Lothar Krist

Kinderland oder Die Geschichte vom Drachen Leben

Gedankenstraßen hängen nach Vergangenheit. Ich träume, doch trüben dichte Nebelwände immer mehr und mehr den Weg. Doch wenn meine Blicke dann doch noch aus dem Düstern fallen, dann verzittern sie am Licht.



O Kinderland, bist mir so angebrannt, du hast mir deins gezeigt, ich zeigte dir dafür meins. Und wir nahmen jeder das des Andern in die Hand. Und irgendwann dann tranken wir vom Nektar, der so ganz anders schmeckte, als die Wasser, die wir kannten. Und so anders war auf ein Mal unsere Welt. Wir ertranken in Urzeiten.



Nie wieder habe ich eine Unschuld unschuldiger verloren. Nie wieder habe ich aus einer Blüte gieriger geschlürft. Ja, ich wusste, dies war unleugbar der Nektar, der Nektar Leben. Und nie wieder fühlte ein Bienchen sich so an, so unaussprechlich wohlig warm, wenn es mit seinem Zuckermäulchen kam, den Honigwein aus meiner Lilienblüte trank, während sie locker leicht auf meinem Näschen saß.



Ja, du zeigtest mir deins, und ich zeigte dir dafür meins. Wir blühten, wie das weiße Glöckchenfeld auf unserer Waldeslichtung damals im Sonnenmai, und wir dufteten auch so. Unsere erwachten Liebessinne flogen Streichelfeste, unsere Herzen klammerten, sie kannten keinerlei Berührungsängste, unsere Augen fanden nur ein Ziel.



Wir wussten kaum etwas von Pille und Kondom. Alles war so mehr als bloß egal. Egal, so irre geil egal, wie nie wieder etwas in meinem Leben. Egal, so egal und doch so irre und unheimlich wichtig. Das Blut zerpulste sich in seinen Bahnen, dein Herz schlug bis in meinen Hals und schnürte, schnürte, schnürte, ... bis ich vor Angst und Glücklichsein keine Luft mehr bekam.



Du trugst diese den Blumenkindern läppisch nachgemachte, bunte Jeans, die so tief auf deinem süßen Popo saß, so tief, dass ich gar nicht hin sehen konnte, ohne ihn zu spüren. Wir lagen da in diesem Glöckchenfeld auf unserer Waldeslichtung, und die Strahlen phosphorizierten sich in einem ölig glänzenden Farbenmeer zwischen den Bäumen. Alles war so still. Die Welt hielt ihren Atem an, während ich dir die Jeans runter schob bis zu den Knien.



Meine Finger fanden irgendwie dann gegen deine Hände doch den Weg unter dein Höschen und glitten sanft, doch unnachgiebig tiefer den glitschigen Spalt entlang zwischen deine fest aneinander gepressten Schenkeln. Irgendwann dann wurden auf ein Mal die Muskeln deiner Schenkeln ganz, ganz weich und ich fingerlte dich schon fast, so zart, so strahlend heilig in deiner unberührten Enge. Ich hauchte Kuss um Kuss, ich schnurrte wie im Vollmondschein ein Schwarzer Kater, ich sagte dir mein Gedicht ins Ohr, das ich in der Nacht zuvor für dich gedichtet habe. Viel mehr war dann wohl nicht, an diesem ersten Tag in unserem Glöckchenfeld im Mai. Doch es war so viel, wie niemals wieder.



Wir kamen dann die ganze Woche lang jeden Tag dort hin und an jedem Tag für uns die Sonne schien. Und irgendwann haben wir uns dann wohl geliebt. Wir wollten es dann gar nicht glauben, dass die Glöckchen auf ein Mal aufhörten zu blühen. Wir dachten, die Welt spielte uns einen bösen Streich, wir kannten sie ja noch nicht.



Wir haben dann das ganze Jahr auf unseren Sonnenmai gewartet, auf das Blühen unserer Glöckchen im Mai, und als er dann schneller kam, als wir uns das selber wünschten, war es wie beim ersten Mal und viel zu schnell vorbei.



Alles, ja Alles war soo egal. Unsere Scheiß-drauf-auf-Alles-Liebe blühte zwei Mal mit den duftenden Glöckchen im Sonnenmai, und die Glöckchen blühten und dufteten mit sich selbst um die Wette, wie noch nie zuvor, und so, wie sie dann auch nie wieder dufteten und blühten, so als hätten sie es wohl gewusst und nur für uns geduftet und geblüht.



Du bist dann im Herbst darauf dem Drachen Leben begegnet. Ich stand so hilflos daneben, ich hatte keine Wahl. Er hat zuerst, ohne lange herum zu reden, wie ein Mann im weißen Ärztekittel deinen Knochen Schulter aufgefressen, dann gleich deinen Arm, und dann ...



... und dann war ich ganz allein, so ganz, ganz allein mit diesem plötzlich so wild gewordenen Drachen Leben. Ab da war ich dann kein Gutmensch mehr. Ich habe nie wieder eine Geschichte zum Lachen geschrieben. Ich habe aufgehört mit dem schönen Träumen, ich habe erkannt, was Leben auch sein kann. Der Gutmensch will den Drachen Leben nur mit seinem Guten Auge sehen. Doch jeder gesunde Mensch hat zwei davon. Ein Mensch, der sein zweites und so anderes Auge leugnet, ... Was ist so ein Mensch? Ist er noch gesund?



Und so ist ein Gutmensch auf Dauer für die Welt nicht gut. Er ist für seine Welt genau so beschissen, wie der Bösmensch. Auf Dauer hält die Welt den Einen wie den Anderen nicht aus. So einfach ist das. Und so wird jeder Gutmensch eines Tages gezwungen sein, ein rechtes Arschloch zu sein, letztendlich wird so einer dann doch noch zum Bösmensch.



Und jetzt kommt wieder so eine Zeit. Jetzt rottet wieder ein Mal der alt und an seiner Welt so satt gewordene Gutmensch den jungen, an seiner Welt so unzufriedenen und verzweifelten Gutmenschen aus, oder umgekehrt, wir werden es ja in zwanzig Jahren sehen.



Dabei schreibt die Geschichte so überdeutlich klare Bilder. Es ist die unendliche Geschichte des Gutmenschen und seiner Kriege. Selbst die Kummerln im Osten und die Nazis im Deutschen Reich waren ein Mal die Gutmenschen ihrer Zeit, erst die Zeit hat ihre wahren Ichs erkannt.



Die Friedensgeneration mitsamt ihren gelehrigen Kindern, beides jetzt im tiefsten Sinn der Worte, werden noch besser darin sein, als jede Gutmenschengeneration jemals zuvor. Denn jetzt geht es erstmals in der Geschichte der Menschheit um die Ganze Welt. Und noch niemals zuvor konnte ein sich wandelnder Gutmensch in solch einem riesigen Reservoir der bösen Mittel wählen. Die Geschichten von den Kriegen der Guten gegen die Bösen waren da bis dato nur das Vorspiel, kein Quötchen mehr.



Ich habe heute manchmal so irre Sehnsucht nach Kinderland, und ich denke, nein ich weiß es, dieser armen Friedensgeneration mitsamt ihren noch so lieben Kindern, die ja inzwischen auch schon ihre eigenen und sogar noch lieberen Kinder haben, ergeht es heute ebenso.



Verdammt, es muss wohl so und nicht anders sein. Es ist der ewig lebende, manchmal so wild sein könnende, gierige Drache Leben. Und dieses Leben geht, wenn man zu gutgläubig und dumm ist, oder einfach nur Pech hat, einfach unaufhaltsam seinen Weg.



© Copyright by Lothar Krist (9.11.2002)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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