Heidelore Becker

Wiedersehen nach 31 Jahren

Sonntagnachmittag, Langeweile und nichts im Fernsehen. Als das Telefon läutete riß es mich förmlich aus meiner Lethagie heraus. "Hallo", sagte ich und vernahm eine tiefe männliche Stimme am anderen Ende. "Ich bins, Kevin". Mein Herz schlug mir von einem Augenblick zum anderen bis in die letzte Zelle meines Körpers. "Hallo", wiederholte ich unsicher und suchte nach passenden Worten. Mein Mund wurde ganz trocken, meine Hände ganz feucht. Etwas gequält fragte ich: "Wie geht es Dir?" Die erste Hürde war genommen. Seine Stimme hatte immer noch das gewisse rauhe im Unterton. "Tja, ich wollte mal hören, wie es dir so geht. Pascal hat mir die Bilder von Dir gegeben, letzten Sonntag, beim Kegeln und da stand auch deine Telefonnummer drauf". Seine Stimme wurde unsicherer. "Ja", sagte ich, "wir haben letzte Woche miteinander telefoniert. Er hat mich im Schulfreundeforum gefunden und dann gleich angerufen". "Du kommst nach Hessen, sagte Pascal mir?" "Ja, nächste Woche, zum Klassentreffen". "Bist Du nurnen Tag da, oder länger? Langsam realisierte ich was im Moment gerade geschah. "Ich werde drei Tage da sein. Ich habe noch ein paar Termine nebenbei, wenn ich schon mal da bin." Können wir uns sehen?" Seine Stimme wurde eindringlicher, fast bittend. "Ja sicher, ich habe mit Pascal ab gemacht, das wir uns am Freitag in der Altstadt treffen. Wollen dann essen gehen. Ich denke doch, dass Du dann auch dabei bist." Innerlich ging ich auf Distanz. Ich wollte keine Wiederholung aus 1976. "Und sonst, geht es Dir gut?" seine Stimme wurde wieder ruhiger. "Ja im Großen und Ganzen geht es mir nicht schlecht und Dir?" "Tja, ich bin verheiratet. Habe zwei Kinder, einen Sohn mit 19 und eine Tochter mit 14 Jahren." Im Unterton hörte ich Frust heraus. "Na das ist doch prima, dann scheint ja wenigens bei dir im privaten Bereich alles ok zu sein" "Es läuft nicht gut. Die Ehe hätte nie geschlossen werden dürfen", sagte er sehr ernst und fast tat er mir etwas leid. "Tja Männer behaupten das immer, gerade wenn sie mit einer anderen Frau sprechen. "Ich hab keinen Grund, dir was vorzulügen. Ich war immer ehrlich zu Dir!" Seine Stimme klang jetzt sehr bestimmt. "Sorry war auch nur so ein Spruch, war ein Witz. Es tut mir leid, das es nicht so gut läuft bei Dir." Wir sehen uns ja nächste Woche, dann haben wir ja vielleicht etwas mehr Zeit zu reden", sagte ich. "Ja sicher, dann bis nächste Woche. Ich freu mich drauf!". Übereilt legte ich auf, so als konnte ich damit das Gespräch als nichtig erklären lassen.
Wie in Trance saß ich auf meinen Sofa und konnte es kaum fassen. Nach 31 Jahren rief er an. Und swubs, da war es wieder, das gefühl tief in mir, welches mich 1976, nach unserer Trennung, mir fast mein Herz verbrannt hätte. Bilder wurden in mir wach. Seine gelbe Hercules. Er vorne ich hinten. Damals trug man Schlagjeans. Der heiße Sommer '76. Heiß in jeglicher Form. Er war mein erster Freund, mein erster Liebhaber und als derSommer vorbei war, waren auch wir zwei Geschichte, zumindest für ihn. Damals fühlte ich mich ziemlich ausgenutzt und irgendwie wie weggeworfen. Verheiratet, dachte ich, schlechte Ehe1 das hat er nun davon. Ach was ein Quatsch, rief ich mich zur Ordnung. Wir waren jung. Diese Dinge halten nie länger als einen Sommer. Ich schaltet den Ton vom Fernseher wieder ein, aber meine Gedanken blieben bei ihm. Wie mochte er heute aussehen? Wie hatte er sich verändert?
