Prolog
Es war einmal, vor ewig langer
Zeit, ein Reisender. Fern aus dem heißen Norden soll er gekommen sein,
zig Leben bevor die ersten Menschen sich wieder zu Stämmen
zusammengeschlossen hatten. Verbannt vom Herrscher seiner eignen
Heimat, gestraft für seine etlichen Vergehen, wanderte er ziellos immer
weiter gen Süden. Erst als es zu kalt für ihn wurde noch weiter
zugehen, machte er endlich Halt. Nun ließ er sich nieder und begann,
sich einen Weg zu erdenken, es seinen alten Freunden und neuen Feinden
mehr als schmerzhaft heimzuzahlen.
Nach Jahren der Herumirrung kam er an das gewaltige und damals noch so
genannte Lavameer, das heute besser bekannt ist als Lusuvameer und
seinen Namen einst verdankte den Vulkanen, welche auf seinem Grunde
lagen. Er überquerte es und entschied sich südlich davon
niederzulassen, denn hier war es noch erträglich genug warm für ihn,
der die Nähe der heißen Berge schätzte. Sein Heimstatt war immer größer
und er verbreitete Schrecken über die in den Wäldern lebenden, damals
noch primitiv mit den Tieren lebenden Kalten, denen er ihren Namen gab
um ihr kaltes Fleisch zu bezeichnen und andere zu warnen. Seine Macht
war beachtlich und er besaß Waffen, den Waldbewohnern unbekannt.
Dort lebte er denn nun für ungezählte Jahre und sann nach über
Racheplänen, doch sollte es ihm die drohende Zeit vielleicht vereiteln?
Er alterte und das für ihn zu kühle Klima tat das seine. Aber dann,
eines Nachts, was sah er da? Licht in den fernen Bergen im Westen! Tat
er es zu Beginn noch als einen Waldbrand ab, so näherte es sich ihm
doch viel zu schnell und viel zu stetig, ohne die Richtung der
Ausbreitung zu ändern. Bald sah er es dann auch größer werden, sein
gesamtes Blickfeld allmählich ausfüllend und letztlich verlor er, ohne
jedoch zu wissen warum, jegliches Bewusstsein und schwamm hinaus in die
dunklen Tiefen des Schlafes.
Als er wieder erwachte, da lag er nicht mehr auf seinem gemütlichen
Schlafplatz, doch fest geschnürt in metallenen Ketten. Sein Heim sah er
im Tale fern unter sich, seinem Blicke freigelegt, und nur zu deutlich
sah er es in schwarzem Schutt und grauer Asche. Er erkannte was ihm
passiert war, als eine Gestalt zu ihm sprach. Dem aussehen nach einer
der Waldbewohner, welcher er selber doch so gerne als Nahrung nutzte,
doch gänzlich anders gewandet als diese und wohl ähnlichen Umständen
ausgesetzt wie er selbst seit seiner Verbannung.
,,Nun sollst du zahlen für all deine grausamen Taten gegen uns und alle
anderen friedlichen Einwohner dieser Ebenen!", sprach man, ,,doch wirst
du nicht etwa gnadenvoll schnell enden wie dein elendes verseuchtes
Heim. Versenkt wirst du, in die ewig kalten Moorwasser, auf das du nie
wieder diese Welt strafen wirst mit deiner eklen Anwesenheit!"
Und siehe! Man tat wie geheißen und bannte ihn auf den Boden der
kalten, dunklen Fluten. Dort lag er denn für erneut ewig lange Zeit und
grübelte, wie er sich befreien und nun auch noch an den Bewohnern
dieser grünen Ebenen rächen könnte. Doch die Lunton konnten nicht über
ihn wachen, bald sollte hier das Reich von Amíen herrschen, und dies
wusste nichts von ihm und seinem Schicksal. Im Laufe der Zeiten
entstanden so über seinem nassen Grabe die Reiche von Luvaun und Amíen
und mehr als eine gewaltige Schlacht tobte an den Ufern des Sees
zwischen ihnen sowie dem Sennreich. Und Städte wurden gegründet an den
Ufern der Moorwasser und man fuhr die Flüsse herauf und herab. Und eine
lange Periode des unruhigen Dahinlebens ward geboren.
Der Gefesselte auf des Sees Grund, in den Sagen der Luvaunen oft
genannt das Monster der moorigen Wassern, welches, sofern es je sollte
wiederkommen, Zerstörung würde bringen über das Land als Zeichen des
Weltenendes, dieser beobachte alles und ward in seiner Pein allmählich
wahnsinnig. Doch seine Stunde sollte kommen, die Zeichens des
Unterganges häuften sich, die abergläubischen Bewohner des Landes
verkrochen und Anhänger der Dunkelheit ergriffen die Macht allerorten.
Es war die Zeit, zu der Caulin von Luvaun auszog die Teile des Reiches
von Amíen zu erobern, die zwischen den Flüssen lagen und in dessen
Nachfolge seine Söhne sich den Rest von Amíen aneigneten. Caulin bedarf
für diese Tat zahlreicher Söldner sowie Verräter in den Reihen von
Amíen selber und dies war es, in der sich die Dunkelheit ihre Form an
den Moorwassern gab.
Eine kleine Gruppe von Caulins Söldnern gelangte in Folge der Kämpfe
bald an den See. Sie hatten die Geschichten von dem Gefangenen am
Grunde des Sees zwar durchaus gehört, doch schreckte sie dies nicht,
taten sie es doch als alten Aberglauben ab. Ein Bauer berichtete ihnen
bald, dass wohl auch reiche Schätze einst versunkener Schiffe mit am
Boden des Sees liegen würden. Was ihnen aber hier nicht bewusst war:
der Bauer war ein Kundschafter Amíens und den Luvaunen nicht wohl
gesonnen.
Nach Jahrhunderten des Wachens verspürte der Gefangene nun endlich
wieder etwas neues und Aussicht auf Fortführung seiner Rache. Auf der
Suche nach Schätzen befreite man ihn unvorsichtigerweise. Schnell
stillte er seinen Hunger. Dann erschien das erste Feuer am Himmel und
die Welt stand still, doch ahnte sie. Und im Schutze des Feuers stärkte
das Monster sich. Der nun wieder Freie zog alsbald weiter in die nahen
Lande des Salzes am Rande von Luvaun und den anderen Reichen. Reisende
aus West gen Ost wurden seine Beute und er hielt seine Macht in diesen
Grenzlanden.
Caulin von Luvaun und seine Nachfolger ahnten anfangs hiervon nichts
und führten ihre selbst gegebene Aufgabe fort, Amíen zu erobern. In
seinen ersten Jahren kümmerte sich das Reich nicht um den Schrecken an
seinen östlichen Grenzen, ging es doch als nächstes gegen seinen
westlichen Nachbarn Harite vor und eroberte bald auch dies. Zusätzlich
zu dem Monster an seinen östlichen Grenzen wurde das Reich auch selber
nun zu einem. Dem Schrecken des Salzwaldes aber wurde gewahr, dass
seine Beute sich nun immer stärker zu Gemeinschaften zusammen schloss,
doch kümmerte er sich noch nicht groß darum. Die Fosten kamen aus dem
Norden her angereist und ließen sich im benachbarten Pakama nieder,
nördlich seines Salzwaldes. Luvaun blühte auf, wurde bald zu
Groß-Luvaun und vollbrachte Wunderwerke der Baukunst und
Wissenschaften. Und endlich auch kümmerte man sich um die
Schreckensgeschichten der Bauern aus den Grenzlanden.
Der Räuber des Salzwaldes hielt allabendlich Ausschau nach Opfern, doch
sah er stattdessen eines Nachts erneut ein Licht, diesmal aus den
Ebenen im Westen. Jedoch ahnte er nun, was dies sein könnte und
versuchte sich zu wehren, doch lange hielt auch er dem nicht stand und
musste bald weichen. Nach langer Jagd und Flucht seinerseits verkroch
er sich tief in einer Höhle der östlichen Berge und seine Opfer sollten
für einige Zeit allein die bergbewohnenden Tiere sein. Doch sein Hass
wuchs, wurde immer gewaltiger, ließ ihn sich verändern und schon lange
zielte er nicht mehr allein nur auf seine ihn damals verstoßenden
Freunde von einst, nun auch für immer die Bewohner der Ebenen, Wälder
und Berge, welche ihn legten in Ketten, ihn versenkten im See und
vertrieben von all überall wo er ruhe zu finden versuchte. Sie alle
sollten sterben und alle, die ihnen ähnlich waren.
