Andre Schuchardt

Geschichten aus Lurruken, Teil VII: Der Abschluss

Mitternacht ward es und ich drückte mich an eine Hauswand. So gut es ging versuchte ich mit der Dunkelheit eins zu werden. Ich hielt mich lautlos und ruhig, derweil ein betrunkener alter Mann an mir vorbei torkelte, der dabei noch teilweise einen kurzen Flug aufs Gesicht wagte, sich aber wieder aufrichten konnte und schließlich das düstere Gemäuer passierte, welches ich mir zum Ziele auserkoren hatte.
Bald darauf huschten zwei weitere Gestalten die Straße hinab, gekleidet in dunkle Mäntel, welche aber die hervorstechenden blitzenden Klingen nicht verbergen konnten. Sie folgten dem armen Betrunkenen. Dieser verließ gerade den Lichtkegel einer alten Feuerstelle am Wegesrand. Die Räuber, Attentäter oder was auch immer, umgingen dieses Licht. In Windeseile waren sie bei ihrer Beute und gingen ihrer Arbeit nach. Natürlich achtete ich darauf nicht selber auch noch entdeckt und gemeuchelt zu werden, während die beiden Mörder ihr Opfer kunstvoll verschwinden ließen.
Ich erschauerte – es war doch recht kühl – und überquerte dann so schnell ich nur konnte ohne aufzufallen die Straße zu 'meinem' Haus hinüber. Wie überall hier in der Straße lag ein recht großes Gebiet zwischen diesem und dem nächsten Gebäude, geteilt durch einen Zaun, welcher auch die Massen der Straße fernhalten sollte, die auch gern ein ebensolches besitzen würden – Gebäude oder Gebiet. Ich ging die hohen Stäbe des Zauns entlang bis zur großen Eingangstür.
Dort zuckte ich zusammen, als ich hinter mir plötzlich eine schreiende Frauenstimme vernahm. Die dazugehörige Frau lief vor ungefähr einem Dutzend Männer davon und floh Richtung Innenstadt. Es war wahrlich keine gute Gegend für Nachtspaziergänge rechtschaffender Leut. Und das, obwohl es einst das neue Reichenviertel war, wie man noch an den protzigen Gebäuden erkennen konnte. Immerhin konnte ich mich glücklich schätzen bewaffnet hier aufgetaucht zu sein, wenn es auch nur eine Taschenarmbrust war, die mich hier begleitete. Besser doch als gar nichts, oder?  Ich fasste sie mit der Linken und hielt kurz Ausschau in der Nacht. Natürlich entdeckte ich nichts, welcher gute Dieb ließ sich auch schon so einfach blicken? Dann wandte ich mich wieder dem Haus zu und suchte nach einem Weg, möglichst einfach hinein zu gelangen. Der Zaun, welcher den Garten umgab, war wohl um einiges zu hoch um ihn hinauf klettern zu können. Die Tür vor mir sah recht stabil aus, ließ sich jedoch vielleicht öffnen. Ansonsten war die Mauer des Hauses zu glatt zum erklimmen und das nächste Fenster um einiges zu hoch um es zu erreichen.
Ich untersuchte erstmal den Eingang etwas genauer und drückte versuchsweise die Türklinge hinunter – manchmal war der einfachste Weg doch tatsächlich der richtige. Doch ich wurde leider nicht überrascht. Also zückte ich mein kürzlich erworbenes – und nicht etwas geklautes, nein, niemals – Einbrecherwerkzeug und machte mich an meine zutiefst anständige und ehrliche Arbeit. Einige Zeit später – ich hatte leider noch nicht soviel Übung mit diesen Gerätschaften – war ich endlich im Inneren des Hauses und sah mich dort um. Hier drinnen war es fast genauso düster wie draußen vor dem Haus: dunkle Wände, Böden und Decke und alles eingerichtet von einem scheinbaren Liebhaber der Tätigkeit des Folterns, so schien mir zumindest, denn überall standen furchtbar unbequem aussehende Möbelstücke, von denen ich jedoch im Dunkeln kaum etwas erkannte. Mehrere Türen führten aus diesem Eingangszimmer hinaus, ebenso eine Treppe ein Stockwerk höher.
Nun sah ich mich zuvorderst im Erdgeschoss um. Die Nacht draußen war ziemlich finster an diesem Abend und ich musste gut aufpassen nicht gegen irgendwas im Dunkel des Gebäudes zu stoßen. Ich durchquerte die große Eingangshalle sowie das auch nicht gerade klein gehaltene Wohnzimmer und landete bald in der Küche. Dort fand ich die Treppe hinab in den Keller. Man muss mir verzeihen, dass ich unterwegs kaum Muse hatte das Mobiliar aller Räume zu studieren. Nun hatte es mir die Treppe angetan. Doch erstmal plünderte ich vergnügt und erfreut die nicht verschlossene Vorratskammer, in der es allerlei gute Sachen zu entdecken gab. So 'gutes' hatte ich doch schon seit Wochen nicht mehr!
Dann plötzlich vernahm ich ein Geräusch und erstarrte augenblicklich. Reichlich laut knarrend öffnete sich die Küchentür – das hatte sie bei mir nicht getan! - und jemand betrat das Zimmer. Ich – noch in der Vorratskammer versteckt – verkroch mich möglichst schnell und leiser als dieser Eindringling, dabei meine Panik unterdrückend, hinter ein paar Säcke voll von Mehl oder was auch immer es darstellen sollte. Ich hüllte mich so gut es ging in meinen nachtschwarzen Umhang und hoffte auf das Beste. Der Neuankömmling entzündete ein gedämmtes Licht in der Küche und klapperte dort eine Zeitlang irgendwo herum. Schließlich betrat er auch die Vorratskammer. Es war ein Mann im Nachtgewand, wie ich aus meinem Versteck direkt neben der Tür heraus gut erkennen konnte. Er ging zielstrebig auf das gegenüberliegende Regal zu. Ich hoffte nicht zuviele Spuren hinterlassen zu haben. Prompt murmelte der Mann auch etwas von Ratten vor sich her und dass man sich eine Katze besorgen müsse, als er die von mir hinterlassenen Überreste erblickte. Sich an seinem – durchaus wohlgenährten – Bauch kratzend nahm er eine Armvoll Essen und verließ die Kammer bald wieder.
Ich ließ den angehaltenen Atem langsam weichen und wartete. Dass das Haus noch bewohnt sei hatte mir Kowarra aber nicht erzählt. Ich beschloss, mich darüber noch zu beschweren. Nebenan gingen die Geräusche des Mannes weiter. Was machte der dort bloß? Irgendwann jedenfalls kam er noch einmal in meinen Zufluchtsort und holte sich nun auch etwas Wein. Letztlich – meinem Empfinden nach wohl Stunden später – verschwand er endlich wieder gänzlich aus der Küche. Ich wartete noch etwas länger, wagte mich schließlich wieder heraus und überprüfte kurz die Umgebung – in der Küche. Die Luft schien zum Glück wieder rein zu sein. Nun konnte ich mich auch an die Kellertreppe machen – aber nicht ohne vorher noch ein klein wenig Proviant mitzunehmen, das versteht sich doch. Der Abstieg die Treppe hinab war noch düsterer als der Rest des Hauses. Ich hielt mich dicht an der Wand und tastete mich vorsichtig abwärts, immer langsam einen Fuß vor den anderen setzend. Unten angekommen knallte ich trotz aller Vorsicht beinahe gegen eine massive Eisentür – verschlossen, wie ich frustriert fest stellen musste, und nach einigen Versuchen stellte sie sich auch als nicht knackbar heraus.
Also ging ich wieder hoch, die dunkle Treppe verfluchend, um einen Schlüssel zu suchen. In der Küche fand sich keiner, auch nicht im Wohnzimmer – und erst kein passender in den restlichen fünfzehn Zimmern des Erdgeschosses. Demnach musste ich wohl zwangsweise in den ersten Stock des Gebäudes. Es fanden sich dort wenig interessante Dinge, lediglich einen Raum nach dem anderen, eingerichtet mit den typischen Gegenständen der wohlhabenden Klasse, ohne dass sich aber etwas interessantes für mich darunter befand, sah das meiste doch auch so aus, als würde es hier bereits eine Generation lang vor sich hin gammeln. Vieles hatte schrecklich viel Staub und einiges an Spinnweben angesetzt.
Dann aber machte das Bad sich auf mich aufmerksam. War die große Wanne darinnen etwa tatsächlich aus Gold? Und scheinbar auch durchaus noch in Benutzung. Nun, ich schnappte mir ein teuer und exotisch aussehendes Duftwässerchen und durchstöberte den kleinen Schrank mit verschiedenen Arzneien, Heilkräutern und ähnlichem, nahm alles mit was mir nützlich erschien, und ging weiter.
Schräg gegenüber befand sich etwas, dass nach einem Schlafzimmer aussah, und scheinbar war es auch nicht das einzige. Es war leer – im Sinne von intelligentem Leben, denn ansonsten überladen und vollgestopft mit Gegenständen von Gerümpel bis Luxus. Ebenso fand sich das nächste vor. Nach dem dritten Schlafzimmer hatte ich schließlich genug von diesem Haus, jedoch stimmte mich ein Einrichtungsgegenstand in diesem Zimmer nun wieder milde: Ein Band – damit meine ich ein Buch – mit Karten des Hauses sowie des gesamten restlichen Anwesens. Sogar welche von der restlichen Stadt und der näheren Umgebung befanden sich darinnen, alles Bekannte und auch vieles Unbekannte. Was für ein Schatz! Und sogar klein genug um es mitzunehmen. Wenn das mir nicht noch hilfreich werden sollte. Also steckte ich es in die Rückentasche, welche ich dabei hatte, und freute mich erst einmal still vor mich hin. Doch dann entsann ich mich meiner Mission und suchte das Zimmer nach dem Schlüssel ab – natürlich ohne Erfolg, wäre ja auch zu schön gewesen.
Den Gang wieder weiter folgend – ich fragte mich, ob nun nicht langsam auch mal das Schlafzimmer des Mannes aus der Küche auftauchen müsste – bewunderte ich die aufgehängten Bilder. Wirklich interessieren tat ich mich dafür zwar nicht, aber sie waren teilweise schon – nett. Eines zeigte Szenen einer Schlacht, welche, dem unverkennbaren Bergen nach zu urteilen, wohl irgendwann einmal zwischen Rardisonán und Machey stattgefunden haben musste. Mich fragend ob es vielleicht sogar der letzte große Kampf in Omijern sein könnte, fand ich es bald zu schade, dass ich dieses Gemälde nicht einfach mitnehmen konnte. Ich wandte mich ab.
Und mein Herz blieb fast stehen. Denn plötzlich stand jemand vor mir. Doch bei näherer Betrachtung stellte es sich lediglich als dekorative Rüstung heraus. Ihr gegenüber stand ein exakt gleich aussehender Zwilling, zwischen beiden befand sich eine große Holztür. Sie war verschlossen und nicht öffenbar, also befand sich dort meinem Glück entsprechend mit ziemlicher Sicherheit wohl der gesuchte Schlüssel. So hieß es denn erneut umkehren und zurück zur Treppe. Dort hörte ich Geräusche, welche aus dem Erdgeschoss herauf drangen, zusammen mit einem dämmrigen Lichtschein. Ich drückte mich an die der Treppe gegenüberliegende Wand und schlich langsam an ihr vorbei. Dort wechselte ich erneut die Seite, so dass ich mich nun neben der Treppe befand, diesmal allerdings für niemanden der von unten kommen mochte sichtbar. Vorsichtig lugte ich um die Ecke und sah in den schwach von Kerzen erleuchteten Saal hinunter – der von der anderen Seite der Treppe aus nicht einsehbar gewesen wäre – wo ich interessantes beobachten konnte.
Der Hausherr, in eine Art Morgenmantel gekleidet, also bereits etwas ausgehbereiter als noch zuvor beim Essen, öffnete gerade die Haustür um drei Leute hinein zu lassen. Ja besaß er denn keinerlei Diener in diesem großen Haus? Oder schliefen sie bereits draußen in einem Gesindehaus? Und warum hatte ich das ganze Haus durchstöbern können ohne noch einmal etwas von dem Mann zu bemerken? Schon seltsam. Die Ankömmlinge jedenfalls waren alles Männer, zwei von ihnen in leichter Rüstung, darüber rot-weiße Roben, mit kurzen Lanzen und Schwertern bewaffnet und mit hellwachem und grimmen Blicken versehen. Das waren wohl die Leibwächter des dritten Mannes, etwas älter, gekleidet in ein Gewand dessen Farben – weiß mit gelben Rändern um Hals und Handgelenken – mir doch irgendwie bekannt vorkamen, ebenso aber auch er selber: dunkelhaarig, dunkeläugig, dunkelhäutig – halt ein dunkler Mann.
Hausherr und Hausgast begrüßten sich kurz – von dem ich leider keinerlei Einzelheiten mitbekam – und verschwanden dann Richtung Wohnzimmer, die beiden Wachen dicht auf den Fersen.
Nun wusste ich zumindest, wo sich das Leben in diesem Hause gerade befand und machte mich auf, weiter nach Schlüsseln zu suchen. Der rechte Flügel des Stockwerkes sah dem linken zum verwechseln ähnlich, nur die Räume waren etwas anders eingerichtet. Dies schien mir auch der unmittelbare Lebensbereich des Besitzers zu sein. Ich fand das Badezimmer mit, nun, eher persönlichen Gegenständen, andere Zimmer mit verschiedenen Unterhaltungsgegenständen – sogar etwas, das nach einer persönlichen kleinen Folterkammer aussah. Es verwunderte mich nur etwas, dass sie sich hier oben und nicht etwa im Keller zusammen mit einem geheimen Gefängnis oder so befand. Sein Schlafzimmer selbst war überraschend groß, nein, alles darinnen war überraschend groß: der Schrank mit seinem teuren Spiegel, das Bett, der ebenso teure Spiegel darüber, das Fenster mit Goldrahmen und Blick auf den Garten mit tatsächlich vorhandenem Gesindehaus, das davor stehende Teleskop – welch Vermögen musste es wohl wert sein! -, die Stühle aus Importholz sowie der dazu passende Tisch – und, tatsächlich, sogar ein Schlüssel, welcher ich in einem der Schmuckkästchen vor fand.
Damit nun eilte ich zur verschlossenen Türe zurück – achtete dabei aber auf die Treppe – und konnte sie endlich aufschließen! Der Inhalt des vorgefundenen Raumes bestand aus einigen verstaubten Dokumenten, einem Haufen Geld, Edelsteinen, Schmuck und ähnlichem Krimskrams – nichts dabei, was mich auch nur annähernd interessierte. Jedoch fand ich einen weiteren Schlüssel – für die Kellertür, so hoffte ich – und einen kleinen Waffenschrank, aus dem ich mir ein nettes Andenken mitnahm: ein bezaubernd aussehendes kleines Schwert – ich ließ es in den Falten meines Mantels verschwinden. Anschließden schlich ich zurück zur Treppe, denn einen anderen Weg schien es nicht zu geben.
Dort angekommen zuckte ich zusammen und zog mich sofort in den dunklen Gang zurück, denn unten in der Eingangshalle stand eine der beiden Wachen. Was nun? Ich überlegte erstmal eine Weile, was ich nun tun könnte, während ich dabei auch auf das Verschwinden des Postens hoffte. Nachdem er sich aber eine ganze Weile nicht von der Stelle rührte, wählte ich einen anderen Weg. Ich ging zurück in das große Schlafzimmer. Dort untersuchte ich das Fenster diesmal etwas genauer, ein Hebel zum öffnen befand sich an der rechten Seite. Ich betätigte ihn und das Glas verschwand langsam in der Wand, wurde nach oben gezogen. Plötzlich fiel mir wieder auf, wie kühl die Nächte hierzulande doch waren, trotz der enormen Wärme des Tages. Ich zitterte leicht und guckte dann durch die Öffnung hinaus. Bis zum Grund waren es vielleicht drei Mannslängen immerhin, für einen Sprung erschien mir das etwas zuviel. Leider war auch kein Holzgerüst für Weinreben oder eine Regenrinne in greifbarer Nähe. Ein möglichst robustes Stück Metall oder Holz musste nun wohl her. In der, nun, Folterkammer waren zahlreiche Metallrohre zu finden, allerdings alle bereits zu etwas anderem verarbeitet und ohne großartiges Werkzeug wohl auch nicht wieder trennbar. Suchte ich mir halt einen Stuhl neben dem Schreibtisch im nahen Arbeitszimmer als Opfer aus – jederzeit fürchtete ich ein Auftauchen von jemanden der sich hier wirklich hätte aufalten dürfen und bewegte mich deshalb besonders vorsichtig vorwärts und huschte von Schatten zu Schatten. Ich schloss die Tür – vorsichtig! - hinter mir, nahm den Stuhl mit mir in eine der Tür fernen Nische und zückte dort mein neues Schwert. Ziemlich überrascht war ich, als nach nur einem Schlag bereits ein Bein ab war. Dieses Bein nun überprüfte ich auf seine Robustheit, nahm es in beide Hände und versuchte es über meinem Knie zu brechen. - Vor Schmerz fiel ich rücklings um und schlug hart auf dem Boden auf.
