Lisa Meißner

In guten wie in schlechten Zeiten

Sommer 2004

„Soll ich mich wirklich mit dem treffen?“, frage ich meine Freundin. Eigentlich habe ich gar keine Lust, aber er hat ja nun mal so nett gefragt. Ich denke eigentlich die ganze Zeit nur an einen Anderen, auch bei diesem Treffen. Deshalb höre ich ihm nicht sehr aufmerksam zu und er scheint es auch zu merken. Es entwickelt sich kein wirkliches Gespräch zwischen uns, immer diese „peinlichen Pausen“, wie er sagt. Furchtbar! Er erzählt mir von sich, aber ich habe schon wieder vergessen was es war. Zum Abschied schien er sich wohl eine Umarmung oder dergleichen zu wünschen. Sorry, damit kann ich nicht dienen. Es blieb bei einem kurzen Händedruck vor dem Laden meiner Mutter.
Am nächsten Tag sagte ich ihm, dass sich zwischen uns nicht mehr als eine eventuelle Freundschaft entwickeln könnte. Seit diesem Zeitpunkt herrschte bis Ende Oktober Funkstille. Kein freundliches „Hallo“ mehr, kein kurzer Gruß auf dem Schulhof. Am Anfang war es mir sogar recht, aber nach einer Weile fing diese ganze Situation schon ziemlich an, an mir zu nagen. Ich wünschte mir, dass er mich wieder grüßte, mir wieder „Hallo“ sagte. Warum war ich nur so hart zu ihm gewesen? Aber andererseits wollte ich ihn ja nicht unnötig belügen.
Sein Kumpel meinte dann, er solle mir noch eine Chance geben. Als er mich wieder grüßte war ich überglücklich, obwohl ich gar nicht wusste warum! Wahrscheinlich lag es daran, dass „der Andere“ für mich nun endgültig gestorben war und ich mich mehr auf ihn konzentrieren konnte. Er saß meist in meiner Nähe, wenn wir Politik-AG hatten und das machte mich in gewisser Weise glücklich, auch wenn ich es nicht beschreiben kann. Und so verging der Herbst und der Winter begann.