 
Als er in der kleinen Fußgängerzone auf mich zukam, noch immer mit diesem schwingenden Schritt, spürte ich, wie sich mein Herz verkrampfte. 2 Meter vor mir öffnete er seine Arme und stürmte fast auf mich zu. Spätestens zu diesem Zeitpunkt mußte ich mir eingestehen, das es nie aufgehört hatte. Er hatte sich kaum verändert. Er war älter geworden. Sein damaliges Schulterlanges Haar war schütter geworden und jetzt kurz geschnitten, aber seine grüngrauen Augen waren immer noch dieselben. Sie hatten was durchdringes und gleichzeitig was sanftes und beruhigenes. Noch immer hielt er mich in seinen Armen, schien mich gar nicht mehr loslassen zu wollen. Ja, dachte ich, so sollte ein Mann aussehen. 48 Jahre, kaum graue Haare, schlank, Jeans Turnschuhe, schwarzes Trägerhemd und ein gelbe Strickjacke. Hätte ich mir in den letzten 31 Jahren einen Mann backen können, so hätte er ausgesehen.
Später im Lokal zog er seine Jacke aus und zum Vorschein kamen zwei durchtrainierte Arme. Nur zart behaart. Ich sah ihn an und mir stockte fast der Atem. Wen der Rest auch so war, dann sollte ich sehen, das ich schnellstmöglich den Abend hinter mich brachte. Ach, immer diese Äußerlichkeiten!
jetzt erst fiel mir auf, das er alleine gekommen war. "Wo ist der Rest der Bande?" fragte ich ihn. "Ich weiß nicht, wir wollten uns hier treffen. Hab heute morgen noch mit Pascal gesprochen."
Mit glänzenden Augen sah er mich an, stützte sich dabei mit den Unterarmen auf den Tisch und sagte:" Ich muß Dir was sagen. Was 1976 geschehen ist, tut mir leid. Ich hab blöd reagiert.!" Dabei holte er seine Geldbörse heraus, legte sie auf den Tisch und zog ein Foto heraus, um es vor mich auf den Tisch zu legen. Es war ein Paßfoto einer 15jährigen. Ich erkannte mich darauf und er sagte:" Ich hab es immer noch und die beiden Briefe, die du mir geschrieben hast auch. Ich weiß nicht mehr, warum ich dir nicht geantwortet habe, oder war warum der Sommer so abrupt für uns zu Ende war. Ich weiß nur, das es mir leid tut.
Mir stockte der Atem. Mir fehlten die Worte. Ich sah ihn nur an, sah in seine Augen und erkannte das es die Wahrheit war. "Die Gerüchteküche broddelte damals", sagte er. "Man hat sich erzählt, das Du Dir das Leben nehmen wolltest" Sanft griff er über den Tisch und nahm meine beiden Hände in seine und drehte sie um, um gleich daruf die Narben an meinen Handgelenken zu entdecken. Fragend sah er mich an. "Es war einfach zu viel, damals", sagte ich mit zittriger Stimme und ich spürte, wie Tränen in mir hochkrochen, "ich verlor nicht nur Dich, damals, sondern auch mein Zuhause, den Ort, wo ich aufgewachsen war. Ich konnte nicht zurück, meine Mutter hat es verboten. Ich war 15 und ich dachte die Welt ist zu ende." Eine einzige Träne kullerte mir über meine Wange und als sie in Höhe meines Mundwinkels angekommen war, spürte ich seine Hand, die sie einfach wegwischte. "Alles wird wieder gut!, sagte er mit sanfter Stimme und hielt meine Hände dabei fest gedrückt, wobei seine Daumen zärtlich über meine Narben strichen.
Während des Essens erzählten wir uns aus unserem Leben und mit einem mal wollte ich das der Abend ewig dauerte. Die Stunden flossen dahin und als der Kellner zum Abkassieren an unseren Tisch trat, um das Lokal schließen zu können, realisierten wir erst, wie spät es schon war.
Auf dem Weg zum Hotel, in dem ich für 3 Tage eingecheckt hatte liefen wir durch die alten Gassen, deroberhessischen Kleinstadt. Das Kopfsteinpflaster war immer noch eine Mördertotour für Highheels, der Bäcker an der Ecke war immer noch da. Das Eiscafe existierte immer noch und auch sonst hatte sich kaum ws verändert. "Die Zeit scheint hier stillgestanden zu haben", sagte ich und sah zu ihm auf. Für den Bruchteil einer Sekunde berührte seine Hand die meine und es durchzuckte und beide wie ein Blitz. "Ja, manche Dinge ändern sich nur schwer und manche nie!"
