Uwe Eden

Quartalsfreundschaften

Quartalsfreundschaften

oder  Verderben Eier den Charakter?


Es waren einmal zwei Freunde. Der eine, Herbert, war der jüngste
Sproß eines ostfriesischen Großbauern. Der andere, Hans, ein
armer Teufel.

So war der Bauernbursche wohlbehütet aufgewachsen und wurde
später, als er das Haus verließ um einen Handwerksberuf zu
erlernen, von seinem Vater mit einem beruhigenden Geldpolster
ausgestattet.
Zwar konnte man sich davon nicht zur Ruhe setzen, doch
ermöglichte dieses Geld dem Sohn eine frühe Heirat.
Flugs wurde auch das erste Kind geboren, ein Mädchen, und man
war eigentlich eine glückliche Familie.

Hans indes hatte es nicht so gut getroffen. Zwar mit einer
überaus zufriedenstellenden Erziehung groß geworden, mußte er
mit seinen vier Geschwistern und seiner Mutter die Kriegswirren
allein durchstehen.
Der Vater war sehr früh gestorben.
 
Mit allen Geschwistern verstand Hans sich stets außerordentlich
gut. Nur ein Bruder  - der älteste - ging schon recht früh in
die  Fremde und machte Karriere.
Mit dem verstand sich eigentlich niemand von den Geschwistern so
recht. Dennoch  zog  Hans nach seiner Lehre als Schreiner zu
seinem älteren Bruder, da in der rheinischen Region weitaus mehr
Aussicht auf eine Anstellung bestand.
Und weil Hans handwerklich sehr geschickt war, machte er sich
auch alsbald selbständig und sein Bruder überließ ihm einen
Bauplatz für ein kleines Häuschen auf seinem Grundstück.

Für den 23- jährigen stand die Welt offen. Hatte er doch Erfolg
im Beruf, eine liebevolle Frau und zudem noch zwei Kinder. Eine
sichere Existenz, die Anfang der Sechziger Jahre noch lange
nicht jeder hatte.
Nur rechnete Hans leider nicht mit dem schlechten Charakter
seines Bruders. Denn sonst hätte er sicher den ungeschriebenen
Grundsatz beherzigt, daß man keine Schenkung und keinen Vertrag
ohne schriftliche Fixierung abschließt.
Mündliche Vereinbarungen - ob zwischen Freunden oder
Geschwistern - schwören allzu leicht böses Blut herauf.

Und so geschah es auch zwischen Hans und seinem Bruder: Mit
einem Mal war das Grundstück und das kleine Haus nicht mehr
Hansens Eigentum, sondern er sollte dem Bruder Hinnerk seine
"damalige Leihgabe" mit einer stattlichen Summe vergüten.

Hans, von Natur aus fried- und freundlichen Gemüts, im Gegensatz
zum eher rücksichtslosen Hinnerk, konnte erst nicht glauben, was
da aus dem Munde seines Bruders kam. Nachdem er sich aber die
Ausbeutung von Mutter und Bruder ins Gedächtnis rief, die
Hinnerk beide für den Aufbau seiner Hühnerfarm unentgeltlich
benutzt hatte, brach er jeglichen Kontakt zum Nachbarn und
Bruder ab.
Das Ergebnis war ein Kleinkrieg, wie es ihn eigentlich nur
zwischen Erzfeinden gibt.

Hinnerk arbeitete mit allen Mitteln:
Er scheute sich nicht, das Schlafzimmer des jungen Ehepaars
unter Wasser zu setzen, die Frau gegen ihren Mann aufzuhetzen
und den Streit in einen Kampf mit Mistforken und Schaufeln
gipfeln zu lassen.
Dieser Streit bis aufs Messer war dann auch in etwa das letzte
Aufbegehren von Hans; sich dem zerstörerischen Agieren des
Bruders zu widersetzen.
Denn zu dem Zeitpunkt war seine Ehe schon kaputt, zermürbt durch
die Attacken des Bruders und durch die viele Arbeit des jungen
Unternehmers.
Zudem machte Alkohol alles schlimmer. So schlimm, daß kein gutes
und beschwichtigendes Wort die einst Liebenden mehr
zusammenführen konnte.
 
Eines Tages packte Hansens Frau die Koffer sowie die Kinder -
und suchte das Weite.

Aus dem glücklichen jungen Mann wurde ein armer, getäuschter und
verlassener Teufel.
 
Hans stürzte völlig ab.
Alles was ihm blieb, war die Arbeit.

Er zog irgendwann wieder ins Norddeutsche, arbeitete um zu
leben. Und lebte um zu arbeiten.
Im Herzen aber immer noch mit der vergeblichen Hoffnung,
vielleicht doch noch einmal mit seiner Familie vereint zu sein.

Eines Tages kreuzten sich dann die Wege von Herbert und Hans.
Alsbald entwickelte sich eine Freundschaft zwischen dem
Bauernsohn, der mittlerweile den Malerberuf erlernt hatte und
Hans, der sich in seinem Schmerz über so lange Jahre von allen
Freundschaften distanziert hatte.

Hans blühte aufgrund des familiären Anschlusses etwas auf und
sein Leben bekam langsam wieder so etwas wie einen Sinn.
Besonders, als Herbert anregte, mit dem Freund zusammen ein Haus
zu bauen, wobei Hans allein die Arbeit zu tun hatte, Herbert
aber für das Finanzielle zuständig sein würde.
"Schließlich habe sein vermögender Vater ihm kürzlich ein
Baugrundstück geschenkt!"

Hans schöpfte Hoffnung. Hatte er doch endlich einen Freund
gefunden. Dazu kam, daß sein Sohn, mittlerweile 13- jährig, in
der Nähe bei einer Tante wohnte, weil seine Ex-Frau mit der
Erziehung der beiden Kinder Schwierigkeiten hatte.
 
Mit einem Mal war alles anders! Hans stürzte sich in die Arbeit
und es verging kein Tag, an dem er nicht an dem
Zweifamilien-Bungalow arbeitete.
In den Sommerferien nahm er sogar seinen Sohn mit auf die
Baustelle, zeigte ihm alle Handgriffe und Kniffe, die er sich im
Laufe der Jahre selbst beigebracht hatte und teilte ihm später
sogar mit, daß die eine Wohnung  für sie beide, die Schwester
und die Mutter gedacht ist.
Aber er deutete  auch an, daß die Mutter noch nicht eingewilligt
habe.
Doch man war ja auch noch lange nicht fertig.

Es wurde ein wunderschöner Sommer für Vater und Sohn. Man lebte
bei dem malernden Bauernsohn in einer kleinen Dachwohnung,
zusammen mit dessen Frau und dem kleinen Mädchen und machte,
wenn man zusammen auf der Baustelle war, Pläne, wie man die
Wohnung einrichten würde und was man als Familie gemeinsam alles
unternehmen könnte.

Zwar wurde das lang entbehrte Zusammensein etwas getrübt durch
eine Unart der Malerfamilie, die aber das Zugehörigkeitsgefühl
der beiden nicht schmälerte.
Vater und Sohn zwinkerten sich immer zu, wenn es ans Essen ging
und die Frau des Freundes ihre ganze Schüssel gekochter Eier
auftischte.
Das geschah zu jeder Mahlzeit:
Stets wurden etwa zwanzig  Eier gekocht, die auf dem Tisch mehr
Platz einnahmen als das Hauptnahrungsmittel Brot. In ebenso
großen Mengen, wie in anderen Familien Brot und Kartoffeln,
wurden von den beiden die zahlreichen Eier verzehrt. Für die
zwei, die sonst recht annehmbar waren, schien es als Heiligstes
zu gelten, ungeborene Küken zu schlürfen. Und das zum Frühstück,
zum Mittagessen und zum Abendbrot!

Wie man sich denken kann, hatte dieser ungemäßigte Eierkonsum
durchschlagende Folgen. Denn es stank in jedem Winkel der
kleinen Dachgeschoßwohnung nach Eiern. Nicht nach dem angenehmen
Geruch, welchen das Sonntagsei eines normalen Essers verströmt,
sondern eher wie eine geballte Ladung verfaulender Eier.
Etwa wie eine Dauer-Stinkbombe.
Vater und Sohn störte dieser einzige negative Aspekt aber nach
einer kurzen Eingewöhnungszeit nicht mehr. Sie nahmen es mit
Humor.

Der Sommer ging vorüber, der Hausbau neigte sich dem Ende und
Hans hatte zum zweiten Mal seine handwerkliche Geschicklichkeit
bewiesen, indem er mit eigenen Händen nahezu alleine ein Haus
fertiggestellt hatte.
Diesmal jedoch einen gelb geklinkerten Bungalow der ganz
luxuriösen Art, in den er wirklich seine ganze Kraft und Energie
hineingesteckt hatte.

Wie sehr wünschte er sich wieder eine intakte Familie und wie
sehr wollte er die vergangenen acht Jahre ungeschehen machen,
die seine Frau ihn nun schon verlassen hatte.

Aber wieder stolperte Hans über sein freundliches Wesen und
bedachte abermals nicht die Falschheit und Gemeinheit von
Freunden, wenn es um den Mammon geht. Und abermals war es die
alleinige mündliche Vereinbarung, die ihm alles nahm, was er
sich so schwer erarbeitet hatte.

Das alles ist jetzt zwanzig Jahre her. Herbert ist glücklich mit
seinem Zweifamilienhaus. Seine Frau hat dem Eierfressenden
Bauernsohn jedoch die Kochdienste gekündigt und ist mit dem Kind
nach Jahren der Mißhandlungen geflüchtet.
 
Hans' Kinder sind erwachsen und konnten, erwartungsgemäß, nicht
mehr auf eine heile Familie hoffen.

Doch Hans hat seinen milden - stets an das Gute im Menschen
glaubenden - Charakter beibehalten, ist heute aber ruhiger und
vorsichtiger geworden, wenn es um Freundschaften und Liebe geht.

Wenn er heute noch gelegentlich, immer aber verbittert, an
seinen ehemaligen Freund Herbert denkt, dann ist das zumeist bei
seinem Frühstücksei.

Deshalb ißt er wohlbedacht nur ein Ei, denn man kann nie wissen,
ob  übermäßiger Eierkonsum einen schlechten Charakter fördert
oder ob der angeboren sein muß.
 
                                                                                Uwe Eden.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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