Rita Bremm-Heffels

....raus bist du!




Komisch, heute Morgen habe ich an Carola gedacht.
Vielleicht durch eine ähnliche Geschichte.
Ein klein wenig hat sich mein Fell verdickt in diesen vielen Jahren,
Lehrjahre, ganz sicher keine Herrenjahre.

Wie lange ist sie her, diese Geschichte, die doch so wichtig für mich war.
Grundlage für vieles, was später geschah in meinem Seelenleben.


Carola uns ich kannten uns seit der Schulzeit. Sie war schmal und zart, immer etwas dramatisch in allem. In ihrer Ausdrucksweise, indem was sie erzählte und in ihren Bewegungen, mit denen sie ihre Worte unterstrich.
Ihr Elternhaus war nicht das Beste. Meines auch nicht.
Schon das verband uns.
Doch eigenartiger Weise fühlte ich mich trotz meiner eigenen Probleme immer für sie verantwortlich.
Vielleicht weil sie bei jeden Schmerz zu mir kam, mir alles erzählte. Und ich konnte einfach nicht anders, als sie in den Arm nehmen und trösten.
Wenn ihr Vater mal wieder Terror gemacht hatte, die Mutter sie angeschrien und beschimpft hatte und ihr Bruder mit seinen Kumpeln auf der Straße „Micky Maus, Spitzmaus“ hinter ihr her riefen.
Dann kam sie heulend an, und wir verkrochen und in unsere kleine Kuschel Höhle in einem Felsen,
hielten uns fest und träumten von einem Leben das wir gemeinsam, ohne alle anderen einmal führen würden. Irgendwo, weit weg. Cowgirls wollten wir sein und über die Prärie reiten.
Um unsere Pläne und unsere Freundschaft zu besiegeln, ritzten wir uns sogar die Arme auf, ließen ein paar Tropfen Blut in ein Glas mit Wasser tropfen und wurden so Blutsschwestern.

Ich selber hatte mir damals schon einen Seelenpanzer zugelegt.
Vater und Mutters Streitereien ertrug ich mit dem Kopf unter der Bettdecke und die nächtlichen Besuche meines Bruders, indem ich mich in zwei Personen spaltete. Einen Körper dem etwas Schlimmes geschah, eine Seele, die rein blieb.

Das war so normal geworden, daß ich tatsächlich Carola für die hielt, die es weitaus schlechter getroffen hatte. Ich fühlte mich stark und dachte ich müsse sie beschützen.

Wir wuchsen heran zu Teenagern, beide hatten wir keinen besonderen Schlag bei Jungs.
Wir waren einfach zu schüchtern, paßten nicht in diese spaßige Teeniewelt.
Diese flotten Jungen und Mädchen, die lachten und tanzten und Sonntags mit dem Moped in der Gegend herum fuhren, lebten in einer anderen Welt.

Einer der verwegensten war Benno.
Benno hatte eine große Klappe, die alle beeindruckte, wußte immer alles besser, was ihm auch alle glaubten. Sein Äußeres war noch nicht einmal bemerkenswert, aber durch seine flotten Sprüche war er der Star unter den anderen.
Besonders bei den Mädchen.

Irgendwann an einem Sonntag ging ich alleine zu unserer Felsen Hütte. Ich fühlte mich einsam, Carola war ein paar Tage bei ihrer Oma auf einem Bauernhof.
Als ich ankam saß Benno dort. Niedergeschlagen, wie ich ihn nie erlebt hatte.
Woher er unseren Platz kannte fragte ich nicht. Ich spürte, daß er jemanden brauchte.
Er hatte wahnsinnigen Ärger zu Hause, sein Vater hatte die Mutter verprügelt und er war dazwischen gegangen und hatte nun auch einiges abbekommen.
Das war ein völlig neuer Benno. Hilflos wie er da saß, kam sofort das gleiche Gefühl bei mir hoch das ich bei Carola empfand: Verantwortung. Ich mußte ihm helfen.
Und so saß ich stundenlang mit ihm zusammen und hörte mir seine Geschichten an.
Und war ein wenig stolz, daß er sich ausgerechnet mir geöffnet hatte. Mir, dieser kleinen grauen Maus. Ob ich verliebt war - ich weiß es nicht. Jedenfalls fühlte ich mich ihm sehr nahe.
So nah, daß ich ihn nicht wegstieß als seine Hand unter meinen Pulli glitt und er meine Brust anfaßte. Und auch so nahe, daß ich ihm meinen ganzen Körper zum Trost anbot, als es ihm an einem Tag besonders schlecht ging.„ Ach,“ seufzte er hinterher,“ nun ist mir wohler. Ist doch etwas weg von dem ganzen Druck.“
Ich verstand zu wenig von Männern um zu wissen was er damit meinte.
Es hatte aber sicher auch damit zu tun, daß er jeden Samstag eine andere küßte. Benno würde nie einer gehören, und mir schon gar nicht.

Dann kam Carola zurück.
Braungebrannt von der Sommersonne auf dem Land und weit weg von zu Hause, ohne den Streß, sah sie blendend aus.

Nach einer Woche saß sie bei Benno und seiner Klicke auf dem Marktplatz. Nach zwei Wochen fuhren die beiden auf dem Moped durch die Waldwege.

