dann wurde ich mit meiner Mutter zum Schulpsychologischen Dienst bestellt.
Am Ende des 6. Schuljahres habe ich die Versetzung nicht geschafft, wurde dennoch in die 7. Klasse versetzt. Hast das Ziel der Klasse nicht erreicht, wird aus pädagogischen Gründen in die 7. Klasse versetzt steht unter meinen Zeugnis. Ich hatte 4 Fünfen und eine Sechs auf dem Zeugnis. Meine Mutter setzte nun alle ihre Hoffnungen auf das neue Schuljahr.
Nach den Ferien habe ich mich wirklich wieder auf den ersten Schultag gefreut. Jedoch habe ich da bereits wieder Prügel bekommen.
Ich habe mich wie ein Straßenköter zur Schule geschlichen, mich in den Pausen im Schulgebäude versteckt, um keine Prügel zu bekommen. Auch der Nachhauseweg war ein Spiesrutenlauf. Der Schulpsycho konnte mir da auch nicht helfen. Verstanden hat er eigentlich auch nichts.
Irgendwann habe ich dann angefangen die Schule zu schwänzen. Ich bin morgens aus dem Haus und habe mich draußen rumgetrieben. Nach Schulschluss bin ich dann nach hause gegangen und habe so getan als währe ich in der Schule gewesen. Den Lehrern war das wohl ziemlich egal, ich hatte befürchtet, das meine Mutter in wenigen Tagen informiert würde, jedoch kam wochenlang keine Reaktion von der Schule.
Ich habe mich einer Gruppe von anderen Kid's angeschlossen, die auch die Schule schwänzten, oder auch von zu Hause weggelaufen waren. Wir haben und im Kinocenter und in Kaufhäusern rumgetrieben. Häufig haben wir auch im Kaufhaus geklaut. Dann eines Morgens wurden wir beim klauen erwicht. Wir wurden festgehalten, und die Polizei gerufen.
Die hat mich dann nach Hause gefahren. Dann ist das mit dem Schulschwänzen aufgefallen.
Das hat riesigen Ärger zu hause gegeben. Wegen der Klauerei und dem Schulschwänzen kam dann ne Tante vom Jugendamt. Die hat sich mein Zimmer angesehen, und mit mir gesprochen. Dann hat die mit meiner Mutter abgehangen. Danach bin ich wieder drei Tage in der Schule gewesen. Natürlich habe ich wieder Prügel kassiert. Keiner hat mir geholfen. Es hat auch keiner verstanden.
Ich fing dann wieder an die Schule zu schwänzen und habe dann eine ordentliche tracht Prügel von meinem Vater dafür kassiert. Ich habe dann oft geschwänzt. Auch als meine Mutter mich morgens auf dem Weg zur Schule begleitet hatte, bin ich vorne rein, und hinten wieder raus.
Wegen dem Stress zu Hause, habe ich auch mal mich über Nacht draußen rum getrieben und habe auch mal unerlaubter weise bei einem anderen Jungen übernachtet. Auch bin ich mal wieder beim Klauen erwischt worden. Das hat den üblichen Ärger gegeben.
Einmal hat mich die Bullerei nachts um 2 Uhr draußen aufgelesen. Meine Mutter hat mich dann auf der Wache abgeholt.
Das hat dann in den letzten Wochen zu Hause viel Heulerei und Stress gegeben. Bis auf 4 oder 5 Tage bin ich aber auch nicht zur Schule gegangen.
Meine Mutter hat dann versucht beim Schulpsycho und bei der Tante vom Jugendamt Hilfe zu bekommen. Die Tante vom Jugendamt hat mich dann mit meiner Mutter ins Amt bestellt. Die hat mir dann eine Heimunterbringung in einem Erziehungsheim angedroht. Beeindruckt hat mich das nicht, ich habe ihr angedroht, dass ich in diesem Fall rechtzeitig ganz weit weglaufe, und mich niemand mehr findet. Ich weiß aber nicht ob die das beeindruckt hat. Auf dem Nachhauseweg hat meine Mutter dann eindringlich versucht, von mir ein großes Versprechen zu bekommen, das ich nicht mehr klaue, und wieder zur Schule gehe. Um Ruhe zu haben, hab ich's halt versprochen, aber eh nicht gehalten.
Mittlerweile war Weihnachten, und es waren ja Ferien. Da war wenigstens kein Ärger wegen der Schule. Ich hatte nun fast das ganze Halbjahr geschwänzt.
Weihnachten bin ich eigentlich mit meiner Mutter gut klar gekommen, über die Schule haben wir nicht gesprochen.
Es war dann der letzte Ferientag, und ich hatte eigentlich keinen großen Bock auf die Schule, hatte mir aber fest vorgenommen, es noch mal zu versuchen, meiner Muter zu liebe. Die hat mich nämlich die Weihnachtstage richtig verwöhnt, und mir fast jeden Wunsch erfüllt. Ich wollte ihr eben gefallen.
Am nächsten Morgen, bin ich früh wach geworden, es hatte wohl an der Türe geklingelt, und irgendwelche Leute waren bei meinem Eltern im Wohnzimmer. Ich machte mir keine Sorgen, ich hatte ja gar nix angestellt.
Auf einmal sind die in mein Zimmer gekommen. Das war die Tante vom Jugendamt, und eine fremde Frau und ein Mann. Die haben mir gesagt, die kommen von einem Erziehungsheim, und ich müsse sofort mitkommen.
Hilfe! Wo ist meine Mutter? Ich habe geschrieen, geweint und nach meiner Mutter gerufen. Nichts!
Ich habe mich verzweifelt gewehrt. Was für ein Albtraum, nein kein Traum, ich war ja wach, hellwach.
Ich habe in meiner größten Not geschworen, nie wieder die Schule zu schwänzen und nichts mehr zu klauen. Hilft nichts, zu spät.
Obwohl ich mich nach Kräften wehrte, habe die mich im Schlafanzug aus dem Bett gezogen, und in eine Decke gewickelt.
Der Typ hat mich wie ein Schraubstock festgehalten, ich hatte keine Chance. Der Kerl hatte Kraft und viel Übung. Ohne das ich eine Chance hatte mich irgendwo festzuhalten, hat er mich durch den Flur ins Treppenhaus getragen, geschoben. Das Auto wartet unten! Keine Wiederrede!
Die Tante vom Jugendamt hatte auf einmal meinen Reisekoffer in der Hand, den meine Mutter wohl heimlich bereit gestellt hatte. Meine Mutter, wo war sie?
Plötzlich hat sie kurz hinter mir gestanden, mich ganz fest gedrückt "Hab dich ganz doll lieb" sagte sie mit Tränen in den Augen. Und schon war ich weg.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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