Dorian Kirschstein

Der perfekte Mord

George Ernest Skye war zeitig losgefahren. Natürlich hatte er noch warten müssen, bis die Schlaftablette wirkte, die er seiner Frau verabreicht hatte. Aber nun stand er vor der abgelegenen Villa seiner Tante Elsbeth Wellington. Sie lebte alleine in dem großen Anwesen aus victorianischer Zeit. Ihr Mann war schon lange tot und George konnte es ihm kaum verdenken: Elsbeth war eine unausstehliche Person. Daran hatte man sich gewöhnen können, aber beim letzten gemeinsamen Essen war sie wirklich zu weit gegangen. Sie hatte ihm geschworen, dass sie ihn enterben würde, nur weil er eine ihrer furchtbaren Kitschfiguren zerdeppert hatte. George war im Zugzwang; er brauchte das Geld.
Der lang geplante Überraschungsbesuch rief bei Tantchen Ekelbeth, wie sie in Abwesenheit von jedem genannt wurde, eher verhaltene Freude hervor. Nach zahllosen Beschimpfungen bat sie George schlußendlich auf eine Tasse Tee in den Salon. Während sie mit dem Service beschäfftigt war, das schon älter als sie selbst zu sein schien, hatte er Zeit, sich seinen Plan noch einmal vor Augen zu führen, wie er es schon hunderte Male zuvor getan hatte. Da es sein erster Mord werden sollte, hatte er sich die wichtigsten Punkte auf seinem Notizblock notiert.
Ihm war klar, dass er als Hauptverdächtiger gelten würde, denn Tantchen hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie in den nächsten Tagen ihr Testament zu Gunsten eines Tierschutzvereines ändern wollte. Deshalb hatte George beschloßen, keine Fehler zu machen, und nächtelang über dem Problem des perfekten Kapitalverbrechens gebrütet. Nun rühmte er sich, bei aller Bescheidenheit, die bestmögliche Ausführung gefunden zu haben.
Zünachst würde er seine Tante umlegen. Hinter dieser kurzen Notiz, die es in sich hatte, stand in großen Buchstaben: „KEINE EMOTIONEN!“ Denn Nervosität und Angst, das wußte George, machten jeden weiteren Schritt zwecklos. Allerdings war er sich sicher, in Anbetracht der Abscheulichkeit seiner Tante würde es ihm nicht schwerfallen, gefühllos zu agieren.
Wenn seine Tante erst die Hölle unsicher machte, würde er die Tür zur Terasse öffnen, sodass die Leiche schnell abkühlen würde und eine genaue Bestimmung des Todeszeitpunktes kompliziert wäre. Dann würde George einige Wertsachen einstecken, die er später zu vernichten gedachte, und mit Genuss einige Figuren zerschlagen, um die Gendamerie zur Annahme eines Raubmordes zu verleiten.
Der nächste Punkt wäre das Verlassen des Hauses - ohne Spuren zu hinterlassen, selbstverständlich – und der unauffällige Abendspaziergang zu seinem Wagen, den er in der Nähe geparkt hatte, aber nicht so nah, dass er in Verbindung mit dem Mord gebracht werden könnte. Natürlich durfte er auch in der Nachbarschaft keine Zeugen haben, die womöglich Motorgeräusche gehört hatten, deshalb würde er den Wagen die letzten Meter schieben. Daheim angekommen folgt ein wichtiger Schritt: Die Beschaffung eines Alibis. George war stolz auf seinen Einfall, seine betäubte Gattin zu wecken, nachdem er den Wecker auf ihrem Nachttisch einige Stunden zurückgestellt hatte, sodass sie glauben musste, dass er keine Zeit gehabt hätte, zu seiner Tante zu fahren. Es gibt keine besseren Zeugen als jene, die von ihrer Aussage auch überzeugt sind.
Am nächsten Tag würden beide vollkommen unverdächtig eine schon länger geplante Kreuzfahrt antreten. „Ein perfekter Plan!“, lachte George.

„Der Gärtner hat uns heute um 10.30 Uhr benachrichtigt, dass die Terassentür der Villa offen stehe. Das Opfer ist wahrscheinlich schon gestern getötet worden. Als Tatwaffe wurde ein Fleischermesser aus dem Besteckbestand des Hauses verwendet. Die Indentität ist noch nicht geklärt.“ Der Sergant erstattete Inspektor Dover von Scottland Yard einen ausführlichen Bericht. „Zudem fehlen einige teure Kunstgegenstände, der Salon bietet ein Bild der Zerstörung. Nur diese häßlichen Nippesfiguren sind verschont geblieben. Wir gehen von einem Raubmord aus.“
Die Leiche lag auf dem staubigen Perserteppich vor dem Couchtisch. Blut sickerte aus der klaffenden Wunde im Rücken und färbte das Umfeld dunkelrot. Bleiche Finger umklammerten den Griff einer zersplitterten Teetasse.
Der Tod hatte das triumphierende Lächeln auf Georges Gesicht zu einer unwirklichen Grimasse der plötzlichen Erkenntnis gemacht.

Derweil saßen Elsbeth Wellington und ein grobschlächtig wirkender Herr namens Cliath Wallace Butcher vor einem lauschigen Strandcafé in Santiago de Cuba. Genüsslich eine Longdrink schlürfend, stellte er fest: „Einerseits schade, dass dein Neffe in unsere Vorbereitungen platzen musste. Andererseits ...“, er gähnte, „andererseits macht so eine Leiche die ganze Sache doch viel glaubwürdiger. Wenn die Versicherung zahlt, und sie wird zahlen müssen, fangen wir beiden Hübschen hier ein neues Leben an. Wer wird uns schon verdächtigen.“ Elsbeth lächelte. Ja, Georges Plan war wirklich perfekt gewesen.
 
gewidmet Agatha Christie, der Queen of Crime 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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