Maria liebt mich nicht mehr. Das weiß ich jetzt genau. Wer Maria
ist, wollen Sie wissen? Maria ist – ja, was eigentlich? Gastronomin?
Ja, wohl irgend etwas in der Art. Drüben in der Schule betrieb sie ein
kleines Café, das sowohl von den Schülern als auch von den Menschen aus
der Nachbarschaft gerne genutzt wurde. Zumindest in den Anfangstagen
war das so. Voller Begeisterung hatte sie vor ein paar Jahren das Café
eröffnet. Sie kochte guten Kaffee. Auch ihr Kuchen war nicht zu
verachten.
Doch irgendwann, schleichend und allmählich, veränderte
sie sich. Warum das so war, sollte ich nie erfahren. Wahrscheinlich lag
das am örtlichen Klüngel. Sie begann eine Affäre mit dem Hausmeister
der Schule; ein Kind war das Ergebnis. Da sie eine alleinerziehende
Mutter war, mußte sie sich um die Betreuung des Kindes kümmern. Sie
konnte also nur dann öffnen, wenn der Kindergarten offen war oder eben
eine Betreuungsperson zur Verfügung stand. Da es bei der Schule um eine
Ganztagsschule handelt, brauchte Maria auch jemanden, der ihr
nachmittags aushalf. Maria arbeitete von 9 bis 14 Uhr, die Aushilfe
dann bis 18 Uhr.
Wieso die Maria die Öffnungszeiten am Ende hin
immer mehr einschränkte, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Sie
begründete es mit Schulferien, Stundenplänen und ähnlichem Quatsch; für
mich waren das nur vorgeschobene Argumente. Mein persönlicher Eindruck
war: Maria war faul, unmotiviert und arbeitsunlustig geworden. Die
Kaffeeklatschatmosphäre der frühen Tage waren irgendwann
verlorengegangen. Maria fing an, einen Tisch eigens für sich zu
reservieren und nur noch ausgewählte Gäste dort sitzen zu lassen. Ich
gehörte nicht dazu. Das bemerkte ich schnell. Auch die Internetcomputer
nutzte nach ein paar Monaten niemand mehr. Wie sich herausstellte,
waren die Nutzungsgebühren zu hoch. 1 Stunde kostete 1 Mark. Dazu kam
ein merkwürdiges System bei den Ausdrucken. 6 Ausdrucke kosteten 50
Pfennig – und zwar unabhängig davon, ob ich eine, vier oder sechs
Seiten ausdruckte. Maria rundete also immer auf. So wurde das Internet
zu teuer für die Schüler.
Marias privater Klüngel hing mir
irgendwann zum Hals heraus. Es gefiel mir in ihrem Café nicht mehr.
Anstatt sich um mich zu kümmern, waren andere Gäste, Familie, Arbeit
und sonstwas wichtiger. Also entschloß ich mich, für einige Zeit nicht
mehr zu Maria zu gehen. Das ist jetzt 6 Monate her. Maria muß den Laden
wohl dermaßen heruntergewirtschaftet haben, daß er sich nicht mehr
lohnte. Selbst Schuld, kann ich da nur sagen, meine liebe Maria.
Hättest Du rechtzeitig angefangen, professionell zu arbeiten, dann
hättest Du jetzt noch Deinen Laden. Dann bräuchtest Du jetzt nicht beim
Walter und bei Mama zu sitzen und darauf warten, daß sie Dich
unterstützen. Mein Gott, Walter – soll es Dir so ergehen wie mir? Daß
Du Dich auf Maria freust und sie Dich dann schmählich im Stich läßt?
Paß also auf Dich auf, mein Guter.
Maria ist böse auf mich.
Sehr böse sogar. Ich merke das an den Käsekuchen, die sie gelegentlich
für mich backt. Ist es gelb und fest, hat sie gute Laune. Ist er
eingefallen, weißlich und wässerig, ist sie übellaunig. Warum sie so
schlechte Laune habe, hatte ich sie bei ihrem letzten mißratenen
Käsekuchen gefragt. Ob ich etwas falsch gemacht habe? „Ja, und ob,“
schmetterte sie mir entgegen. Sie hätte mir doch vor einigen Tagen eine
ellenlange Einkaufsliste in die Hand gedrückt. Mein Fehler habe schon
damit angefangen, daß ich nicht im Tante – Emma – Laden nebenan,
sondern bei Tante Erna zwei Türen weiter hätte einkaufen sollen. Bei
Tante Erna ist es billiger. Eier, Mehl und Zucker seien ja noch in
Ordnung gewesen, Milch und Quark aber zu fetthaltig. Mit den falschen
Zutaten hätte der Kuchen ja auch nichts werden können.
Es sollte
nicht beim Keifen bleiben. Ihrem Kinnhaken konnte ich noch ausweichen,
dem rechten Schwinger aber nicht mehr. seitdem weiß ich, daß Käsekuchen
bei blauen Augen schmerzmildernd wirkt.
Und nun, meine
Damen und Herren, kommen wir zum Stargast des heutigen Abends. Es ist
Maria Muffel aus Antalyaland. Sie präsentiert uns ihre allseits
bekannte und allseits beliebte Zuschauerbeschimpfung.
Ja, meine
Damen und Herren, erneute ärgere ich mich, daß ich hier bin. Es so
mieses Publikum wie Sie habe ich noch nie gesehen. Der Applaus, den ich
hier bekomme, ist so kurz und leise, daß ich ihn gar nicht höre. Ich
kann mich so abrackern und bemühen, wie ich möchte, nie ist Ihnen meine
Arbeit gut genug. Wieso sind Sie eigentlich gekommen? Nur, um zu buhen?
Nur, um zu pfeifen? Nur, um mit faulen Eiern zu werfen? Andere Pseudo –
Künstler sind wesentlich schlechter als ich. Pfeifen und Buhen Sie die
doch aus! Sie sind meiner Kunst doch gar nicht würdig. Sie können meine
Texte doch gar nicht würdigen, so dumm sind Sie.
Ach, warum rege ich
mich überhaupt auf? Ich bin mein Unglück doch selbst Schuld. Warum habe
ich den Vertrag mit dem Konzertveranstalter hier überhaupt
unterschrieben? Ich muß von Sinnen gewesen sein. Ich wußte doch vorher,
was mich erwartet – ein miserables Publikum, eine noch schlechtere
Bezahlung, hundsmiserable Arbeitsbedingungen und am Ende die elenden
Kritiken in der Presse. Mir hängt das alles zum Hals heraus. Ich
glaube, ich muß jetzt aufhören, sonst muß ich mich übergeben.
Vielen Dank, Maria Muffel. Sie waren ja heute wieder in Hochform. Und nun zu unserem nächsten Programmpunkt.
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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Andreas Rüdig).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.09.2008.
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