Fritz Rubin

Public Hearing - EURO 2008

Public Hearing

 
Was, werden Sie fragen, bedeutet denn das? Schon wieder eine neue Wortschöpfung?

Stimmt, und dieses Wort schreibe ich mir zu.

Entstanden ist es aus der Erfahrung des „Public Viewings“, dem gemeinsamen Feiern bei der Europameisterschaft im Fußball, der EURO 2008, auf Großbildleinwänden in der Öffentlichkeit.

Ich hatte vor der EM beschlossen, keine Spiele der deutschen Mannschaft anzusehen. Das geht mir immer so unter die Haut, ich bin dann  so aufgeregt, dass mein Puls bei 180 liegt, und ich dann später nicht einschlafen kann. Verschwitzt und aufgewühlt wälze ich mich dann im Bett hin und her, und gehe die Spielzüge noch einmal durch.

Um diesem Dilemma zu entgehen, hatte ich diese Entscheidung getroffen, ich gehe zum „Public Hearing“.

So saß ich also schon gut 10 Minuten vor Beginn der Spiele der deutschen Mannschaft auf meiner Bank vor der Haustür, schaute über das leicht hügelige Harzvorland mit den Harzer Bergen im Hintergrund.

Im Grün der Gärten begann das Abendkonzert der Vogelwelt, nur noch unterbrochen von ganz wenigen nach Hause eilenden Nachbarn. Dann wurde es ganz still auf den Straßen, aus Vorgärten drangen vereinzelte Stimmen, und ich, ich genoss diese Idylle.

Es waren ja durchweg warme laue Abende, der Regen schreckte mich nicht, denn ich saß ja im Trockenen, und so verfolgte ich also als öffentlich-rechtlicher Hörer diese EM  auf meiner Bank, nur angewiesen auf die hörbaren Laute, die aus den Wohnzimmern schallten.

Ich frage mich immer wieder, wie der Präsident Dr. Theo Zwanziger bloß diesen Kontakt zum „Jupiter Pluvius“ hergestellt hatte? Auch das Sommermärchen 2006 hatte diesen Charme eines Dauersommers. Aber das wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Dann plötzlich ein Urschrei aus den Wohnzimmern, ich wusste, das deutsche Team hatte ein Tor geschossen. Das Echo des Jubelsturms brach sich an den Hängen des Nordharzes und schwappte leise zurück in Richtung „Bärenköpfe“

Meine erste Flasche Bier hatte ich geleert, meine Frau saß bei unseren Graupapageien und schaute fern, meistens Reisebericht oder Tierdokumentationen, dachte ich. So gab es auch keine Dispute wegen des Fernsehprogramms.

Als ich zwischendurch einmal die Toilette aufsuchen musste, sah ich, dass meine Frau das Geschehen auf dem grünen Rasen verfolgte.

Ich konnte in aller Ruhe die Spiele auf meiner Bank verfolgen, brauchte mich auch nicht über viele sinnige oder unsinnige Kommentare zu ärgern - ein zweite leere Bierflasche stand unter der Bank.

Die Dämmerung senkte sich über die Region, ich hörte lautstarke Unterhaltungen aus den Häusern, konnte also den Ablauf der Spiele sehr gut verfolgen. Irgendwann hatte das Vogelkonzert aufgehört, und nur das Rauschen des Waldes unterbrach die Stille. Auf unserer Straße war es absolut ruhig, auch aus dem Ort drangen keine Fahrzeuggeräusche.

Dann folgte ein lang anhaltender Jubelschrei, das Spiel war beendet, und die deutsche Elf hatte gewonnen, dass dann das zweite Spiel anders verlief, das weiß jeder, das will ich auch nicht kommentieren. Aber da saß ich sehr gefrustet auf der Bank, das Bier schmeckt auch nicht so richtig.

Die folgenden Spiele bis zum  Finale brachten mir immer innere Zufriedenheit, „sitting in the evening sun“!

Mein „Public Hearing“ erfüllte mich mit großer Genugtuung, allein mit mir auf der Bank, nur die Tor- oder Entsetzensschreie brachten Leben in meine Idylle, es war eine besondere  Art, die EURO 2008 mal auf diese „Hörweise“ zu erleben.

Die Spannung beim Finale lag fühlbar, spürbar in der Luft. Und so saß ich an diesem Abend auch wieder auf meiner Bank.

Kein Torjubel, nur Stille nach dem Abpfiff. Es hatte nicht ganz gereicht, und ich saß dann noch eine  geraume Weile in der Dunkelheit diese Sonntagabends auf der Bank und sinnierte über das Ergebnis.

Ein Wort von Janis Lusis, dem russischen Speerwerfer bei den Olympischen Spielen in München, kam mir in den Sinn: „ The better one must win!“

Das waren u. a. seine Worte, als ich ihn nach der Speerwurfentscheidung am 04. 09. 1972 viele Tage später im Olympiadorf als Mitarbeiter des Nationalen Olympischen Komittees traf und ihn um ein Autogramm bat.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen, die spanische Mannschaft war eben besser, und unser Team hat sich insgesamt hervorragend aus der Affäre gezogen.

Klar will man gewinnen, wenn man in einem Finale steht, aber ein 2. Platz ist aller Ehren Wert.

 
Ich habe mir dann nach dem Abpfiff der einzelnen Spiele die Aufarbeitung der jeweiligen Spiele angeschaut und mich nur gewundert als meine Frau mir sagte. „Du, der Schweinsteiger hat aber ein ganz tolles Tor geschossen!“

Ich kommentierte diese Äußerung nicht, denn so hätte sie ja erfahren, dass ich gesehen habe, wie sie...

... mich hat es jedenfalls gefreut!

 
So habe ich mich dem „Public Hearing“ gewidmet, aus einer ganz anderen Hör – und Sichtweise die EM verfolgen können, ein durchaus angenehmer und nachhaltiger Eindruck eines faszinierenden  Ereignisses.
 
© Fritz Rubin, Othfresen, am 30. Juni 2008

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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