Rainer Jaeger

Die große Rauschgiftrazzia von Hintersbrück

„Robert“ rief Charly der Barkeeper und wies auf den Telefonhörer, den er in der Hand hielt: „Für dich!“
Ich stand auf und ging hin. Bernie war am Apparat. Seine Stimme kam gepresst und halb geflüstert durch den Hörer, aber das beunruhigte mich zunächst nicht weiter.
„Hör zu,“ krächzte er „ich kann nicht lange sprechen. Du musst sofort ‘rüber in meine Bude und den Dope rausholen. Die Bullen sind hinter mir her. Es ist alles in der Schuhschachtel unten im Schrank. Nimm die Pflanzen auch mit. Und - ...Robert, hörst du?“ „Ja,“ sagte ich, „was zum Teufel...?“
„Verlier’ jetzt keine Zeit,“ unterbrach er mich: „mach schnell, Mensch, um Gottes Willen, beeil dich!“
„Was ist...“ sagte ich, als es im Hörer klickte. „mit dem Schlüssel?“ wollte ich vollenden, aber er hatte schon aufgelegt. Ach du grundgütiger Heiland, dachte ich.„Ich komme gleich wieder“ sagte ich zu Charly.
Nun gehörte Bernie - ich kannte ihn schon seit seiner Schulzeit - nicht unbedingt zu jener seltenen Gruppe von Menschen, die man als ruhig und ausgeglichen bezeichnen würde, eher zum weit häufigeren Gegenteil derselben, aber da war doch etwas in seiner Stimme gewesen, das mich dazu brachte, mein Bier stehen zu lassen. Tatsächlich. Was zum Teufel sollte das bedeuten? Um diese Zeit - es war kurz nach ein Uhr Mittags - hatte er doch im Laden seines Vaters zu arbeiten, und wie konnte da die Polizei hinter ihm her sein? Das hier war Hintersbrück und nicht die Bronx. Aber egal, ich beschloss vorsichtshalber, seinen Anweisungen Folge zu leisten. Trotzdem ging ich erstmal zu meinem Wagen. Denn dort hatte ich einen Werkzeugkasten, und in dem Kasten einen Dietrich, als Notnagel für eventuelle Schlüsselverluste. Wenn er nun die Tür nur zuschnappen lassen und das obere Schloss nicht zugeschlossen hatte - wie er es zumeist machte, wenn er in Eile war (und wenn er arbeiten musste, hatte er es gewöhnlich eilig) - sollte es möglich sein, das andere, reichlich primitive Schloss mit einem breitgeklopften Drahthaken aufzukriegen.
Ich wollte den betagten VW-Bus gerade wieder verlassen, da fiel mir ein, dass ich ja auch die Pflanzen mitnehmen sollte. Und dazu brauchte ich das Auto. Ich begann leise vor mich hin zu fluchen, denn das hieß, dass ich meinen wunderschönen, hart erkämpften Parkplatz genau hier neben meiner Stammkneipe aufgeben und in der Nähe seines Hauses einen anderen zu suchen hatte. Und dieses Haus lag in einer Einbahnstraße, in der man um diese Tageszeit eher einen Zwanzigmarkschein als eine Parklücke finden konnte. Reine Glückssache, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Heute nicht unbedingt mein Tag war.
Ärgerlich startete ich den Motor. Es war nicht weit. Nichts in dieser kleinen Stadt war besonders weit weg. Ich sah mich schon in zweiter Reihe parkend, betend, dass kein LKW kommen möge, - denn es handelte sich hier keineswegs um eine unbelebte Nebenstraße - aber meinen Befürchtungen zum Trotz fand ich auf Anhieb eine Lücke beinahe direkt vor der Haustür. Ich war beeindruckt. So etwas geschah also tatsächlich auch hin und wieder in der Realität und nicht nur im Fernsehen.
