CHRISTOPHERS
Erinnerungen
Sie stand in Gedanken versunken vor der Tanzfläche. Sie war sehr hübsch, und sie sah interessant genug aus, um gewisse Erwartungen in ihm zu wecken. Obwohl er es fast schon aufgegeben hatte, überhaupt Erwartungen zu erwarten.
Er hatte es auch lange schon aufgegeben, nur nach Schönheit zu gehen, denn die schönen Weiber entpuppten sich fast immer als total langweilig. Also verlegte er sich auf die interessant Aussehenden, aber die waren genauso unergiebig, denn sie hatten meistens eine oder mehrere Macken, oder schlimmer noch, sie verliebten sich sofort in ihn. Und irgendwann hatte er resigniert. Es war immer das gleiche: Ein mehr oder weniger guter Fick, danach versuchte er, sich mit seinen Gespielinnen zu unterhalten, aber es war immer frustrierend, immer nicht das, was er erwartete, obwohl er eigentlich gar nicht wusste, was er erwartete. Bis er dann die Flucht ergriff.
Aber sie war tatsächlich interessant. Er fühlte sich wohl mit ihr, er konnte sich gut mit ihr unterhalten, sie gab den banalsten Sachen einen neuen Sinn, und sie tat es mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn erstaunte.
Er gierte förmlich danach, sie im Bett zu erleben. Und danach würde man sehen...
All das zerschlug sich, als sie vor ihrer Wohnung ankamen, denn auf ihrem Türschild standen ganz deutlich zwei Namen, ein männlicher und ein weiblicher. Und Chris war geschockt. Er fühlte sich getäuscht. Aber warum? Er wollte doch keine Jungfrau, aber er hatte sich bei ihr etwas anderes vorgestellt. Sie verkörperte eine gewisse Unschuld, sie verhielt sich wie ein unerfahrenes Kind bei ihren Liebkosungen, die so süß und intensiv waren. Aber das konnte gespielt sein, sie lebte womöglich immer noch mit einem Mann zusammen, und das wurmte ihn ganz fürchterlich. Und das, obwohl er normalerweise Frauen bevorzugte, die schon einen Partner hatten, denn diese Frauen würden ihm nicht so schnell auf die Pelle rücken.
Von da an wollte er nichts anderes, als sie ins Bett zu kriegen, und er wurde beleidigend und fordernd. Sie ließ es sich nicht gefallen, sondern tat ihm ein paar ziemlich unverschämte Sprüche hinein, aber davon ließ er sich natürlich nicht beirren. Sie gehörte ihm, er würde sie kriegen, und danach würde er sie fallen lassen.
Doch Tatsache war: Sie warf ihn hinaus. Sie warf IHN tatsächlich hinaus! Unfassbar! Es war das erste Mal, dass er von einer Frau hinausgeworfen wurde, und das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.
Aber wie sollte er unauffällig an sie herankommen? Sie hatte ihm erzählt, dass sie Stammgast in einem gewissen E-body war. Der Name kam ihm bekannt vor, und dann fiel ihm ein, dass ein Kumpel von ihm, ein Kerl namens Siggy auch Stammgast im E-body war. Dieser Siggy kannte sie tatsächlich, wenn auch nur flüchtig, und er wusste zu berichten, dass sie wahrscheinlich zu der Party kommen würde, die der Wirt des E-body alljährlich gab.
Sie war tatsächlich dort, und sie verhielt sich, als wäre sie über seine Anwesenheit etwas verwirrt. Sie hatte ihn also nicht vergessen. Wie auch... Chris kannte seine Wirkung auf Frauen nur allzu gut, und obwohl er eigentlich sehr maßvoll in Bezug auf Eroberungen war, wollte er diesmal diese Wirkung gnadenlos ausnutzen. Er würde mit ihr schlafen und nebenbei alles widerlegen, was sie vor Wochen behauptet hatte. Dass sie frigide war – und vor allem, dass jeder Mann, der mit ihr schlief, sich in sie verliebte. Das war absolut lächerlich!