Winter 2004

Es ist der letzte Tag vor den Winterferien und du fragst mich, ob ich heute Nachmittag Zeit habe, mit dir einen Tee trinken zu gehen und mir fällt vor lauter Schreck nur ein: „Nein, ich muss meinen kleinen Bruder von der Schule abholen.“ Kaum hatte ich diesen Satz ausgesprochen, hätte ich mich am liebsten geohrfeigt für diese dämlich Bemerkung. Ich musste meinen Bruder schon seit einem halben Jahr nicht mehr aus der Schule abholen. Ich lasse ihn also mit seinen Hoffnungen und Wünschen alleine und gehe zum Unterricht. Oben angekommen, flehe ich sofort meine Freundin an, dass sie zu ihm runtergeht und ihm sagt, dass er nach der siebten Stunde auf mich warten soll. Hoffentlich ist er noch da! Ich kann mich in diesen zwei Stunden nicht einmal ansatzweise mit Latein beschäftigen. Ich denke nur an ihn und hoffe, dass er meine Nachricht erhalten hat.
Endlich ist der Unterricht vorbei und ich renne fast das Treppenhaus hinunter, um zu sehen, ob er gewartet hat. Da ist er! Sitzt auf der Bank, ein wenig in sich zusammengefallen, aber ganz hübsch mit seinem langen dunkelblonden Haar und dem ersten Bartflaum im Gesicht.
Wir gingen also einen Tee trinken, ins Cafe Möbius; wegen des hohen Altersdurchschnitts heimlich von uns „die Leichenhalle“ getauft. Unsere anfänglich zögerliche Unterhaltung steigerte sich langsam zu einem sehr interessanten Gespräch, in dem wir ziemlich viele Gemeinsamkeiten entdeckten. Als ich auf meine Uhr blickte, fuhr mir der Schreck in die Glieder. Es war schon fast 18:00 Uhr. Ich musste so schnell wie möglich zu meiner Mutter an den Laden, bevor sie zuschließen würde. Ein wenig enttäuscht schaust du mich an und fragst, ob ich nicht ein wenig später nach Hause fahren kann. Aber leider fährt nach 18:00 Uhr auch kein Bus mehr zu mir nach Hause. Also ziehen wir schnell unsere Mäntel an und bezahlen die Tees. Im Eilschritt laufen wir auf das Reisebüro meiner Mutter zu und ich hoffe, dass sie noch nicht weg ist. Dort angekommen, bleibe ich, ein wenig bestürzt, stehen; es ist bereits zugeschlossen. Doch innerlich freue ich mich darüber. So kann ich mehr Zeit mit dir verbringen, auch wenn ich im Augenblick nicht weiß, wie ich nach Hause kommen soll. Doch dann fällt mir ein, dass ich zu meinen Großeltern gehen und meinen Opa fragen könnte, ob er mich fährt. Gesagt – getan. Wir machen uns gemeinsam auf den Weg und wissen im Moment nicht, worüber wir uns unterhalten sollen. Also stimmst du eines meiner Lieblingslieder an: Morgenstern von Rammstein. Beide die Hände in den warmen Jackentaschen vergraben, laufen wir den Berg aus der Stadt heraus entlang. Ich merke, dass du meine Hand nehmen willst, aber ich vergrabe sie nur noch tiefer im Mantel, ohne wirklich zu wissen, warum. Als wir vor der Haustür stehen, fragst du, ob wir uns nach Weihnachten wieder treffen können und ich freue mich über dieses Angebot und stimme zu. Ich überlege noch wie ich mich am Besten von dir verabschieden könnte, da hauchst du mir schon einen zarten Kuss auf die Lippen. Ungläubig, aber überglücklich blicke ich dir in die Augen. Du sagst schnell „Tschüss“ und bist auch schon in der Unterführung nebenan verschwunden. Kurz bevor ich die Tür zumache, höre ich dich noch jauchzen und auch mein Herz hüpft ein Stück höher.
Dieses Jahr kann ich Weihnachten nicht wirklich genießen, da ich die ganze Zeit nur an dich und unser nächstes Treffen denken kann.
Und endlich, nach dem zweiten Feiertag, ist es so weit. Ich treffe mich am 28. Dezember mit meiner Freundin und sie meint, dass ich dich sofort anrufen und mich mit dir treffen soll, da sie es sonst machen würde. Also schnappe ich mir ihr Handy, da ich selbst keines besitze, und rufe dich an. Du bist absolut begeistert von der Idee und meinst, du hättest morgen Nachmittag Zeit.
Ich warte bereits vor der „Leichenhalle“, als du freudestrahlend auf mich zukommst. Diesmal läuft fast alles genauso ab: Wir bestellen uns jeder einen Tee, ich Pfefferminz, du Schwarz, und das Kribbeln im Bauch ist wieder da, wenn ich dich ansehe. Auch heute muss ich kurz vor 18:00 Uhr gehen und hoffe, dass ich meine Mutter diesmal noch erwische. Also machen wir uns auf den Weg und bleiben kurz vor dem Geschäft stehen. Du hältst mich fest und siehst mir in die Augen. In dem Moment kann ich deinem Blick nicht mehr widerstehen und küsse dich. Das war unser Augenblick und ist seitdem unser Tag: der 29. Dezember 2004.


