Harry Schloßmacher

2_ANDY und der Tod



AUSSEN HUI - ABER INNEN BEREITS PFUI ...

Widersprüchlich, inkonsequent und zeitraubend war damals auch der allseits
betriebene Körperkult. Was wurde da nicht alles angestellt, um Gesicht und
Körper zu pflegen, zu schönen; gesund und fit zu halten, etc.. Dieselben
Leute und deren Regierungen machten aber zunächst nicht den geringsten
Versuch, Körper nachhaltig und grundlegend gegen den Tod zu schützen -
also vor häßlichem Verfall, Zersatz durch Würmer oder gegen Verbrennen
zu Asche.
Ein starker Widerspruch, wie ich meine, und eine gehörige Portion
Inkonsequenz. Da konnte auch das Plastifizieren von Leichen nur das beste
im schlechten sein.

Insbesondere ältere weiblische Bios ließen sich zigfach liften; doch letztlich alles
für die Katz. Außen noch für einige Jahre hui, aber innen bereits pfui. Schönheit
konnte dem galoppierenden Zerstörungswerk in und um den Adern nicht im geringsten
Einhalt gebieten. So ließen bevorzugt Altdiven aus Film- und Showgeschäft noch
ein paar Jahre zumindest ihre aufpolierte Gesichts- und Möpsenschönheit bewundern,
und dann galt auch für sie: 'Aus die Maus!'
Keinerlei Anstalten - noch nicht mal ein Versuch - den individuellen Tod grundsätzlich
zu besiegen. Hauptsache, geliftet und irre häufig geduscht.



EINE ART TORSCHLUSSPANIK VOR DEM TOD . . .

Aber zurück zu den Sterblichen damals, in der 'Pechzeit' (Im Sinne von 'Pech gehabt')
vor dem großartigen Kuköm. Jene verdrängten das Wissen um ihren eigenen Exitus
auf Teufel komm raus. Die jungen Leute wähnten ihn noch in weiter Ferne; die Mittelalten
knieten sich hauptsächlich in die Arbeit und erst die Alten entdeckten, daß es Schei...
ist, nur noch ein paar Jahre zu leben. Doch sagen durfte bzw. wollte es keiner.
Öffentlich wurde dies wiederum in Talkshows, wo zumeist Promis sich und den
anderen gerne etwas vormachten. Tenor: das Alter kann ja so reizvoll, interessant
und beglückend sein. "Ooch... und was ich nicht noch alles vor habe, Sie glauben
es mir nicht. Bin beschäftigt von morgens bis abends: Bühne hier, Film dort -
Talkshow hier, Autogramme dort."
Dabei konnte es da nur noch ein letztes, hektisches Aufbäumen vor dem endgültigen
knock out geben - eine Art Torschlußpanik vor dem Tod.

Da konnten sie noch so arbeiten, feiern, reisen und einen auf jugendlich machen -
die alten Bios waren im Grunde arme Schweine. Jeden Tag quasi den Exitus vor
Augen haben, ist eine Extremsituation, die in vielen Fällen zur Depression, zu
Selbstmordgedanken, führt. So waren a l t e Sterbliche (neben Obdachlosen,
Tod- und Schwerkranken) d i e Bedauerlichen des Lebens.

Ein bekannter Schlagersänger derzeit machte einen Selbstmordsprung aus dem 2. Stock
eines Wohnhauses. ( Wirklich n i c h t zu empfehlen ! ! ! ) Auch von ihm hieß
es, 'er kann nicht gut alt werden'. Dabei ist dies ein gutes, ein Vitalitätszeichen;
denn der Überlebenswille ist noch hellwach. Pardon: Demnach können anscheinend nur die Blöden,
Resignativen und Anpassungsschleimigen 'gut alt werden'. :-))

Wie gesagt, insgeheim wußte jeder: In ein paar Jahren ist für alle Zeiten 'Aus
die Maus'. Aber wiederum verdrängten Bios, schauspielerten, vergaßen schnell
und schonungslos - ansonsten hätte, aufgrund ihrer beschissenen Grundsituation,
jegliches Lachen auf ihren Gesichtern erfrieren müssen...