Viele Anhänger hatte er seit seiner Befreiung gefunden, die meisten
davon versklavt. Zahlreiche davon wurden im Zuge des 2. Lichtes getötet
oder vertrieben, doch viele kehrten auch zu ihm zurück und bald baute
man die Höhlen aus zu einer unterirdischen Festung in den Bergen, nun
nicht mehr bloß als Heimstatt, sondern auch als Schutz vor den
Bewohnern der Ebenen. Später einmal sollte sie als Werzan bekannt
werden, doch wie man sie einst selber nannte, vermag man heute nicht
mehr festzustellen. Und bald entsandte er seine treuesten Diener samt
einer Gefolgschaft gen Osten, die dortigen Bewohner zu erobern, sollte
ihm der Westen doch erst einmal verwehrt bleiben.
Und die Länder der Menschen und anderer Völker sannte er zu vernichten,
doch sah er bald ein drittes mal das Licht, diesmal aber kommend von
den Spitzen der Berge über sich. Es war die Zeit kurz vor Ende des
Reiches von Groß-Luvaun und es sollte nun die letzte Anstrengung von
diesem gegen ihn werden. Nun, so dachte er, wolle er sich aber schlauer
verhalten und schickte darum seine Diener aus. Sollten diese sich doch
rumschlagen mit seinen Peinigern. Doch verschwanden die Entsandten gar
plötzlich und ungesehen und kehrten nimmer mehr zu ihm zurück. Man
bemerkte kein Anzeichen mehr des Lebens ihrerseits, doch ebenso wenig
von dem schrecklichen Licht.
„So haben sie es wohl vollbracht,“ wagte er sich bald zu freuen, „doch warum nicht, warum kehren sie nicht zurück zu mir?“
Alsbald jedoch sollte er diese Frage wieder vergessen. Schnell füllten
sich die Reihen seiner Getreuen erneut mit Anwärtern. Nur ein Jahr
später, schon wollte er aufbrechen mit seiner Armee gegen die Länder
von Luvaun, da sah er wieder ein Licht, selbigenorts wie bereits die
hunderte Tage zuvor. Wütend ward er ob seiner Angst, die er
unwillentlich verspürte vor dieser Erscheinung, so schickte er denn
diesmal sämtliche seiner Truppen aus. Und es geschah wieeinst zuvor.
Keine Spur blieb von ihnen, nie mehr hörte man etwas von ihnen – doch
das Licht verschwand ebenso.
„Was passierte ihnen?“ fragte er sich nun, „dass sie weiter fernbleiben und nicht, ja nicht zurückkehren zu mir?“
Doch ebenso wieder vergaß er auch diese Frage. Neue Anhänger scharte er
um sich und ein erneutes Jahr darauf wollte er ein weiteres Mal gegen
Luvaun ausziehen. Doch ein drittes Mal in den drei Jahren erschien das
Licht in der Ebene in sonst finsterer Nacht. Wie er es nun bereits
gewohnt war, entsandte er seine Anhänger, es zu vertreiben.
„Werden sie wieder zurückkehren zu mir?“ fragte er sich nun.
Doch diesmal ward alles anders. Das Licht verschwand nicht, nein, aber
seine Anhänger schon. Bald darauf näherte sich ihm das Licht. Bar
jeglichen Schutzes entsandte er jeden seiner verbliebenen Getreuen, bis
er endlich ganz allein war in seiner Feste. Doch weiter näherte sich
ihm das Licht. Es erreichte seine Höhlen und drang in sie ein. Angst
packte ihn und schnell floh er tiefer in den Berg.
Doch wo auch immer er sich versteckte, das Licht fand ihn immer und so
verließ er die Stollen und stand bald auf den Spitzen der Berge. Fast
schon unbewusst zog es ihn zur wärmsten Stelle der Berge. Den größten
von ihnen im Rücken habend, stellte er sich dem Licht, ein Abgrund mit
Feuer gefüllt hinter sich.
„Nun bist du des Endes,“ sprach man zu ihm, „nie wieder sollst du diese Verbrechen begehen wie du sie uns angetan hast!“
Und erneut legte man ihn in Fesseln und warf ihn hinab in den
brennenden Abgrund. Doch niemand bedachte, dass Hitze ihm wohl tun
könnte.
Jene Tat zu vollbringen aber musste das Reich von Luvaun all seine
Kräfte aufbieten. Diese sollten nun fehlen an den Grenzen des reiches
und so fielen andere Völker bald ein. An allen Grenzen konnte man sie
abwehren, nur im Südwesten gelang es Barga, in den nächsten Jahren
Ländereien bis hoch zum Flusse Cormoda zu erobern. Der angeblich
besiegte aber nistete sich zu dieser Zeit wohl fühlend in dem Berg ein,
doch beschloss, diesmal länger zu warten mit seinen Plänen.
Die Jahre vergingen, doch er hielt sich bedeckt. Bald wieder wurde
Barga aus dem Lande vertrieben, doch nur von dem Heiligen, der da sich
Amulos nannte, und mit seinen Ruqiern die Stadt Tamilor und damit das
spätere Reich von Lurruken gründete. Die vom Bewohner des Berges gen
Ost gesandten herrschten dort nun über das Reich von Groß-Zardankon,
doch hatte dieses ihn schon lange vergessen und war deshalb nie eine
Hilfe gewesen, so kümmerte er sich nun auch nicht um deren Niedergang.
Stattdessen beobachtete er das Geschehen unten in den Ebenen, wo sich
Luvaun bald von Lurruken bedroht sah, das immer weiter gen Norden
drang, und schließlich auch von anderen Nachbarvölkern. Der Niedergang
von Luvaun war im beschlossen. Und im Berg hockte er bloß und sammelte
Kräfte, derweil seine Festung unter ihm langsam zerstört wurde.
Schließlich aber solle auch für Lurruken wieder das Ende kommen. Sein
letzter Herrscher Tamirús war sich aller Bedrohungen mehr als bewusst.
Doch verhindern konnte er nichts. Fast tausend Jahre nach der
Verbannung in den Berg erschien das 2. Feuer über der Welt. Die Welt
erwärmte sich, das Meer stieg an, Küsten verschwanden, Ungezählte
ertranken. Die Erwärmung war das letzte, das ihm gefehlt hatte um zu
erstarken. Seine neuen Kräften war er auch sogleich bereit allen zu
zeigen, die nun am Berg wohnten. Diejenigen, die er nicht fraß, machte
er sich untertan und seine Festung bauten sie ihm wieder auf.
Lurruken aber war von den Fluten hart getroffen. Vieles war versunken.
Andere Gebiete sagten sich von Tamilor los. Tamirús sah das eigene und
das Ende seines ganzen Reiches kommen. Dem jungen durchreisenden
Raréon, entsandt von Tól und Omé, gab er die letzten Reste seiner Macht
mit auf den Weg, um die Sache von Tól und Omé zu unterstützen. Doch wie
sich zeigen sollte, kam es dazu erst tausende Jahre später. Und oben
auf seinem Berg beobachtete er Raréon, ließ sich von Tól und Omé
erzählen und zog sich für die nächsten Jahre zurück, um Ruhe einkehren
zu lassen.
Mit dem Niedergang von Lurruken erstarkte nun aber wieder Luvaun. Es
eroberte das zurück, was Lurruken ihm einst genommen hatte. Doch damit
kam es auch wieder in den Bereich, wo der einst Verbannte nun seine
Herrschaft ausbreitete. Es kam zu erneuten Schrecken in den
Salzwäldern, wie man es sonst nur aus Legenden kannte. Luvaun aber war
lange nicht mehr das, was es einst gewesen war. Niemand vermochte sich
diesem Schrecken wahrlich anzunehmen und bald vergaß man, was zu tun
gewesen wäre.
Einst wollte Mavins neuer Herr von Luvaun werden, war er doch immerhin
der Älteste. Doch ebenso war er ein uneheliches Kind und seine drei
Brüder empörten sich ob seiner Unverfrorenheit. Es kam zum Krieg
zwischen den Vieren. In diesem großen Durcheinander, das nun in Luvaun
folgen sollte, was es ein einfaches für jeden, der sich von Greuel
ernährte, zu erblühen und zu gedeihen. Letztlich verlor Mavins, doch es
sollte nie wirklich zu Einigkeit in Luvaun kommen. Knappe hundert Jahre
später zerbrach es endgültig in Kleinreiche, die sich nie mehr
freundlich wurden. Und der Salzwald sollte bald gar gänzlich gemieden
werden von allen, denen ihr Leben lieb und teuer war.