Fast förmlich verabschiedete er mich vor dem Hotel, stieg in seinen BMW, während ich die Treppen zum Hoteleingang hinaufschritt. Ich sah ihn noch aus der Hofeinfahrt fahren. Dann verschwand er - so wie er gekommen war.
Als ich mein Hotelzimmer betrat war ich noch ganz benommen, von den Abend. 1000 Gefühle hatten sich aus meinem Innersten wieder nach oben geschafft. Ich stellte den Fernseher an, ging noch ins Bad und kroch dann in mein Bett. Die Bettwäsche war weiß und gestärkt und lag wie ein Brett auf mir. An schlaf war nicht zu denken. Innerlich war ich zu sehr aufgewühlt. Ich konnte es nicht genau definieren, aber es ging was schreckliches in mir vor. Irgendwann in der Nacht war ich dann doch eingeschlafen. So schreckte ich hoch, als sich mein Handy schrill zu Wort meldete. Durch das geöffnete Fenster hörte ich den Verkehr auf der Strasse. Ich griff zum Handy, drückte die grüne Taste und melde mich total verschlafen. "Guten Morgen, mein Engel", hörte ich durchs Telefon an mein Ohr dringen. "Ich habe die schrecklichste Nacht meines Lebens hinter mir. Ich konnte kaum schlafen. Können wir uns sehen? Ich muß mit Dir reden." "Tja, Kevin, um ehrlich zu sein, war meine Nacht auch nicht der Hammer, aber ich glaube wir sollten es dabei belassen. Was soll bei dem Gespräch herauskommen? Du bist verheiratet, unglücklich, aber verheiratet. Ich wohn 300 km entfernt. Was sollen wir reden?"
"Ich weiß nicht, aber ich weiß, das ich dich  nicht nach Hause fahren lassen kann! Bitte!" 
"Laß mich erst mal wach werden", bat ich ihn, um Zeit zu gewinnen. "Ich ruf dich später an, ok!" "Ok", sagte er gequäl, "ich warte. Mein Hy ist an. Ich geh jetzt arbeiten. Kannst jeder Zeit anrufen, aber bitte vergeß es nicht, bitte"
An diesem Tag fand mein Klassentreffen statt, aber mit den Gedanken war ich bei ihm. Es war eine Reise in die Vergangenheit und das Ende der Vergangenheit war nicht gut ausgegangen. Immer wieder stieg an diesem Tag Angst in mir auf. Genau benennen konnte ich sie nicht. Am späten abend rief ich ihn dann endlich an. Den ganzen Tag über hatte ich mir überlegt, wie ein weiteres Treffen aussehen sollte. jetzt hatte ich einen Plan entwickelt und war bereit. Kevin hob den Hörer bereits nach dem ersten Klingeln ab. "Hallo, ich dachte schon du meldest dich gar nicht mehr." "Also gut, Kevin, morgen Mittag, bevor ich zurück fahre. Sagen wir 14 Uhr im Marktcafe." Das paßt mir gut, also dann bis morgen und danke1"
Das Klassentreffen ging vorüber und die folgende Nacht verbrachte ich wie die vorherige sehr unruhig. Den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch erreicht mich sms von ihm. Immer wieder ging ich meinen Plan durch, um möglichst unbeschadet aus der Sache herauszukommen.
Pünktlich um 14 Uhr parkte er seinen Wagen auf dem Marktplatz. Ich hatte bereits im Cafe auf der Aussenterasse Platz genommen und sah ihn kommen. In mir stieg ein sehr warmes Gefühl auf. Als er auf mich zusteuerte lächelte er auf seine ganz besondere Weise, wie nur er es konnte. Ohne Umschweife begann ich meine Erklärung, die zum Ziel hatte, das er seine Ehe als was Heiliges ansehen sollte und mich als Relikt aus der Vergangenheit. Nach über 30 Minuten Predikt, in der mich nicht einmal unterbrochen hatte, sagte er: "Ich habe mich getrennt!"
Mein Plan war gescheitert und seit über einem Jahr sind wir ein Paar!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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