Bernhard Schenk

Carpe Diem

 

Bernhard Schenk

 

 

Carpe diem!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright 2001 by Bernhard Schenk

 

 

1

 

Die Männer, die auf ihn schossen, kannte er nicht. Die erste Kugel streifte ihn nur, die weiteren trafen ihr Ziel jedoch präziser. Die Kugeln erzeugten beim Eindringen in den Körper ein dumpfes Geräusch. Eine streifte seinen Kopf, weitere Kugeln landeten in seinem Rücken, als er zu Boden viel. Man konnte Knochen splittern hören. Eine rote Flüssigkeit färbte den Asphalt und Innereien quollen aus seinem Oberkörper. Es roch nach Blut und Fäkalien. Er wußte nicht mehr genau wann er das Bewußtsein verlor.

 

                                                   2

 

Joseph Reck war jüdischer Abstammung. Er war ein Mann von kleiner, kompakter Statur, doch als dick konnte man ihn nicht bezeichnen. Er wohnte in einem kleinen Apartment in der Bronx; eigentlich war es eine Wohngemeinschaft wenn man die Kakerlaken mitzählte. An jenem Morgen ging er wie so oft seine Tour. Die einundvierzigste Straße runter, dann zu den Apartments im Palomino Building und weiter ins Bake´o Rama wo er seine morgendliche Frühstückspause verbrachte. Er ging täglich die selbe Route.

„Meine Berufsbezeichnung läßt sich wohl am ehestens als Logistiker bezeichnen, so wie die Jungs von FedEx und UPS“, dachte er  immer. Doch wurde er viel zu oft als Todesbote beschimpft, was es ihm so viel schwerer machte diese Illusion aufrecht zu halten. Er war nicht unbedingt beliebt in seinem Viertel. Im Bake´o Rama nahm er jeden Morgen einen Kaffee sowie Reste vom Vortag zu sich. Er war da nicht sehr wählerisch. „Es macht satt und das ist die Hauptsache“, pflegte er immer zu sagen. Den Kaffee nahm er brühwarm zu sich, wobei man wegen des hohen Zuckergehalts nicht mehr unbedingt von einer Flüssigkeit sprechen konnte.

An jenem Morgen war der Zweck seines Besuches in diesem Lokal nicht nur der der Sättigung. Nein, er war auch, wie jeden Mittwoch morgen, hier mit einem Freund verabredet. Freund konnte man nicht unbedingt sagen, oder würden Sie jemanden einen Freund nennen, der im Viertel unter dem Spitznamen „Der Nazi“ bekannt ist?

Pünktlich um zehn Uhr fünfundvierzig traf er ein, so wie jeden Mittwoch. Seine schweren Springerstiefel waren nicht zu überhören. Seine Anwesenheit in diesem Lokal erzeugte eine gespenstische Stille. Sie wechselten wie jedesmal ein paar Sätze, er übergab Joseph die Ware und Joseph gab ihm Geld, so wie sie es jeden Mittwoch zu tun pflegten.

Daraufhin bezahlte Joseph die Bedienung – Trinkgeld gab er keines – und setzte seine Tour fort. „Diese verdammten Nigger“, dachte Joseph als er an einer Bushaltestelle vorbei ging, an der sich mehrere afroamerikanische Mitbürger aufhielten. „Scheiß Nigger, machen mir mein Geschäft kaputt! Wird langsam Zeit, daß der Abschaum von der Straße gespült wird“, zischte er leise, so daß es außer ihm keiner wahrnahm. Das letzte Mal, als er seine Meinungsäußerung zu laut kund getan hatte, verbrachte er sieben Wochen in einem der städtischen Krankenhäuser, was ihm eine Stange Geld kostete, ganz abgesehen von seinem Verdienstausfall. Es war nämlich schon öfters vorgekommen, daß er wegen seiner großen Klappe zusammengeschlagen wurde. Außerdem lag es in der Natur seines Jobs gefährlich zu leben. „Was soll‘s, die FedEx Jungs leben auch nicht ungefährlich, außerdem verdiene ich weitaus besser“, dachte er.

 

                                                   3

 

„Codewort! Wie lautet das beschissene Codewort?“, fauchte eine Stimme hinter der Stahltür. „Carpe Diem“, flüsterte Joseph. „Bitte was?“, erwiderte die Stimme forsch. „Carpe Diem“, schrie er. Die Tür öffnete sich und eine Hand zog Joseph unsanft ins Innere des Raumes. „Du bist ja ein selten dämlicher Wichser! Gut das jetzt alle im Haus wissen, wie unser Lösungswort lautet. Hier hast Du mein Handy, vielleicht willst Du ja auch noch der Polizei unser Lösungswort mitteilen,“ schrie er. Die Person die Joseph so herzlich begrüßte war Loco, ein Kleinkrimineller, der es nicht erwarten konnte seine tägliche Ration zu bekommen. Außerdem stand er auf der Fahndungsliste der Polizei, was auch die fünfzehn Zentimeter dicke Stahltüre erklärte. „Durch diese Tür kommt nicht mal Saddam Hussein mit hundert Scut-Raketen im Arsch“, sagte er immer. Und falls doch, hatte er ein ausgeklügeltes System der Polizei zu entwischen, wie er es schon des öfteren getan hatte. Joseph war auch kein unbeschriebenes Blatt. Er hatte mehrere Vorstrafen, doch wußte er immer, sich irgendwie vorm Knast zu drücken. Irgendwie fand Joseph Loco ganz okay. Er war ein wenig paranoid, aber dies konnte man ihm ja nicht übel nehmen. Als Freund würde er auch ihn nicht bezeichnen. Er war eher einer seiner vielen Handelspartner. Freunde im eigentlichen Sinne hatte Joseph nicht.

 

                                                  4

 

Die Sonne brannte auf seinem Kopf, als er sich zu seinem Apartment begab. Dort wollte er erst einmal bis zum Abend verweilen. Heute war nämlich ein besonderer Tag. Heute war Zahltag. Einmal im Monat bekam Joseph Geld für seine treuen ergebenen Dienste. Und dieser Mittwoch war einer dieser erfreulichen Tage. Wenn er so weiter machen würde, könnte er sich bald den Traum seines kleinen Häuschens in Florida erfüllen und sich zu Ruhe setzen. „Achttausend Dollar Monatsgehalt, dafür müssen die Jungs von FedEx doch ein bisschen länger schuften als ich“, dachte er und ein leichtes Grinsen entsprang seinem Gesicht. Diesen Mittag gab es Beeferino, eine Art Rindsgulasch aus der Dose. Den Rest des Tages verbrachte er mit Rülpsen und Furzen.

 

Am Abend würde ihn ein Taxi abholen, so wie jeden Zahltagmittwoch und ihn zu seinem Boss Franco Di Pihul bringen. Franco wußte, wie er seine Angestellten zu behandeln hatte. Er war ein guter Boss.

 

 

                                                             5

 

Joseph Reck war weder Macho noch Draufgänger. Er war ein Kleinkrimineller, das unterste Glied der Kette, aber mindestens genauso wichtig wie die Drahtzieher. Er war ein typischer Null-acht-fünfzehn Mr. Smith der Szene. All das, was er war und was ihn ausmachte, hatte er seinem Boss Franco zu verdanken. Ohne Franco wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen bis er tot aus dem Hudson gefischt würde. Der Respekt, der Joseph entgegen gebracht wurde, beruhte wohl eher auf der Tatsache für wen er arbeitete und nicht auf seiner Persönlichkeit. Das wußte er nur zu gut, und er wußte, daß er loyal sein mußte. Er stand in Francos Schuld. Franco sagte ihm immer, was zu tun sei, und Joseph führte es aus. Doch dieses Mal war die Aufgabe, die Franco ihm stellte, von einer neuen Qualität, die nicht mehr viel mit der eines Logistikers gemeinsam hatte.

 

Das Zimmer war verqualmt und stickig. Franco saß hinter einem imposanten Schreibtisch und warf Joseph ein Bündel Grünes zu. „Hier ist dein Lohn, ich habe eine Runde Summe gemacht. Ich denke mit zehntausend Dollar bist du gut bedient“, sagte Franco. Joseph schluckte und man konnte ein Glänzen in seinen Augen erkennen. „Wie lange kennen wir uns schon“, fragte ihn Franco, „Zehn, fünzehn Jahre?“

„Ich glaube es sind sogar schon achtzehn“, erwiderte Joseph.

„Achtzehn wunderbare Jahre, und alles hat mit einem Friseursalon angefangen“, erwiderte Franco mit einer sehr melancholischen Stimme.

In diesen achtzehn Jahren hatte sich Franco ein ganzes Imperium aufgebaut; ehrlich gesagt war der Friseursalon eher nur eine Tarnung zur Geldwäsche. Joseph war maßgeblich von Anfang an seinem Erfolg beteiligt, nur daß er bei weitem nicht so viel davon profitierte. Einen Großteil seiner Profite hatte er wegen seiner eigenen Drogensucht vor drei Jahren verloren, und es war Franco, der ihn da rausgeholt und ihm eine neue Chance gegeben hatte. Ja, Joseph hatte Franco einiges zu verdanken, was es ihm unmöglich machte die Bitte seines Chefs zu ignorieren.