Sommer 2005

Nachdem wir nun schon ein halbes Jahr zusammen sind, wollten wir uns endlich einen Urlaub leisten. Wir wussten erst nicht, wohin wir fahren sollten. Fest stand, das Ziel sollte in Deutschland liegen und mit dem Zug erreichbar sein, da keiner von uns beiden bisher den Führerschein hatte. Mit Hilfe meiner Mutter fanden wir eine kleine gemütliche Ferienwohnung in Senftenberg. Es war das erste Mal, dass wir länger als zwei Tage ununterbrochen zusammen waren. Diese vier Tage Urlaub haben mir gezeigt, dass es nicht immer einfach ist, einen gemeinsamen Weg zu finden, mit dem beide einverstanden sind.
Schon auf dem Weg zu unserem Urlaubsort gibt es die ersten Meinungsverschiedenheiten. Fünf Stunden gemeinsam in einem voll besetzten und überhitzten Zug zu sitzen, ist verdammt anstrengend. Wir kriegen uns wegen Kleinigkeiten in die Haare, vertragen uns aber zum Glück bald wieder. In der Ferienwohnung angekommen, wollen wir uns endlich entspannen und die gemeinsame Zeit genießen. Abends gehen wir noch an den See und schauen uns gemeinsam den Sonnenuntergang an. Am zweiten Tag in Senftenberg wollen wir uns die Gegend ein wenig ansehen und begeben uns mit unseren Fahrrädern auf eine kleine Rundfahrt um den See. Doch ehrlich gesagt war diese Tour schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt: Es ist einfach viel zu heiß! Bei 38° C im Schatten wäre es wohl besser gewesen, uns an den Strand zu legen, anstatt die Muskeln spielen zu lassen. Völlig erschöpft schwingen wir uns unter die Dusche und lassen den Abend mit einem „gemütlichen“ Horrorfilm ausklingen.
Als es am vierten Tag wieder nach Hause geht, bin ich zeimlich traurig, dass unsere gemeinsame Urlaubszeit schon wieder vorbei ist, auch wenn nicht alles immer entspannt zuging.


Winter 2005

Ich habe Angst um dich, Angst dich zu verlieren. Du liegst hier in diesem tristen Krankenhauszimmer. Alles ist weiß, selbst dein wunderschönes Gesicht. Ich frage mich, warum gerade dir so etwas passieren muss. Als du mich anriefst und mir sagtest, dass du am Morgen vom Arzt direkt ins Krankenhaus eingeliefert wurdest, konnte ich es zuerst nicht glauben. Ich dachte, das könnte nicht sein. Nicht du. Du warst bisher immer kerngesund. Was sollte das. Ein schlechter Scherz? Nein, so etwas würdest du mir nicht antun! Aber was war es, warum liegst du jetzt hier? Blut im Urin. Was hat das zu bedeuten? Ist es etwas wirklich schlimmes oder wollen sie dich vorerst nur beobachten? Sie machen Tests. Ich warte, habe Angst, sitze unruhig in der Schule. Warte auf die Mittagspause. Ich will weg hier, endlich zu dir. Dir beistehen, dich unterstützen. So wie du es für mich getan hast. Dann die Diagnose: Nierenentzündung. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ist das etwas ernstes, sehr schlimm? Ich habe keine Ahnung von Medizin, von Krankheiten im Allgemeinen. Ich habe einfach nur furchtbare Angst um dich. Vor allem weil ich nicht weiß, wie es weitergeht. Wo um alles in der Welt hast du dir eine Nierenentzündung geholt? Wie lange musst du hier bleiben? Ich male mir die schlimmsten Szenarien aus. Fürchte, dich nie wieder in meinen Armen halten zu können. Wir sind erst ein knappes Jahr ein Paar und jetzt sollte alles schon wieder vorbei sein. Nein! Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein! Der wichtigste Mensch in meinem Leben sollte so einfach verschwinden? Nein! Ich versuche, so oft wie möglich bei dir im Krankenhaus zu sein. Dich von deinen Schmerzen abzulenken, den Kummer ein wenig zu vertreiben. Diese zwei Wochen vergingen wie in Zeitlupe. Ich hoffte jeden Tag, dass sie dich entlassen würden. Doch was war die Ursache, warum geht es dir so schlecht? Ein Zahn, ein kleiner weißer Zahn. Einer deiner Weisheitszähne hatte sich entzündet und die Infektion war auf deine Nieren übergegangen. Ich fühle mich so hilflos, will dir helfen. Aber wie? Ich setze meine Ablenkungsstrategie weiter fort.
Ein Arzt kommt zur Tür herein. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht richtig deuten. Ein wenig bekümmert, abwesend. Was will er uns mitteilen? Noch eine Woche im Krankenhaus? Noch mehr Tests, die nichts helfen? Nein. Er teilt uns mit, dass sie dir deine Weisheitszähne ziehen müssen, um die Infektion zu stoppen und heilen zu können. Ich bin überglücklich! Endlich eine gute Nachricht. Wenn die Zähne gezogen sind und die Medikamente angeschlagen haben, kannst du endlich wieder nach Hause. Meine Hirngespinste und Sorgen lösen sich in Wohlgefallen auf und die Ketten um meine Brust scheinen zu zerspringen. Fast wie im Märchen vom Froschkönig.


