Oliver Sanders

Psycho-Phone-Shopping

Ein erschöpfender Arbeitstag liegt zurück, doch anstatt nun in ein gemachtes Nest zurückzufahren, bin ich genötigt, meinen Singlehaushalt selbst mit Lebensmitteln und anderen Gütern zu versorgen. Entgegen vielerlei ökonomischer Gesichtspunkte, erledige ich meine Shoppingtour nicht wöchentlich, sondern „on-demand“. Ich genieße, was ja für viele Männer eher untypisch ist, den Gang durch die Konsumgüterabteilungen und sehe dies als unersetzlichen Bestandteil meiner Freizeit an. Am Besten kenne ich mich im Kaufland aus. Ich bin davon überzeugt, mit verbundenen Augen noch die notwendigsten Dinge sicher zu finden. Schöner ist es aber im Marktkauf, die Produktpalette ist breiter, viele Waren sind frischer und abwechslungsreicher. Für den normalen Einkauf bevorzuge ich dennoch Kaufland, damit kann man nichts falsch machen. Finde mich, wie gesagt, gut zurecht, alles ist gut beschildert und in meinem Kopf macht die Anordnung der Dinge Sinn. Auch Humor ist für mich eine wichtige Präferenz, die für Kaufland spricht. Humor haben die. Ist euch schon mal aufgefallen, wie die den Bereich nennen, in dem man Schnuller, Pampas & Co erwerben kann? „Kinderzubehör“ ist das! Ich lache mich jedes Mal innerlich kaputt, wenn ich das lese. Klingt, wie „Autozubehör“. Fehlt nur die entsprechende Werbung dazu: „Tune your child!“. „Unangenehme Gerüche beim Kind? Hier unser Wunderbäumchen….“ oder das „Pimp your Kinderwagen – Styling Kit für den Innenraum im Aludesign“ ist ohne Zweifel in Verbindung mit den „ 1200 Watt 5-Wege Kinderwagenlautsprecherboxen“ der Hingucker.

 

Leicht erheitert schmeiße ich eine Packung Kinderwurst in meinen Einkaufswagen und rolle weiter Richtung Kühltruhen, als mein Handy bimmelt. Wichtiges Gespräch, drangehen oder klingeln lassen? Ich gehe dann doch dran und hoffe, dass nicht wieder diese hochintelligenten Durchsagen ertönen, welche für den zusätzlichen Fun Faktor sorgen: „Liebe Kunden, der Run auf die Obst- und Gemüseabteilung hat begonnen. Spanische Tomaten, vorher 69 Cent, jetzt für nur sensationelle 68 Cent“. Manchmal frag ich mich, ob die jeden Tag auslosen, wer die Durchsagen vorlesen muss. Ich stell mir richtig vor, wie eine heulende Auszubildende mit vorgehaltener Waffe vorm Mikro sitzend dazu gezwungen wird: „Los, lies das vor! Wenn die das kaufen, lassen wir dich frei!“ Bei den Ansagen ist es enorm wichtig, in jedem Satz die Wörter „unglaublich“ und „sensationell“ einfließen zu lassen. Mit etwas Glück hört man die gleiche Durchsage anschließend auf Niederländisch – ich möchte den sehen, bei dem sich nicht spätestens jetzt ein Lächeln im Gesicht manifestiert. Wie dem auch sei, ich gehe ans Handy und lasse mich auf ein tiefsinniges Gespräch über Brandübungscontainer und anderen artverwandten Dingen ein. Ich schlendere mit Einkaufswagen bewusst alle Gänge entlang, es sähe ja seltsam aus, an einer Stelle zu stehen und zu telefonieren. Allmählich vergesse ich die Umgebung, bin voll auf das Gespräch konzentriert. Mein Wägelchen bewegt sich, wie von Geisterhand geschoben weiter und ich folge ihm auf einen geheimnisvollen Weg. Ich bekomme nicht mehr mit, wie sich der Wagen füllt. Vermutlich bin ich schon drei Mal im Kreis gelaufen, als ein Kind auf mich zeigt: „Mami, der Onkel hat aber ein großes Handy!“ … „Das ist kein Handy, das ist ein Smart Phone!“, kommentiere ich und verweise auf die Kinderzubehörabteilung.

 

Mein gewohnter Einkaufstrott kam durch das Telefonat zum Umsturz. Ein Blick in den Wagen lässt mich erahnen, welche Route ich im Laden zurückgelegt hatte. Drei Packungen Kinderwurst lassen auf drei Runden schließen, in denen sich mein Wägelchen ziemlich gefüllt hatte. Alle Kaufentscheidungen sind von meinem vegetativen Nervensystem übernommen worden. Mein Unterbewusstsein hatte das Kommando übernommen und gesagt: „Olli, du brauchst dringend ne Haartönung“. Ich vermute, das lässt darauf schließen, dass ich eine Veränderung in meinem Leben bewirken möchte. Die geänderte Haarfarbe als Symbol für einen geänderten Lebensstil. Ich durchwühle den Warenkorb und entdecke ein Alete Fläschchen mit Kinderzubehör. Auch hier wage ich mich an eine Interpretation und vermute, dass ein versteckter Kinderwunsch in mir steckt, der, nachdem ich alle kognitiven Fähigkeiten abgegeben hatte, endlich zum Ausdruck kam und meinen Arm bewegen ließ, der meine Hand zugreifen ließ. Es ist faszinierend, zu entdecken, was in einem steckt, wenn man sich stärker auf das Unterbewusste konzentriert. So zerpflückte ich mindestens eine halbe Stunde meinen Einkaufswagen. Mir hat die Erfahrung sehr viel gebracht. Der Blick in den Warenkorb gleicht einem Blick in meine Seele. Ich träume davon, dies als psychotherapeutische Behandlungsform zertifizieren zu lassen, als mich die bereits bekannte Kinderstimme in die Realität zurück holt: „Da ist der Onkel mit dem großen Handy“.

 

„Oh ne“, denke ich heimlich „da ist die Kackstelze schon wieder – wohl kein Wunderbaum mehr bekommen“. Stocksauer kommt die Mutter auf mich zu – kann die Gedanken lesen? Heute würde mich nichts mehr wundern. „Sie!“ – ruft Mutter in einer Tonlage, die zwischen Empörung und Erschöpfung tariert. „Sie – haben meinen Einkaufswagen!“, reißt ihn mir aus der Hand und stopft ihr blähendes Kind in den Kindersitz.

 

Ich beschließe an dieser Stelle einen break zu machen, um einfach noch mal von vorn zu beginnen. Ziehe mir einen frischen Einkaufswagen, und begebe mich auf eine neue Abenteuerreise.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.10.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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