„Wer da?“ hörte ich bereits die Stimmen rufen, doch zum Glück nur in meinem Kopf.
Und eben dieser schmerzte mir nun auch ziemlich. Ich unterdrückte ihn – den Schmerz – und rappelte mich auf. Auch mein Knie schmerzte. Mich für meine dämliche Unvorsicht verfluchend sammelte ich Schwert und Stuhlbein auf und humpelte vorsichtig zur Tür. Vielleicht hatte den von mir verursachten Krach ja wirklich niemand gehört? Oder jemand? Ich lauschte aufmerksam an der Tür, hörte nichts, öffnete sie und blickte langsam um die Ecke – nichts. Wieder im Schalfzimmer befindlich nahm ich mein Seil, welches ich ja vorrausschauend dabei hatte, band es an das Stuhlbein und verhakte dieses schließlich im Öffnungshebel des Fensters. Dann kletterte ich mit Hilfe des Seiles so gut es ging – und das war eher unbeholfen – die Mauer hinunter. Hoffend, dass ich nicht an dem Fenster eines gerade bevölkerten Zimmers vorbeikäme, landete ich schließlich unten – unterwegs kam kein Fenster.
Aber etwas anderes dummes sollte passieren: eine Wache kam um die Ecke – wohl die einzige dieses Anwesens und eindeutig keiner der Besucher – und schaute sich in der Gegend um. Ich nutze die Zeit, in welcher er in die andere Richtung starrte, um mich hinter einen etwas entfernteren Baum – einem recht dicken, dick genug, mich zu verbergen – zu flüchten und dort meine erprobten Versteckfähigkeiten erneut zu testen. Der Wächter bemerkte mich dann auch nicht, ging sogar direkt an meinem Baum vorbei. Irgendwie entwickelte sich diese Nacht nicht wie gehofft. Ich wollte mich ausruhen, nachdenken, über den weiteren Vorgang grübeln. Nachteiligerweise müsste ich allerdings schnellstens von diesem Ort wieder verschwinden, einen neuen Weg runter in den Keller suchen, denn ich musste es noch in dieser Nacht schaffen.
Das Gelände hinter dem Haus war eine große, ordentlich geschnittene Grasfläche, nur selten unterbrochen durch einige Bäume, Büsche und zwei Teiche, in denen es plätscherte. Gegenüber von mir lag schließlich das Gesindehaus, einstöckig und nicht so groß, trotzdem war es immerhin vorhanden, was schon eindrucksvoll genug war für dieses Haus, welches von Außen doch einen so schlicht heruntergekommenen Eindruck machte. Rechts von dem Gesindehaus wiederum war ein Stall und zwei weitere Häuser, deren Funktionen mir noch unbekannt waren. Ein Weg führte an allen Gebäuden vorbei, zurück bis zur großen Eingangspforte in diesen Hof. Sonderlich viel mehr konnte ich im eher schwachen Mondschein nicht erkennen – ich wäre aber in einer hellen, klaren Nacht auch nicht los gezogen. Erneut kam es mir seltsam vor, dass das Anwesen nun so groß war, denn von Außen sah man ja nur das verwitterte Haus und den umrankten Zaun. Aber wie auch immer, ich hastete zum nächsten Busch – immerhin stolperte hier noch eine Wache herum. Danach Richtung Stall – denn dem Gesindehaus blieb ich lieber fern -, immer an den Geräuschen der Reittiere darinnen orientierend. Über einen Stock stolpernd, landete ich fast in einem Erdloch. Über die Verwilderung in diesem Teil des Parks mich wundernd, kam ich bald an dem Stall an. Niemand war da, überall lagen Trümmerstücke, das Dach war durchgebrochen. Wo waren denn die Tiere? Nichts war zu sehen, das Gebäude sah aus, als wäre hier schon seit Jahren niemand mehr gewesen. Sehr seltsam, hörte es sich doch so belebt an.
Mir kam ein Gedanke und ich ging doch noch zur Unterkunft der Diener. Der Weg dorthin war zugewachsen. Ein knorriger alter Baum stand zur Rechten, zwei Maulwurfshügel gab es zur Linken. Unkraut wucherte allüberall, die Tür zum Haus hing schief in ihren Angeln, das Holz war bereits völlig morsch und teilweise mit Moos und Pilzen überzogen. Durch die Lücken in der kaputten Wand konnte ich stellenweise ins Innere sehen. Das Mobiliar wirkte, als hätte man es ins Meer geworfen und nach ein paar Jahren wieder herausgefischt. Bestimmt war das Dach undicht. Ich brauchte mir wohl gar nicht erst die Mühe machen hinein zu gehen. Vermutlich war der dicke Besitzer doch nicht so reich wie es mir kurz vorgekommen war.
Da der Wächter immer noch nicht wieder zu sehen war, ging ich flugs zurück zum Haupthaus, zu der Stelle, wo ich ausgestiegen war. Konnte ich all das Unkraut hier vorhin wirklich übersehen haben? Mein Seil hing immer noch aus dem Fenster herab. Es war ein netter Kontrast, dieses saubere neue Material vor der alten schmutzigen Wand. Ich sollte es wohl lieber mitnehmen, sonst könnte man mich deshalb noch entdecken. Vorsichtig zog ich kurz am Seil – und sofort kam das gesamte Fenster auf mich herab gestürzt. Erschrocken sprang ich zurück und konnte mich so gerade noch retten vor dem tödlichen Hagel aus Glassplittern und Rahmenteilen – warum war der Goldene Rahmen zerbrochen? -, lediglich ein kleiner Teil streifte meinen Arm.