Bernie’s Appartement lag im vierten Stock, eine kleine Einzimmerwohnung in einem billigen, leicht heruntergekommenen fünfgeschossigen Mietshaus im Zentrum. Ich fummelte eine Weile mit dem Haken im Schloss herum, ein mulmiges Gefühl - so am helllichten Tag in einem fremden Haus. Hinter jedem Türspion schien ein Auge zu lauern. Und schließlich war ich kein professioneller Einbrecher, ha, ich war noch nicht mal Amateur. Aber nach einigen schweißtreibenden Minuten griff der Haken, und die Tür öffnete sich, ohne dass mich jemand gesehen hatte. Ich seufzte erleichtert. Er hatte sie also doch nur einschnappen lassen. Guter Junge. Erst der Parkplatz und jetzt das. Ich war bereit, meine Meinung über diesen Tag zu ändern, tatsächlich.
Den Karton mit dem Haschisch fand ich auch gleich, und was ich darin sah, verschlug mir den Atem: Ein gutes halbes Kilo. Ach du liebes Lieschen. Wie konnte man so bescheuert sein, eine derartige Menge einfach in der Wohnung herumliegen zu lassen. Als Dealer war Bernie offensichtlich kein Naturtalent, um es mal ganz dezent auszudrücken. Kein Wunder, wenn er nervös war. Nun - der Pappkarton sollte weiter kein Problem darstellen; anders die Pflanzen: Zehn Stück mochten es sein, die sich an den beiden nach Süden blickenden Fenstern versammelt hatten, um sich die freundliche Frühsommersonne auf den grünen Pelz scheinen zu lassen. Besonders groß waren sie um diese Jahreszeit zwar Gott sei Dank noch nicht, aber in Erwartung künftiger Herrlichkeit hatte er sie schon in extra geräumige Töpfe umgepflanzt. Der Idiot. Die musste ich jetzt schleppen.
Tatsächlich durfte ich viermal laufen.
Zur Tarnung steckte ich die Töpfe in Plastiktüten, nachdem ich zuvor schon andere Plastiktüten (an welchen in der Bude zum Glück kein Mangel herrschte) über die etwa halbmeterhohen Hanfstauden gestülpt hatte. Mit der letzten Portion - einer einzelnen Tüte - ließ ich die Tür zufallen. Vorsichtig stieg ich die Treppe hinab. Und wer begegnete mir einen Stock tiefer?
Genau.
Bernie befand sich in Begleitung dreier unauffällig gekleideter Herren, neben denen er noch kleiner und schmächtiger aussah als er ohnehin schon war. Sie kamen gerade die Treppe herauf. Er sah etwas blass um die Nase aus, und selbstverständlich würdigte er mich keines Blickes. Sie quetschten sich auf der engen Stiege an mir vorbei und grüßten kurz, was ich automatisch erwiderte. Dann war ich draußen. Ich schmiss ich das verdammte Rauschgemüse in den Bus und machte, dass ich wegkam. Knapp vorbei ist auch daneben, klar, aber dieses war ein wenig arg knapp gewesen.
Zurück in der Kneipe - die erneute Parkplatzsuche hatte mich natürlich wieder eine halbe Stunde gekostet, bei einer Entfernung von zehn Minuten zu Fuß - schüttete ich mein schal gewordenes Bier auf einen Zug hinunter und bestellte ein neues. Ich hatte es nötig.
Es dauerte eine Weile, bis Bernie auftauchte, soll heißen: Es ging bereits auf den Abend zu, und auf meinem Bierdeckel befand sich längst eine entsprechende Reihe Striche. Ich ging davon aus, dass ich Heute nicht zu bezahlen brauchte. Und selbstverständlich war ich zwischendurch kurz in meinem Bus gewesen und hatte einen Kleinen durchgezogen. Zwar hatte ich mir den ganzen Nachmittag eine Ansprache nach der anderen zurechtgelegt, aber jetzt wollte mir keine einfallen. Tatsächlich. Also sagte ich erstmal gar nichts.
„Ich schätze, ich bin dir zu Dank verpflichtet.“ sagte Bernie.
Ich nickte. Das fand ich auch. Ich fand diese Umschreibung sogar stark untertrieben.
