Tanja O. -
Vergessene
Kindheit
Der erste
heftige Wintertag seit Winteranfang. Es schneite dicke weiße
Fussel vom Himmel, die alles anfielen was sich ihnen in den Weg
stellte. Der kalte Nordwind blies den Leuten mitten in’s Gesicht.
Wer an diesem trüben Morgen um 9 Uhr keinen Schal um den Hals
und das Gesicht gewickelt hatte, bekam schneller rote Pustebacken als
ihm vielleicht recht gewesen währe. Und es waren an diesem
Mittwoch Morgen reichlich Leute unterwegs die ihre Köpfe tief in
den Kragen ihrer Jacken vergruben. Keiner der vorbei hetzenden
Menschen bemerkte eine kleine gedrungene Gestalt, die sich langsam an
der Horde von kaufwütigen Weihnachstmuffeln vorbei schlengelte;
verzweifelt gegen den Wind anzukommen versuchte, und von ein paar
abgehetzten Bürohengsten unsanft angerempelt wurde. Diese kleine
gedrungene Gestalt hatte eine dünne Jeanshose an. Die dreckige
braun-fleckige Jacke die man für gewöhnlich im Sommer trug
war ihr eine Nummer zu klein. Ihre dünnen Fußfesseln sammt
Füße steckten in abgenutzten roten Socken die in
blau-weißen Turnschuhen steckten. Wenn man sie aus einer
gewissen Entfernung sah, konnte man nicht feststellen ob dieses Wesen
weiblichen oder männlichen Ursprungs war. Betrachtete man sie
von nahem erschrak man sicherlich, und wunderte sich warum dieses
menschenähnliche Wesen überhaupt noch lebte. Es war ein
Mädchen, zirka 14 bis 16 Jahre alt. Stünde sie gerade,
könnte man ihre Größe vielleicht auf 1.68 schätzen.
Sie war ein Gerippe von Mensch; die Hände die in den
Jackentaschen steckten waren über die erträglichen Maße
dünn. Ihre Haut teils rosa, teils bräunlich-blau. Wenn man
ihr in’s Gesicht schaute, konnte man auf den ersten Blick nur
Teilnahmslosigkeit und ausdruckslose Augen erkennen, die durch einen
hindurch schauten. Ihr Mund war ein einfacher Strich.
Die wenigen
die sich zu ihr umdrehten wunderten sich, warum kein Erwachsener bei
ihr war, und warum sie nicht Zuhause bei ihren Eltern war um so kurz
vor Heilig Abend die festliche Stimmung zu genießen. Sie
drehten sich jeodhc schnell wieder um, damit sie nicht ihre eigenen
Angelegenheiten vergaßen. Die meisten kümmerten sich eh
nicht um sie. Man hatte eben viel zu tun und viel Stress, um noch
rechtzeitig die letzten Geschenke zu besorgen die man vergessen
hatte. Nicht ein einziger konnte auch nur ahnen, daß dieses
Mädchen keine Eltern mehr hatte und nahezu Ziellos durch die
Großstadt irrte. Für sie gab es kein Weihnachten. Sie
hatte ganz andere Probleme. Vor allem aber Geldprobleme. Und eben
dieses Problem nahm sie nun in Angriff.
Zielstrebig
ging sie an den verschiedenen Geschäften vorbei. Schaute sich
immer wieder verstohlen um, suchte nach einem geeigneten Laden, der
nicht gerade groß, aber groß genug für ihre Pläne
war. Vorbei an Bäckerreien, kleinen Kaffebuden und
verschiedensten Süßigkeitengeschäften. Plötzlich
hielt sie inne. Schaute nach links und nach rechts, dann geradeaus.
Ein kleinerer Laden hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Große
Fensterscheiben durch die man in das Innere des Ladens sehen konnte,
während draußen neben der elektrischen Eingangstür
ein Grußkartenständer mit den verschiedensten Karten und
ein weiterer Warenständer mit Rädern, in dem sich bunte
Putzlappen oder ähnliches befand standen. Sie schaute sich noch
einmal um, und ging anschließend über die Straße zum
Laden, und durch die Eingangstür die sich automatisch öffnete.
Fast so, als ob sie auf jemanden wie sie nur gewartet hätte. Ihr
inzwischen professionell geschulter Blick glitt über sämtliche
einsehbare Ware die sie von der Eingangstür aus sehen konnte.
