Carsten Delzer

Die Entscheidung

 

Die Entscheidung

 

»Du musst es tun«, forderte der Alte ihn auf und blickte in die ängstlichen Augen des Jungen. Dann hinkte er ein Stück näher, sein linkes Bein war steif. »Du weist, ich bin zu Alt dafür.« Der Junge, der gerade seinen sechzehnten Namenstag hatte wusste, dass der Alte es niemals schaffen konnte. Niedergeschlagen und immer noch hoffend es käme jemand, der die Aufgabe für ihn erledigte, sah der Junge zu Boden, während der ohrenbetäubende Lärm aus dem Tal zu ihnen herüber drang.

»Ich weiß, du hast Angst, aber unser aller Leben hängt davon ab.«

Sanft hob der Alte das Kinn des Jungen mit seinen knorrigen Finger hoch und sah ihm in die Augen. »Du wirst das schaffen, du bist mein Schüler«.

Langsam drehte er den Kopf des Jungen nach links und rechts.

Der Junge sah ein, dass da niemand war der ihn erlösen würde.

»Ich tue es«, schlotterte der Junge und merkte wie seine Beine durch die Angst immer weicher wurden.

 »Ich wusste, auf dich ist verlass Junge,« sagte der Alte stolz. Doch als seine Augen feucht wurden, wandte er sich schnell ab. Jetzt musste er Vorbild sein. »Komm.« Der Alte führte den Jungen an den Anfang des Tals. Der tosende Lärm nahm zu. »Hier nimm«, sagte der Alte laut und drückte dem Jungen einen Spitzen und funkelnden Gegenstand in die Hand.

Zitternd erkannte der Junge den Dolch, er hatte ihn oft gesehen.

»Verlier ihn nicht«, ermahnte ihn der Alte, »du musst ihn auf der anderen Seite benutzen.«

Der vor Angst bebende Junge, wusste was man von ihm erwartete. Er würde sich auf der anderen Seite, selbst  das Leben nehmen müssen.

Doch er hatte so viel Angst. Alleine das Tal zu durchqueren hielt er für  unmöglich. Gefahren würden dort lauern. Und selbst, wenn er es  wiedererwartend schaffte,  und allen Gefahren trotzte, würde er sich doch selber töten müssen.

Die Welt um ihn herum war verrückt geworden.

»Die Zeit wird knapp«, drängte ihn der Alte. Der Junge richtete seinen Blick auf den Alten.

»Wiederhole, was du tun sollst Junge«. Der Junge stammelte, während er wieder auf das Tal blickte. Die hohen und sich nach innen neigenden Gebirgswände an den Seiten des Tales würden bald einstürzen und der Zugang wäre für immer verschlossen.

»Ich muss dazwischen durch«, stotterte der Junge und zeigte auf das Tal.

»Und dann?«, fragte der Alte.

»Danach zum Tempel«, sagte der Junge, »zur heiligen Schale«.

 Der Alte nahm die Hand des Jungen und küsste sie.

Nun flüsterte er: »Und dann, Junge?« Tränen schossen dem Jungen in die Augen. »Ich muss mich töten«, brach es aus dem Jungen heraus, bitterlich weinte und schluchzte er. Als er sich beruhigt hatte fragte der Alte ihn. »Worauf musst du achten?«

»Mein Blut muss in der Schale aufgefangen werden«.

»Genau, denn wenn nicht, sterben wir alle. Hörst du Junge? Alle. Niemand wird überleben. Die Welt wird untergehen. So ist es bestimmt. Zu lange haben die Menschen die Götter herausgefordert. Nur das Blut eines Unschuldigen kann uns retten. Nur du kannst alle retten, du musst jetzt los. Sonst ist es zu spät«.

 

 

Tief atmete der Junge durch. Es gab so viele, die es wert waren zu überleben.

Seine Geschwister, seine Eltern und der Bauer von dem er immer Äpfel bekam...... 

Noch einmal sah er den Alten an, der wie ein Vater zu ihm war.  Schweigend nahmen, sie Abschied.

Dann rannte der Junge los, den Dolch an seine Brust gedrückt,  so wie er noch nie gerannt war. Nach kurzer Zeit brannte seine Lunge wie Feuer.

Ängstlich schaute er sich um, die Götter würden nicht nur einfach zusehen.

Er lief einen Hang herunter und stolperte fast, während er sich auf seinen Atem konzentrierte.

Er erblickte einige Dornenbüsche, als er das schrille Kreischen eines Vogels hörte. Ein Ruck ließ ihn stürzen. Ein Zweig der Büsche hatte sich um sein Bein geschlungen.

Mit dem Dolch schnitt er sich los und stand auf. Ein brennender Schmerz,   ließ ihn plötzlich laut aufheulen. Der Vogel hatte seine Krallen in seinen Nacken geschlagen und hackte auf ihn ein.

Er konnte ihn nicht abschütteln und torkelte weiter, während die Gebirgswände, unaufhaltlicht näher rückten. Gesteinsbrocken fielen ins Tal,  denen er immer wieder ausweichen musste.

Er wusste keinen Ausweg und stürzte sich, mit den Händen das Gesicht schützend in die Dornengebüsche.  

Tief drangen die  Dornen ins Fleisch und zerfetzten seine Kleidung. Er kämpfte sich nach hinten blickend aus den  Büschen. Der Vogel war von den Dornen aufgespießt worden.

Blutend rannte er weiter, ohne auf die  Dornen zu achten, die überall in seinem Körper steckten.

Er kam an einen Bach und überquerte ihn, als er einen großen schwarzen Wolf sah. Vor Angst stolperte er in den Bach zurück.

Zögernd blieb der gelbäugige Wolf, am Rand des Baches stehen.

Der Junge merkte, das der Wolf den Bach nicht überqueren konnte.

Für einen Augenblick spielte der Junge mit dem Gedanken, zu dem Alten zurückzulaufen. Doch dann fiel ihm seine Familie ein.

Aufstehend holte er tief Luft.

 Den Dolch schützend vor sich haltend, sprang er laut schreiend auf den Wolf zu. 

Der Junge stolperte über einen Stein und fiel. Der Wolf der ebenfalls gesprungen war, landete auf dem Dolch und starb.

Er nahm den Dolch und rannte weiter. Kaum ereichte er den Tempel  am Ende des Tals, als die Gebirgswände unter tosendem Lärm einstürzten. Der Weg war für alle Zeiten versperrt. Der Junge ging keuchend und in den Himmel blickend zur heiligen Schale. Der Himmel war schwarz und Blitze zuckten drohend über den Horizont. Er riss den Rest seines Hemdes herunter und beugte sich über die Schale, den Dolch auf sein Herz gerichtet. 

Er zitterte, er hatte Angst. Sein Tod und der Tod aller, oder nur sein Tod. Es musste jetzt, dazwischen entschieden werden.  Noch einmal, erinnerte er sich an seine Familie, dann durchbohrte er sein Herz. Sein Blut füllte die Schale und die Götter, nahmen das Opfer an, der Himmel über der Welt klärte sich. Niemand erinnerte sich später an den namenlosen Jungen und seiner schweren Entscheidung.  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.11.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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