Sommer 2006

Ich fühle mich ein bisschen unwohl. Ich weiß im Moment nicht, was auf mich zukommt. Es ist September und ein neues Schuljahr hat begonnen. Jetzt bin ich in der elften Klasse und muss mich mit dem „Kurssystem“ zurechtfinden. Einige der Schüler kenne ich schon aus meiner ehemaligen Klasse, doch mit anderen habe ich noch nie ein Wort gesprochen. Unsere neue Tutorin steht, etwas nervös, vor unserem Kurs. Sie ist mir schon auf den ersten Blick unsympathisch. Bisher habe ich nichts Gutes über sie gehört, wollte mich aber erstmal selbst überzeugen…Womit die Gerüchte wohl bestätigt wären. Eine große, dürre Person, die jeden Morgen um fünf Uhr aufsteht und erstmal joggen geht. Danach wird ein Energydrink nach dem anderen hinuntergespült. Sie ist schon fast fünfzig Jahre alt und benimmt sich manchmal als wäre sie erst zwanzig. Und diese Frau soll uns ein Vorbild sein? Wird wohl schwierig werden. Doch das wirklich Schlimme ist, dass ich sie nicht nur fünf Doppelstunden in der Woche in Geschichte ertragen muss, sondern sie auch noch bei uns Sport unterrichtet. Ich habe festgestellt, dass sie kein ehrlicher Mensch ist. Sie kann ihrem Gegenüber in einem Gespräch nicht in die Augen sehen…und die Augen sind ja bekanntlich das Tor zur Seele. Demnach scheint sie wohl einiges zu verbergen zu haben. Im Allgemeinen ist sie zwar sehr kompetent in ihrem Fach, kann jedoch nicht auf die Schüler eingehen. Ich hatte gehofft, dass meine neue Tutorin ein Mensch sein würde, dem man sich auch einmal anvertrauen kann, vor allem bei schulischen Problemen. Doch sie gehörte eher zu der Sorte Lehrer, die mir die Probleme erst bereiteten. Sie hatte mich von Anfang an auf dem Kieker, obwohl ich bis jetzt noch nicht herausgefunden habe, warum.
In diesem Sommer lief alles nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Erst wird diese grauenhafte Person unsere neue Tutorin und dann finde ich auch noch heraus, dass eine meiner besten Freundinnen mich jahrelang nur ausgenutzt hat. Manchmal ist man eben wirklich geblendet und erkennt erst durch jemand anderen, was wirklich dahinter steckt. Du hast mir geholfen, darüber hinweg zu kommen und mich auf andere, wichtigere Menschen in meinem Leben zu konzentrieren.





