Annette Beger

Ausgequetscht!

Morgens höre ich aus der Ferne einen schrillen Ton. Aber Hören ist nicht meine Stärke. Ich stehe im Dunkeln. Es dauert ewig bis ich das Fenster aus Nebelglas oben rechts wahrnehme. Sehen ist auch nicht meine Stärke. Sinnliche Stärke existiert in meinem Leben nicht.
Ich stehe Kopf. Immer. Das ist völlig normal bei mir. Ein Dauerzustand. Nein, sie brauchen mich nicht zu bedauern. Wissen Sie, ich kenne es nicht anders. Und wie das so ist: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“ Heiß wird es nur dann, wenn meine Besitzerin badet oder duscht. Das dampft immer. Als Wurst wäre ich dann längst schon verkocht. Aber, ha! Ich bin ja keine.
Mein Leben findet im Bad statt. Immer schon. Da wurde ich hingebracht, als man mich geholt hat. Damals hatte ich die Sache schon bis zum Hals. Ich war wirklich geladen. Zum Bersten voll. Kurz vor der Explosion. Ja, da schauen sie jetzt erstaunt. Zu dramatisch sei das? Aber das ist der Sinn meines kurzen Lebens. Sie verstehen nicht? Warten sie nur. Das kommt noch.
Manchmal kommt der Freund meiner Besitzerin zu Besuch. Dann bleibt er meistens über Nacht. Ich verstehe das auch nicht. Sie hat nur ein schmales Bett, so weit ich das bei der halb offenen Tür beurteilen kann. Aber sie quetschen sich zu zweit da rein. Und finden es öfters auch noch schön. Ich kann das nicht Nachfühlen. Naja, Fühlen ist nicht meine Stärke... sie wissen es ja bereits. Das mit den Sinnen, und so.
Auf jeden Fall kommt dieser Macker am Morgen dann ins Bad. Es folgt die Härteprobe par Excellenze! Der Schlag in den Nacken. In meinen! Kennen sie den Morgenatem? Ist tatsächlich nicht mein Freund. Herrje nein! Ah, sie lachen! Sie kennen ihn? Warum lachen sie denn? Nee, das Lachen ist mir dabei vergangen. Ich freue mich auf die Erfindung, die diesen Zeitgenossen, den Morgenatem, unschädlich macht und ihn aus diesem Universum verbannen wird. Dieser Erfinder, der das Gegenmittel für Morgenatem erfindet, MUSS einen Nobelpreis erhalten. Und zwar den Friedensnobelpreis! Wie viele unsensiblen Momente könnten aus unserem Leben gestrichen werden? Der Morgen danach wäre einfach erträglicher. Der Macker kommt mir jedenfalls morgens immer zu nahe. Genau deswegen. Er riecht aus dem Mund! Dann packt er mich. Und drückt an mir herum. Irgendwie, wie es ihm passt. Ohne System und Logik. Seine Freundin, und meine Besitzerin, die hat Klasse! Ja regelrecht Stil. Sie hat das als Kind schon gelernt. Von hinten nach vorne massieren. Das tut gut... Warum das dieser Typ nicht hinkriegt verstehe ich nicht. Aber der Verstand funktioniert bei mir eben auch nicht so richtig. Ist einfach nicht mein Genre. Also, er packt mich, drückt mich, und mein Inneres wird nach Außen gestülpt und muss dann Fakir spielen. Aber mir ist das egal, denn ich habe wieder ein paar Gramm abgenommen und bin leichter.
An gewissen Abenden kommen Freundinnen in unser kleines Appartement. Vor allem dann, wenn meine Besitzerin ausgehen möchte. Dann ist das Bad definitiv zu klein. Es gefällt mir allerdings, wie diese Frauen sich dann über mich hinweg beugen, um besser in den Spiegel zu schauen. In den Ausschnitt kann ich nicht blinzeln, da das Sehen ja... eben, sie wissen das ja schon. Diese Damen stehen vor dem Spiegel und pinseln sich Farbe auf ihre Seelenfensterchen, erzählen alberne Sachen und lachen viel zu laut. Und meistens packen sie meinen Nachbarn und mich dann am Hals und drücken mich. Ich mag das sehr. Ja, mit System und Klasse können die alles mit mir machen. Aber nicht alle sechs zusammen, bitte!
Der bittere Augenblick folgt jedoch sofort auf dieses kleine Vergnügen im Bad. Sie stellen mich hin. Als ob nichts gewesen wäre. Links stehengelassen! Warum lachen sie denn schon wieder, zum Teufel? Da gibt es wirklich nichts zu lachen. Es verletzt mich zutiefst. Ich hab doch auch Gefühle... vielleicht.
Abends, wenn dann Feierabend ist, bin ich leer, leerer oder am leersten. Auf jeden Fall immer leerer als am Morgen. Das ist die Regel! Da kann man leicht depressiv werden.
Ja, das kennen sie, was? Geht ihnen wohl auch Tag für Tag so, was? Na dann machen sie sich mal Gedanken, und hören sie auf über MICH zu lachen! Ich sag ihnen mal was: Das Leben ist nicht leicht! Schon gar nicht für eine Zahnpastatube!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.09.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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