„Vielleicht erzählst du selten dämlicher Hund mir mal, was zum Teufel denn nun eigentlich los war?!“
Nicht, dass ich übermäßig sauer gewesen wäre, obschon jemand, der völlig unschuldig soeben mit anderthalb Beinen im tiefsten Knast gestanden hat, zweifellos dazu berechtigt gewesen wäre. Tja, Freundschaft ist eben Freundschaft. Hat alles seinen Preis, dachte ich. Und andererseits hat es für einen passionierten Doperaucher wie mich nicht nur Nachteile, mit einem Dealer befreundet zu sein.
„Also, das war so..:“ fing er an. Was dabei herauskam, war in groben Zügen, dass irgendjemand ihn verpfiffen haben musste. Jedenfalls waren die Bullen plötzlich im Laden erschienen und hatten ihm einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung unter die Nase gehalten. Das Glück jedoch hatte es gewollt, dass sein Vater gerade abwesend war und er somit allein hinter der Theke stand. Und niemand konnte billigerweise verlangen, dass er den Laden, der ihm ja nicht gehörte, einfach zu schloss. Das hatte diesen biederen Provinzbullen natürlich eingeleuchtet. Dass es sich bei den hier anwesenden Exemplaren nicht gerade um jene Sorte Ausgebuffter Profis handelte, wie man sie aus dem Kino kennt, ergab sich schon allein aus der Tatsache, dass sie brav zur Mittagszeit im Laden erschienen waren und nicht etwa um fünf Uhr Morgens seine Tür eingetreten hatten. Kleinstadt eben. In der Bronx wäre die Sache anders abgelaufen, das steht fest.
„Und dann habe ich ihnen gesagt, dass ich erst meinen Vater anrufen muss, damit er den Laden übernimmt. Dann bin ich ins Nebenzimmer, wo das Telefon steht - und stell’ dir vor: Die sind tatsächlich draußen geblieben. Da hab’ ich natürlich zuallererst versucht, dich zu erreichen. Hat ja auch geklappt, Gott sei Dank. Dann hatte ich es verständlicherweise gar nicht mehr eilig, und so hab ich sie hingehalten.“
An dieser Stelle erschien ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht.
Aber leider kam der Herr Papa, der nur um die Ecke beim Essen gewesen war, beizeiten zurück, und jetzt musste Bernie mit, ob er wollte oder nicht. Die Bullen hatten es aber ruhig angehen lassen, wie Leute, die sich ihrer Sache ganz sicher sind.
„Na ja, den Rest weißt du ja selbst. Mann, als ich dich auf der Treppe gesehen habe, habe ich mir fast in die Hosen geschissen. Aber als wir dann in der Wohnung waren..: Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich war!“
Hier irrte er: Ich konnte es mir durchaus vorstellen, oh ja.
„Aber weißt du, was uns wirklich gerettet hat? Die sind tatsächlich eine Viertelstunde um den Block gekurvt, bis sie einen Parkplatz gefunden haben.“
Ich nickte. Dem war nichts hinzuzufügen.
„Und was hast du jetzt mit dem Zeug vor?“ fragte ich
„Also, ich denke, dass wir den Dope erst mal im Wald vergraben. Und die Pflanzen setzen wir irgendwo aus.“
Damit war ich einverstanden. Bis auf eine Kleinigkeit:
„Nicht wir, Bernie, nicht wir, -: Du. Und zwar jetzt gleich. Hier sind die Schlüssel. Und wegen der Pflanzen, - da weiß ich einen guten Platz in den Bergen. Das machen wir Morgen. Schieb’ ab.“
Er zeigte keinen allzu großen Enthusiasmus, aber offensichtlich war er im Moment nicht in einer Verfassung, die Widerstand zuließ. Schließlich kam er gerade vom ersten hochnotpeinlichen Kreuzverhör seines Lebens. Er nahm die Schlüssel und ging.
„Sieh’ zu, dass du beim Zurückkommen einen Parkplatz in der Nähe findest, ich habe heute keine Lust mehr zum Laufen!“ rief ich ihm nach. Das war nun überflüssig, denn an diesem Abend würde ich ohnehin zu Fuß nachhause gehen. Leicht schlingernd. Oder ein Taxi nehmen. Aber eine Art grimmiger Übermut erfüllte mich. Und eins stand fest: In nächster Zukunft würde ich genug zu rauchen haben...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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