Winter 2006

Wir stehen mitten in einer großen, ehemaligen Reithalle in unserer Landeshauptstadt und warten gespannt auf dieses musikalische Feuerwerk aus BlackMetal, GothRock und Oper, das gleich über uns hereinbrechen wird. Wir sind beim Konzert von Cradle of Filth, einer der einzigartigsten VampyricMetal-Bands aus Suffolk, England.
Als ich mir, aus purem Zufall, ein Album von ihnen im Katalog bestellt hatte, war ich ein wenig skeptisch, ob ich wirklich dorthin zum Konzert wollte. Für meinen damaligen Geschmack erschien mir die Musik ein wenig zu hart, auch wenn ich die Texte nicht wirklich verstand. Ich hörte eher deutschen Rock bzw. IndustrialMetal und mittelalterliche Bands, wie Rammstein, Oomph! Oder In Extremo. Doch trotz allem gefielen mir der Rhythmus und die opernhaften Gesänge des Frontmanns. Und im Laufe der Zeit, als du mich in die „Materie des Metal eingeführt“ hattest, begeisterte ich mich immer mehr für diese ungewöhnliche Mischung.
Und jetzt stehe ich hier und kann mein Glück kaum fassen! Schon im Zug, auf dem Weg hierher, konnte ich kaum auf meinen Platz sitzen bleiben und zupfte immer wieder an meinem neuen Mieder. Dies war mein erstes großes (Metal)Konzert und ich wusste nicht wirklich, was auf mich zukommt. Endlich stehen sie auf der Bühne: Dani Filth und seine grandiose Band! Die gesamte Halle ist in Dunkelheit getaucht und es herrscht eine erwartetende Stille. Diese Anspannung, das Kribbeln wie beim ersten Kuss, das „Vorbeben“. Mit einem Mal entlädt sich die Spannung im Getöse der Musik, während Dani seinen ersten, markerschütternden Schrei loslässt und die Menge fängt an zu toben. Alles um mich herum bewegt sich, ich werde Teil der Massen und schwimme in einem Meer aus Menschen. Haare fliegen umher, Körper reiben aneinander und es baut sich eine unglaubliche Wärme auf. Keiner kann oder will sich diesem Spektakel entziehen. Im Rausch der Musik entwickelt sich eine einzige Schlacht, in der nur noch der hämmernde Rhythmus und die kreischenden Gittarensounds zählen. Ich könnte mich ewig weiter in diesem traumähnlichen Meer aus Körpern bewegen, ohne müde zu werden. Doch leider ist nach zwei Stunden stampfender Rhythmen und bestialischen Schreien das Ende gekommen. Die letzten leisen Töne verklingen und Cradle of Filth verlassen wortlos die Bühne.
Nach diesem ohrenbetäubenden und grandiosen Konzert verlassen wir, immernoch von der Magie der Musik eingelullt, die Halle und setzen uns nebenan in eine Bar, während wir auf „Taxi-Papa“ warten. Nachdem wir bestellt haben, glauben wir unseren Augen nicht zu trauen: Drei Mitglieder von Cradle of Filth kommen zur Tür hereinspaziert und setzen sich an die Bar. Da ich unbedingt ein Autogramm haben will, aber zu schüchtern bin, erbarmst du dich und bittest die Jungs um ein Autogramm für mich. Ich war absolut erstaunt von ihrem klaren englischen Oxford-Akzent, den man beim Lauschen der Musik nie erwartet hätte. Damit ist mein Abend perfekt und ich kann mich zu Hause bequem in mein Kissen kuscheln und noch einmal von diesem Konzert träumen.