Aber trotz seines bevorstehenden Triumphes blieb er vorsichtig und checkte erst einmal ab, ob da irgendein Mann war, mit dem sie was hatte. Ralf, der typische gute Freund, spielte keine Rolle, natürlich war er in sie verknallt, aber sie schien es gar nicht zu wissen. Und mit dem massigen Typ, der ihr seine Liebe erklärte, hatte sie wohl auch nichts im Sinn. Das war gut, sehr gut... Alles lief bestens.
Dummerweise hatte Siggy die rothaarige Kuh mitgebracht, die ihm schon seit Wochen nachlief. Die war so scharf auf ihn, dass sie sich tatsächlich mit Siggy eingelassen hatte, nur um ihm, Chris, näher zu sein. Abartig! Und sie hatte sich mit dieser Olivia zusammengetan, deren unschuldige Anmache ja ganz nett war, aber darauf fielen doch nur Idioten herein. Leider Siggy hatte wohl ausgeplappert, weswegen er hier war – nämlich wegen IHR – und die beiden Weiber hassten sie daraufhin und versuchten sie zu beleidigen, wo immer sie konnten. Sie tat ihm fast leid, aber er war nicht hier, um Mitleid mit ihr zu haben.
Diese Nacht war überaus spannend, sie glich einem Spiel, in dem keiner der Spieler einen Fehler machen sollte. Und er fühlte sich zwar im Vorteil, aber das Spiel war trotzdem spannend.
Und irgendwie fühlte er sich auch lebendig, verdammt lebendig, wie eigentlich noch nie zuvor.
~~~~~~~~~~~
IBIZA
Chris stand am Strand und sah dem Sonnenuntergang zu. Es war wie immer ein überwältigender Anblick, aber er konnte ihn nicht so richtig genießen, weil ihm einiges durch den Kopf ging.
Er befand sich jetzt schon sieben Tage auf Ibiza, aber irgendwie war er gar nicht richtig dort. Alles mögliche spukte durch seinen Kopf und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er versuchte, die lästigen Gedanken zu verdrängen, aber es war zwecklos.
Während dieser sieben Tage hatte er die Insel zu Fuß erforscht, oder war mit dem Bus durch die Gegend gefahren. Er verspürte keinerlei Lust, den ganzen Tag am Strand zu liegen und sich wie die anderen Urlauber bräunen zu lassen. Außer am frühen Morgen und am Abend hatte er das Meer nur von weitem gesehen. Morgens schwamm er weit hinaus, von einer Bucht aus, in der zu dieser Zeit kaum Leute waren. Und abends betrachtete er fasziniert den Sonnenuntergang, denn es war immer wieder überwältigend, wie die blutrote Scheibe der Sonne scheinbar im Meer versank. Er trieb sich oft im Hafen von San Antonio herum, denn Schiffe hatten ihn immer schon fasziniert, und ab und zu unternahm er einen Ausflug in einem der Glasbodenboote, um sich als studierter Biologe die Unterwasserwelt der Küste genauer an zuschauen.
Aber trotz all dieser Unternehmungen war er nicht richtig dort.
Irma geisterte durch seinen Kopf. Er musste immer noch an die Nacht denken, als er sie... Oh Gott, er hatte sie nicht einmal gefragt, ob sie es wollte, sondern es einfach getan. Gut, sie hatte sich nicht gewehrt, und ihre Reaktion war heftig gewesen. Sie musste es gewollt haben, aber trotzdem plagte ihn sein schlechtes Gewissen.
Seltsam, eigentlich sollte die Sache für ihn erledigt sein, denn er hatte sie ins Bett gekriegt. Aber trotzdem wurde er ihr Bild nicht los, er sah sie immer noch, aufgelöst und hilflos in ihrer Lust. Und auch mit seiner eigenen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht! Und dabei hatte er an diesem Abend einiges getrunken.
Er schüttelte unwillig den Kopf und dachte zornig: Bleib’ mir ja aus meinen Gedanken, du unverschämtes Weib!
Er stand
immer noch am Strand, als die Sonne schon lange nicht mehr zu sehen war und das
Meer sich schillernd grau färbte.
Er
raffte sich zusammen, ging in ein Strandcafe und bestellte eine Karaffe
Rotwein. Er überlegte, ob er etwas essen sollte, es gab hier hervorragenden
Fisch, aber er hatte ja schon im Hotel gegessen, und er sollte ein bisschen auf
seine Figur achten. Obwohl Irma ja stattliche Männer mochte...
Himmelherrgottsakra,
schon wieder Irma! Er wurde sie einfach nicht los, und er musste an die
Unterhaltung denken, die sie am Morgen danach geführt hatten. Sie hatten sich
umlauert wie Katzen, die sich an die Wäsche wollten, und Irma schien im Vorteil
zu sein. Aber dann hatte er sie hereingelegt. Und es ging ihm runter wie Öl
oder besser gesagt wie Gleitcreme, als sie die Bettdecke hochhob, um zu sehen,
ob er wirklich so dick war, wie er behauptet hatte. Anscheinend gefiel ihr, was
sie sah, und natürlich war sie scharf auf ihn. Er grinste befriedigt vor sich
hin.
Aber
wieso musste er dauernd daran denken, das war doch nicht normal! Er schüttelte
unwillig den Kopf.
Und
plötzlich spürte er, dass ihn jemand anstarrte. Er schaute unauffällig zur
Seite und sah, dass es zwei junge Frauen waren. Sie saßen am Nebentisch und
kicherten. Wahrscheinlich lachten sie sich über ihn kaputt, über sein
Kopfschütteln und über sein dämliches Grinsen. Er benahm sich ja, als würde er
idiotische Selbstgespräche führen. Tatsache war, sie hatten Recht, er führte
wirklich idiotische Selbstgespräche...
Er
schaute intensiver hin. Sie sahen nicht schlecht aus, und sie verkörperten
pikanterweise recht unterschiedliche Schönheitsideale. Sie kamen ihm vage
bekannt vor, und dann fiel ihm ein, dass er sie im Hotel schon gesehen hatte.
Sie
lächelten ihn an, und er lächelte zurück. Bis jetzt hatte er sich nicht groß um
die anderen Urlauber gekümmert, er wollte einfach nur allein sein. Er wusste
nicht warum, aber er konnte sich zur Zeit nicht auf andere Menschen
konzentrieren. Und das nur, weil ihm diese Irma im Kopf herumspukte.
Aber
damit war jetzt Schluss! Endgültig! Die Mädels machten nämlich einen
vielversprechenden Eindruck. Vielleicht mal einen flotten Dreier versuchen? Sie
sahen zwar nicht interessant aus – das war ihm im Moment sowieso egal – aber
sie waren wirklich hübsch, die beiden. Die eine blond und vollbusig und die
andere schlank und dunkelhaarig und nicht ganz so vollbusig wie ihre blonde
Freundin. Irgendwie hatte die Dunkelhaarige ein bisschen Ähnlichkeit mit Irma.
Oh nein,
NICHT SCHON WIEDER! Es reichte!
Chris riss
sich zusammen. Sein Lächeln wurde automatisch eine Spur freundlicher, er beugte
sich zum Nachbartisch herüber und sagte in dem gewinnenden Tonfall, den er
perfekt beherrschte: „Na Mädels, habt ihr Lust, gleich was mit mir zu
unternehmen?“
Die
Mädels gackerten ein bisschen und zierten sich nach Weiberart, aber natürlich
waren sie einverstanden. Wäre ja noch schöner, wenn seine Masche nicht mehr
ziehen würde. Und bis jetzt hatte er noch jede Frau gekriegt, die er haben
wollte. Wenn auch auf Umwegen...
Eine
halbe Stunde später verließ Chris mit seinen Eroberungen das Strandcafé. Eine
wirklich tolle Nacht stand ihm bevor. Er lächelte siegesbewusst und ein
bisschen hämisch in sich hinein und dachte: Das hast du jetzt davon, Irma. Du
blödes sprödes Weib! Ich werde mich jetzt amüsieren, und dann bist du Legende!