WIR MÜSSEN N I C H T STERBEN !
(BEILEIDSKARTEN ZU DEN GEBURTSTAGEN...)

Die Bios, die ehrlich (und noch nicht zu alt) waren, brauchten trotzdem nicht in
Depression und Lethargie zu verfallen. Glücklicherweise tauchten plötzlich Vordenker
der späteren Kunstkörpermenschen (Kuköms) auf, welche sich zu ihren Geburtstagen keine
Glückwünsche, sondern Beileidskarten zusandten - waren sie doch dem Tod leider
wieder ein Jahr näher. Es interessierte sie auch wenig, wieviele Tage es noch bis zur
Jahrtausendwende waren. Dafür hatten diese Noch-Bios Aufkleber auf ihrer Kleidung,
welche die voraussichtliche persönliche "Restlaufzeit" in Jahren angab. Sie orientierte
sich am jeweiligen Durchschnittsalter für Männer und Frauen. Diese Angaben boten zum
einen wirklich wichtigen Gesprächsstoff. Zum anderen signalisierten sie täglich,
wieviel Zeit den Betreffenden voraussichtlich bleibt, um noch die biologisch-
technische Kurve zum potentiell ewigen Leben zu kratzen.

Für die Alten war der Zug leider bereits abgefahren; denn so schnell ließ sich der
Kuköm nicht mehr schaffen und außerdem mußte ja noch die Kuköm-Karriere durchlaufen
werden (S. Kapitel "Nicht jeder kann Kuköm werden"). So waren die Mittelalten in der
Entwicklungsphase die treibende Kraft der Bewegung. Aber auch viele junge Leute
hatten bereits frühe Einsicht und wollten lieber auf Nummer sicher gehen. Die
Vorreiter der Kunstkörpermenschen zeigten jedenfalls den verdutzten anderen
Sterblichen, wo es am besten lang ging:

Wir erkennen an, daß der Tod das größte Übel unseres Lebens ist - da helfen auch
keine Hirngespinste, die uns glauben machen wollen, daß es in einem Jenseits erst
so richtig los geht. Pappelapapp.
Wir lassen uns zudem nicht einreden, daß wir sterben m ü s s e n. Dies müssen
wir nur, weil unsere Väter anscheinend zu dumm waren, hier richtige Prioritäten
zu erkennen - geschweige denn, ihnen auch konsequente wissenschaftliche Taten
folgen zu lassen. Zu viele von ihnen verfluchten Wissenschaft - Technik -
Forschung. Dabei war es der einzige Weg, auf der Erde erfolgreich den Tod zu
vernichten. Der Irrweg unserer desinteressierten, uneinsichtigen Väter
verlängerte die 'Pechzeit' (Im Sinne von 'Pech gehabt') unnütz. Er kostete vielen
Menschen das potentiell Ewige Leben. Und das war nicht mehr gut zu machen.
( Nur Väter wurden genannt, weil zu der Zeit Wissenschaft-Technik-Forschung noch
nicht 'das Ding' der Mütter war. Ob sie es nicht wollten und/oder konnten sei dahingestellt. )

Den Tod überwinden!
Zumindest potentielle Unsterblichkeit zu erlangen, müßte biologisch-technisch
machbar sein. Bei entsprechend langem bzw. großem Zeit-, Menschen- und Mitteleinsatz



TRIO INFERNAL: ' ALTER, KRANKHEIT UND TOD ' . . .

Aber das abartigste war wohl das 'Warten auf den Tod', ein Dahinvegetieren in sogen.
Altersheimen. Was das Trio Infernal 'Alter, Krankheit und Tod' dort und anderswo
aus vormals blühenden Menschen machte, war an Abscheulichkeit und Brutalität
nicht zu überbieten. Um so verwunderlicher, daß es so lange in der Menschheit
wüten konnte.
Den vielen Generationen, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Defizits gar nicht in der
Lage waren, hier Abhilfe zu schaffen, konnte man höchstens das Nichtwolllen ankreiden.
Aber die Sterblichen, die sehr wohl auf Grund ihres hohen wissenschaftlich-
technischen Standards in der Lage waren, Schritte in die richtige Richtung zu tun
und dies nicht zumindest versuchten, denen war wohl nicht mehr zu helfen. Wenn
es auch kein Zuckerschlecken und eines der schwierigsten Unterfangen überhaupt
war, potentiell ewiges Leben für Individuen zu erreichen. Aber ein Supercoup wie
die Überwindung des Todes ist selbstverständlich nicht zum Nulltarif zu haben.