Carola kam, mit roten Wangen und leuchtenden Augen, zu mir gestürmt, fiel mir um den Hals:“ Man habe ich mich verknallt. Benno ist ja so ein toller Typ. Und der versteht alles, alles was mich bewegt kann ich ihm erzählen – und der begreift‘s, nimmt mich in den Arm und küßt und streichelt mir alle Probleme weg. Der Benno, das ist der Freund für Lebens. Der würde mich nie bescheißen oder mir weh tun. Da bin ich mir ganz sicher. Und ich glaube auch, der ist mir treu.“

Ich schwieg und ging weiter in meine Schutzburg im Felsen. Ab und zu tauchte auch Benno auf.
Alleine, Carola hatte für mich nun weniger Zeit.

Er kam, wenn er nicht mehr weiter wußte, eine Schulter brauchte zum Anlehnen.
Geschlafen haben wir nie wieder miteinander, aber ich merkte und er erzählte es mir auch, daß er Carola nicht treu war. „ Die nimmt das alles so ernst.“ sagte er einmal. „ Ist doch nur ein Spaß und sie denkt immer, ich bin der große Zampano. Aber das bleibt unter uns, ich meine unsere Treffen.“

Doch dann kam sie, eines Tages, mit total verheulten Augen.
„ Oh Lisa, ich glaube Benno hat noch eine andere. Der ist manchmal so komisch.
Schnauzt herum und so.“
Ich versuchte wie immer sie zu trösten.

Daß ich Benno’s Beichtfreundin war und auch unser einmaliges Sexerlebnis verschwieg ich.

Sie war so glücklich mit ihm, so überzeugt von ihm.
Und ich wußte, daß ich nicht die andere war, daß es viele gab, mit denen sie ihn teilen mußte.
Aber hätte ich ihr das alles sagen sollen?
Ich bin mir sicher, sie hätte es gar nicht hören wollen.

Am nächsten Tag brauste sie schon wieder mit ihm durch das Dorf.
Aber wir trafen uns wieder öfter. Und sie war beeindruckt wie eh und je.
Von Benno‘s Wissen, seiner Bildung, seinen Ratschlägen, die ihr jeden Tag mehr helfen würden sich stärker zu fühlen.
Benno, Benno ... Es war, als ob nur noch er für Carola existierte.

Meine frühere Hilfe, unsere gemeinsame Zeit, unsere Träume und daß auch ich sie auch einmal gebraucht hätte, das alles war für sie nicht mehr von Bedeutung. Ich konnte mit Benno in keiner Weise konkurrieren.

Hatte er jedoch einen schlechten Tag und behandelte sie mies, war Carola am Boden zerstört.

Einmal versuchte ich, vorsichtig anzudeuten, daß Benno vielleicht doch nicht der große Macher sei für den sie ihn hielt. Daß er alles vielleicht doch nicht so ernst nahm. Doch nicht alles wußte.
Und daß er unter Treue doch etwas anderes als sie verstehen könnte.
Doch das wies sie gleich weit von sich.
Nicht ihr Benno. Sie hatten sich ausgesprochen, wie sie sagte.

Und dann zog sie sich von mir zurück.
Auch Benno’s Probleme schienen sich erledigt zu haben.

Wie und vorher sie von Benno und mir erfahren hatte – ich weiß es bis heute nicht.

Jedenfalls stand sie eines Tages wie ein Racheengel vor mir und schrie mich an:

„ So ist das also. Du bist die, die sich an ihn herangemacht hat. Die sich hinter meinem Rücken mit ihm getroffen hat. Heimlich. Ohne mir was zu sagen. Und ich blöde Kuh dachte du bist meine Freundin. Wie konnte ich nur so dämlich sein und dir vertrauen. Und scheinheilig versuchst du noch, ihn bei mir schlecht zu machen. Aber das schaffst du nicht. Ich bin fertig mit dir.“

Ich wollte ihr antworten, ihr erklären, doch dann schwieg ich.
Denn egal was immer ich gesagt hätte, es hätte ihn ihren Augen wie eine Verteidigung geklungen. Und es gab nichts zu verteidigen.
Ich war doch lediglich für beide der Abfalleimer gewesen, in Zeiten, als sie sonst niemanden hatten.
Es reichte, daß ich mich nun so fühlte. Das tat weh genug. Ohne das ich’s noch aussprach.

Doch Carola genügte ihr Auftritt nicht. Sie hetzte in der ganzen Klicke, zu der sie Dank Benno ja nun gehörte, herum. Und hatte schnell alle auf ihrer Seite, schließlich wollte keiner sich mit ihm anlegen, nicht wegen mir. Warum sie das tat - ich weiß es nicht, und ich weiß auch nicht, wie es wirklich in ihrer Seele aussah.
Und Benno, der schwieg. Er drehte sich jedesmal um wenn er mich sah, damit er mir nicht ins Gesicht sehen mußte.

Meine Karten waren denkbar schlecht. Hätte ich heraus schreien sollen, wie es wirklich war?
Es hätte mir nichts genützt, ich war raus aus dem Spiel, noch bevor ich je richtig drin gewesen war.
Aber ich hatte mich in einem getäuscht: Nicht ich war die Starke sondern sie war es.
Sie wußte wie man um sich schlägt, und traf ziel genau unter die Gürtellinie..

So baute ich meine Mauer um mich herum noch ein Stückchen höher.
Doch nicht hoch genug, als daß mich die Benno’s und Carola’s dieser Welt nicht doch noch oft hätten verletzen können.


Das alles ist, wie gesagt, lange her. Doch es könnte auch erst gestern gewesen sein.
Weil die Erinnerung noch immer so weh tut.


R.B. 4.11.2002




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