Sommer 2007

Kurz nach meinem Abiball rufst du mich an und sagst: „Ich habe jetzt eine eigene Band. Wir haben in zwei Wochen unseren ersten Gig.“ Ich war erstmal total platt. Ich wusste, dass du dir schon lange gewünscht hattest, selbst in einer Metal-Band zu singen oder besser gesagt zu schreien, aber dass es so plötzlich kommen sollte, hätte ich nicht gedacht. Du hast dich also mit ein paar Jungs der örtlichen Musikschule zusammengetan, die du fast alle auch schon aus der Schule kanntest. Sie spielten schon etwas länger zusammen…etwa drei Monate, aber den dringend benötigten Sänger fanden sie erst in dir. „Chaos Theory“, ich glaube das sagt schon alles über euren Stil aus. Brachialer Melodic-Thrash-Metal mit einer kraftvollen Gesangsstimme. Ich war ziemlich gespannt auf euer erstes Konzert, da ich dich vorher noch nie wirklich schreien gehört hatte.
Endlich war es so weit. Der Schulhof unseres ehemaligen Gymnasiums hatte sich in eine kleine Konzertarena verwandelt. Das alljährliche LGD-Konzert stand vor der Tür und alle warteten gespannt auf die Bands. Zunächst wurden etwas sanftere Töne angeschlagen, doch als ihr endlich euren Auftritt hattet, waren alle Zuhörer gespannt. Bisher hatte noch niemand von euch gehört und keiner wusste, was ihn erwartete. Die Freunde des Metal waren deshalb umso mehr begeistert, als ihr gleich zu Beginn ein Cover von Slipknot gespielt habt. Damit hattet ihr die Menge in euren Bann gezogen und die ersten Herzen erobert.
Ich war absolut verblüfft, als du deinen ersten Schrei von dir gegeben hast. Meine Mutter stand neben mir und wollte nicht glauben, dass das wirklich du auf der Bühne bist. Mir lief ein kleiner Schauer über den Rücken, bei dem Gedanken welche Kraft und Ausdauer in deiner Stimme steckt.
Seitdem versuche ich bei jedem eurer Konzerte live dabei zu sein, um dieser einzigartigen Mischung aus dröhnenden Gitarrenriffs, stampfenden Rhythmen und deiner teils melodiösen, teils kreischenden Stimme lauschen zu können.


Winter 2007

In diesem Winter ist echt viel passiert!
Im Oktober begann endlich mein Germanistikstudium. Ich war schon ganz aufgeregt und wusste bis einen Tag vor Semesterbeginn nicht einmal, welche und wie viele Kurse ich wählen sollte. Nachdem ich endlich alles verstanden hatte, mussten wir als arme Erstsemesterstudenten fast drei Stunden vor einer geschlossenen Tür warten, um uns in eine kleine Liste eintragen zu können. Als diese erste Hürde genommen war, stürzte ich mich nun in das Getümmel, dass sich Studentenleben nennt. Am Anfang kannte ich absolut niemanden, aber das ging wohl fast jedem „Ersti“ so. Doch nach und nach fanden sich so einige nette Mitstudenten, die sich bald zu Freunden entwickelten. Und damit begann ein neues, spannendes Kapitel meines Lebens.
Begonnen hat das neue Jahr für mich, wie es aufgehört hat: Mit unwahrscheinlichen Schmerzen und Krämpfen. Wir hatten alles schön vorbereitet: Fondue und Raclette zum Essen, zwei unserer Freunde eingeladen und nachts wollten wir noch in die Dresdner Innenstadt. Aber dann kam ich dazwischen. Von einem Moment auf den anderen ging es mir fürchterlich schlecht…ich dachte, mir wäre etwas im Essen nicht bekommen, doch wir hatten alle das Gleiche gegessen. Erst Krämpfe, dann kam alles wieder raus. Erst oben, dann unten, dann überall. Ich wusste nicht mehr was ich tun sollte. Mich schüttelten Brechreiz und Weinkrämpfe gleichzeitig. Du saßest neben mir und versuchtest mich zu beruhigen, mir zu helfen, aber du konntest mir nicht helfen. Das musste ich wohl mit meinem Körper allein ausmachen. In dieser Nacht habe ich erfahren, was Schmerzen sind und ich will so etwas nie wieder erleben. Du warst immer an meiner Seite, hast mich getröstet und versucht mich zu beruhigen. Du hast in dieser Nacht sogar auf dem rauhen Teppich geschlafen, damit ich dein kleines Bett für mich hatte. Das Silvesterfeuerwerk habe ich im Halbschlaf vom Bett aus mitbekommen…obwohl mich das in diesem Moment wohl am wenigsten interessiert hat.
Dieser Neujahrsbeginn hat mir gezeigt, dass du immer zu mir stehst, in guten wie in schlechten Zeiten! Und damit wusste ich, dass ich auch die Zeit überstehen kann, in der wir getrennt voneinander leben müssen. Du in Dresden, ich in Leipzig.