Über tausend Jahre sollten nun noch vergehen, eh er endlich zu seiner
Ruhe kommen könnte. Die Lande in welchen einst Luvaun und Lurruken
herrschten, verfielen schnell und zunehmend. Immer wieder mal getraute
es sich jemand, in den Salzlanden und der Luvaunsteppe ein neues Reich
aufbauen zu wollen. Doch der Berg-Verbannte, das Moorwassermonster, der
Schrecken des Salzwaldes – er, dessen Name man nicht kennt, hatte sich
nun tief unter diesen Landen eingenistet. Immer weniger Völker lebten
hier und so war es ihm letztlich ein leichtes, die heimliche Macht über
alles verbliebene zu erlangen. Bald sollte es neben Werzan noch weitere
seiner Festen geben, namentlich Dilouna unter den Ruinen der alten
Hauptstadt Luvauns sowie Ijenreich im tiefen Westen des alten Lurruken.
Und bald sollte er bereit sein, die Welt seine Rache spüren zu lassen.
I
Der Pfeil traf das Tier direkt
über dem Herzen. Tödlich getroffen stürzte es um und blieb liegen.
Frigach nickte Armich anerkennend zu.
„Das reicht wohl für heute. Lasst sie uns lieber zum Lager bringen. Hilfst du uns?“ fragte Frigach an Elinna gewandt.
Zu Dritt brachten sie die Beute des Tages zurück zu den anderen.
„Passt bloß auf die Fallen auf!“ ermahnte Frigach sie noch.
„Sag das lieber unserer Kleinen, aber doch nicht mir!“ warf ihm Armich einen düsteren Blick zu.
„Dann mach deinen nächsten Schritt lieber mal nach rechts!“ erwiderte
Frigach kühl und ging weiter, derweil Elinna grinste als Armich fast
stolperte.
Im Lager erwartete sie bereits Gäl Hartboum.
„Endlich! Gebt her, ich bereite eines davon für das Abendessen vor“, begrüßte er sie.
„Ich helfe dir“, erwiderte Frigach und begab sich nach Gäls gegrunzter
Antwort zu dem Platz, wo die Jäger in den letzten Tagen die gefangenen
Tiere gehäutet und ausgenommen hatten.
Als Armich und Elinna nun alleine waren, grinste dieser sie für ihr Verständnis etwas zu anzüglich an.
„Und was machen wir beiden jetzt?“ fragte er sie lüstern.
„Elinna kommt mit mir und wird beim Kochen helfen, Armich“, sprach es
und man sah Marna Sternstrahl den Ort betreten, Elinnas Mutter.
Armich grunzte, ähnlich wie Gäl zuvor, und folgte mit düsterem Gesicht den Weg, den dieser mit Frigach genommen hatte.
„Danke, aber ich kann auch auf mich selber aufpassen“, wandte sich Elinna an ihre Mutter.
„Das weiß ich“, erwiderte sie bloß und beide grinsten sich an.
Im folgenden beschäftigten sich Armich, Frigach und Gäl um die erlegten
Tiere, Elinna kümmerte sich mit ihrer Mutter um die Vorbereitungen für
das Essen. Acharn Goldaxt und Frigachs Frau Breiga sammelten Holz für
das Feuer. Bald kamen auch Axar Flugfisch und Gäls Frau Scharta, welche
im Wald Pilze und Wurzeln gesammelt hatten. Als letztes erschien
Harrich, Elinnas Vater, mit weiteren erlegten Kleintieren.
Schließlich saß die Jagdgesellschaft, bestehend aus der Familie
Sternstrahl, Gäl Hartboum und Scharta Eisstein, Frigach Sondunst und
Breiga Wildrauch sowie Axar Flugfisch, Acharn Goldaxt und Armich
Fogelschrek, gemeinsam gesammelt am Feuer.
„In ungefähr einer Woche können wir wieder zurück ins Dorf, Felle verkaufen,“ meinte Harrich während des Essens.
„Vielleicht finden wir ja auch mal wieder interessantere Aufträge“,
murmelte Frigach, doch laut genug, dass alles es hörten, wie sehr ihm
doch die Eintönigkeit in der Wildnis störte.
„Das wäre mal wieder was!“ entfuhr es so auch Axar.
„Und endlich wieder vernünftige Frauen!“ ergänzte Armich und hob seinen Krug kraftvoll gen Himmel.
„Armich, du bist erbärmlich,“ erwiderte Breiga.
„Aber Recht hat er wohl,“ sprach Acharn mit Seitenblicken auf die drei Paare am Feuer.
Doch die ausgelassene Stimmung wurde gestört.
„Wartet! - Was ist das?“ entfuhr es Scharta und deutete aufgeregt gen
West, wohin ihr alle Blicken folgten und die Gespräche verstummten.
Und sie sahen ein Licht, weit in der Ferne, hoch von den Bergen, über die Wipfel der Bäume zu ihnen herab scheinen.
„Entweder andere Jäger, Förster, Köhler, Abenteurer, Reisende,
Banditen, Verrückte – oder irgend etwas anderes“, stellte Gäl reichlich
nüchtern fest und unterbrach so das erstaunte und angestrengte
Schweigen.
Acharn runzelte die Stirn und sah unwohl drein blickend zum Licht.
„Nicht, dass sie noch hierher kommen. Was sie auch sein mögen, es dürfte so oder so Schwierigkeiten bedeuten“, meinte er.
„Und wenn dort jemand Hilfe bedarf?“ überlegte Marna.
„Lasst uns erstmal ruhig bleiben und abwarten“, schlug Harrich mit
gewohnt bestimmtem Ton vor und letztlich wandte niemand etwas
ernsthaftes dagegen ein.
Das Licht in der Ferne blieb noch die gesamte Nacht. Alle fragten sich
was es war, doch niemand wagte es zu erkunden. Und schließlich
schliefen sie ein.
Am nächsten Tag ging man wie gewohnt und wie zuvor seinen Aufgaben
nach, da auch das Licht längst nicht mehr zu sehen war. Man überprüfte
die FalProloglen und stellte neue auf, wenn sich etwas darinnen
verfangen hatte; ging auf die Jagd, nahm Tiere aus und häutete sie;
sammelte Erzeugnisse des Waldes und Holz für das Feuer.
Des Abends versammelte man sich ebenso wie oft zuvor um das Feuer erneut zum Abendessen.
„Noch ungefähr fünf Tage“, murmelte Frigach sehnsüchtig.
Doch Breiga schien etwas anderes zu interessieren.
„Ob das Licht heute wieder erscheint?“ fragte sie in die Runde, etwas verunsichert aber doch neugierig guckend.
„Ich glaube schon – seht doch!“ sprach Axar und deutete zu den Bergen.
Und wieder sahen sie das Licht, wieder in der Ferne, hoch von den Bergen, über die Wipfel der Bäume herab zu ihnen scheinen.
„Nun möchte ich aber langsam doch mal wissen wer oder was das da ist“, unterbrach Harrich das allgemeine Schweigen.
„Ich werde nachsehen gehen. Sie werden mich nicht bemerken. Lasst mir
nur ein wenig Zeit“, sprach da Axar und erhob sich sogleich schwungvoll
von seinem Platz.
„Lass uns aber wissen wenn irgend etwas ist“, erwiderte Frigach.
Der Rest sah nur still zu, wie Axar seine Sachen nahm. Einige aßen
weiter, andere blickten ihn oder das Licht an. Bald war Axar in
Richtung der Berge im Dickicht des Waldes verschwunden. Elinna sah noch
eine Weile schweigend zum Licht.
Es sollte die ganze Nacht dort bleiben. Die meisten gingen bald
schlafen, bis auf diejenigen, die Wache halten sollten. Bei
Sonnenaufgang gesellte sich Elinna zu Breiga, die gerade die letzte
Wache hatte.
„Er ist noch nicht zurückgekehrt?“ fragte sie die ältere Frau und setzte sich neben sie.
„Nein, aber er wird es sicher bald“, erwiderte Breiga zuversichtlich.
Doch er tat es nicht. Man gab ihm Zeit, da Axar als erfahrener
Waldläufer bekannt war und es immerhin ein gewisses Stück Weg bis hoch
in die Berge war. Nach einem gewöhnlichen Tag saß man abends wieder
zusammen am Feuer.
„Ich frage mich, ob er etwas gefunden hat“, sprach Acharn.
„Da er noch nicht wieder da ist muss es wohl etwas wichtiges sein“, vermutete Gäl.
„Da ist es wieder“, sprach Scharta.
Und wieder sahen sie das Licht, wieder in der Ferne, hoch von den Bergen, über die Wipfel der Bäume zu ihnen herunter scheinen.
„Langsam macht mir das Angst“, murmelte Breiga und zog ihren Umhang enger um sich.
„Also zumindest wissen wir jetzt, dass sie noch da sind“, sprach Frigach.
„Sie? Ja, gut, sie. Böse Monster die Axar gefressen haben“, scherzte
Armich böse und erntete dafür von Harrich und Frigach ebenso böse
Blicke, während Breiga neben ihm ihn einfach nur schlug.
„Ich glaube, du solltest wohl als nächster nachsehen gehen“, sprach Marna lauernd.
Doch da ertönte unvermittelt ein lang gezogener, schmerzerfüllter Schrei in der Nacht.
„Was war das?“ fragte Gäl und blickte zu den Bergen.
„Jemand tut Axar etwas an“, vermutete Breiga mit sich leicht
überschlagender Stimme und schlug die Hände vor das Gesicht, um ein
Weinen zu unterdrücken.
Marna setzte sich neben sie und nahm sie tröstend in den Arm. Auffordernd blickte sie die anderen an.
„Jemand muss nachsehen gehen!“ verlangte sie.
„Damit man uns so was auch antut? Nein Danke“, erwiderte Armich mit verschränkten Armen und ablehnendem Blick.
„Ich werde gehen“, sprach Gäl, richtete sich auf und nahm seinen Bogen.
„Dann komme ich mit dir!“ erwiderte Scharta, seine Frau, der man die Angst um ihren Mann ansah.
„Lasst mich aber auf euch aufpassen“, ergänzte Acharn ohne zu zögern.
Als die drei sodann Aufbruch bereit waren, wandte sich noch einmal Harrich an sie.
„Kommt wieder, wenn ihr auch nur ansatzweise wisst, was geschehen ist.
Wagt nicht zu viel. Nicht, dass ihr auch noch verschwindet.“
Gäl nickte ihm nur zu, dann waren die drei auf dem Weg.
Die anderen verblieben ums Feuer versammelt. Niemand sprach mehr ein
Wort, alle starrten schweigend ins Feuer und lauschten den Geräuschen
der Nacht. Nach und nach verschwand man zum Schlafen, doch Elinna blieb
länger zurück und beobachtete erneut das Licht droben am Hang. Doch
bald erlosch auch dies, früher als die Tage zuvor. Elinna dachte an
die, welche ausgezogen waren und fragte sich, was mit ihnen nun wohl
sei. Sie hoffte das Beste.
Doch am Morgen waren sie noch nicht zurückgekehrt. Das übliche Tageswerk sollte verspätet beginnen. Denn Armich weckte sie alle.
„Sie sind immer noch nicht wieder da“, sprach er, als alle wach waren.
„Was meinst du, sollen wir nun tun?“ fragte Frigach, noch etwas verschlafen guckend.
„Was ist mit ihnen passiert?“ warf dagegen Breiga mit leicht verzweifeltem Unterton ein.
Es war Harrich, der sie unterbrach.
„Bewahrt erstmal Ruhe. Um hoch genug auf den Berg und wieder zurück zu
kommen braucht man vielleicht etwas Zeit. Frigach und Armich, überprüft
die Fallen. Marna, kümmere dich um Breiga und bereite mit Elinna das
Essen vor. Ich werde mich mal etwas umsehen. Wir beraten uns heute
Mittag!“ sprach er und so ward es.
Später sollte er als Letzter zum Essen kommen.
„Ich habe ihre Spur bis an den Fuß des Berges verfolgt, doch dort
verschwinden sie einfach“, erklärte er, nachdem er sich gesetzt hatte.
„Gibt es auch keine anderen Spuren? Banditen? Raubtiere?“ fragte Frigach, doch ihm war klar, dass Harrich dies erwähnt hätte.
Und dieser schüttelte erwartungsgemäß den Kopf.
„Nichts. Ihre Spuren hören einfach plötzlich auf.“
„Als wären sie von einem fliegenden Ungeheuer verschleppt wurden“, murrte Armich.
„Sag so was nicht!“ entfuhr es Breiga, der schon sichtlich unbehaglich zumute war.
„Was machen wir jetzt?“ fragte Marna in die Runde.
„Wir gehen sie natürlich suchen!“ forderte Frigach bestimmt.
„Und wenn sie uns auch schnappen?“ gab Breiga besorgt zu bedenken.
„Dann sind wir ebenso tot wie die anderen“, verkündete Armich düster.
„Du Scheusal!“ sprach Marna und nahm Breiga in den Arm, der man ihre Angst ansah.
Da unterbrach Harrich ihr aufgeregtes durcheinander rufen .
„Seid still! Wir wissen überhaupt nicht, ob etwas passiert ist. Vielleicht wurden sie nur aufgehalten!“ sprach er.
In dem Moment durchbrach ein weiblicher Schrei die üblichen Geräusche
des Waldes, wie um seine Worte Lüge zu strafen. Harrich verzog das
Gesicht.
„Lasst uns fliehen! Ins Dorf! Hilfe holen!“ forderte Breiga mit sich überschlagender Stimme.
„Nein, wir lassen niemanden zurück! Wir gehen sie suchen!“ widersprach ihr Harrich.
Es gab Murren und Einrufe, doch vor allem mit Frigach und Marna auf
seiner Seite setzte sich diese Forderung schließlich durch. Bald nach
dem Essen machten sie sich fertig.
„Wir müssen vor der Nacht unterwegs sein. Die anderen verschwanden immer nachts“, stellte Harrich fest.
Es war beschlossen wurden, Elinna als jüngste und unerfahrenste im
Lager zu lassen bis zu ihrer Rückkehr. Hier, in der Nähe des Dorfes,
sollte sie sicherer sein.
„Elinna, wir kommen bald wieder, mach dir keine Sorgen. Pass gut auf
das Lager auf“, sprach Marna und umarmte ihre Tochter zum Abschied.
„Bis bald“, sprach auch Harrich und der Trupp machte sich auf den Weg.
Doch natürlich machte Elinna sich Sorgen. Viele sogar. Sie war nun
allein und was sollte sein, wenn auch diese nun verschwanden? Um sich
abzulenken erledigte sie allerlei kleinere Aufgaben im Lager.
Schließlich aber wurde es Nacht.
Und droben sah sie das Licht, weit in der Ferne, hoch in den Bergen, über die Wipfel der Bäume scheinen.
Und Elinna hatte Angst. Nie zuvor kam ihr der Wald so bedrohlich vor.
Dunkle Leiber wiegten sich im Wind, knarrten und schrien nach ihrem
Fleisch. Gelbe Augen stachen aus der Dunkelheit hervor und suchten
Stellen sie zu beißen. Aus tausend Kehlen gellten die rufe sie zu
zerfetzen. Doch es war nur der Wald, sagte sie sich, zog die Decke fest
um ihre Schultern und schürte das Feuer. Bald schlief sie ein.
Niemand kam mehr, sie zu wecken. Irgendwann erwachte sie von allein und stellte dies sorgenvoll fest: sie war allein.
Beruhige dich, sagte sie sich, mache deinen Eltern keine Schande indem
du jetzt verzweifelst. Warte noch kurz, stärke dich, und wenn sie nicht
wiederkommen... ja, was dann? Zurück ins Dorf und Hilfe holen?
Vielleicht käme ich zu spät. Oder verpasse die zurückkommenden Jäger.
Nein, wenn sie nicht wiederkommen, gehe ich sie selber suchen. Ich muss
wissen, was geschehen ist.
So und auf viele weitere Arten führte sie zahlreiche innere
Zwiegespräche aus, derweil sie sich Essen machte und wartete. Doch rein
gar nicht geschah. So schulterte sie ihren Bogen, nahm ihr Messer und
brach auf, dorthin, wohin die anderen gegangen waren, dorthin, von wo
das Licht zu ihnen geschienen hatte.
Bald aber verlor sie den Weg. Verwirrt bahnte sie sich ihren Weg durchs
Unterholz, sah nur noch die grünen Wipfel über und keinen Weg vor sich.
Zweige und Äste zerrten an ihr, wollten sie zerkratzen und von ihrem
Ziel abbringen. Tiere huschten vor ihr oder dem drohenden Unheil davon.
Und Elinna, sie wollte nur noch ihre Eltern zurück und gemeinsam am
Feuer sitzen. Doch schneller als von ihr erwartet erhaschte sie die
einbrechende Nacht.
Und droben sah sie das Licht, weit in der Ferne, hoch in den Bergen, durch die Kronen der Bäume schimmern.
Und sie erkannte, dass sie in die falsche Richtung lief.
Sofort wandte sie sich um, folgte dem Ruf des Lichtes, zu ihm zu
kommen. Elinna stolperte voran. Das Licht flackerte mit jedem Lidschlag
und ihr wurde schlecht. Das Licht schlug im Takt ihres Herzens und ihr
verschwamm die Sicht. Das Licht bäumte sich auf und Elinna wurde
besinnungslos.
Sie erwachte und stellte fest, dass ihr nichts fehlte. Verwundert über
die Geschehnisse der Nacht richtete sie sich auf. Doch da stieß ihr
Blick auf etwas im Unterholz. Taschen und sogar Waffen, wie sie die
Jagdgesellschaft verwendet hatte. Sich überzeugend wessen Taschen das
da waren, durchblickte sie diese und vermochte bald zu sagen, dass sie
Gäl, Acharn und Scharta gehörten, zumindest diese waren also hier
vorbeigekommen. Aber warum hatten sie ihre Sachen zurückgelassen? Doch
es war keine Zeit für große Überlegungen, so sagte Elinna sich, und
setzte alsbald ihren Weg fort. Und wieder verirrte sie sich bald, nie
ein so guter Pfadfinder gewesen wie ihr Vater Harrich.
Wie es ihm und ihrer Mutter nun wohl gehen würde? Sie stellte sie sich
als heldenhaft im Kampfe gegen bösartige Monstren vor, wie sie
siegreich daraus hervorgingen, zu Elinna zurückkehrten und diese
liebend in ihre Arme nahmen.
Doch da riss sie das Heulen eines fernen Tieres aus ihren Träumen. Es
war keines der harmlosen, welche stets in die Fallen der Jäger getapst
waren. Ihr zitterte und sie lauschte, von wo die Laute denn kamen. Als
sie merkte, dass dies hinter ihr geschah, eilte sie sich, weiter voran
zu kommen. Doch wohin sollte dieses vorne denn gerichtet sein? Sie
wusste nicht, wohin sie ging oder von wo sie kam und so irrte sie,
bevor ihr schließlich auffiel, in welche Richtung die Landschaft
abschüssig wurde und in welche der Boden aufstieg. In Richtung der
letzteren ging sie dann auch. Früher als erwartet wurde es bald dunkel.
Es kam wie erwartet.
Und droben sah sie das Licht, noch in der Fernem über sich in den Bergen, kaum durch die dichten Wipfel der Bäume scheinen.
Doch endlich konnte sie sich nun nach etwas richten und ging weitere
darauf zu solange sie konnte, so lange ihre Füße sie trugen, über
Steine und Wurzeln und kletterte, wo Vorsprünge es verlangten, trank
aus Bächen und aß die mitgebrachte Wegzehrung. Irgendwann lehnte sie
sich erschöpft niederlassend an einen Baum. Sie schlief lange und
erwachte erst spät am nächsten Tag.
Sich selbst verfluchend rappelte sie sich auf, versuchte fest zu
stellen wo des Nachts zuvor das Licht gewesen war und hielt sofort
weiter darauf zu. Unterwegs aber kam ihr der Gedanke, dass sie nun
schon wirklich lange unterwegs sei. Was wäre, wenn es den anderen gut
ginge, sie sich wieder gefunden hatten, heim ins Lager gegangen waren,
Elinna dort nicht vor fanden und sich nun um sie Sorgen machen würden?
Das wäre schrecklich, so sagte sie sich, und war hin und her gerissen
zwischen weiter voran- oder wieder zurückgehen. Sie entschied sich für
ersteres. Und das war gut so.
Es war später Nachmittag, als sie plötzlich und förmlich über ihre
Eltern stolperte. Harrich und Marna saßen auf Steinen an einer der
letzten Lichtungen des Waldes kurz vor ende ebendieses und stellten
gerade aus Stöcken und Steinen behelfsmäßige Waffen her.
Marna bemerkte die nahezu blind vor sich hin gehende Elinna als erstes.
„Elinna!“ rief sie aufgeregt, sprang von ihrem Sitz auf und lief zu ihrer Tochter, sie freudig umarmend.
„Elinna?“ sprach auch Harrich und gesellte sich zu ihnen, ebenso erstaunt wie Marna.
„Aber was tust du hier? Es ist viel zu gefährlich für dich!“ schwang Marnas Freude schnell in Sorge um.
Und Elinna brach vor Erleichterung, ihre Eltern lebend wieder zu sehen, in Tränen aus.
Den Rest des Nachmittags verbrachten sie gemeinsam auf der Lichtung.
Elinna erzählte, dass sie vor Sorge nicht mehr alleine im Lager hatte
bleiben können und ihnen deshalb gefolgt wäre. Harrich war verärgert
über ihre Leichtsinnigkeit, doch stolz auf ihre Fähigkeit sich bis
hierhin alleine durchschlagen zu können. Harrich und Marna dagegen
erzählten, dass sie den Weg die Hälfte des Berges hinauf gefolgt waren.
Sie hatten deutliche Hinweise darauf gefunden, dass Axar, Gäl, Scharta
und Acharn droben am Berg von jemanden gefangen gehalten würden.
Frigach, Breiga und Armich würden gerade die Lage oben überwachen,
derweil Harrich und Marna für mehr Waffen sorgen wollten. Sie rechneten
mit einer deutlichen Übermacht, doch wollten sie sich des Nachts hinein
schleichen und die anderen befreien.
„Elinna, wir müssen uns nun auf den Weg machen. Versprich uns diesmal
wirklich hier auf uns zu warten!“ ermahnte Harrich sie, als es dunkler
wurde.
Elinna war verzweifelt und flehte sie an, nicht zu gehen.
„Wir müssen aber! Wir sind bald wieder da!“ erwiderte Marna.
Sie verabschiedeten sich und waren bald in der Ferne verschwunden. Es wurde dunkel.
Und Elinna sah das Licht, nun bereits näher, herab vom Berge und durch die letzten Dickichte scheinen.
Elinna hockte sich auf den Stein, auf dem ihre Mutter zuvor gesessen
hatte. Ihr fror und zitternd zog sie ihren Mantel enger um ihre
Schultern. Ein Feuer konnte sie hier nicht entzünden, da man sie sonst
entdecken würde, so hatten ihre Eltern ihr eingebläut. So verbrachte
sie denn die Nacht dort auf dem Stein, wandte nie den Blick ab von dem
Licht da oben und dachte die ganze Zeit an ihre Eltern und die anderen
und daran, dass sie hoffentlich bald zurückkehren würden. Kurz vor
Sonnenaufgang schlief sie erschöpft ein und erwachte es spät am Tage.
Ein Sonnenstrahl war es, der sie geweckt hatte, sich kurz Bahn brechend
durch eine sonst dichte graue Wolkendecke. Augenblicklich wurde Elinna
wach, da sie merkte, dass sie immer noch alleine war. Ihre Eltern waren
noch nicht zurückgekehrt. Würden sie es denn je? Bedrückt an den Stein
kauernd verzehrte sie, was ihr Eltern ihr an Essen da gelassen hatten.
Irgendwann fingen die Wolken an, ihre Regenlast auf die hernieder
fallen zu lassen. Elinna fror wieder mehr.
Nichts weiter sollte passieren bis zum Einbruch der Dunkelheit.
Und Elinna sah das Licht, noch an der selben Stelle, herab vom Berge
und durch die letzten Dickichte scheinen, unbeeindruckt von allem hier
unten.
Über ein Tag war also vergangen, seit ihre Eltern losgegangen waren.
Bereits in der selben Nacht wollten sie zurückkehren, so hatten sie
gesagt. Etwas musste geschehen sein. Länger konnte Elinna hier einfach
nicht mehr warten.
Vorsichtig machte sie sich auf den Weg. Am Ende des Waldes angelangt,
spähte sie hinaus und den Berg hoch, doch sah sie nichts
außergewöhnliches. Also verließ sie den Schutz der Bäume langsam.
In der Dunkelheit immer wieder über Steine und Vorsprünge stolpernd,
kam sie nur langsam voran. Nachdem bereits die Hälfte der Nacht, aber
nur vielleicht ein Viertel des Weges hinter ihr lagen, vernahm sie
plötzlich ein Heulen von der Seite. Erschrocken wandte sie den Kopf und
wurde einer großen, grobschlächtigen Gestalt gewahr, die fern ihrer,
rechts auf einem Felsvorsprunge hockte. Sie nahm es nur als
schemenhaften Schattenumriss in der Dunkelheit wahr doch wusste sofort,
dass es auch sie sah – und musterte.
Ohne zu zögern duckte sie sich hinter einen großen Stein, doch es war
zu spät. Noch in der Bewegung erblickte sie, wie das Wesen auf allen
Vieren einen Satz von seinem Felsen herab machte und mit der
Gelassenheit eines sich an schleichenden Raubtieres auf sie zu kam.
Sofort sprang Elinna auf und rannte so schnell sie nur konnte den Hang
entlang, von diesem Wesen fort. Ohne sich um zu blicken wusste sie,
dass sie verfolgt wurde. Ihr blieb keine Zeit für Angst, so überlegte
sie bereits im Laufen, was sie nun tun könne. Doch ihr fiel nichts
brauchbares mehr ein, so rannte sie einfach weiter und immer weiter.
Sie sprang über Erdhügel, kletterte über kleinere Vorsprünge, riss an
Büschen und warf sie hinter sich um ihren Verfolger zu verlangsamen,
doch jedes Mal hörte sie es nur springen und weiter vorwärts stürmen.
Plötzlich löste sich unter ihren Schritten ein Teil des Hanges.
Erschrocken versuchte sie noch halt zu finden, sprang vorwärts und
landete hartzweifelt versuchte sie sich aufzurichten, doch trat mit
ihren Füßen bloß ins Leere und lose Steine davon, rutschte mit ihren
Händen nur auf dem lockeren Boden aus.
Das Wesen, von dem ihr nur gewahr wurde, dass sein Umriss gegen die
Nacht größer war als der ihre, mächtiger und stärker, kam langsam und
laut schnaubend auf sie zu. Als es nah genug war, öffnete es weit sein
Maul und das erste, was Elinna nun klar von diesem Wesen erkennen
konnte, waren seine Zähne, auf denen das ferne Licht der Sterne
funkelte.
Es setzte zum Sprung an.
Elinna ergriff verzweifelt einen Haufen Erde und warf ihn in Richtung
des Wesen. Dieses heulte getroffen laut auf als ihm Erde in die Augen
geriet und schüttelte wild und wütend den Kopf. Elinna nutzte diese
Zeit, um endlich auf die Beine zu kommen. Sie griff nach einem
Felsvorsprung über sich und schaffte es halb kletternd, halb sich
hochziehend dort hinauf zu gelangen. Von hier ab gab es kaum noch einen
begehbaren Pfad den Berg hinauf, den einzig nutzbaren versperrte dieses
Wesen.
Noch während sie dies dachte, vernahm sie ein Zischen und sah etwas
schnell durch die Luft surren. Mit einem stumpfen Geräusch traf es
ihren Verfolger. Dieser heulte erneut auf, diesmal scheinbar
schmerzerfüllt. Halb blind und getroffen wankte es, wollte sich
umdrehen. Da traf es ein zweites Geschoss, ein Pfeil, wie Elinna nun
erkannte. Das Wesen kam ins Wanken, konnte sich auf dem schmalen Pfad
kaum noch halten. Ein dritter Pfeil sollte es treffen, gleichzeitig der
Boden unter seinen Füßen wegrutschen. Mit einem letzten Schrei stürzte
es und rollte halb, halb rutschte es den Hang des Berges herab.
Elinna blieb keine Zeit zu überlegen, was hier geschehen war. Fast
augenblicklich erschienen zwei Gestalten mit menschlichen Umrissen an
der Stelle, wo die Bestie hin gerutscht war. Sie trugen Bögen und
Schwerter bei sich und Elinna dachte zuerst, das seien ihre Eltern oder
andere der Jäger. Sie war auch bereits kurz davor sich oben auf dem
Vorsprung zu erkennen zu geben, da fingen die beiden an miteinander zu
sprechen und sie erkannte ihren Irrtum. Die Beiden sprachen keine ihr
bekannte Sprache. Waren das die, welche für das Licht und die
Geschehnisse der letzten Tage verantwortlich waren? Welche die Jäger
nun gefangen hielten?
Die beiden Gestalten wandten sich um, ohne der Bestie oder dem
Vorsprung über sich weitere Beachtung zu schenken, und machten sich
auf, den Pfad den Berg hinauf zu gehen.
Elinna lehnte sich erschöpft zurück und verlor damit die beiden aus den
Augen. Sofort spürte sie, wie dieser Vorfall doch an ihrer Kraft
gezehrt hatte. Sie bemerkte eine Aushöhlung in der Felswand neben sich,
kroch in diese hinein und legte sich hin, nur kurz auszuruhen.
Als sie erwachte, schien ihr die Sonne erneut ins Gesicht. Mehr
überrascht denn angewidert verscheuchte sie ein paar Käfer, welche es
sich auf ihr gemütlich gemacht hatten. Immerhin ließ sie diese
Gesellschaft schnell munter werden. Ihre Wegzehrung hatte sie verloren,
ebenso hielt sie hier oben nicht mehr viel. Sie beschloss, lieber
augenblicklich weiter zu ziehen. Doch statt runter auf den einfachen
Pfad zu gehen, blieb sie in den Klippen und Vorsprüngen des Berges,
kletterte von einem zum anderen, deren Deckung stets nutzend und ebenso
das Sonnenlicht, solange es noch da war.
Doch irgendwann war sie an einem Punkt angelangt, an dem es nicht
weiterging. Steine lösten sich unter ihren Füßen und rasselten den Berg
herab, als sie sich am Ende des letzten Vorsprungs vorbeugte und hinab
zum Pfad sah. Dieser verlief weiter in Schlangenlinien den Berg hinauf
bis zu seiner Spitze, ordentlich ausgetreten von zahlreichen Füßen vor
ihr und sicher genug aussehend. Doch Zeichen für irgend etwas
Lebendiges entdeckte sie hier nicht, nicht einmal Spuren in der Erde
des Pfades, nicht einmal Pflanzen am Wegesrand. Sie blickte hinauf zum
Bergkamm und soweit sie dem Pfad mit den Augen folgen konnte, doch
alles war ruhig und unverdächtig.
Schließlich traute sie sich und kletterte von ihrem Versteck herab.
Vorsichtig eilte sie anschließend den Pfad entlang, so schnell sie ihre
Beine trugen und noch mitmachten und in der steten Hoffnung, niemanden
auf sich aufmerksam zu machen. Denn scheinbar gab es hier ja so etwas
wie Wachen, die sie des Nächtens sogar vor diesem Untier errettet
hatten, vermutlich ohne von ihr zu ahnen. Aber bald schon war sie kurz
vor dem Kammrücken. Da sah sie plötzlich vor sich, aus der Höhe, Rauch
aufsteigen. Schnell drückte sie sich an die Felswand rechterhand. Vor
sich erspähte sie einen großen abseits stehenden Felsen, hinter den sie
sich gut verstecken konnte.
Doch nichts geschah, der Rauch stieg weiter friedlich zum Himmel.
Sie huschte weiter von Fels zu Fels, von Höhle zu Höhle, immer auf ihre
Deckung achtend. Doch weiter sah sie nichts und niemanden.
Schließlich ging die Sonne langsam unter, sie war bereits so gut wie
oben. Vielleicht kämen die Gestalten ja nur nachts heraus? So überlegte
sie. Schnell beschloss sie, sich ein möglichst gutes Versteck zu suchen
und dort zu warten. Sie fand es in Form einer kleinen Höhle, zu einer
Hälfte vom einem Felsen verdeckt, zur anderen von einem Busch, durch
den sie hindurch scheuen konnte. Ihr Magen knurrte.
Sie musste nicht lange warten, da war die Sonne verschwunden.
Und nun sah sie das Licht und wusste, von wem es stammte, als es ihr
schräg gegenüber auf der höchsten Stelle des Berges entzündet wurde.
Ganz eindeutig war es kein Lagerfeuer, sondern eher eine Art
Leuchtzeichen, in Form eines Feuers, entzündet in einer großen Schüssel
hier droben auf dem Berg. Und nun sah sie auch allerlei Gestalten vom
Kamm her kommen und den Pfad entlang herab gehen, in ihre Richtung. Gut
zwei Dutzend zählte sie, doch erkannte nicht viel, außer, dass alle
gekleidet waren wie die beiden Tags zuvor: in dunkle Gewänder und
gewappnet mit Schwertern und Bögen.
In Kolonne gingen sie an ihr vorbei, doch bemerkten sie sie nicht.
Elinna wartete noch kurz ab, ob weitere folgen würden, und als dieses
schließlich nicht geschah, verließ sie ihre Deckung und eilte die
letzten Schritte hoch zum Kamm. Und was sie dann sah, kostete sie fast
den Verstand.
In einen tiefen gähnenden Abgrund gewaltiger Ausmaße starrte sie hinab.
Ihr schwindelte bei dem Anblick gähnender Leere. Doch tief unten, so
sah sie, brannte ein Feuer, alt wie die Welt. Nicht umsonst wurde
dieses Gebirge die Schmelzöfen genannt und an einem solchen stand sie
nun. Doch das allein war es nicht, dass sie sich ängstigen ließ. In
Spiralen führte der Pfad an diesem riesigen Kessel entlang, in den
Krater hinein und dann immer tiefer, scheinbar bis hinab auf den Grund.
In bestimmten Abständen säumten Fackeln diesen Pfad, als wäre das Feuer
drunten noch nicht genug hier alles zu erleuchten. Schlimmer aber waren
die Spieße, die stellen weise am Pfad entlang in den Fels gerammt
waren. Zahlreiche tierische und mehr als nur einen gar menschlichen
Schädel erblickte sie daran aufgespießt. Gleich hier oben bei ihr
erkannte sie als erste die abgeschlagenen Köpfe von Gäl, Axar und
Acharn.
Ihr wurde schlecht und sie erbrach sich hinter einen Stein.
Doch die anderen Jäger sowie ihre Eltern waren zum Glück nicht unter
diesen Schädeln. Gab es noch Hoffnung? Sie musste sie finden!
Vielleicht waren sie unten im Krater? Vielleicht auch oben beim Licht?
Als erstes machte sie sich auf zu letzterem.
Oben angelangt erkannte sie ihren Irrtum. Hier war nichts, aber auch
rein gar nichts, außer der Schüssel mit dem brennenden Feuer. Dann
müssten sie also unten sein. Doch wie dort hin kommen? Wenn sie jetzt
einfach so runter ginge, wäre die Gefahr sicher groß, dass zurück
gebliebene oder die heimkehrenden Wächter sie entdecken würden. So
entschloss sie sich, erneut zu warten, bis zum Tagesanbruch, um dann
erst hinab zu steigen, wenn diese Schlächter wohl noch ruhen würden.
Sie machte sich auf einen Ort zum warten zu suchen, da wurde sie
plötzlich und unerwartet hinterrücks niedergeschlagen.
Als sie wieder erwachte, schmerzte ihr der Kopf. Das zweite was sie
wahrnehmen konnte, sollte die enorme und erdrückende Hitze sein. Sie
blinzelte, öffnete die Augen und sollte diese Tat sofort bereuen.
Nachdem sie wieder sehen konnte, erkannte sie, dass man sie an eine
Wand direkt am Feuer des Berges am Grunde ebendieses gefesselt hatte.
Verzweifelt zerrte sie an den Seilen, doch bewirkte damit nichts.
Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, wurde ihr als nächstes die sie
umgebende Kulisse gewahr: Sie hing an diesen Seilen an dieser Wand am
Grunde dieses Berges, doch nur an den Händen befestigt. Vor sich, ihr
weit gegenüber, sah sie nur noch schräg abfallende Felsen hin zur
kochenden, brodelnden und glühenden Masse unter ihr. Vielleicht sollte
sie sich lieber doch nicht versuchen von der Wand zu lösen.
„Psst!“ machte es plötzlich über ihr.
„Elinna! Wir sind es! Halte still!“ flüsterte ihr von der anderen Seite die Stimme ihres Vaters zu.
Vier kräftige Hände packten sie an den Armen und zerrten sie hoch,
während rechts und links die Fesseln durchgeschnitten wurden. Man zog
sie auf den Grund neben dem Abgrund und richtete sie schnell auf. Sie
hatte noch Zeit ihre Retter als ihren Vater Harrich sowie Frigach und
Armich zu erkennen.
„Schnell, in Deckung!“ raunte Frigach und von Harrich gestützt eilte
Elinna mit den Dreien in eine dunkle Ecke zwischen zwei Felswänden, wo
ihre Mutter Marna sowie Breiga sie erwarteten.
„Dummes Mädchen, was hast du hier zu suchen?“ fuhr Armich Elinna schließlich an, als sie in Deckung waren.
Doch Harrich packte ihn am Arm.
„Rede nicht so mit meiner Tochter!“
Derweil nahm Marna ihre Tochter glücklich in die Arme.
„Elinna!“ entfuhr es ihr nur.
Und Frigach sollte sie alle gemeinsam an herrschen.
„Verschiebt das auf später! Seid nun lieber still oder wollt ihr, dass sie uns entdecken?“
„Sie werden uns alle töten!“ jammerte Breiga.
„Ach, hör endlich damit auf!“ zischte Armich giftig.
„Wir werden enden wie die anderen, aufgespießt an der Wand!“ entgegnete
Breiga ihm, mit aller Verzweiflung in den Zügen, die man nur darstellen
kann.
„Nun, das werden wir sicher nicht“, kam ihr Mann dazwischen.
„Doch, das werden sie, und dann opfern sie uns wie die anderen!“
antwortete Breiga, lehnte sich an die Wand und rutschte an dieser
hinunter, dabei in Tränen ausbrechend.
Harrich, der einen blick aus ihrem Versteck heraus geworfen hatte,
drehte sich nun mit Schrecken im Gesicht wieder der Gruppe zu. Niemals
zuvor hatte Elinna ihren Vater so gesehen.
„Sie haben uns entdeckt! Wir müssen kämpfen!“
Und tatsächlich, eine Horde der dunkel Gewandeten, nun aber ihre
Schwerter gezückt haltend, kam langsam auf die Jäger zu. Es war eine
vielleicht drei- bis vierfache Übermacht. Doch Harrich, Frigach und
Armich zogen nur grimmig ihre eigenen Waffen, bereit, ihr Leben und das
der anderen zu verteidigen.
Dann begann der Tanz, und Schlag folgte auf Schlag.
Breiga hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, doch beobachtete das
Geschehen schreckenserfüllt durch die Lücken zwischen ihren Fingern.
Elinna drückte sich an ihre Mutter. Diese beugte sich zu ihr hinüber,
fasste sie fest an den Schultern und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
„Elinna, wisse eins: wir haben dich immer geliebt und werden es immer
tun. Doch nun fliehe, solange noch die Möglichkeit dazu besteht! Wir
werden versuchen dir zu folgen!“
Sie umarmten sich. Elinna sah sie mit angst erfüllten Augen an. Dann
packte Marna sie und eilte mit ihr zu der Stelle, wo die Rampe hinauf
zur Öffnung des Berges begann.
„Geh!“ rief sie noch, ehe sie sich umdrehte, ihr Schwert zog und an die Seite ihres Mannes eilte.
Elinna sah ihr kurz hinterher, dann wurde ihr die Dringlichkeit ihres
Auftrages bewusst. Voller Angst, mehr um das Leben ihrer Eltern denn um
das eigene, eilte sie die Rampe empor. Auf halbem Wege angekommen,
wagte sie einen Blick zurück. Doch schnell duckte sie sich, um nicht
entdeckt zu werden. Denn der Kampf schien bereits äußerst einseitig zu
werden. Sie sah Armich und Frigach Seite an Seite, doch bedrängt.
Harrich und Marna taten dies ebenso, an anderer Stelle. Doch nun kamen
andere. Je zwei der Gestalten hielten ein Netz zwischen sich, vier
solcher Gruppen kamen nun an. In den Reihen der die vier Jäger
bedrängenden Krieger kam Bewegung, als sie den Netzträgern Platz machen
mussten. Die Jäger bemerkten dies jedoch zu spät und so wurden die
Netze erfolgreich über sie geworfen. Zwar trafen nur drei, doch das
genügt vollkommen. Sich in den Netzen verstrickend gingen die Jäger zu
Boden.
Oben auf dem Pfad duckte sich Elinna noch tiefer und hinter die
Brüstung des Pfades. Unten entwaffnete man die Vier und fesselte sie.
Gleichzeitig zerrte man Breiga aus ihrem Versteck. Sie kreischte,
schrie und schlug um sich, doch es bewahrte sie nicht davor,
niedergeschlagen zu werden. Auch sie fesselte man. Alle Fünf zerrten
oder schleppten die Gestalten an den Rand der großen Feuergrube. Elinna
meinte noch wahrnehmen zu können wie besonders ihr Vater sich wehrte
und die Krieger verfluchte, doch dies alles sollte nichts nutzen.
Elinna rutschte und stieß mit dem Kopf gegen die Brüstung. Ihr wurde
kurzzeitig schwarz vor Augen, doch rappelte sie sich sofort wieder auf.
Vorsichtig sah sie über die Brüstung, ob ihr Missgeschick bemerkt
wurden sei. Doch dem war nicht so.
Stattdessen beobachtete sie nun den puren Schrecken.
II
Fein säuberlich aufgereiht drunten am Feuersee waren dort vier der fünf
Jäger mit ihren Handketten an Ringen im Boden knapp vor dem See
gefesselt. Breiga fehlte in dieser Reihe. Immer noch bewusstlos hielten
zwei der Krieger sie zwischen sich. Man legte sie in einer Art großen
Käfig ab, gebildet aus natürlichen Felsspitzen, zwei Wände rechtwinklig
zur Glut, eine Enge bildend, an der dritten Seite durch ein Eisengatter
mit Tor versperrt derweil die dritte Seite durch den Feuersee
unzugänglich war.
Und nun musste Elinna das fürchterlichste mit ansehen, was sie je zuvor zu beobachten hatte.
Eine Gestalt erschien in diesem Schmelzofen der Berge. Erst erhob sich
der Schädel aus den Flammen, gewaltig wie eine ganze Kuh und scheußlich
anzusehen. Diesem folgte der Körper, unter dem der See bald wie ein
kleiner Teich vor kam, und erhob sich bis zu den Schultern. Niemals
sollte Elinna in der Lage sein, dieses Wesen richtig zu beschreiben,
sie hockte nur droben voller Schrecken und Abscheu. Wie ein Kaninchen,
das wusste, es würde gleich gefressen werden. Das Wesen schob sich vor
zu dem Käfig, die Feuersglut wie Wasser verdrängend.
