Simone Alby

Nächtliches Vorhaben

 

Guido lag im Bett und dachte, wie schon einige Nächte zuvor, scharf nach. Sollte er es wirklich tun? Konnte er es wagen? Aber andererseits... er war schließlich schon fast 6 Jahre alt, und eigentlich inzwischen richtig mutig. Wenn er bedachte, was er im vergangenen Jahr alles für Späße getrieben hatte. Hah, er hatte nicht nur seine Freunde, nein sogar auch öfters seinen älteren Bruder Martin und seine jüngeren Geschwister an der Nase herum geführt.
Nein, eigentlich sollte sein Vorhaben kein Problem für ihn darstellen. Er würde halt nur lange genug warten müssen. Und was am aller wichtigsten war, er durfte auf keinen Fall einschlafen. Wachsamkeit war bei seiner Mission heute Abend das höchste Gebot.
Die Zeit verging, ohne dass etwas auffälliges geschah. So langsam aber sicher wurde es Guido langweilig. Er konnte sich ja schließlich nicht die ganze Nacht lang ausmalen, wie ein mögliches Treffen ablaufen könnte. Abgesehen davon, würde es wahrscheinlich eh ganz anders sein, als in seiner Phantasie. Die Augenlider wurden ihm schwer, und fielen ihm immer wieder zu.
Als er die Haustür hörte, war er mit einem Schlag wieder hellwach. Da! Es war so weit! Fast schon zu hastig sprang er aus dem Bett, und ermahnte sich selber, nicht so laut zu sein. Schließlich sollte ja niemand mitbekommen, dass er noch wach war. Auf Zehenspitzen schlich er durch das Zimmer, bis er schließlich mit nackten Füßen auf der Innenseite der Tür stand und durchs Schlüsselloch spähte.
Ja! Eindeutig! Da draußen bewegte sich etwas! Sein Herz begann schneller zu schlagen, und die Aufregung schnürte ihm die Kehle zu. Warum war es bloß so dunkel dort draußen? Er war doch so gespannt darauf etwas zu sehen - ihn zu sehen. Schließlich konnte er doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts die Tür aufmachen, hinaustreten, ihn womöglich noch bei der Arbeit stören, und sagen: "Hallo, ich bin der Guido! Aber das weisst du ja wahrscheinlich eh." Nein, das ging beim besten Willen nicht! Vielleicht sollte er sich wirklich nur mit einem Blick auf ihn zufrieden geben, und ein Treffen gleich aus seinem Kopf streichen? Wenn es doch nur nicht so dunkel wäre...
Kaum hatte er ausgedacht, hörte er die Stimme seines Vaters. "Hallo Schatz, ich bin wieder da. Schlafen die Kinder schon?" Im selben Augenblick ging in der Diele das Licht an, und Guido musste die Augen zusammen kneifen, so hell schien es durch's Schlüsselloch. Na toll, es war also nur sein Vater. Und dafür die ganze Aufregung! Enttäuscht schlüpfte er schnell wieder unter die warme Decke.
So langsam aber sicher wurde er ungeduldig. Mensch, er konnte doch nicht die ganze Nacht warten! Wann kam er denn endlich? So schwierig hatte er sich sein Vorhaben bei weitem nicht vorgestellt. Weitere Stunden vergingen, und inzwischen hatte die Müdigkeit Guido so übermannt, dass er nur noch krampfhaft seine Augen aufhalten konnte. Immer wieder fielen sie ihm zu, und er nickte kurz ein, um gleich darauf wieder hoch zu schrecken, und sich einzureden, dass er auf keinen Fall einschlafen durfte.
Das nächste Mal war es ein schlurfendes Geräusch, welches ihn aufhorchen ließ. Es hörte sich so an, als würde was über den Boden geschleift werden. Und es kam immer näher... Guido lauschte gespannt. Das musste er sein! Gerade als er wieder aus dem Bett huschen wollte, hörte er ein Husten. Hoffentlich war er nicht krank!? Vielleicht war das eine Erklärung dafür, dass er so spät kam!?
Doch als das Husten ein paar Mal hintereinander ertönte, erkannte er, dass es sich um eine Frau handelte. Und als dann auch noch die Klospülung ging, wusste er ganz genau: es war seine Mutter. Na toll, wieder Fehlanzeige!
Wie sollte er es nur so lange aushalten? Wann würde es überhaupt so weit sein? Was, wenn er gar nicht kommen würde? Was, wenn er von seinem heimlichen Vorhaben Wind bekommen hatte, und deshalb absichtlich nicht kam? Gedanken über Gedanken schossen Guido durch den Kopf. Doch er blieb dabei. Jetzt oder nie! Seine Neugier war einfach zu groß. Er musste ihn einfach sehen...
Schließlich jedoch musste er wohl doch übermüdet eingeschlafen sein, denn als er aufwachte, und die Leuchtziffern seiner Uhr ihn anstarrten, erkannte er, dass es bereits früher Morgen war. Ein paar Mal wälzte er sich hin und her, bis er schließlich einen Entschluss fasste. Nein, er hielt es im Bett nicht mehr aus! Er musste vor die Tür gehen, und nachschauen, ob er da gewesen war. Jetzt sofort, auf der Stelle!
Auf leisen Sohlen schlich Guido kurz darauf zur Tür und öffnete sie vorsichtig einen Spalt, um hindurch zu lünkern. Ein Stein fiel ihm vom Herzen, und seine Augen wurden groß, bei dem, was er sah. Vor lauter Freude, war die Enttäuschung der Nacht sogleich vergessen. Seine Stiefel standen da, noch immer neben dem Türrahmen, wo er sie am Abend zuvor - frisch geputzt - hingestellt hatte. Doch nun waren sie prall gefüllt. Von Nüssen über Plätzchen und Mandarinen, bis hin zu Schokolade.
Ein Jauchzer entfuhr seinem Mund. Was war er doch froh! Hatte er ihn also doch nicht vergessen! Und über seine Neugier und sein heimliches nächtliches Vorhaben schien er ihm anscheinend auch nicht böse zu sein. Puh! Erleichtert atmete er auf und hockte sich nieder, um ein Plätzchen in seinen Mund zu schieben. Und eins wusste er nun mit Klarheit: es war äußerst schwierig, dem Nikolaus auf die Schliche zu kommen.

 

© Simone (12/2002) 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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