~~~~~~~~~~~
Er
wachte auf mit dickem Kopf und einem pelzigen Geschmack im Mund. Vermutlich lag
es am vielen Rotwein.
Was war
sonst noch passiert? Mühsam versuchte er sich zu erinnern, aber sein Kopf tat
zu weh. Und als sich schließlich die Nebel seiner Erinnerung etwas lichteten,
stöhnte er gequält auf. Es gab keinerlei Erinnerungen, die irgendwas mit Sex zu
tun hatten. War vielleicht gar nichts passiert?
Mit
schmerzendem Kopf bemühte er sich weiter, der vergangenen Nacht ihre
Geheimnisse zu entringen.
Und nach
einer geraumen Weile setzte er sich fassungslos im Bett auf – nicht ohne sich
vorher an den schmerzenden Kopf gefasst zu haben – und er fühlte sich
entsetzlich. Aber nicht wegen des Katers.
Sondern,
oh Gott... Er hatte doch tatsächlich keinen hochgekriegt!
Entsetzen
machte sich in ihm breit. Wie konnte das passieren? So alt war er doch noch gar
nicht. Bis jetzt hatte er noch nie versagt, und mit einunddreißig durfte so was
nicht passieren. Was war los? Was war mit ihm passiert, beziehungsweise nicht
passiert?
Er ließ
sich stöhnend ins Bett zurücksinken und versuchte, den gestrigen Abend zu
rekonstruieren:
Zuerst
lief alles gut. Er hatte mit den beiden Mädels eine nette Bar aufgesucht,
irgendwas dämmerig intimes mit rotem Licht. Dann hatte man Rotwein getrunken,
die erste Runde hatte er ausgegeben als Zeichen seines guten Willens. Danach
durften sie für sich selber bezahlen, so bescheuert war er nicht, dass er
fremde Frauen den ganzen Abend über freihielt, denn in dieser Beziehung war er
halt ein wenig pragmatisch und vor allem sparsam veranlagt.
Es war
ganz nett mit ihnen. Die Blonde erzählte gute dreckige Witze, und die
Dunkelhaarige kam ihm recht nahe.
Aber
nach einer Weile stellte er fest: Es juckte ihn überhaupt nicht, dass sie sich
an ihm zu schaffen machte. Er fühlte zwar ihre Hand in seiner Hose, aber sonst
fühlte er gar nichts.
Es ließ
ihn so was von kalt, dass er an seiner Potenz zweifelte, oder besser gesagt
verzweifelte.
Himmel,
was war los mit ihm? Eine wildfremde Frau fummelte in seiner Hose herum, das
würde die meisten Männer doch total anmachen. Aber er empfand kaum etwas. Es
war fast so, als würde sie mit einem empfindungslosen Stück Gummi herum
spielen. Aber er gab die Hoffnung nicht auf, vielleicht würde es ja besser
werden...
Aber es
wurde nicht besser. Er versuchte, ihnen zuzuhören, aber die beiden Tussis waren
auf Dauer so langweilig, dass seine Ohren sich nach einer gewissen Zeit tot
stellten, das Gequatsche war zu seicht und dämlich. Gewisse Teile seines
Körpers schienen ja sowieso tot zu sein, und er widmete sich daraufhin nur noch
seinem Rotwein.
Was war
dann passiert? Ach ja, irgendwann hatten die beiden ihn in ihr Zimmer gelotst,
und dann wurde es richtig peinlich.
Chris
verzog schmerzlich das Gesicht. Er hatte keinen hochgekriegt. Obwohl, er hatte
schon, aber im entscheidenden Augenblick war er absolut abgeschlafft, und zwar
genau in dem Augenblick, als er sich ein Kondom greifen wollte.
Ihm war
nämlich eingefallen, dass er bei der Sache mit Irma kein Kondom benutzt hatte.
Und ab da war die Sache gelaufen – oder eben nicht gelaufen. Schließlich hatte
er sich mit einem verlegenen „Tut mir leid, Ladies“, von den Mädels
verabschiedet. Zumindest in seiner verschwommenen Erinnerung.
Das war
wirklich kein Glanzabend gewesen.
Chris
setzte sich stöhnend auf die Bettkante und hielt sich den Kopf. Wenn er jetzt
auch noch kotzen musste, dann würde er sich ins Klo stürzen. Aber beides blieb
ihm erspart, obwohl gewisse Erkenntnisse auch nicht gerade angenehm waren.
Er hatte
kein Kondom benutzt. Warum nicht, zum Teufel? Warum hatte er, der doch sonst
immer so wahnsinnig überlegt handelte, alle Vorsichtsmaßnahmen vergessen? Er
hatte sich wie ein Idiot aufgeführt – und das alles nur, um diese Frau ins Bett
zu kriegen. Um sie zu spüren und um sie zu besitzen.
Das
Blöde war, er hatte sie zwar gespürt, heftig gespürt sogar, aber er hatte sie
nicht besessen. Das wurde ihm auf einmal klar. Sie hatte nicht das geringste
Gefühl für ihn gezeigt. Nur Gleichgültigkeit und Spott. Dass sie Lust empfunden
hatte, war natürlich sonnenklar, aber das reichte ihm nicht. Und angenommen,
sie war schwanger... Wieder musste er aufstöhnen.
Er war
verrückt! Was wollte er von dieser Tussi, die sicher noch mit ihrem Macker
zusammen war. Er erinnerte sich an den Ausspruch ihrer Freundin, er hatte ihn
zufällig mitbekommen auf der Party: „Ich glaube, du und Oliver, ihr gehört
zusammen.“ Irma hatte daraufhin geschwiegen, sie hatte es nicht abgestritten.
Also gab es da noch was zwischen den beiden. Alles deutete darauf hin: Das
Türschild, die große und wahrscheinlich teure Wohnung. Ließ sie sich etwa von
ihm aushalten? Chris stieg das Blut in die Wangen. Und bei so was hatte er kein
Kondom benutzt! Er sollte sie vergessen, und normalerweise wäre die Sache schon
erledigt, aber sie ließ ihn einfach nicht los.
Er würde
sie anrufen, wenn er zurück war. Er würde sie fragen, ob sie schwanger war. Und
wenn sie es war, würde er sie hohnlachend... na ja verlachen und sich nie
wieder bei ihr melden. Andererseits wäre sie im Falle einer Schwangerschaft
dann von ihm abhängig, und dieser Gedanke hatte etwas unbestreitbar Geiles an
sich.
Was
dachte er da überhaupt? War er denn verrückt geworden? Er als Vater? Das war
vollkommen absurd, und dann auch noch mit dieser Tussi, die ihn so
aufbrachte... Wieder verspürte Chris dieses seltsame unbekannte Gefühl, es war
eine Mischung aus Zorn und aus Bedauern. Er hasste das Gefühl, es war ihm fremd,
er fand es lästig, und er wollte es loswerden. Es machte ihn grüblerisch und
dazu auch noch impotent.
Und zu
allem Überfluss tauchte auf einmal in seinem Kopf ein Bild auf: Er sah sich
selber neben Irma gehen, und tatsächlich trug er ein Kind auf dem Arm. Ein
hübsches Kind, und Irma sah auch sehr hübsch aus. Sie lächelte ihn an, aber
dann griff sie sich plötzlich an ihr Herz. Sie schaute ihn schreckerfüllt an,
keuchte – und sank leblos zu Boden, während er hilflos zusah... Und er hörte
wieder diese Stimme: Wenn er nicht gewesen wäre, dann würde sie noch leben.
Wenn er nicht gewesen wäre, dann würde sie noch leben. Wenn er nicht gewesen
wäre, dann würde sie noch leben...