Sommer 2008

Dein Anruf hat mich nachdenklich gemacht. Du hast mit deinem besten Freund über uns gesprochen. Ihr habt über gestern abend gesprochen. Warum geraten wir immer wieder in solche scheinbar ausweglosen Situationen? Warum missverstehen wir uns immer wieder? Du sagtest zu mir ich sei eine kleine Prinzessin und meintest es natürlich nur gut. Du meintest ich sei hübsch. Aber ich implizierte gleich wieder dieses fürchterliche Märchenklischee von einer blonden Schnepfe, die in rosa Kleidchen umherstolziert und jeden daher gelaufenen Prinzen anhimmelt. So bin ich nun mal nicht. Ich bin zwar blond aber nicht blöd und das weißt du auch. Wahrscheinlich steht mir mein Stolz manchmal im Weg. Ich sehe in jeder Aussage zuerst das Negative und kann mich nicht einmal über deine wunderbaren Worte freuen. Du sagtest zu mir, dass du mich liebst. Es ist immer wieder ein traumhaft schönes Gefühl diese Worte auszukosten. Aber als du es vorhin sagtest, klang es nicht wirklich, real, existent, echt. Es war einfach nur eine Floskel. Und wieder stieg dieses grausame Gefühl in mir hoch. Ein Gemisch aus Wut, Verzweiflung und Angst. Warum hast du es gesagt, wenn du es nicht ernst meintest? Warum hast du nicht einfach geschwiegen? Es war wie ein Stich ins Herz. Aber vielleicht wäre es mir genauso ergangen, wenn du es nicht gesagt hättest. Wahrscheinlich sogar noch schlimmer. Ich hätte mir wieder Vorwürfe gemacht. Hätte Angst gehabt, dich zu verlieren…Diese ständige, verfluchte Angst! Warum muss immer alles so kompliziert sein? Ist das Leben nicht schon schwer genung…ohne dass wir uns immer streiten müssen. Immer diese Missverständisse, immer diese Streitereien über die sinnlosesten Themen.
Ich war froh, dass du nochmal angerufen hast. Mir gesagt hast, dass du auch dieses Gefühl der Floskel hattest. Ich wollte dich schon anrufen, fragen was los ist. Dieses unbestimmte Gefühl stieg wieder in mir auf, diese Angst, die mir die Luft abschnürt, als säße jemand auf meinem Brustkorb. Ich glaubte, dass dieses Problem mit deinem Anruf gelöst wäre, aber ich dachte nur noch intensiver nach. Dachte an verschiedenste Situationen, in denen mir die Luft weg blieb und sich meine Brust zusammenschnürte.
Jetzt mache ich es schon wieder. Sehe wieder nur das Negative, obwohl es unglaublich viele wunderbare Erlebnisse mit dir gab und gibt. Dieser Rückhalt, den du mir gibst. Wie du mir immer zur Seite stehst. Ich danke dir dafür.

Liebe Leser,

ich möchte euch bitten, einfach eure Gedanken zu meiner Geschichte zu äußern, da ich bisher nur Feedback aus der Familie hatte und gern auch von anderen Lesern Kommentare dazu hätte.

Eure Lisa.
Lisa Meißner, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Lisa Meißner).
Der Beitrag wurde von Lisa Meißner auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Lisa Meißner als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Das Haus der Lügen von Yvonne Habenicht



Was ein Neuanfang werden sollte, gerät zum Desaster. Ein Schicksalsroman, der das Leben von Menschen meherer Generationen im engen Zusammenleben umfasst.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Lebensgeschichten & Schicksale" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Lisa Meißner

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Korpulente von Pit Staub (Lebensgeschichten & Schicksale)
Pilgertour IV. von Rüdiger Nazar (Abenteuer)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen