Patricia Radda

Arme Frau

Die Burg, in der Ihre Majestät jetzt wohnt, ist ein Rattenloch. Nicht schön, dafür kalt; wie ein Gefängnis. Ich stehe in einer kleinen, engen Gasse in der Nähe eines hinteren Einganges. Eine Dienerin kommt auf mich zu. Mit Furcht in den Augen begrüßt sie mich. Sie nickt mir zu, also soll ich ihr wohl folgen. Sie ist nett anzusehen: Ihr Haar ist unter einer Haube ordentlich versteckt und ihr Kleid ist sehr fein. Als ich klein war, wollte ich immer solche Kleider tragen, der weite Rock schwingt bei jedem Schritt.
 
Dunkel ist es. Die Königin ist ungepflegt. Kleidung und Haar sehen aus, als hätte sie tagelang nicht darauf geachtet. „Juana la loca[1]“, so nennt man die Herrin jetzt. Überall auf den Straßen wird es geflüstert. Einsam ist sie. Und traurig. Das spüre ich sofort. Das Volk hat recht, verrückt sieht sie schon aus. Sie mustert mich von oben bis unten; ich denke nur „arme Frau“, nicht „verrückte Frau“.
 
Sie stiert mich mit ihren leeren Augen an. Sieht sie mich tatsächlich? „Kannst du es?“, flüstert sie plötzlich. „Ich verstehe nicht, Herrin, was soll ich tun?“ Sie antwortet mir nicht. Ich denke, dass sie mich vielleicht gar nicht gehört hat. „Komm mit“, sagt sie schließlich. Ihre Stimme ist heiser. Zu lange hat sie geschrien und getobt. Langsam erhebt sie sich aus dem Sessel, in dem sie zuvor gekauert ist. Die Dienerin von vorhin und zwei Wachen, die bei der Tür standen, folgen ihr. Ich schleiche als Letzte hinterher.
 
Wir gehen eine Treppe hinab. Dann stehen wir in einem Raum, der noch dunkler ist. Kahl, feucht und viel zu kalt ist es hier. Ich zittere vor Kälte und Angst. Hier wohnt der Tod, denke ich. Ihre Majestät öffnet mit höchster Anstrengung eine große Truhe. Abscheulich, es ist ein Sarg! Mir wird ganz schwindelig. Der König. Tot. Er ist tot.
 
„Herrin!“, rufe ich entsetzt aus, als sie die Hand über dem Sarg ausstreckt. „´Du kannst das´, haben sie gesagt“, flüstert sie und sieht mich an. Ihre Augen glänzen; ich weiß nicht, ob aus Hoffnung oder doch aus Wahnsinn. „Nein!“, rufe ich laut. Meine Bestürzung hallt durch die Räume. „Ich habe das nie gemacht! Tot ist tot, Herrin. Keiner kann das.“ Sie dreht sich um. Was ist das in ihrem Gesicht? Verzweiflung, Unverständnis? „Du versuchst es solange, bis es klappt“, sagt sie schließlich. „Nein, Herrin. Bitte nicht! Ich würde nur schaden. Gebt ihm ein Christenbegräbnis und lasst es gut sein. Man soll die Toten nicht stören“, sage ich und schaue ihr fest in die Augen. „Er ist nicht tot, Hexe! Er lebt noch, ich spüre ihn. Immer.“
 
Sie sinkt vor ihrem toten Ehemann auf die Knie und beginnt zu weinen. Laut zu trauern. Vielleicht ist sie ja doch verrückt. Ich knie neben ihr nieder und fingere einige getrocknete Kräuter aus der Tasche. Dann zerbrösle ich die Blätter ganz klein und lasse sie das Ganze schlucken. Gleich wird sie ruhiger. Arme Frau, die Königin. Ich nehme sie bei der Hand. „Lasst ihn gehen“, höre ich mich sagen. Dann winke ich die Dienerin herbei, die mich schon in die Burg begleitete. Sie führt ihre gefallene Königin wieder nach oben. Die zwei Wachen bemühen sich mit angeekelten Gesichtern, den Sarg wieder zu schließen.
 
Da sehe ich es mit eigenen Augen: Philipp selbst. Gesicht, Gestalt, aufrecht gehend, wie ein lebendiger Mensch, im hinteren Teil des Raumes! Wie ist das möglich? Ich halte eine Wache zurück. „Was siehst du?“, frage ich ihn. „Nichts“, sagt er und ich glaube ihm.
 
Ich gehe zwei Schritte auf Phillip zu und habe das Gefühl, dass er mich mit seinen blauen Augen durchbohrt. Er schüttelt traurig den Kopf. Ich blinzle mit den Augen und dann kann ich ihn nicht mehr sehen.
 
Die Dienerin kommt zu mir zurück und berührt mich vorsichtig an den Schultern. Sie hat keine Furcht mehr in den Augen und ich finde es beruhigend, dass sie da ist. Sie schiebt mich in Richtung Treppe. Ich kann nicht denken und lasse mich gerne von ihr hinausführen.
 
Draußen steht ein Pater. Er sieht mich böse an. Nein! Die Dienerin nickt mir zu, aber nicht grüßend, auch nicht freundlich; befehlend vielleicht. Der Pater ist allein gekommen und in mir keimt Hoffnung. Wenn Männer wissen, dass sie eine Hexe fangen können, dann wollen sie es persönlich tun.
 
Wir gehen durch die Stadt, er führt mich in ein dunkles Haus. Wir sind noch immer allein. Der Pater nimmt mir die Beichte ab, wie einem normalen Christenmenschen. Dann sperrt er mich in eine kleine Zelle. Nein, nein, nein.
 
Ich schließe die Augen und bin nicht mehr dort, ich will frei sein und denke an Bäume. Als ich die Augen wieder öffne, bin ich im Wald. Gute Kräuter wachsen hier. Ohne Licht, denn es ist eine gute, freundliche Dunkelheit. Sie hält mich für immer.
 [1] Johanna die Wahnsinnige

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Der Weg eines ausgesiedelten Lehrerehepaars führte ab 1977 über Höhen und Tiefen. Die Erziehungsmethoden aus Ost und West prallten manchmal wie Feuer und Wasser aufeinander, und gaben uns Recht,dass ein Umdenken im Sinne einer Verbindung von positiven Elementen aus den beiden Schulsystemen aus West und Ost,erfolgen musste.Siehe Kindertagesstädten,ein entschlossenes Durchgreifen bei Jugendlichen, ohne Verletzung der Schülerwürde.Ein Geschichtsabriss aus der Sicht eines Volkskundlers.

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