Genausogut hätte ich mich nun wirklich laut schreiend bemerkbar machen können, jetzt würde jeder um meine Gegenwart wissen! Mit diesmal etwas stärkerer Panik eilte ich ums Haus, die Vorsicht diesmal etwas beiseite lassend. Unterwegs blieb mein Fuß irgendwo stecken, ich rannte allerdings weiter und sah deshalb plötzlich und relativ schnell den Boden auf mich zu kommen, während es hinter mir krachte – mein Fuß war frei, doch mein Gesicht nun im Gewächs. Ich rollte mich zur Seite und erblickte auch so gleich die Falle, in die ich getreten war: ein Haufen Knochen mit Rüstungsteilen und einem verrosteten Schwert. Wer war das und wie kam er hierher? So langsam wurde mir immer mehr gewahr, dass hier etwas nicht ganz normal war. Es war mehr als offensichtlich. Ich entschied mich, wieder ins Haus zu gehen. Genau vor mir war auch ein Fenster, dessen Scheibe bereits lange verschwunden war. Diesen Eingang nutzend, befand ich mich also bald wieder im Inneren, irgendwo in einem der zahlreichen Räume. Mittlerweile sah es hier genauso aus wie im Gesindehaus. Das sprach nicht gerade für den Architekten. Ich erkannte nichts wieder, fand aber den Weg durch allerlei Gerümpel zurück in die Eingangshalle. Es wirkte auf mich, als hätte mein kurzer Ausflug in den Garten hundert Jahre gedauert. Vorsichtshalber warf ich einen Blick durch die Eingangstür hinaus auf die Straße, die zum Glück noch genauso aussah wie wenige Stunden zuvor. Auch erkannte ich den abgeplatzten Hausputz und die sich die Wände hoch rankenden Kletterpflanzen wieder. Ich beschloss, den ganzen seltsamen Vorgängen so bald es möglich war mal genauer nach zu gehen, momentan stand aber immer noch dringenderes an: ich musste in den Keller, die anderen Ereignisse konnten warten und liefen mir sicherlich nicht davon.
Jetzt, da das Haus offensichtlich frei von jedweden Bewohnern und Besuchern war, wie ich es anfänglich bei meinem Einstieg auch erwartet hatte vorzufinden, konnte ich mich wieder freier bewegen. In der Speisekammer fand fand ich nur noch verrottete Gegenstände, sofern überhaupt noch etwas da war. Einem Einfall folgend überprüfte ich schnell den Inhalt meiner Taschen und stellte fest, dass sämtliche Nahrung noch völlig frisch wie zuvor war, nur teilweise etwas eingedrückt. Ich suchte mir eine Fackel in der Kammer und entzündete sie, um endlich auch einmal mehr in diesem Haus und vor allem auf der Treppe erkennen zu können. Eben diese ging ich dann hinab und passierte einen großen, wohl herab gestürzten Teil der Mauer, hinter der man die blanke Erde sehen konnte. Am Fuß der Treppe angelangt wurde mir die Nutzlosigkeit des so lange gesuchten Schlüssels nun gewahr: die massive Tür war verschwunden, als hätte etwas gewaltiges sie einfach herausgerissen und mit sich fort genommen, lediglich ein hübsches großes Loch in der Mauer hinterlassend.
Gespannt betrat ich den neuen Raum, alles mögliche erwartend. Tatsächlich fand ich aber nichts als einen leeren, verstaubten Raum vor. Ein Schritt dort hinein wirbelte eine große Wolke auf, die mich erstmal husten und niesen ließ. Ich zupfte an meinem Mantel und hielt mir ein Ende vor das Gesicht, bevor ich es wagte weiter zu gehen. Scheinbar führte nur eine Tür direkt neben der Eingangstür weiter aus diesem Raum hinaus. Insgesamt vier weitere große Räume sollte ich durchqueren, alle voll gestellt mit Sachen, welche man nicht mehr oder gerade nicht brauchte – und nun wohl eh niemand mehr – und die sämtlich ohne Wert für mich waren, ohne dass sich irgendwo auch nur eine Spur des Gesuchten zeigte. Schließlich ließ ich mich auf dem Boden eines der Räume nieder, kramte das alte Kartenbuch heraus und guckte mir die Pläne des Hauses einmal im Fackellicht ganz genau an. Alle drei Ebenen des Hauses vergleichend, fiel mir eigentlich nichts weiter besonderes auf, also keine Plätze für irgendwelche versteckten Räume oder ähnliches.
Die nächsten vielen Momente sollte ich damit vergeuden, sämtliche Wände ganz genau abzutasten. Und endlich, als ich irgendwann einfach keine Lust mehr hatte die ganze Zeit die Fackel bei mir zu tragen und sie deshalb in eine Halterung in der Wand steckte, öffnete sich die so lange gesuchte Geheimtür. Sie gab den Blick frei auf einen langen dunklen Gang. Ich nahm mir einen neue Fackel, da die alte mitsamt der Halterung in der Wand verschwunden war, und verbrachte wiederum viel Zeit damit, durch ein verwinkeltes Labyrinth zu irren. Doch irgendwann hörte ich in der Ferne plötzlich Wasser rauschen. Der Gang weitete sich und endete auf einer Plattform. Von dieser aus konnte ich eine riesige, natürliche Höhle überblicken, erschaffen durch die gewaltigen Wassermengen, welche neben mir in die Tiefe stürzten und hier unten einen großen See bildeten. Auch nicht schlecht, einen eigenen See direkt unter dem Haus zu haben? Der Grund dieser Höhle interessierte mich aber nicht weiter, denn gegenüber auf der anderen Seite dieser Schlucht war der Eingang zu einer Fortführung des Ganges, so schien es mir, und dort wollte ich ja hin. Leider befand sich zwischen mir und der anderen Seite aber dieser Abgrund.
Während ich nun einen Weg hinüber suchte, vernahm ich plötzlich ein weiteres Rauschen: das von schlagenden Flügeln. Irgendwo in einer Ecke der Höhle in der Nähe des Grundes tauchte plötzlich eine große, geflügelte Bestie auf – wie auch immer die hier wohl je hinein gekommen war – und hielt direkt auf mich zu. Ich war nicht unbedingt darauf erpicht mit ihr Bekanntschaft zu schließen, also suchte ich hektisch weiter. Einen Bolzen mit Seil konnte ich wohl nicht hinüber schießen, im Felsgestein gab es nichts wo der hätte stecken bleiben können. Es führte auch kein anderer Weg den Wasserfall entlang, zum Springen war es zu weit, es gab keine Anzeichen, dass hier je eine Brücke existiert hätte – warum gab es dann zwei Tunneleingänge? Der einzige Weg von dieser Plattform runter führte abwärts, an spitzen Felsen vorbei bis zum Ufer des Sees. Auch wenn ich keinen Weg auf der anderen Seite hoch sah, was blieb mir anderes übrig? Runter springen kam für mich eigentlich nicht in Frage. Ein Blick zu dem nahenden Monster versicherte mir, dass es noch recht weit weg war, mich aber eindeutig bemerkt hatte. Ich ging schnell meiner letzten Idee nach, legte mich auf den Bauch an den Rand, zog mich vorwärts und blickte unter den Vorsprung.
Doch auch dort sah ich nichts hilfreiches und plötzlich brüllte es unter mir. Das fliegende Ding war überraschenderweise schon ziemlich nahe bei mir, jetzt war ich auch in der Lage die gesamte Hässlichkeit dieses Ungetüms zu erkennen. Schaudernd beschloss ich ihm einen Denkzettel für meine Störung zu verpassen. Zusammen mit meiner kleinen Armbrust holte ich eine kleine Kugel aus dem Beutel an meinem Gürtel. Ich spannte die Armbrust, ein Bolzen fiel aus dem Magazin in den Schaft, und befestigte an dessen Spitze die dafür vorgesehene Kugel. Schnell legte ich auf meinen Angreifer an, doch nahm mir Zeit halbwegs gut zu zielen, dass ich noch lag gab mir einen weiteren Vorteil. Ich zielte in Richtung des hervorstehenden Stirnauges und drückte ab. Das Geschoss traf das Ziel wie erwünscht. Die Kugel zerbarst sofort in einer Wolke aus spitzen Schrapnellsplittern. Diese von meinen Reisen mitgebrachten Kügelchen waren ihr Geld – hätte ich sie denn gekauft – wirklich mehr als wert. Das Unvieh brüllte in tiefem Schmerz auf, als die Metallstücke sein Auge und Gesicht zerfetzten und der Aufprall es aus der Bahn warf. Mit einem lauten Schrei und gewaltiger Geschwindigkeit schoss es aufwärts und knallte hart gegen die Decke der Höhle, knapp oberhalt des gegenüberliegenden Ausganges. Durch den Aufprall verlor es wohl das Bewusstsein und fiel wie ein Stein abwärts. Mit so einem durchschlagenden Erfolg hätte ich niemals gerechnet, als der Bestie auch noch ein Teil der Höhlendecke hinunter zum See folgte. Ich konnte mich noch gerade so wieder zurück in den Gang hinter mir retten und konnte dort dem Steinregen lauschen. Mehrere besonders große Felsbrocken verhakten sich so ineinander und zwischen die Vorsprünge, dass sie eine natürliche Brücke über den Abgrund bildeten. Ein Abschuss sämtlicher meiner Kugeln gegen die Decke alleine hätte sowas niemals vollbringen können.
Sobald es mir sicher genug schien, wagte ich mich wieder aus meinem Versteck heraus und testete draußen vorsichtig und misstrauisch die neue Steinbrücke. Ein paar kleinere Brocken lösten sich und fielen kurz darauf plätschernd ins Wasser, wo ich keine Spuren von dem Biest oder den anderen Steinen entdecken konnte. Über mir dagegen hatte sich Höhle etwas vergrößert. Meinen ganzen Mut zusammenreißend hastete ich schnell über die Brücke und sprang kurz vor deren Ende rüber auf die andere Seite – hinter mir blieb es ruhig. Meine Angst, dass die Felsen unter mir weg brechen würden, hatte sich nicht bestätigt. Ich wandte mich dem Tunnel zu und machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts. Plötzlich rumpelte und polterte es hinter mir und als ich wagte mich umzublicken, war mein Rückweg dahin. Doch meine Gedanken drehte sich eh darum, ob ich es wohl noch rechtzeitig schaffen würde.
Wenig später war ich schon tief im Stollen. Der Tunnel war schrecklich lang, doch nach einer ganzen Weile konnte ich endlich ein Licht erkennen. Ich bog um eine Ecke und sah erstaunliches. Überall an Wänden und Decke wuchsen Pilze, die schwach schimmerten und so Licht spendeten. Das war mehr als erfreulich, hauchte meine letzte Fackel doch so langsam ihr Leben aus. Ich durchquerte noch so einige Höhlen und konnte mich bald nicht mehr entscheiden, wo ich lang zu gehen hätte, als alle Höhlen mehrere Ausgänge aufwiesen, da kratzte hinter mir etwas auf dem Stein. Ich wandte mich um und blickte hinter mich, doch ich sah dort nichts. Misstrauisch ging ich langsam rückwärts weiter. Da hörte ich das Kratzen wieder. Meine Intuition sagte mir, dass ich lieber laufen sollte, doch meine Neugier hielt mich fest.
Und dann erkannte ich mit Schrecken, was das Geräusch verursachte. Aus einem der Nebengänge schob sich langsam etwas näher. Ein Bein vor das andere setzend, kam es nach und nach in den Bereich, den ich einblicken konnte. Der Körper, der etwa so hoch wie ich war, komplett weiß beharrt, zweigeteilt und der fette Hinterkörper kunstvoll mit seinem bläulichweißen Muster mit gelben Einstichen verziert. Der Brustbereich mit dem ebenso verzierten Kopf, seinen Fangscheren, zahlreichen roten Augen und den beiden kleinen Ärmchen, die schnell aneinander rieben und damit ein bedrohliches Geräusch von sich gaben. Und natürlich die acht gewaltigen und leicht beharrten Beine, die das Geschöpf aber so grazil vorwärts bewegten und das Kratzen auf dem Felsboden verursachten. Als würde sie mich mit ihren Geräuschen anfauchen wollen, schob die Abiatspinne sich bedächtig vorwärts auf mich zu.
Ich kramte panisch in meinem Schädel um zu sammeln, was ich über Abiaten wusste, doch viel fiel mir nicht ein. Entweder betrachtete sie mich als Bedrohung oder als Nahrung, doch beides sollte mir nicht wirklich gefallen. Ich tat das einzige, was mir in dieser Situation an Möglichkeiten einfiel: ich rannte davon. Doch die Abiate war nicht gerade langsam. ich schlug Haken durch die Gänge, verlor völlig die Übersicht wo ich mich befand, doch die Spinne folgte mir noch immer. Es war nun wohl klar, was sie von mir wollte. Blindlings stürmte ich vor Entsetzen durch die Stollen und bemerkte so auch nicht, wohin ich rannte. So überraschte mich der vor mir auftauchende Fluss völlig. Es als einzige Möglichkeit sehend, sprang ich wagemutig hinein. Während ich flussabwärts getrieben wurde, sah ich die Spinne ihren Kopf aus dem Tunnel strecken. Sie fauchte mir wütend hinterher und warf zwei ihrer Beine vor Ärger in die Luft. Doch schwimmen schien sie nicht zu wollen. Ich war gerettet.
Doch zu welchem Preis? Langsam ging mir auf, wo ich mich nun befand. Das mussten die von Kowarra erwähnten Abwässer der Stadt sein. Jetzt wurde es eklig, sagte ein Teil in mir. Glücklicherweise war es aber zumindest nicht ganz so schlimm, da die Abwässer nicht ganz so intensiv genutzt wurden und eher ein Relikt aus alten Tagen waren. Der Großteil der Stadtbevölkerung schmiss seine Abfälle oben einfach nur auf die Straße und wartete ab, bis es irgendwann fort gespült wurde. Aber so mancher Arm, so manches Bein, so manches Ohr schwamm an mir vorbei – ein Hinweis auf die angeschlossenen Örtlichkeiten. Ich versuchte gegen die Strömung zu kämpfen um hier wieder heraus zu kommen und wünschte mir sehnlichst ein Boot oder das trockene Ufer. Irgendwann erreichte ich es endlich und ruhte mich erstmal aus. Ich nahm mir vor, mich gründlich zu waschen sollte ich dieses Abenteuer noch überstehen.
Aber – ich durfte mich nicht ausruhen, ich musste mich beeilen, es blieb nicht mehr viel Zeit. Also rappelte ich mich auf, auch wenn ich ausgelaugt war und mir alles weh tat. Mein Ziel schien nicht mehr fern. Unweit erblickte ich ein Gitter, dass zu einem der Abflussrohre führen musste, über das man hinein gelangen konnte. Doch das Gitter war unüberwindbar für mich. Also suchte ich einen anderen Abfluss, der nicht vergittert war – es musste einen geben, durch den auch die Körperteile gelangen konnten, die an mir vorbei geschwommen sind. Und ich fand nach einiger Suche auch einen, der sogar groß genug gewesen wäre, die Abiatspinne hindurch zu lassen. Doch ich hoffte sehr darauf, nie wieder einer zu begegnen. Der Weg durch den Abfluss stellte sich als überraschend leicht heraus, ging es doch fast senkrecht aufwärts, dafür aber dankbarerweise mit Halterungen zum Klettern, und endete mit einem Aufprall meines Kopfes gegen weiteres eisernes und verrostetes Gitter, welches wohl verhindern sollte, dass jemand aus versehen in das Loch fiel. Ich versuchte ein Abrutschen meiner Person in diesem kleinen schrägen Tunnel zu verhindern, während ich durch die bereits großen Löcher in der einstigen Eisenplatte über dem Gitter starrte um die Lage zu überblicken. Über mir war – wie ich schon fast so erwartet hatte – eine alte Folterkammer, und ich befand mich direkt am Fuße einer abgenutzt aussehenden Streckbank. Gitter und Platte ließen sich bequem anheben, verursachten nur ein wenig mehr Geräusche als geplant.
Als ich endlich wieder draußen war, setzte ich mich auf die Bank um auszuruhen und vor allem für die letzten Abschnitte meine Ausrüstung zu überprüfen. Das Kartenbuch war wohl hinüber, ebenso waren einige der Nahrungsmittel aufgeweicht. Ich schmiss sie den Abfluss hinab und aß den noch verzehrbaren Rest auf. Meine Waffen reinigte ich vorsichtshalber. Der Rest befand sich in wasserdichten Behältern, die sogar gehalten hatten was sie versprachen. Ich verschloss den Abfluss wieder und ging zu der Tür, die aus dem Raum herausführen musste. Ein vorsichtiger Blick hinaus in den von Fackel schummrig erleuchteten Gang zeigte mir, dass es möglich sei den Raum zu verlassen. Draußen irrte ich diesen tristen Gang entlang, doch nahm mir eine der Fackeln mit, löschte sie aber und steckte sie ein. Fast ohne Schwierigkeiten irrte ich durch den gewaltigen Bau, der von außen doch gar nicht so groß gewirkt hatte. Nur einmal stieß ich fast mit zwei Sklaven zusammen, die mich aber nur ängstlich anstarrten und bei denen ich geistesgegenwärtig genug war, sie bewusstlos zu schlagen. Nun musste ich sie nur verstecken und öffnete dafür eine der Türen, um sie in den Raum dahinter zu bringen. Es war eine Art Folterkammer mit einer Streckbank in der Mitte, davor ein alter verrosteter Abfluss. So langsam begann ich an meinen Fähigkeiten und der Welt im allgemeinen zu zweifeln.
Gefesselte Sklaven hinterlassend machte ich mich wieder auf den Weg. Also war ich wohl im Kreis gelaufen und sollte mir diesmal früher die anderen Räume angucken. Ich blieb an dem großen Tor stehen, das mir schon zuvor aufgefallen war. Ein Schild daneben wollte mir irgend etwas mitteilen, ich verstand es jedoch nicht. So öffnete ich recht unbekümmert eine kleine Tür in dem großen Tor und schritt hindurch. Ein bestialischer Gestank ließ mich anhalten. Der Raum war dunkel, weshalb ich die Fackel entzündete. Vor Schreck aufgrund des sich bietenden Anblicks sprang ich zurück. Direkt vor mir lag, zum Glück im Moment schlafend, ein gewaltiger roter Flimmermacates. Aber wirklich und wahrhaftig ein Gigant! Ohne Probleme hätte ich in sein riesiges Maul gepasst. Ich bevorzugte es aber, mich nicht mit ihm anzulegen sondern einfach wieder zu gehen. Draußen sah ich mir nun noch einmal das Schild an und erkannte, dass eins der Symbole wohl einen Macates darstellen sollten. Ich beschloss, mir bei den anderen Türen und Toren diese Symbole etwas genauer anzusehen. So konnte ich noch einigen hungrigen Mäulern entgehen, bis nur noch eine Tür für mich in Frage kam. Sie führte in einen kleinen Raum mit Tisch und Stühlen, der mich nicht weiter interessierte. Ich ging weiter in den nächsten. Und fand endlich was ich suchte.
„Ah, da bist du ja endlich“, sprach Kowarra.
Natürlich hatte er mich sofort bemerkt. Das war aber auch nicht schwer. Kowarra saß direkt gegenüber der Tür am anderen Ende dieser kleinen Halle, die ich gerade betreten hatte. In seinem Hochmut hatte er sich selber einen kleinen Thron errichten lassen, zu dessen beiden Seiten bewaffnete Wachen standen. flankiert wurde der Thron von Bannern an den Wänden. Sonst war der Raum eher kärglich eingerichtet und nur dunkel von Fackeln beleuchtet. Meine eigene Fackel ließ ich nun fallen. Zwei Türen führten aus dem Raum, sonst gab es nichts weiter erwähnenswertes.
„Ja, da bin ich. Wie verlangt habe ich es geschafft und hätte nun gerne das Gegenmittel“, sprach ich und sah ihn ernst an.
Kowarra holte die begehrte Flasche aus den Falten seines dunkelblauen Mantels. Der alte Mann hielt sie zwischen zwei Fingern und schwenkte sie lockend hin und her.
„Dann hol es dir!“ sprach er, und die beiden Wachen zogen ihre Schwerter.
Die beiden gingen gemeinsam auf mich los und mir blieb nichts anderes übrig, als mich zu verteidigen. Ich werde hier die Einzelheiten des ganzen Treibens nicht zu genau schildern, aber es sei gesagt, dass die Banner, nachdem ich sie abgeschnitten hatte,  eine nicht unwichtige Rolle bei meinem Überleben spielten. Letztlich stand ich leicht verletzt aber siegreich unweit von Kowarra.
„Nun gebe es mir! Ich habe bestanden!“ sprach ich.
„Ja, das hast du. Damit hast du dich als würdig erwiesen, alle Proben und Gefahren bestanden und deine Ausbildung abgeschlossen. Ich heiße dich in unserem Kreis willkommen, Loucca Umergen, meine Tochter! Für Ijenreich!“ sprach er, doch mich interessierte nur das Gegenmittel.
Und so konnte ich weiterleben und dienen. Für Ijenreich bis eines Tages in den Tod. Bis zum Ende der Welt!

ENDE

 





  

Nachwort


Dies war der Bericht einer Spionin aus Ijenreich, so sagte man mir. Ijenreich, das eine stete Gefahr für seine Nachbarländer darstellt, ist bekannt für seine grausamen und brutalen, doch ebenso raffinierten Methoden, um nur die Besten überleben zu lassen. Wollen wir alle hoffen, dass sie niemals stark genug werden mehr als nur diese kleinen Länder zu bedrohen. Ihr Ziel könnte sonst die Vernichtung der Welt sein.

Solero y Cyprilla, Toljidarin                          

Karison, Ojútolnán, 07.06.3994

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.09.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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