Mehrere große Einkaufsregale in denen Katzen- und Hundefutter,
Waschmittel und diverses anderes Zeug ausgesellt waren ragten in den
Ladenhimmel. Sie ging fast teilnahmslos und schlurfend durch die,
sich ebefalls automatisch öffnende Schranke, direkt auf eines
der großen Regale zu. Mehr aus Langeweile und um eventuell
argwöhnisch auf sie gerichtete Augen zu täuschen schnappte
sie sich eine der Hundefutterdosen und fing an den bedruckten Text
auf der Futterdose zu lesen. Ein großer Hundekopf war darauf
abgebildet, und darüber die Überschrift „Schnappi”,
darunter stand „Das Beste was ihr Hund bekommt”. Desinteresiert
schüttelte sie den Kopf und stellte die Dose wieder in’s Regal
zurück. Schlenderte weiter zur Kasse, wo sie unbemerkt vier
Schachteln der Zigarettenmarke „Peter Stywesant” nahm und auf dem
Weg zum Kühlregal in die Innentasche ihrer Jacke steckte.
Am Kühlregal
angekommen angelte sie sich eine kleine Packung „Curry King”.
Eine Art Currywurst in Plastik zum aufwärmen in der Micro.
Anschließend ging sie schnell zur Kasse, bezahlte dort
unbehelligt ihre Packung und zurück, raus auf die kalte
Einkaufsmeile. Ein- bis zweihundert Meter weiter setzte sie sich
irgendwo auf eine Mauer, holte sich eine der Zigarettenpackungen
hervor und zündete sich nach entfernen der Plastikfolie eine
Zigarette an. Das Feuerzeug hatte sie erst letzte Woche aus einem
anderen Laden mitgehen lassen.
Nach der
Zigarette führte sie ihr Weg durch einige Villenbehaftete
Straßen, weiter in Richtung „Getto” der ganz normalen
Großstädte. Man muss wissen, jede Stadt, und mag sie noch
so klein sein, hat ihre Ecken und Winkel in denen das Gesocks der
Stadt haust und unbehelligt herrscht. Und so hatte auch diese Stadt
ihre gewissen „Ecken” in denen die verschiedensten Kulturen
aufeinander prallten. Dorthin war sie nun unterwegs. Aus einem
bestimmten Grund, einem Grund der sie nun schneller als geplant
vorwärts trieb. Sie merkte schnell daß es mal wieder Zeit
für sie war, daß sie schon bald wieder zittern würde.
Allerdings nicht vor Kälte. Die Unruhe die sie schon im Laden
gespürt hatte, tat sie zu dem Zeitpunkt als Angst vor dem
erwischt werden ab. Doch jetzt merkte sie daß es ernster war
als sie zuerst angenommen hatte. Sie beschleunigte ihre Schritte,
doch das half jetzt wenig. Im Gegenteil, es schien die in ihr
wachsende Unruhe nur zu verstärken. Leichte Übelkeit und
anfängliche Unterleibsschmerzen verrieten ihr, daß es
jetzt allerhöchste Zeit war endlich an ihr ersehntes Ziel zu
kommen. Doch der Weg war noch nicht zuende. Sie wusste daß sie
noch gut eine halbe Stunde Fußmarsch vor sich hatte. Und das
machte ihr Angst. Um nicht unnötig in Panik zu geraten, was
jetzt leicht passieren konnte, wendete sie einen alten Trick an den
sie sich selbst beigebracht: Sie stellte sich in Gedanken vor was sie
alles machen wollte, wenn sie erstmal genug Geld zusammen gespart
hatte. Sie wollte irgendwo ihre Schulbildung nachholen, wollte sich
dann in einer Universität einschreiben lassen und dort
Tiermedizin studieren. Sie wollte sich um unterernährte Katzen
und Hunde auf der Straße kümmern, ein Tierasyl aufmachen
und alle Tiere von der Straße sammeln. Denn sie liebte Tiere
über alles. Ihr Hamster, der ihr als kleines Kind gehört
hatte, war ihr ein und alles. Wochenlang hatte sie ihn gepflegt, bis
er eines Morgends tot in seinem Käfig gefunden wurde. Ihre
Mutter hatte ihr gesagt, daß er jetzt an einem besseren Ort
währe. Glücklich und frei. Damals hatte sie auch noch ein
Zuhause. Damals war noch alles in Ordnung. Doch inzwischen war nichts
mehr in Ordnung. Sie ging mit hasstigen Schritten durch die Gassen
und vollen Einkaufspassagen. Vorbei an prall gefüllten Läden,
und hinter dicken Glasscheiben erledigten emsig diverse Leute ihre
letzten Einkäufe. Die Luft war über und über mit den
verschiedensten Düften angereichert, es roch nach Gebäck,
Kaffee, Mandeln und Glühwein; gemischt mit Autoabgasen und dem
Dreck der in den Gehsteigen lag. Eben ein typischer Großstadtgeruch.
Sie jedoch nahm von alledem nicht viel war. Versuchte nur zum x-ten
Mal die aufsteigenden Krämpfe und Schmerzen soweit zu
unterdrücken, wie sie brauchte um zu ihrer Anlaufstelle zu
kommen, der Lösung für ihr Problem. Gottseidank hatte sie
bereits den größten Teil des Weges hinter sich, wie sie
bemerkte. Teilweise abgegrenzt durch Büsche und Bäume,
hinter hohen braunen Zäunen kam sie nun zum abgehalfterten
Viertel der Stadt, dem Armenviertel. Innerlich freute sie sich schon
daß sie es wieder geschafft hatte bis hierhin zu kommen. Ihre
Schritte wurden etwas entspannter, langsamer. Sie wusste, daß
man hier die Hilfe bekommen konnte, nach der man verlangte. Und zwei
Asylantenheim-Häuser weiter war ja auch schon die Adresse zu der
sie wollte.
Sie bog
rechts in eine Straße ein, von der man das Straßenschild
vielleicht vor 20 Jahren mal entziffern konnte. Jetzt war der größte
Teil der weißen Schrift zerkratzt und unleserlich. Doch sie
störte es wenig, denn jetzt war sie am Ziel. Ein paar Schritte
weiter blieb sie vor einem mehrstöckigen Gebäude stehen.
Eine einfache Konstruktion aus rotem Klinkerstein. Überall
verstreut lag Müll, die Fenster grau und teilweise offen. Wäsche
hing halb aus ein paar der Fenster heraus - es sollte auf diese Art
wohl trocknen. Zwei Fahräder lagen auf der Seite halb vor der
weit geöffneten Haustür, die nur sporadisch in den Angeln
hing und eh aus dickem Glas bestand, und in einem noch dickeren
Kunststoffrahmen steckte.
Zielstrebig
ging sie auf die Tür zu, blieb aber vor ihr stehen. Sie schaute
sich rechts die beschrifteten Türklingeln an, drückte dann
auf die erste ganz unten, auf der „Gölümen” stand und
wartete. Laut den Behörden wohnte dort eine vierköpfige
türkische Einwandererfamilie names „Gölümen”. Fakt
war jedoch etwas ganz anderes. Die Familie Gölümen,
bestehend aus dem Vater, der Mutter und zwei Kindern (Tochter Fatma,
20 Jahre alt, und Sohn Demir) hatte man nach eineinhalbjähriger
Aufenthaltsgenehmigung wieder in die Türkei zurück
geschickt. Das heißt, eigentlich nur die Eltern und die
Tochter. Sohn Demir war damals noch minderjährig, hatte als
erster seine deutsche Staatsbürgerschaft bewilligt bekommen und
wurde vom Einwohnermeldeamt demnach wie ein deutscher Staatsbürger
behandelt. Das war vor zwei Jahren. Seitdem machte sich der
inzwischen 19 Jahre alte Demir in der damaligen Wohnung seiner Eltern
breit. Er hatte es ja auch recht gut, denn die Baugesellschaft die
das Asylantenheim und sechs weitere Sozialwohnungen in der Stadt
betreute, hatte ihn und seine Familie ganz vergessen. Er bekam vom
Sozialamt auch weiterhin Sozialhilfe, die fälschlicherweise
immer noch an seinen Vater gerichtet war. Er hatte Strom, fließend
kalt, warm Wasser und sogar noch die alte Satelitenschüssel. Es
fehlte ihm an nichts. Und was er an Geld zuwenig bekam, gleichte er
mit seiner Tätigkeit als Drogendealer wieder aus. Und einer
seiner Kunden war Tanja O., die jetzt vor seiner Tür stand.