 

 

                                                6

 

„Die 44er ist die perfekte Waffe um dreckigen Niggern das Hirn an die Wand zu pusten“, dachte er. Die nächste Woche verbrachte er mit der Planung seines Vorhabens. Er würde gegen drei Uhr morgens in das Gebäude stürmen, die Wachhunde (so bezeichnet er die Wachposten) ausschalten, die Treppen hoch ins Schlafzimmer, und schon wäre er wieder weg. „Der Plan war perfekt. Ein perfekter Plan. Ich bin perfekt, mein Plan ist perfekt, meine Waffe ist perfekt. Was soll da noch schief gehen?“, dachte er. Dann würde er sein Geld abholen und schon am nächsten Wochenende die Florida Post nach Immobilienanzeigen durchstöbern. Endlich würde er seine Ruhe haben, nach der er sich so sehr sehnte. Endlich raus aus der stinkenden Stadt und endlich sein Leben genießen. Er war froh und blickte verheißungsvoll in die Zukunft.

„Ein verdammter Florida-Penner willst Du also werden“, sagte Jackie P.

Jackie war eine alte gute Bekannte, und er wollte Sie noch einmal vor seinem letzten Botengang und seiner Reise nach Florida sehen. Von seiner Mission erzählte er ihr natürlich nichts, da er sie nicht beunruhigen wollte.

„Ein Pennerleben“, sagte sie erneut.

„Falls Du die Stadt irgendwann mal verlassen willst – für dich werde ich immer ein Zimmer frei haben.“, sagte er.

„Was willst Du denn den ganzen Tag dann machen?“, fragte sie.

„Entspannen und Leben“, erwiderte er.

„Also das, was ein Penner macht“, sagte sie mit einem fragenden Unterton.

„Das was ich schon lange verdient habe“, sagte Joseph.

„Ein Florida-Penner“, erwiderte sie leise, und sie küßten sich und hatten Sex.

 

 

                                                7

 

„Wo war der Haken, wo ist der verdammte Haken an der Sache“, fragte sich Joseph. Zuvor war er problemlos ins Rooths Apartement Building eingedrungen und hatte sich lautlos in das Schlafzimmer seines Opfers geschlichen. Er wurde von niemandem bemerkt. Seine Opfer konnten ihrem Peiniger nicht mal ins Gesicht sehen, da er sie im Schlaf niederstreckte. Nun war er unterwegs Richtung Brooklyn Bridge, wo er seine Waffe im Hudson entsorgen wollte. „Ein geniales Verbrechen“, dachte er. „Die von FedEx hätten das niemals gebracht, geschweigedenn die von UPS“, dachte er und eine flaues Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. Schließlich war dies das erste Mal, daß er Leben auslöschte. Er war ja eigentlich nur ein Bote, der den Tot auf Raten lieferte. Diesmal war der Tot direkt und unmittelbar einr Konsequenz seines Handelns. Diesmal war seine Bezeichnung als Todesbote gerechtfertig.

Joseph hatte das Gefühl ganz New York City würde ihn beobachten. Mehrere Polizeistreifen huschten an ihm vorbei. Es waren nun noch wenige hundert Meter bis zur Brücke. Angst machte sich bei ihm breit. Mehrere Fahrzeuge, es waren schwarze Limousinen, näherten sich Joseph von hinten und blieben mit quietschenden Reifen neben Joseph stehen. Ob und wie viele Personen ausstiegen konnte er nicht mehr sehen, da er das starke Bedürfnis verspürte zu rennen. Er rannte was das Zeug hielt. Er rannte so wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Er rannte bis zum nächsten Block wo eine weitere Limousine fünfzig Meter vor ihm stehen blieb. Finstere Gestalten entstiegen dem Wagen und stellten sich Joseph in den Weg.

                                                            

 

                                                                 8

 

Die Männer, die auf ihn schossen kannte er nicht. Die erste Kugel streifte ihn nur, die weiteren trafen ihr Ziel jedoch präziser. Die Kugeln erzeugten beim Eindringen in den Körper ein dumpfes Geräusch. Eine streifte seinen Kopf, weitere Kugeln landeten in seinem Rücken als er zu Boden viel. Man konnte Knochen splittern hören. Eine rote Flüssigkeit färbte den Asphalt und Innereien quollen aus seinem Oberkörper. Es roch nach Blut und Fäkalien. Er wußte nicht mehr genau, wann er das Bewußtsein verlor. Nur eines wußte er mit Sicherheit – dies war bestimmt sein letzter Botengang.

 

Am nächsten Morgen wurde Joseph Reck tot aus dem Hudson gefischt.

 

 

 

                                                          

 

 

 

 

 

 

27.07.2001 22.00Uhr – 28.07.2001 2.00Uhr

 

Ich würde mich über Lob, Kritik, Anregungen usw. zu dieser Geschichte sehr freuen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.08.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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