Uli Garschagen

Doofmanns Gehilfe

 

An einem sonntäglichen Tag im spätistischem Herbst überkam mich ein Hungergefühl erster und schwerster Kategorie. Ich hatte unheimlichen Schmacht. In meinem Schrank, welcher zur Kühlung verschiedener hungertötenden Schmatzsachen vorgesehen ist, herrschten leere Regale über magenfüllende Essbarkeiten. Ein hundertprozentiger Erfolg der Leere!

Alles was zur Vertilgung dienen könnte war nicht aufzufinden. Es schien mir, als hätten alle Lebensmittel sich gegen mich verschworen. Sie gewannen das Versteckspiel um Längen .

Hätte ich doch nur unstillbaren Durst! Getränke waren genügend vorhanden. Doch dieser Hunger. Er war an diesem Abend mein absoluter Chef. Er befahl mir an diesem Abend:“ISS“

 

Ich konnte diesen Hunger nicht bei Seite schieben. Nicht nach links und auch die rechte Flanke gestattete mir keine Verschiebung.

Es war mittlerweile 21 Uhr.

Es blieb mir nichts anderes übrig , als zur späten Stunde noch loszufahren um mir etwas Essbares zu kaufen. Aber wohin?, war meine nächste Frage.

Ich kannte mich in dieser öden Gegend doch gar nicht aus. Ich lebte erst seit zwei Wochen in diesem Nest. Ich wusste, dass es hier keine Pommesbude, Pizzeria oder ähnliches gab. Eine Tankstelle mit Shop schon gar nicht.

 

Spontan wie ich halt bin, schaute ich in der Tageszeitung vom samstäglichen Samstag nach.

Tatsächlich erblickte ich überaus erfreut eine Anzeige.

 

„Snacks rund um die Uhr! Für Sie auch an Sonn-und Feiertagen!“

 

Vor Freude brodelte und jodelte ich! Ich rodelte auch, im Gedanken mit meinem Vierreif über eine vielleicht der abendlichen Kälte übersäten glatten Fahrbahn! Hin zu einem Zeitvertreib für meine Beisserchen und zur Befriedigung meines Hungergefühls. Die Wetterlage war mir allerdings mehr als scheißegal.

 

Doch noch war es nicht so weit. Ich kannte mich schließlich in dieser Region überhaupt nicht aus!ich hatte kein Weitengefühl , wusste nur die Richtung zu dieser rund um die Uhr geöffneten Futterstelle.

 

Ich zog mir schnellstens Schuhe an! Mit Klettverschluss! Der Hunger befahl es mir! Jede Sekunde war wichtig. Vorher zog ich mir noch schnell ´ne saubere Unterhose an. Ich dachte mir, falls ich in einen Unfall verwickelt werde und bevor die Krankenschwestern sich über meine braunen Streifen in der Unterbuchse totlachen, wechsel ich die noch schnell! Man weiß ja nie und eitel bin ich schon.

 

Der Tank meines Automobiles war sensationellerweise top gefüllt! Ich  lachte deswegen die Nadel der Tankanzeige hämisch aus! Oft kommt es auch vor, das diese Füllstoffwahrnehmungsnadel mich belächelt! Sehr oft sogar!

 

Und dann ging es los!

 

Ich fuhr durch die Nacht. Es war mehr dunkel als hell. Helligkeit war in dieser Nacht nicht gefragt.

Einige Autos kamen mir entgegen. Sie schenkten mir Licht.  Doch ich blieb einsam in meinem Auto.

Es war sehr dunkel und spät. Sie musste gekommen sein, als  viele Stunden des Tages vergangen waren und die Dunkelheit einbrach. Ich hatte keine Angst. Obgleich es mir sehr schwer fiel keine zu haben. Doch die Angst kam. Ich war noch frisch unterwegs, etwa zehn Minuten und die Angst steigerte sich mehr und mehr.

 

 

Mitten in der Angsthaberei stand am Wegesrand ein Mitmensch. An diesem Teil der Strecke schien es mir heller zu sein, als auf den vorherigen Abschnitten. Er stand neben der Straße. Er trug einen außergewöhnlich großen Rucksack auf seinen Schultern. Er zeigte mir von seiner rechten Hand seinen Daumen. Ich konnte aber nichts ungewöhnliches an diesem Daumen feststellen. Es war wahrscheinlich ein ritualer Gruß zwischen Straßenrandsteher und Autovorbeifahrern. Ich knippste schnell das Innenlicht meines Wagens an. Ich beeilte mich dabei, damit der Daumengrüßer meinen Rückgruß auch sehen konnte. Ich winkte also ziemlich freundlich zurück und fuhr weiter.

 

Es blieb Nacht und eine Helligkeit an diesem heutigen Tage, wird nie mehr kommen.

 

Nun war Angst kein Fremdwort mehr für mich. Ich hatte Angst und Bammel. Ich fuhr und fuhr.

Plötzlich dachte ich mir, vielleicht war es kein Gruß. Ich dachte dabei an den Daumenzeiger am Wegesrand.. Eventuell war sein Daumen wirklich verletzt, doch wenn dieser Daumen einen kaputten Eindruck gemacht hätte, hätte er diesen nicht so hoch halten können. Das tut ja unheimlich weh, wenn man seinen verletzten Daumen in die Höhe hält.

So fuhr ich aber weiter und dachte mir, hätte ich angehalten und gefragt ob er mitfahren möchte, wäre ich jetzt nicht allein im Auto und bräuchte keine Angst mehr zu haben. Die ich hatte, wegen der Dunkelheit.

Sollte ich also umdrehen? Ne, dachte ich mir, nene. Du bleibst deiner Linie treu und fährst weiter. Tat ich auch. Ich fuhr also die Richtung weiter. Es gab auch nur diese. Ich hätte auch gar nicht drehen können, weil die Fahrbahnlinie durchgezogen war. Ich konnte also nicht drehen. Zum Wenden in drei Zügen hatte ich keine Lust. Es war auch kein Stoppschild in unmittelbarer Nähe. Auch wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihm also nicht helfen können. Außerdem kannte ich ihn gar nicht. Sein Gesicht war mir fremd. So richtig konnte ich es aber auch nicht sehen. Ein paar Teile seines Gesichts blieben jedoch in meinem Hirn stecken.

Es herrschte weiter Dunkelheit pur.

Ich fuhr weiter und vergaß den Wegrandsteher.

Während der langen langweiligen Fahrt wurde mir noch eine Attraktion geboten.

Ein Reh sprang über die Straße! Ich konnte gekonnt ausweichen, fuhr dabei aber nicht über die durchgezogene Linie!

 

Es kamen wiederholt Autos. Einige hatten dabei Fernlicht an.  Wenige von diesen Einigen  kamen von vorne. Die Mehrheit  von den Einigen aber von hinten, die dann ganz nah zu mir auffuhren und mich mit ihren plötzlichen grellen aufleuchtenden Lichtern grüßten, um dann anschließend im hohen Tempo an mir vorbeizufahren. Sie schienen es irgendwie eilig zu haben. Auch diese zeigten mir einen Finger. Doch nicht den Daumen, der einmal links und einmal rechts neben meinen Fingern sitzt.

Ich meinte beobachtet zu haben, dass alle diese Fingergrüßer,  zum Grüßen ihren mittleren Finger benutzten. Für einige Momente war ich somit nicht ganz so einsam auf der dunklen Strecke und hatte so ein wenig Abwechslung. Für diese Momente war es dann auch  prima hell.

An meinen Hunger, welcher mich so sehr nervte, dachte ich kaum noch. Ich freute mich wegen der netten grüßenden Autofahrer. Sie waren Freunde für mich geworden.

 

Die Dunkelheit blieb ihrer Linie treu und blieb schwarz. So schwarz wie die Nacht, die gerade ihr dasein absolvierte.

Ich stotterte Kilometer um  Kilometer ab und konnte wegen der Dunkelheit die Gegend nicht erkennen.

Wo ich wohl war, fragte ich mich sehr oft. Während ich ca. 1 Kilometer fuhr, fragte ich mich das bestimmt 10 mal. Die Strecke hatte so ungefähr bis zum Zielort 300 km Länge.

Und immer durch die Dunkelheit. Es war finster in dieser Nacht. Ich kann mich nur immer wiederholen.  Ich fragte mich so über den Daumen geschätzt, also 3000 mal wo ich wohl bin. Und zwischendurch hatte ich Angst und Bammel.

Der Hunger stieg auch wieder. Dieser kam mit jedem weitern Kilometer auf Hochtouren.

Hunger pur! Ich erhöhe auf Hungerismus pur!

 

Ich dachte mir auch, was wohl passiert wenn ich ne Panne oder so was ähnliches hätte. Ne Panne oder was ähnliches hatte ich aber nicht. Da war ich sehr glücklich drüber. Bei der Dunkelheit, die in dieser Nacht herrschte, hätte ich eh nichts reparieren können. Es war ja nix zu erkennen auf Grund der späten Uhrzeit.

 

Nach ca. vier  Stunden der Autofahrt kam ich dann endlich zu meinem Ziel.

Es war natürlich nicht mein  eigenes Ziel. Es gehörte mir doch gar nicht.

 

Ich war dann also an dieser in der Zeitung beschriebenen Snackbar angekommen.

 

An dieser stand dann auch tatsächlich der Mitmensch vom Wegesrand, welcher mir seinen Daumen zeigte . Ich erkannte ihn an einigen Merkmalen seines Kopfes wieder. Ich erkundigte mich nach seinem Daumen. Das in der unwiderstehlichen Art eines Daumendoktors.

Er schüttelte nur mit dem Kopf, den er hin und her schwenkte.

Ich nickte im zurück. Mein Körperoberteil bewegte sich rauf und runter. Ich sagte ihm, dass ich froh sei, dass seinem Daumen scheinbar nichts fehle.

Er  schüttelte wieder nur mit dem Kopf. Seine Daumen waren putz munter. Beide.

Er hielt ein für meine Augen sehr schmackhaftes Brötchen in seiner Hand. Es war belegt mit meiner Favoritenwurst. Ich war entzückt. 