Das war auch den Protagonisten bzw. Vordenkern des Kuköm klar. Als erstes
mußte Bewußtsein verändert werden. Sie machten ihren Zeitgenossen u.a. klar,
daß es paradox ist, großartig und mit Hunderttausenden gegen mögliche
gesundheitliche- und Lebensschäden der Kernkraft zu protestieren, aber nicht
gegen ein endgültiges Ableben selbst. Auch mußten sie gegen die seinerzeit
übliche (und bereits vorhin beschriebene) Unart angehen, sich und anderen
auch in existentiellen Dingen etwas vor zu machen. Es galten d i e
Durchschnittsbürger und Prominente als beispielhaft, die bei noch so viel Kummer,
Leid, Ängsten und Sorgen 'Haltung bewahrten'. D.h. jene waren nicht mehr
in der Lage, was Schei... ist, auch Schei... zu benennen. Solche Charaktere
aber waren (mit Verlaub) zum kotzen - so unglaubwürdig und resignativ, daß von ihnen keine seriösen
Impulse zur Überwindung des Todes zu erwarten waren.

( Apropos 'Schei...' und 'Kotze'. Deftige bzw. klare Ausdrücke zu benutzen ist
beiweitem nicht so schlimm, wie Gewalt und Horror in allen Varianten in TV- und
Kinofilmen darzustellen. Und dies geschah noch seinerzeit. Da gab es dann das
Paradox, daß viele Sender in ihren Talkshows sehr wohl deutliche Ausdrücke
"auspiepten", aber besagte Brutalität und Gewalt in ihren Filmen beließen. Dann
lieber 'Schei...' und 'Fic...' sagen als blutrünstige Morde darstellen... Und wer
zu fein ist, 'Kraftausdrücke' auszusprechen, der ist wohl auch zu penibel, sich
über den eigenen Tod zu beschweren. So etwas tut man halt nicht. Nur, Etikette
ist eben nicht alles - im vorliegenden Fall sogar ganz schön hinderlich. Dann
auch hier besser in der Wortwahl etwas pfui, dafür aber inhaltlich mehr hui...)



NUR EINIGE RUNDEN GEHOBENES SCHATTENBOXEN . . .

Ebenfalls den bislang gefeierten Siegertypen mußten die Kuköm-Denker reinen
Wein einschenken. All die Reichen und Superreichen; die Erfolgreichen wie
Karrieristen; die Prominenten und die Schönen, etc., wurden letztlich auch
zu Total-Losern und -Versagern. Es war ihnen nämlich versagt, weiter bzw. ewig zu
leben. Wie Penner, Alkis, Knastis, etc., verloren auch sie schließlich das
allerwichtigste: ihr Leben. Mit dem Exitus verloren anerkannte Meister ihres
Fachs mit einem Schlag ihr ganzes Können und Wissen, ihre Intelligenz.
Künstler verloren ihre Kreativität - andere ihren angehäuften (Geld)Reichtum
oder ihre Schönheit, oder gar beides. Da brauchte also keiner mehr
überheblich auf den anderen hinabzuschauen. Die Menschen erkannten,
daß ein begrenztes Leben so letztlich sinnlos; ein besserer Spuk; nur
eine Farce war. Einige Runden gehobenes Schattenboxen. Höchstens ein
winzigkleines Lustspiel in einem Universum, das mit vielen Milliarden
Jahren operiert. Und für den Einzelnen war die philosophische Frage
berechtigt: Warum er überhaupt geboren wurde, wenn er ohnedies wieder
sterben mußte?

Einige muckten noch auf und waren befriedigt, weil mit Alter-Krankheit-Tod -
dem 'Trio infernal' - wenigstens eine Gerechtigkeit für alle da war.
Aber genau umgekehrt wäre es vernünftig und richtungsweisend gewesen -
dann hätte sich wenigstens aus dieser Ecke da überhaupt etwas getan: Zunächst
würden die Reichen und Superreichen - zumindest potentiell - ewig leben und
anschließend - mit und mit - auch interessierte, befähigte und geprüfte
Teile nachfolgender Schichten. Sportarten wie Tennis und Golf; sowie
Pferdereiten, Autofahren, gar das Fernsehen, etc., waren auch zunächst nur
eine Domäne der Oberschicht...



DER LENKENDE GEIST STREBT NACH EWIGKEIT . . .

Es ist schon ein hochstimmendes, berauschendes Gefühl, wahrscheinlich ewig
leben zu können. Nicht nur mickrige 100 oder 150 Jahre. Kaum hatte jemand
angefangen, richtig zu leben und es sich in der Welt einigermaßen eingerichtet
- schon war man wieder für alle Zeiten weg vom Fenster. So war für den
Einzelnen alles auf Sand gebaut: seine angehäuften ideellen Werte (Oft ein
lebenslanges Lernen, Studieren, Anhäufen von Wissen, etc.) und materiellen
Werte; seine Arbeitsaktivitäten und Hobbys; alle Freunde, Bekannte und Verwandte;
etc. - mit einem Schlag gar nichts mehr. Im Angesicht des Todes ist eben alles
für die Katz, Energieverschwendung. Wie schnell werden selbst berühmte Leute,
Prominente und (Welt)Stars nach ihrem Ableben vergessen, und in den Ausnahmen
wo nicht, da erleben es die betreffenden Verstorbenen sowieso nicht mehr.
Also, was soll's?

Nicht mehr sich sehr ängstigen und darauf achten zu müssen: bekomme ich
jetzt einen Herzinfarkt oder Schlaganfall - habe ich tödlichen Krebs oder
haben mich Killerviren befallen, und und und. Der biologische Körper ist
ja äußerst krankheitsanfällig und selbst fortschrittliche Genmedizin war
nicht immer in der Lage, neuen, trickreichen und brutalen Killerviren Paroli
zu bieten. Warum also nicht gleich weg mit einem sehr krankheits-,
verletzungs-, mord- wie überhaupt sterbeanfälligen Korpus?! Der lenkende
Geist strebt ohnehin nach Existenzdauer, nach Ewigkeit. Wenn also sein
Bewegungs- und Versorgungspendant da nicht mithalten kann, so muß es durch
eine neue, flexiblere, erheblich bessere und äußerst langlebige
Konstruktion ersetzt werden...



BEDAUERLICHE DER ' PECHZEIT ' (Im Sinne von 'Pech gehabt) . . .

Doch zurück zu den Bedauerlichen der 'Pechzeit'. Das Leben eines Jeden endete
früher mit der schlimmsten Katastrophe, die man sich denken kann: mit dem Tod.
Wie die Bios mit dieser schier unerträglichen Hypothek überhaupt einigermaßen
vernünftig leben konnten, ist mir heute, wo ich Kuköm bin, ein großes Rätsel.
Wie willenloses Schlachtvieh ließen sie sich zu zig Milliarden zur
'Schlachtbank' führen - als wäre es das normalste und angenehmste der Welt.
Hauptsache: Letzter Wunsch am Grabe - viele Leute am Sarg wie beim
Begräbnisschmaus und möglichst protziger Grabstein...

...Die Größen der Philosophie - vor ihrem kritischen Geist war früher nichts
sicher. Doch sie hatten nicht die Größe, das negativwichtigste ihres Lebens -
das eigene Ableben - gründlich zu thematisieren - geschweige denn, ein Konzept
dagegen zu entwickeln. Anscheinend waren die Denker, in der Zeit vor dem Kuköm,
zu feige oder unfähig. Oder beides. Jedenfalls waren es dann schlechte, unechte
Philosophen - da konnten sie heißen, wie sie wollten....


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(c) 1997 by Harry Schloßmacher


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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