„Tanja !?”
fragte Demir mit gespieltem erstaunen. „Was suchst du denn in
dieser bescheidenen Gegend ?”
Demir war
ein normal schlanker junger Mann, 1.82 m groß, mit, für
Türken üblichen schwarzen eingegeelten Haaren einem
schmalen Gesicht und einem sympatischen Lächeln. Und mit diesem
Lächeln begegnete er Tanja nun. Doch diese machte keine
Anstalten auf sein attraktives Äusseres und sein Lächeln
groß zu reagieren. Sie schaute ihn an, doch sie schaute durch
ihn hindurch. „Du weist ganz genau warum ich hier bin. Gib’ es
mir und ich verschwinde wieder.” Sie merkte zunächst nicht daß
sie angefangen hatte zu zittern. Als sie bemerkte daß es auch
ihre Stimme beeinträchtigte schämte sie sich innerlich. Zu
spät, denn er hatte es bemerkt. „Du bekommst was du brauchst,
hab’ keine Angst. Wenn ich bitten darf.” Er hielt die Hand auf,
das Zeichen für sie, ihm die gestohlenen Zigaretten zu
übergeben. Sie kramte sie hervor und gab sie ihm, sammt der
geöffneten Schachtel. „Entschuldige, ich hab’ mir eine
Zigarette genommen. Ist das sehr schlimm ?” Sie hatte Angst, er
könnte deswegen ausrasten. Manchmal war er sauer wenn sie
einfach ungefragt etwas von der Ware nahm die für ihn bestimmt
war. Er schlug ihr dann in’s Gesicht, oder drohte ihr sie zu töten
wenn sie es noch einmal wagte seine Sachen anzufassen. Doch Heute war
er milde gestimmt.
„Ist nicht
so schlimm !” meinte er, und fingerte eine Zigarette aus der
geöffneten Schachtel.
Er steckte
sich die Zigarette in den Mund, zündete sie an. Und mit der
glühenden Zigarette im Munwinkel meinte er fast vergnügt:
„Allerdings reicht das nicht, da fehlt noch etwas.” Demir nahm
einen tiefen Lungenzug und blies den Rauch ein Stück über
Tanjas Kopf in die Luft. Diese schaute ihn plötzlich an als ob
er ihr befohlen hatte Geld zu scheißen. Sie vergaß für
einen Moment wie dreckig es ihr ging und sagte: „Was soll das
heißen ?!? Du hast von mir drei bis vier Zigarettenschachteln
verlangt, nicht mehr und nicht weniger !” Tanja war den Tränen
nahe. Sie konnte sich nicht erklähren wie er ausgerechnet jetzt
den Preis erhöhen konnte.
Demir’s
Lächeln wandelte sich augenblicklich zu einem fetten gemeinen
Grinsen. Sie wusste was das zu bedeuten hatte und senkte hilflos den
Kopf. Sie schloss für einen Moment die Augen und sagte zitternd:
„Du gottverdammtes Arschloch !!...”
„Komm’
mit rein, ich möchte dich gerne mit meinen Leuten bekannt
machen. Es ist auch schön warm, nicht so kalt und ungemütlich
wie draußen.” Er machte eine einladende Geeste, und trat
beiseite.
Tanja
zögerte, ging dann aber doch über die Türschwelle in
sein Domizil. Drinne war es tatsächlich warm. Ein warmer Schwall
Luft umfing sie als sie entgültig in seine Wohnung eingetreten
war, und er die Tür hinter ihnen schloss. Fast so wie in einem
größeren Einkaufsgebäude das innen hunderte kleinerer
Geschäfte beinhielt. Über den elektrischen Glastüren
gab es so ein Gebläse das warme Luft auf die Besucher blies. Sie
hatte sich schon immer gefragt wofür dieses lange Gebläse
gut war.
„Immer mir
nach.” befahl er. Sie folgte ihm. Sie gingen einen kleinen
länglichen Flur entlang, auf dessen rechten Seite gleich neben
der Eingangstür sich ein kleines Abstellraum-ähnliches
Zimmer befand. Aus den Augenwinkeln sah sie im dunkel des Zimmers
zwei halbdunkle Gestalten auf dem Boden liegen. Eine der Gestalten
hockte halb über der anderen mit dem Rücken auf dem Boden
liegenden Gestalt und wippte rythmisch mit dem Kopf rauf und runter.