Ich fragte ihn, ob er mich mal beißen lassen könnte. Ich wollte nur einmal reinbeißen., da ich sehr hungrig war. Wieder schüttelte er den Kopf. Immer rechts und links zur linken und rechten Seite. Er sagte kein Wort. Führte einige male nur seinen Zeigefinger an seine Schläfe.

Einige Minuten später holte er ein nächstes  belegtes Brot heraus. Es war wieder ein Brötchen. Dieses und das Erste hatte er in der Snackbar erworben. Und es sah wieder sehr lecker aus. Abermals war auf diesem meine Lieblingssalami zu erkennen. Ich fragte noch mal ganz höflich, ob ich  eventuell in dieses mal hereinbeißen dürfte. Wiederum lehnte er ab. Nicht durch Worte. Es war wieder sein Schüttelkopf, der mir die Verweigerung eines Bissens signalisierte.

Ich solle mir selber eines kaufen, sagte er schon leicht zornig. Das wollte ich eh tun! Aber mein unbegreiflicher Hunger lotste mich zu seinem Brödel.  Ich vernahm Worte von ihm. Es waren negative.

Ich nickte und lächelte ihn voller Ironie an und aus.

Mir blieb keine andere Wahl. Ich holte mir diese klein gewachsenen Brote.

Ich besann mich zur Erwerbung einiger selbstkauften Klappbrote.

Das machte ich dann auch ziemlich spontan und professionell.

 

„ Drei Brötchen mit Salami“, wirbelte ich diese vier Worte durch die Luft in Richtung Snackbar-Heinz. So hieß er der Verkäufer dieser Ess-Bar.

Ich bestellte mir gleich  drei dieser Brötchen, weil ich dachte, es ist besser so. Alle mit dieser Salami. Ich liebte diese Wurstsorte über alles.

Da lasse ich auch keinen von beißen,  dachte ich mir. Es kam auch niemand der das Verlangen danach hatte. Ich war sehr erleichtert.

Den Typen mit dem Daumen vom Wegesrand schon gar nicht.

 

Als ich meine Salami- Snacks dann aufgegessen hatte, machte ich mich auf den Rückweg.

Ich wischte mir noch die Remoulade oberhalb und unterhalb meiner Lippen weg. Auch die Mundwinkel züngelte ich sauber.

Ich startete meinen Wagen.

Ich verbrachte etwa 2 Stunden an der Bar des Snackes, wo es die leckeren belegten Brötchen gab.

Wo ist bloß die Zeit geblieben, dachte ich mir, als ich auf meine Uhr sah.

Mein Hunger war gestillt.

Vorsichtshalber kaufte ich mir noch einen Bruder der Brötchen für den Rückweg.

Ich hatte also insgesamt vier dieser Spezialitäten erworben.

 

Los ging es. Den gleichen Weg zurück. Nun fuhr ich auf der anderen Fahrbahnseite heimwärts

Ich fuhr und fuhr durch die Mitternacht.

Nach einigen Minuten der gemütlichen Heimfahrt sah ich dann am Straßenrand, den für mich nun bekannten Mitmenschen wieder. Es war nächtlich unvollmondig, aber trotzdem winzig tageslichthell .

Er hob auch diesmal seinen Daumen.

 

Da ich aber nun wusste, dass seinem Daumen nichts fehlte und er auch nicht besonders gesprächig war, schüttelte ich ganz spontan meinen Kopf, nachdem ich schon fast routiniert das Innenlicht meines Autos angeknippst hatte. Ich fuhr langsamer als mit Schrittgeschwindigkeit an ihm vorrüber. Ich zeigte ihm mein viertes Brötchen und biss in dieses genüsslich hinein. Ich hielt noch kurz an und willigte dem Wunsch meiner remoularden benetzten Zunge ein, diesem Wegrandsteher diese entgegenzustrecken!

 

Dann fuhr ich an ihm vorbei, den langen dunklen Weg nach hause!

 

Wie ich dann ziemlich müde, platt und satt daheim ankam, machte ich mich bettfertig und sprach noch ein kurzes Nachtgebet Richtung Gott, der mir in dieser Nacht antwortete und sprach,

 

“ Mein Sohn,

 Ein Rucksack voller Salamibrote, ein nicht getötetes Reh,  hast einen hilflosen Engel für Hunger und Schutz stehengelassen, dieser hat dich nun verlassen! Lege dir nun zu reichlich Unterhosen zu, weil Krankenschwestern braune Streifen hassen!

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Uli Garschagen).
Der Beitrag wurde von Uli Garschagen auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.09.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Uli Garschagen als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Die Wiesenhexe von Elke Anita Dewitt



Menschen zu helfen und in sich Glück zu finden, darin lag und liegt mein Bestreben.
Ich möchte Menschen helfen, die großen Belastungen ausgesetzt sind, innere Stärke zu entwickeln.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (3)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Uli Garschagen

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Reflex von Uli Garschagen (Reiseberichte)
Hunde denken anders. von Walburga Lindl (Humor)
Pilgerweg X III. von Rüdiger Nazar (Reiseberichte)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen