Dorian Kirschstein
Der Weltuntergang zum Sonntag
Erster Sonntag – Der Anfang vom Ende
Alles fing damit an, dass Frau Lauthall beim allwöchentlichen Sonntagsfrühstück ihre Kaffeetasse umwarf.
„Kannst du nicht aufpassen?“ Das war Herr Lauthall, der, wie üblich die Zeitung lesend, das Geschehen beobachtete. Allerdings nur das Weltgeschehen, da er recht klein gewachsen war.
„Jaul!“ Das war Fiffi, der Familien-Dackel, der gerade Frau Lauthalls Kaffee aufgefangen hatte. Fiffi war noch etwas kleiner als Herr Lauthall, aber er war stolz auf seine langen Beine, die bis zum Boden reichten.
„Klirr!“ Das war Frau Lauthalls Teetasse (die Lauthalls unterschieden streng zwischen Tee- und Kaffeetasse, schließlich muss alles seine Ordnung haben). Aus Fassungslosigkeit über das erste Malheur des Tages, ach was, ihres Lebens, ließ sie auch ihre Teetasse fallen, da sie die nicht mehr fassen konnte, weil sie ja fassungslos war.
Frau Lauthall bekam es mit der Angst. Soeben ging ihr geordnetes Leben den Bach runter. Jahrelang war das Ritual des Sonntagsfrühstück fehlerfrei ausgeführt worden, und nun soetwas!
Zu allem Überfluß senkte jetzt auch noch Herr Lauthall seine Sonntagszeitung, ein historischer Moment. Dann ging alles ganz schnell: Herr Lauthall schrie; er sah Kaffeeflecken neben Teetassenscherben, Frau Lauthall schrie; sie hatte ihren Mann noch nie Sonntag morgens gesehen; und Fiffi jaulte – Frau Lauthall war einen Schritt zu weit zurückgewichen.
Das Frühstück war ruiniert, der restliche Tag gleich mit, Herr Lauthall legte sich wieder ins Bett. Frau Lauthall wischte geschockt die Spuren der Zerstörung auf und Fiffi war einfach platt.
Zweiter Sonntag – Weiterführendes Ende mit Cräschändo im letzten Takt, gespielt in F-Dur
Um die Schmach des letzten Sonntags, seit dem Herr Lauthall übrigens das Bett nicht mehr verlassen hatte, vergessen zu machen, hatte Frau Lauthall beschloßen, dass dieses Frühstück perfekt werden müsse. Zunächst hatte sie überlegt, ihren Mann im Schlafzimmer einzuschließen. Nach längerem Erwägen war ihr das aber hinterhältig vorgekommen, schließlich hätte er dann einen Grund gehabt, nicht mit ihr frühstücken zu müssen.
Lieber wartete sie mit dem Ideal-Standart-Sonntagfrühstück auf. Außerdem wartete sie auf Herr Lauthall, der sich im Bett noch seelisch vorbereitete.
Als die Schläge gegen die Wand endlich aufhörten, verschwand Frau Lauthall in der Küche. Keine fünf Minuten später hörte man die heisere, aber durchdringende Stimme Herrn Lauthalls: „Berta, ich glaube, das Ei ist hart!“ Nach anfänglichem heiligen Schrecken rief sie zurück: „Das ist doch erst der Eierbecher, Friedel!“ Dann brachte sie die Eier, die sich übrigens auch erschreckt hatten, auf den Tisch.
Herr Lauthall hatte inzwischen Zeitung lesend alle fünf Marmeladensorten auf der Tischdecke verteilt, Salz in seinen Tee geschüttet und ein Stuhlbein abgesägt. Zur optischen Optimierung der reich gedeckten Tafel hatte Frau Lauthall eine Kerze und eine Blumenvase (Blumen hatte sie nicht mehr bekommen können) aufgestellt. An letzterer nippte Herr Lauthall soeben und beschwerte sich, dass der Kaffee ja schon kalt sei.
Seine Unzufriedenheit steigerte sich leicht, als seine Zeitung mit ausgerechnet dem Sportteil voran in die Kerzenflamme geriet. Herr Lauthall sprang auf, auf Fiffi, der heute Abstand von Frau Lauthall gehalten hatte, und stierte auf die sich ausweitenden Flammen. Fiffi stierte auch.
Nach einigen Gedenkminuten, in denen der Tisch vollkommen niederbrannte, keuchte Herr Lauthall: „Du warst es, Berta! Du hast sie gehasst, weil ich ihr mehr Liebe und Aufmerksamkeit schenkte als dir! Gib schon zu, das hat dich zu dieser Eifersuchtstat getrieben! Wahrlich ein heimtückischer und feiger Mord! Wie soll ich ohne die neusten Sportnachrichten leben – töte mich auch!“ Er reichte Frau Lauthall das Brotmesser. Die ging wutentbrannt auf ihn los und schrie: „Oh, das habt ihr beide euch ja schön ausgedacht! Noch im Tod wollt ihr mich wegen Doppelmordes hinter Gitter bringen! Aber das hast du dir so gedacht! Natürlich habe ich sie gehasst, genau wie dich! Jawoll, damals wollte ich doch nur meinen Ex eifersüchtig machen, aber deine Eltern mussten uns ja gleich in einer Spontan-Hochzeit verehelichen, um dich endlich loszusein! Spüre meine Rache – ich werde dich nicht töten!“ Sie warf das Brotmesser durch den Raum und ihrem Mann einen tödlichen Blick zu. Obwohl, sie wollte ihn ja nich umbringen. Einen fast tödlichen Blick also. Türengeknalle links, rechts. In der Mitte der zitternde Fiffi, den das Brotmesser knapp verfehlt hatte.
Sonntag, ein Jahr später – Das Ende vom Ende
Frau Stehauf saß einsam an ihrem neuen Tisch und trank Kaffee aus einer Teetasse.
Herr Lauthall-Lerntnix war erneut von seinen Eltern verheiratet worden.
Fiffi war geflohen. Die beiden hatten wirklich einige tiefe Eindrücke bei ihm hinterlassen.
Es war wirklich schwierig, die Geschichte in eine Kategorie einzuordnen. Nach vielen Wechseln dachte ich mir, Einfach so zum Lesen und nachdenken trifft es am besten. Denn wirft nicht jeder von uns einmal eine Tasse um...?Dorian Kirschstein, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.07.2008.
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