Eine halb zerrissene Hose und Spritzbesteck lagen vor den beiden halb
im Flur. Weiter den Flur entlang, lag links ein Zimmer, dessen
Zimmertür halb aus den Angeln gehoben war. Es sah aus wie ein
großes Wohnzimmer. Darin saßen und hockten teilweise drei
Jungs und vier weitere junge Mädchen auf dem Teppichboden, denn
was anderes gab es nicht. Sie alle waren weit unter 25, und alle
machten den abwesenden Eindruck den man drauf hatte, wenn man total
„stoned” war. Absolut zugedröhnt von Haschisch, LSD und
Heroin. Keiner der anwesenden beachtete Demir und Tanja, als sie bei
ihrem Raum angekommen, vorbei gingen, geradewegs in den Raum der dem
Wohnzimmerraum gegenüber lag. Dieser hatte eine gut
funktionierende Tür, die sich problemlos öffnen und wieder
schließen lies.
Demir ging
voraus durch die Tür und wartete bis Tanja auch durchgegangen
war. Dann schloss er die Tür ab. Tanja wunderte sich nicht
darüber, sie kannte das schon. Verwundert schaute sie sich in
dem ihr so vertrauten Raum um. Es war ein recht kleiner Raum, in dem
ein großes Elternbett stand. Es trohnte direkt in der Mitte des
Raumes. Viel mehr war nicht drinne, denn für etwas anderes war
auch kaum Platz. „Hast du ein neues Bett ?”, fragte sie. Demir
hingegen schüttelte den Kopf, drückte die Zigarette im
Aschenbecher aus, der gleich links neben der Tür auf einem
Beistelltisch aus braunem Nussholz stand und meinte nur: „Warst
lange nicht mehr hier drinne, wa ? Es ist immer noch das gleiche Bett
wie zuvor auch. Hab’ mir nur andere Bettwäsche zugelegt. Die
alte war -...” Er brach ab. Was sie betraf musste er auch nicht
weiterreden, denn sie kannte den Grund warum er die Bettwäsche
ausgewechselt hatte. „Egal !”, meinte er, „Zieh dich aus und
leg’ dich schonmal auf das Bett. Bin gleich wieder bei dir.” Mit
diesen Worten schloss er die Tür wieder auf, und ging hinaus.
Sie blieb zurück.
In Gedanken
versunken zog sie zuerst ihre Hose aus, dachte dabei unwillkürlich
an Flucht. Warum musste sie tun was er sagte ? Hatte sie es nötig
ihm hörig zu sein, brauchte sie ihn so dringend und wollte sie
es überhaupt ? Eh sie sich versah lag sie halb nackt auf dem
Bett, die Hände instinktiv auf ihrer Intimzone ruhend. Denn
schon kam Demir wieder in’s Zimmer, grinste breit als er sie sah
und zog auch seine Jeanshose sowie seine Unterhose runter. Sein Penis
war bereits erigiert und bereit sein Werk zu vollbringen.
Er legte
sich zu ihr auf’s Bett, zog unsanft an ihrem rechten Bein um besser
zwischen ihre Beine zu kommen. Ebenso unsanft drückte er ihren
Oberkörper auf das weiche Bett und befummelte sie an einem ihrer
Brüste. Ihr gefiel es nicht, doch sie lies ihn willenlos alles
machen was er wollte. Sie ekelte sich vor ihm und seinem „besten
Stück”, hielt es jedoch für besser ihn machen zu lassen.
Schließlich brauchte sie ihre „Medizin” von ihm. Und das
sehr dringend. Zwar spürte sie schon lange nichts mehr, wenn er
in sie eindrang, merkte aber die enorme Wärme die von seinem
Glied ausging. Tanja lag da wie ein Brett: Unbeweglich und stumm.
Dachte nicht an das was mit ihr geschah, vielmehr an das was sie
dafür bekommen sollte. Er indessen wippte heftig auf und nieder.
