Joe R.

Wie verhext

Es begann mit einem harmlosen: „Schatz, warst du an meinem Computer?“ Sie legte ihre Finger auf den Rand der Badewanne und drehte sich zu mir: „Dein Computer? Meine Küche, dein Computer?“, antwortete sie leicht erregt. Ich musste schmunzeln, wie fast jedes Mal, wenn meine Frau langsam in Rage zu geraten schien. „Nein, ich meinte den Laptop, meinen Arbeits-Computer.“ Ein wenig überrascht und ungläubig sah sie mich von unten herauf an: „Ich weiß doch, dass du das nicht möchtest. Wieso soll ich dann an deinem heiligen Computer gewesen sein?“, wobei sie „heiligen“ noch ein kleines bisschen mehr betonte, als „deinem“. Vor meinen nächsten Worten sah ich mich erst einmal um, was so alles in ihrer Reichweite lag, das sie nach mir werfen könnte. „Diese Geschichte, an der ich gerade sitze“, ich drehte den Kopf zur Seite und dachte kurz nach, „ich kann mich nicht erinnern die letzten beiden Seiten geschrieben zu haben. Das ist irgendwie seltsam. Und auch was dort steht“, ich sah ihr in die Augen und musste wieder grinsen, „passt überhaupt nicht zu dem Vorherigen.“
 
„Na, was steht denn da?“, fragte sie  mich keck. Kurz auf das Wasser in der Badewanne blickend, trat ich vorsichtig zwei Schritte zurück, und kratze mich am Kopf, bevor ich ihr eine Antwort gab: „Ich glaub’, das willst du nicht unbedingt jetzt wissen.“ Schon flog mir der nasse Waschlappen entgegen, dem ich aber gerade so ausweichen konnte. „Okay, okay - bevor noch die Seife fliegt, da war beschrieben, wie der verärgerte Ehemann seine quengelnde Frau in der Badewanne ertränkt.“ Mit hochrotem Kopf schrie sie mich wütend an: „Das findest du wohl auch noch lustig?“ Dann zischte durch die Luft, was greifbar war. Shampoo, Seife, Duschgel, Flakons, eine Bürste, und eine noch brennende dicke rote Kerze. Bei der Reihenfolge bin ich mir nicht mehr sicher, weil ich zu sehr damit beschäftigt war mich geduckt aus dem Badezimmer zu stürzen. „Du kannst dir die Couch schon mal gemütlich einrichten, für die nächsten paar Tage.“, rief sie mir hinterher.

Das mit der Couch kam mir sehr gelegen. Dort stand schließlich auch mein Laptop. Sie würde sich schon wieder beruhigen. Außerdem ist es ja nicht meine Schuld gewesen, schließlich wollte sie es doch unbedingt wissen. „Weiber!“, brummelte ich in meinen Bart und holte Kissen und Decke aus dem Schlafzimmer. Ich machte es mir mit einem Bierchen und Chips vor dem Fernseher bequem. Gesehen habe ich sie an dem Tag gar nicht mehr. Wobei – doch, spät nachts hat sie mich ziemlich unsanft geweckt, indem sie mir das Kissen unter dem Kopf wegzog, und übertrieben lieblich säuselte: „Du schnarchst so laut, dass ich nicht schlafen kann.“ Eben dieses Kissen schlug sie mir anschließend ins Gesicht. „Das muss wahre Liebe sein.“, murmelte ich noch schlaftrunken. Sie zog die linke Augenbraue hoch, legte den Kopf leicht zur Seite und lächelte nur. Statt eines Gute-Nacht-Kusses gab es dann allerdings nur drei weitere, leichte Schläge mit der flachen Hand auf meine Wange. Zufrieden pfeifend stolzierte sie zurück ins Bett. Wo ich schon wach war, konnte ich auch gleich versuchen etwas zu schreiben.
 
Laptop an! Sonores Summen von Lüfter und Festplatte. Als ich das Passwort eingab, musste ich noch einmal ganz kurz an die Sache vom Nachmittag denken. Ich hatte das Wort ja nirgends aufgeschrieben. Wie hätte meine Frau also überhaupt den Text eingeben können? Schließlich ging auf diesem Laptop nichts ohne das Passwort. Ob sie es vielleicht heimlich geknackt hatte? Aber wieso hätte sie so etwas überhaupt schreiben sollen? Absurde Gedanken, die auch schnell vergessen waren, als ich das Dokument mit meiner Geschichte öffnete. 64 Seiten, genau wie nachmittags. Allerdings hatte ich die letzten beiden gelöscht. Es hätte also nur 62 Seiten sein dürfen. Ich kontrollierte einige Zeilen am Anfang, dann scrollte ich weiter, bis zum ersten Wort von Seite 63.

Sie schlich sich aus dem Schlafzimmer. Lautlos tat sie Schritt um Schritt auf die Couch zu. Das nichtsahnende Opfer sollte unbedingt überrascht werden. Ein allerletztes Mal überrascht. Sie hatte endgültig genug. Sie hatte so oft darüber nachgedacht, es sich bildlich vorgestellt, wie sie wieder und wieder mit dem Messer, das sie krampfhaft in ihrer rechten Hand hielt, zustechen würde. Wie sie diese Erlösung genießen könnte. Das Blut an der Klinge. Überall Blut. An den Kleidern, auf ihrem Gesicht, dem Teppich, dem Wohnzimmertisch, der Couch, an den Wänden, und auf dem gottverdammten Laptop. Sie würde diese Untat zelebrieren wie ein Jahrhundert-Ereignis. Die Schreie sollten in ihren Ohren zu meisterhaften Arien werden. Nun trennten sie nur noch wenige Augenblicke von dem, was sie über alle Maßen begehrte. Schnell und flach war ihre Atmung. Das Adrenalin schoss durch ihre Venen. Ihr Puls raste. Die Augen weit aufgerissen. Sie musste sich zurückhalten, um nicht mit einem wilden Kriegsschrei auf die Couch zu springen. Unsägliche Schmerzen sollten das Opfer wecken, nicht irgendwelcher Lärm. Der letzte Schritt. Hoch erhob sie den Arm. In der Faust die todbringende Waffe. Die Anspannung war so groß, dass sie ihren Körper beinahe lähmte. Ein wuchtiger Stoß stand unmittelbar bevor. Vorsichtig streckte sie die linke Hand nach vorne. Zentimeter um Zentimeter kam die Lehne der Couch ihren Fingern näher. Ein Wimpernschlag noch, bis sie Halt finden würden. Sie krallte ihre Finger in das braune Leder. Holte tief Luft und…

„Aaaaah!“ – ich sprang von der Couch auf. Meine Frau stand hinter mir. Zuckte auch ordentlich zusammen. Sie hatte sich wohl mindestens genauso sehr erschreckt wie ich. Mein Puls schien die Adern sprengen zu wollen. „Bist du wahnsinnig?“, fuhr sie mich an, „Wenn du mich loswerden willst, dann schmeiß’ mich doch einfach aus dem Fenster, oder – oder – “, sie begann zu stottern, „oder ertränk’ mich das nächste Mal in der Badewanne!“ Nach vorne gebeugt, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, stand ich mit geschlossenen Augen da, und versuchte diesen Schock zu verdauen. Dass ich mit den Schienbeinen gegen die Tischkante geknallt war, konnte ich in diesem Moment gar nicht spüren. Leider verging der Moment wieder. „Lies mal, was da steht!“, sagte ich zu ihr unter Schmerzen, während ich mich umdrehte, um in die Küche zu humpeln und mir zwei Cool-Packs aus dem Kühlschrank zu holen. „Du solltest so einen Mist vielleicht nicht unbedingt mitten in der Nacht schreiben!“, hörte ich sie rufen. Die kleinen blauen, kühlenden Kissen vorsichtig gegen die nackte Haut gedrückt, stand ich nebenan. „Kinderbuch!“, rief ich zurück, „Ich schreibe ein Kinderbuch, verflixt noch Eins. Schäfchen, Entchen, Häschen – und alles ohne irgendwelche Mordwerkzeuge. Kein Blut, keine Couch, kein – was weiß ich. Und überhaupt hab’ ich diese beiden letzten Seiten nicht geschrieben.“ Mehr schlecht als recht hinkte ich wieder ins Wohnzimmer. Streng sah mich meine Frau an: „Soso, du hast das gar nicht geschrieben? Dir scheint es ja sehr zu gefallen, auf der Couch.“ Ich setze mich neben sie, drehte mich zur Seite und legte stöhnend meine lädierten Beine auf ihren Schoß.

„Du löschst das jetzt!“, bat ich meine Frau, „Du löschst diese zwei Seiten, und ich schau’ dir dabei zu, und dann wissen wir beide, dass es weg ist!“ Was sie, nach einem kurzen Monolog über „glauben“ und „nicht glauben“, über Vertrauen als Grundstein einer gesunden Partnerschaft, und über das mögliche Eigenleben eines all zu kreativen Geistes, schließlich auch tat. Ich hob meinen Kopf ein kleines Stück und fragte leise: „Hab’ ich dir heut’ eigentlich schon gesagt, dass...“, doch sie fiel mir ins Wort: „Dass du mich in der Badewanne ertränken möchtest? Nicht so direkt, aber irgendwie durch die Blume. Eine ganz merkwürdige Blume.“ Immerhin konnte sie das mit einem Lächeln sagen. War dieser Unsinn wenigstens doch noch dazu gut, den Tag mit einem Kuss zu beenden -  oder zu beginnen, denn es war mittlerweile drei Uhr morgens. Der Laptop wurde schlafen geschickt, die Decken und Kissen durften auch wieder nebeneinander liegen, und das Licht im Schlafzimmer war ein klein wenig romantischer als gewöhnlich... bis die Sonne aufging.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.06.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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