Chris
schüttelte heftig den Kopf und zuckte automatisch zusammen, denn das Kopfschütteln
tat weh. Ach du lieber Himmel, jetzt fing er wirklich an, durchzudrehen. Er
träumte diesen Traum schon seit langer Zeit in allen möglichen Variationen, und
jetzt hatte er dem Traum einen neuen Ablauf gegeben und auch ein neues Gesicht,
nämlich Irmas Gesicht. Bisher war es das Gesicht seiner Mutter gewesen, die er
nie kennen gelernt hatte und von der nur uralte Fotos existierten. Er verstand
ihn nicht, diesen Traum, und was hatte Irma damit zu tun? Das war doch
vollkommen irrational! Er musste sie aus seinem Kopf bekommen. Er musste sich
davon überzeugen, dass sie genauso wie alle anderen Frauen war und dass sie
beim zweiten Treffen nicht das halten konnte, was sie beim ersten versprach.
Chris dachte kurz nach und korrigierte sich: Moment mal, das zweite Treffen war
ja schon gelaufen... Na und wenn schon!
Jedenfalls
würde er Irma anrufen, wenn er zurück war. Er würde eine Woche verstreichen
lassen, denn wenn er sofort anrief, könnte sie sich noch was drauf einbilden,
dieses unverschämte kleine Gör! Obwohl, so klein war sie gar nicht, sie war
höchstens einen Kopf kleiner als er.
Nachdem Chris diesen Entschluss gefasst hatte, fühlte er sich auf einmal wie befreit. Und tatsächlich fing er an, den Rest seines Urlaubs auf Ibiza zu genießen, wobei er vorsichtshalber einen großen Bogen um Frauen machte. So eine Pleite wie mit den beiden Mädels wollte er nämlich nicht noch mal erleben.
Er
versuchte ernsthaft, Irma aus seinen Gedanken zu verdrängen, er spielte Squash,
er schwamm viel, er nahm sogar Reitunterricht, und er schaffte es wirklich –
zumindest während dieser Aktivitäten – nicht an sie zu denken. Aber wenn er
abends in einer Taverne an der Bar saß, dann tauchte sie plötzlich auf, und er
fing wieder an zu grübeln.
Er
erinnerte sich an ihre Hingabe und Lust, er fühlte ihre schönen Brüste in
seinen Händen, sie passten so perfekt hinein, als ob sie dorthin gehörten – und
bei diesen Gedanken fühlte er sich absolut nicht impotent, ganz im Gegenteil.
Fast schon peinlich war ihm das.
Er
dachte an seinen Finger zwischen ihren Beinen und was er fühlte, als sie kam...
Es glich einem gewaltigen Sog, der ihn mitriss und ihn förmlich in ihr
explodieren ließ. Und danach blieb er in ihr, und sie schien das
selbstverständlich zu finden. Chris stöhnte auf, und er wusste nicht, ob es aus
Wollust oder aus Verzweiflung war. Er grübelte und grübelte, kam aber zu keinem
Ergebnis. In dieser Beziehung war er sich selber ein riesengroßes Rätsel.
Aber
Rätsel konnten gelöst werden oder lösten sich von selber.
Und der Urlaub hatte letztendlich seinen Zweck erfüllt – denn so etwas nannte man wohl Erholung, wenn man sich auf die Rückkehr freute. Und er brauchte diese Erholung dringend, denn kurz nach seiner Rückkehr würde er als Referendar im Goethe-Gymnasium anfangen.
Fortsetzung folgt
Vorheriger TitelNächster TitelAlle Irma-Chris Geschichten sind auf meiner Homepage, und zwar dort:
http://ingridgrote.de/html/bucher.htmlIngrid Grote, Anmerkung zur Geschichte
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ingrid Grote).
Der Beitrag wurde von Ingrid Grote auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2008.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Ingrid Grote als Lieblingsautorin markieren
Starke Mütter weinen nicht
von Linda Mertens
In ihrer Biografie beschreibt die Autorin in sensibler und eindrucksvoller Weise den verzweifelten Kampf um das Glück ihrer kleinen Familie. 19 Jahre stellt sie sich voller Hoffnung den Herausforderungen ihrer schwierigen Ehe..........doch am Ende bleibt ihr nichts als die Erinnerung.
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