Immer wieder stieß er sein hartes Glied in ihren vor Schmerzen
angespannten Unterleib. Doch endlich, mit einem allerletzten Stöhnen,
als er aufgehört hatte wie ein Tier auf ihr herum zu wackeln und
in ihr herum zu furwerken glitt er aus ihr heraus. Mit einem mal
fühlte sie sich glücklicher und freier. Ignorierte für
einen Moment die Schmerzen die er ihr zusätzlich zugeführt
hatte. Sie hatte es endlich hinter sich.
Nach einem
Moment der Pause zogen sich beide stillschweigend wieder an. Während
Demir damit beschäftigt war eine weitere Zigarette anzuzünden,
stand Tanja schon vor der Tür und wollte gerade auf den Flur
raus, als Demir sie zurück hielt: „Warte ! ... Hier hast du.”
Er warf ihr ungeschickt zwei kleine dünne Plastiktütchen
zu. Sie hob sie vom Boden auf ohne ihn noch einmal anzuschauen. Und
sie drehte sich auch nicht mehr um, als er ihr noch hinterher rief,
ob sie nicht noch ein wenig bei ihm bleiben wollte. Sie wollte nur
raus. Weg von ihm.
Es waren
vielleicht mal gerade eineinhalb Stunden vergangen, trotzdem fühlte
sich Tanja, als ob ein halbes Leben vergangen währe ohne daß
sie es groß gemerkt hätte. Sie fühlte sich elend,
zutiefst verletzt und missbraucht. Da half es auch nicht, daß
sie sich auf ihre Lieblingsparkbank auf einem frei zugänglichen
kleinen privaten Friedhof gesetzt hatte. Er war abgelegen von der
restlichen Stadt, ein Stück weit schon fast die Grenze zur
nächsten Stadt, die keinen Kilometer weit entfernt lag. Es kamen
dort kaum Leute hin, und zu dieser Tageszeit war eh nie etwas los.
Sie war so ziemlich ungestört. Und das liebte sie. Dort auf
diesem Friedhof, so grotesk es auch klingen mochte, war sie sehr
gerne. Sie kam immer wieder hierhin zurück, wenn sie Kummer
hatte oder einfach mal in Ruhe nachdenken wollte. Sie störten
die Toten nicht im geringsten. Sie waren für sie so maches Mal
gute Zuhörer, und weglaufen konnten sie auch nicht. Und Tanja
hatte viel zu erzählen, was sie in dieser Stadt, in der sie nun
schon gute zwei Jahre in der Gosse lebte niemandem anvertrauen
wollte. Keinem, ausser einer einzigen Person, die wie es der Zufall
so wollte, plötzlich vor ihr stand, während sie noch in
Gedanken vertieft war.
„Hallo
?... Jemand Zuhause ?”, meldete sich plötzlich eine ihr
vertraute Stimme.
Tanja
schaute verdutzt auf, und sah vor sich einen jungen Mann Mitte
zwanzig, groß gewachsen mit langen dunkelblonden Haaren die in
Stränen auf seinen Schultern ruhten. Der junge Mann lächelte
sie an.
„Kai !”
entfuhr es hier. Sie umarmte ihn.
„Du
brauchst wohl mal wieder deine tägliche Dosis, nicht wahr ?”
Kai hatte bemerkt daß Tanja am ganzen Körper zitterte, und
sich unterbewusst den Unterleib hielt als er sie wieder loslies. Ihr
war es peinlich, sie nickte stumm. Ohne weiter zu zögern setzte
sie sich wieder und holte sich einen der durchsichtigen Tütchen
die ihr Demir gegeben hatte hervor. Einen alten gelb-braun
angelaufenen Esslöffel, ein Feuerzeug und eine alte in ein
Taschentuch gewickelte Spitze zog sie aus ihrer anderen Hosentasche.
Während Kai sich zu ihr setzte und die Nadel auf die Spritze
steckte, füllte Tanja den schmutzig braunen Inhalt der Tüte
auf den Esslöffel. Anschließend hielt sie das brennende
Feuerzeug unter den Löffel, damit sich das Pulver in eine
durchsichtig-gelbliche Flüssigkeit verwandelte. Als das
geschehen war reichte sie Kai den Löffel, der einen winzigen
Wattebausch auf den Löffel legte. Tanja hielt mit der Spritze
auf den Wattebausch und zog sie soweit auf, bis der größte
Teil des Heroins in der Spritze war. Fachmännisch hielt sie die
Spritze hoch in’s Licht und tippte gegen den gefüllten
Spritzenkörper, und damit sich keine Luftbläschen mehr
darin befanden zog sie die Spritze noch ein wenig mehr auf, hielt sie
senkrecht nach oben gerichtet und lies die Luft langsam wieder aus
ihr entweichen. Nochmaliges probetippen verriet ihr daß sich
keine kleine Luftblase mehr darin befand. Sie lächelte
zufrieden. Schließlich krempelte sie ihren linken Ärmel so
weit hoch wie möglich. Kai hatte indessen seinen Gürtel
abgenommen den er um die Taile trug, damit seine Hose nicht rutschte.
Er machte ihn an der höchsten Stelle von Tanjas Oberarm fest,
ganz in der Nähe der Schulter. So konnte verhinderte werden, daß
sie beim spritzen zuviel Blut verlohr. Sie setzte sich die Spritze an
der Stelle wo die Haut noch relativ frei von Schorf war und stach zu.
Daß sie eine Ader getroffen hatte merkte sie daran, daß,
als sie die Spritze wieder ein Stück aufzog, Blut in die Spritze
lief und sich teilweise mit dem Heroin vermischte. Nicht weiter
zögernd spritzte sie sich alles in die Vene.
Das
Glücksgefühl welches sie nun heimsuchte war die reinste
Befreiung für ihren Körper. Er hörte augenblicklich
auf zu zittern, und entspannte sich. Sie genoss das Gefühl
endlich wieder Schmerzfrei zu sein und lehnte sich lächelnd
zurück. Jetzt hatte sie wieder Zeit sich treiben zu lassen, die
Sorgen die sie hatte für einen Moment zu vergessen. Kai
beobachtete sie dabei die ganze Zeit über. Er - anders als sie -
war nicht glücklich über ihren Zustand. Er lächelte
nicht, machte statt dessen ein besorgtes Gesicht. Er nahm ihr die
Spritze ab und legte sie sorgfältig in Einzelteilen wieder in
ihr Taschentuch zurück. Dann nahm er wieder den Gürtel ab,
und rutschte ein Stück von ihr weg und sagte zu ihr: „Komm’,
ich will nicht daß du ausversehen seitlich wegkippst. Leg’
deinen Kopf in meinen Schoß, o.k. ? Dann kannst du’s besser
genießen.”
Tanja tat
ihm den Gefallen und legte sich quer über die gesammte Bank, und
legte ihren Kopf in seinen Schoß. Bei ihm hatte sie keine
Angst. Ihm konnte sie vertrauen. Er würde ihre jetzige Situation
nie ausnützen, dazu war er zu anständig. Schließlich
hatte er genug andere Probleme. Als Strichjunge war er nicht der
beste und auch nicht unbedingt glücklich. Mit achtzehn Jahren
von Zuhause weggelaufen, weil er es dort nicht mehr aushielt, blieb
ihm nichts anderes übrig als mit seinem Körper Geld zu
verdienen. Eine Karriere als Drogendealer wollte er nicht machen,
weil er durch seinen alkoholkranken Vater bereits vorgezeichnet war.
So machte er sich nach mehreren Diebstählen in Kleinläden
als Strichjunge auf den Straßen seiner Großstadt einen
Namen. Er hatte ein paar feste Kunden die immer mal wieder zu ihm
kamen, weil sie in ihrem Leben als Geschäftsmänner ein
outing den Job oder sogar ihr Leben gekostet hätten. Kai
brauchte sich nicht groß Sorgen zu machen daß er in
seinem Beruf irgendwann verschleppt und vielleicht sogar getötet
würde, denn so gut wie jeder in seiner Großstadt kannte
ihn. Die Polizei kannte ihn als Informanten, der praktisch überall
seine Augen hatte, seine Kolleginnen und Kollegen in seinem Millieu
mochten ihn weil er umgänglich und freundlich war. Und der Arzt
seines Vertrauens, Dr. Hubert der sich privat um ihn kümmerte
sorgte für seine Gesundheit in puncto Aids und anderer
Geschlechtsbedingter Krankheiten. Er und Tanja hatten sich - wie
konnte es anders sein - auf der Straße kennen gelernt. Sie war
damals erst kürzlich in seinem Revier aufgetaucht und halb
verhungert. Als er sie das erste Mal traf war sie bereits
Drogensüchtig und brauchte das Zeug schon. Er hatte Mitleid mit
ihr und nahm sie auf. Damals war sie ihm gegenüber noch sehr
ängstlich und zurück haltend. Sie wusste nicht ob sie ihm
vertrauen sollte, weil er ja auch ein Psychopath sein konnte der sie
nur vergewaltigen wollte um sie danach zu töten. Mit der Zeit
gewöhnte sie sich an ihn und sie wurden Freunde. Nicht zuletzt
deswegen, weil er sich für sie einsetzte, wenn sie als
Prostituierte versuchte einen Kunden zufrieden zu stellen. Er hatte
ihr davon abgeraten, doch sie wollte ihm nicht zur Last fallen. Im
großen und ganzen sah sie in ihm eine Art Bruder den sie nie
hatte.
„Weist du
was ich gerne tun würde, in nächster Zeit ?” fing sie an
zu erzählen.
„Hm-mm
?...” brummte er fragend und strich ihr sanft eine Haarsträhne
aus ihrem Gesicht.
„Wenn ich
erstmal clean bin, möchte ich unbedingt weiter zur Schule gehen.
Ich werde lernen was das Zeug hält und mich ganz furchtbar
anstrengen um später mein Abitur vielleicht noch zu schaffen.
Und dann möchte ich Tiermedizin studieren. Ich werde als
Tierärztin anfangen und meine eigene Praxis haben. Und dann
werde ich alle Tiere die ausgesetzt sind und überall herum
streunen einfangen, untersuchen und sie in meinem Haus aufnehmen.
Dort werde ich sie solange pflegen bis sie alt sind und in Ruhe
sterben können. Das ist mein Wunsch den ich mir unbedingt
erfüllen will !”
Kai lächelte
sie milde an.
„Und was
ist dein Ziel im Leben, Kai ? Was würdest du gerne machen wollen
?”
Kai
überlegte kurz und antwortete: „Wenn mein Vater noch leben
sollte, würde ich ihn gerne besuchen und ihm helfen seine
Alkoholsucht zu überstehen. Und wenn er es geschaft hat, würde
ich mit ihm zum Grab meiner Mutter gehen, damit er sich dort von ihr
ein letztes Mal verabschieden kann.”
„Das ist
schön”, lächelte Tanja. Sie setzte sich wieder auf, und
begann alle ihr Utensilien einzupacken. Den Gürtel schenkte ihr
Kai, der ihn offenbar doch nicht brauchte. Sie bedankte sich lächelnd
und wollte sich gerade von ihm verabschieden, als Kai sie noch einmal
zurück hielt: „Warte, ich wollte ... Ich wollte dir doch noch
etwas schenken. Etwas, daß du gebrauchen kannst.” Er kramte
in seinen Hosentaschen und beförderte vier kleine durchsichtige
Tütchen mit schmutzig-braunem Pulver darin an’s Tageslicht,
die er ihr hinhielt.
„Fröhliche
Weihnachten”, sagte er nur und grinste.
Tanja
war den Tränen nahe, während sie ungläubig die Tütchen
anschaute. Schließlich fand sie ihre Sprache wieder und
quetschte ein „Danke” hervor, und fiel ihm in die Arme. Für
sie war es das schönste was man ihr schenken konnte. Leise
weinte sie ihrem großen Bruder die dünne Sommerjacke voll.
Er hielt sie beschützend in seinen langen dünnen Armen und
streichelte sie, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Nach einer
Weile hatte sie sich wieder im Griff und bedankte sich noch einmal
ganz herzlich. Die Frage warum er soviel von dem Zeug auf einmal
kaufen konnte sparte sie sich. Sie ahnte daß er dafür
Überstunden geschoben hatte. Sie verabschiedeten sich wie ein
Liebespaar und gingen wieder getrennte Wege. Es gab ja sonst auch
nichts worüber sie hätten reden können. Sie hatten
sich bereits alles gesagt. Aber auch ohne Worte hätten sich die
beiden verstanden.
Es fing
bereits an leicht dämmerig zu werden.
... den Rest
der Geschichte habe ich noch nicht schreiben können, aber sobald
ich dazu in der Lage bin werd’ ich es tun.