Und in dem Moment sollte Breiga erwachen.
Natürlich wusste sie anfangs nicht, wo sie sich gerade befand und was
geschehen war. Doch bemerkte sie sehr schnell, was da nun auf sie zu
kam. Und erneut sollte sie vor Angst schreien und kreischen, aufstehen
und zum Gittertor rennen. Doch das bewahrte sie auch nicht davor, dass
das Wesen sich näherte, sie mit seinen riesigen Krallen aus dem Käfig
hob und sie langsam, all ihrem Strampeln, Schlagen und Kreischen zum
Trotz, zu seinem gewaltigen Maul führte.
Auch Frigach sah dies. Er kämpfte gegen seine Ketten an und schrie
verzweifelt, als seiner Frau nur wenige Meter entfernt mit einem Biss
der Oberkörper abgetrennt wurde. Doch schnell sank er weinen auf die
Knie, während das Monster mit Breiga in sich langsam begann wieder
tiefer zu sinken.
Harrich versuchte Frigach beruhigende Worte zu zurufen und Armich
beschimpfte und verfluchte ihre Peiniger, da kam man bereits an um
seine Ketten zu lösen und ihn in diesen Todeskäfig zu stecken.
Für Elinna war all dies zu viel. Erneut wurde ihr Schwarz vor Augen, doch diesmal stolperte sie vorwärts und über die Brüstung.
III
Als sie das nächste Mal erwachte, war dieses wesentlich weniger
angenehm. Alles tat ihr weh , sie selber war reichlich zerschrammt und
ihre Kleidung unansehnlich geworden. Doch zumindest schien sie sich
nichts gebrochen zu haben. Sie sah sich um. Offenbar lag sie in der
Nische hinter einem Felsbrocken, in der sich zuvor die Jäger versteckt
hatten. Vorsichtig richtete sie sich auf alle Viere auf und kroch
vorwärts. Um den Felsen spähend sollte sie das folgende erblicken: Der
Grund des Berges war nun leer. Die brodelnde Masse in der Mitte war
immer noch da, doch sonst alles andere verschwunden. Die Jäger, die
Ringe der Fesseln im Boden, die Krieger, ja sogar der erdene Käfig. Wo
waren alle?
Verwundert richtete sie sich ganz auf. Weiterhin misstrauisch musterte
sie den gesamten Kessel des Berges und bemerkte – nichts. Schnell
verließ sie ihr Versteck und rannte zur Rampe und diese empor. Auf
halbem Wege bemerkte sie auch das Fehlen der aufgespießten Köpfe und
Fackeln. Als wäre dieser Ort nie von solch Schrecken berührt wurden.
Doch dies kümmerte sie nun weniger als heil von diesem Orte weg zu
kommen. Ein Blick nach oben offenbarte ihr, dass es gerade Nacht
geworden war. Oben angekommen fröstelte sie, da die Wärme des Feuers
von unten hier oben nun fehlte. Auch die Schale für das Licht auf der
Bergspitze war verschwunden. Was war hier geschehen? Es war Nacht,
warum also war nicht alles wie die Nächte zuvor? War man abgezogen, da
man sein Ziel erreicht hatte, die Jäger gefangen zu nehmen und dieser
Abscheulichkeit zu opfern? Aber warum hatte man sie, Elinna, nicht
bemerkt? Und warum ausgerechnet ihre kleine Gruppe von Jägern? Oder
hatte sie sich dies alles nur eingebildet? Aber das konnte doch nicht
sein! Oder?
Mit sich selbst im Unreinen und über sich zweifelnd machte sie sich auf
den Rückweg zum Lager. Vielleicht würde sie dort Antworten finden. Aber
sie war sicher, dies alles erlebt zu haben. Und wie hätte es dazu
kommen können, dass sie in den Berg gelangt sei? Es ergab alles kaum
einen Sinn.
Im Lager angekommen, nach einer wesentlich kürzeren Zeit als sie für
möglich befunden hätte, fand sie – es nicht. Es war verschwunden. Kein
Anzeichen gab es, dass hier auf dieser Lichtung jemals jemand gewesen
war, vor allem ihre Jäger nicht. Verzweifelt setzte sie sich auf den
Boden mitten in der Lichtung und begann zu weinen.
Was war geschehen? Wo waren ihre Eltern? Sie wusste genau, dass all
dies in den letzten Tagen passiert war. Spielte man ein böses Spiel mit
ihr? Aber wer sollte das warum tun?
„Mutter! - Vater! - Wo seid ihr?“ rief sie verzweifelt in den Wald.
Doch niemand antwortete.
Zwei Tage später fanden sie zwei andere Jäger, die aus dem nahen Dorf
im Osten kamen. Sie brachten sie dort hin. Es dauerte eine schiere
Ewigkeit, bis man ein verständliches Wort aus ihr raus bekam. Doch auch
im Dorf kannte niemand ihre Eltern oder die anderen Jäger.
„Aber wir sind doch vor einem Monat von hier los gezogen!“ bestritt
Elinna die Auskünfte der Dörfler, welche sie bald für verrückt halten
sollten.
Man versuchte zwar sich um sie zu kümmern und ihr die so genannte
Wahrheit bei zu bringen, dass dies alles nicht geschehen sei und sie es
sich eingebildet hätte, doch Elinna sollte nicht mehr lange in diesem
Dorf bleiben. Bald schloss sie sich einer Handelskarawane an, fest
entschlossen wieder zu kommen, ihre Eltern und die wahre Wahrheit zu
finden.
Und eines Tages sollte sie diese kennen...
Epilog
Weiter hielt er Ausschau nach neuer Nahrung. Seine Anhänger wurden
mehr, sie brachten ihm nun stetig neue Opfer, lockten sie an und hinab
in seinen Magen. Weit im Westen hatte das ihn anbetende Ijenreich die
Reste des alten Lurruken erobert und machte sich bereit für mehr.
Doch hier in den Schmelzöfen hatte er die letzten hunderte von Jahren
genug Zeit gehabt nach zu denken. Von Tól und Omé hatte er gehört und
befürchtete nun, dass sie einst ausgesandt wurden waren, ihn zu finden.
Sollte dies stimmen, so wäre es gut möglich, dass sie immer noch da
draußen auf ihn warteten.
Aber auch er hatte einen Plan für den Fall, dass sie zurück kämen. Und
niemand sollte ihn daran hindern können, diese Welt sich Untertan zu
machen und nötigenfalls sogar zu vernichten. So dachte er drunten in
seinem See aus Feuer tief im Herzen der Berge. Doch ahnte er nicht, was
für Feinde er sich geschaffen hatte und dass sie alles versuchen
würden, um ihn auf zu halten.
ENDE
Nachwort
Diese Geschichte wurde mir vor
einigen Jahren von Reisenden aus Akalt zugetragen. Sie hatten die
Geschichte von Elinna Sternstrahl und ihrer Familie in einem Dorf
unweit der Schmelzöfen gehört, erzählt von den Einwohnern. Sie sollte
sich erst kurz zuvor ereignet haben. Natürlich können wir nicht
annehmen, dass sie wahr ist. Ein solches Monstrum, dass die Welt
vernichten will, wäre zu unsinnig anzunehmen. Trotzdem vernahm ich
Gerüchte, dass eine Reisende namens Elinna Sternstrahl in den Wäldern
und Ländern rund um den Schmelzöfen unterwegs sei, Reisenden Schutz
bietend und sie stets dieselben Fragen nach ihrer Familie stellend.
Vielleicht werden wir einst ja die Wahrheit erfahren.
Solero y Cyprilla, Toljidarin
Karison, Ojútolnán, 10.5.3994
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Andre Schuchardt).
Der Beitrag wurde von Andre Schuchardt auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.10.2008.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Andre Schuchardt als Lieblingsautor markieren
Schmunzeln und Nachdenken erlaubt
von Ernst Dr. Woll
Erlebte Kuriositäten sind häufig reparierbare Missgeschicke und wir können darüber schmunzeln. Wir sollten deshalb diese Geschichten nicht für uns behalten. Die Tiere unsere Mitgeschöpfe können uns in diesem Zusammenhang viel Freude bereiten und viele Erlebnisse mit ihnen bereichern unser Leben. In Gedichten und Kurzgeschichten wird darüber erzählt, wie wir außergewöhnliche Situationen mit Schmunzeln meistern können und ernsthaft über vieles nachdenken sollten. Wenn z. B. unser Hund eine Zahnprothese verschlingt und wir sie wieder finden, dann darf sie durchaus wieder an die richtige Stelle.
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