Helmut Wurm

Sokrates und der trickreiche Schulleiter-Bewerber

(Bei diesem Gespräch kam selbst Sokrates ins Nachdenken. Aber dieses Gespräch spiegelt mit Sicherheit nicht die reale Wirklichkeit wider, sondern stellt einen seltenen Ausnahmefall dar).

Sokrates sitzt vor einer Bezirksregierung in einem Park. Ein Lehrer geht zögernd in diesem Park auf und ab und er hält eine Mappe mit Bewerbungs-unterlagen für eine Schulleiterstelle in Händen. Als er Sokrates sitzen sieht, geht er zögernd auf ihn zu.

Der Schulleiter-Bewerber: Gut, dass ich dich hier treffe, Sokrates. Ich glaube, ich brauche deinen Rat, denn ich bin unsicher, ob ich alle Unterlagen für meine Bewerbung beisammen haben, ob ich alles Wichtige angegeben habe.

Sokrates: Dann müsstest du mir genauer sagen, worüber du Rat benötigst und dann könnten wir darüber nachdenken, was du tun könntest. Denn direkt zu raten pflege ich nicht, wie du weißt. Ich möchte das Nachdenken anregen.

Der Schulleiter-Bewerber: Also, ich möchte gerne Schulleiter an einer .... Schule werden. Ich habe darauf schon länger hingearbeitet, ich habe in meinem privaten und beruflichen Bereich alles berücksichtigt, worauf man heutzutage bei den übergeordneten Dienststellen für eine Bewerbung um eine Schulleiterstelle Wert legt und ich hoffe, dass ich alles beisammen habe. Kannst Du meine Unterlagen einmal durchsehen?

Sokrates: Es genügt, wenn Du mir kurz mitteilst, was Du angeben willst. Aber ich kann mir schon denken, was du alles in der Vergangenheit getan und in deinen Bewerbungsunterlagen angegeben hast. Du hast dich sicher in deiner Allgemeinbildung, in deinem Fachwissen und in deinen pädagogischen Kenntnissen systematisch und gründlich weitergebildet, denn ein Schulleiter sollte seinen Kollegen in diesen Bereichen Vorbild und Orientierung sein und sollte genügend Kompetenzen (sagt man heute nicht so?) haben, ihnen raten zu können. Denn die Schüler sollen fürs Leben vorbereitet werden und die Lehrer und vor allem der Schulleiter benötigen dafür Bildung und Lebenskenntnisse. Und dann muss ein Schulleiter, wie allen Führenden, auch genügend Durchsetzungsfähigkeit besitzen.

Der Schulleiter-Bewerber: Was redest du denn für ein antiquiertes Zeug, lieber Sokrates. Das sind veraltete Bewerbungskriterien vor hundert Jahren, aber nicht mehr in der Gegenwart. Was die Schüler brauchen, steht in den Lehrplänen und Schulbüchern und ebenso, wie es zu vermitteln ist. Mehr Inhalte kann man sowieso nicht anstreben, meistens schafft man das gar nicht im Schuljahr. Allgemeinbildung braucht ein Lehrer für den Unterricht nicht mehr und die moderne Fachbildung vermitteln die Lehrerhandbücher und die Lehrerfort-bildung. Und die Lehrer haben heutzutage so viele Rechte, dass ein Schulleiter sich kaum noch durchsetzen, also führen kann.

Sokrates: Nanu, bin ich denn wirklich nicht mehr auf dem Laufenden? Das, was ich andeutete, galt seit meiner Zeit über 2 Jahrtausende und soll jetzt nicht mehr wichtig sein? Was ist denn heute wichtig für einen Schulleiter?

Der Schulleiter-Bewerber: Die Auswahlkriterien für einen Schulleiter sind heutzutage ganz anders. Du sollst als Mensch angenehm wirken, sollst eine Wohlfühl-Atmosphäre ausstrahlen. Du sollst geschickt Spannungen abbauen und Probleme in der Schule lösen können. Du sollst die Kollegen indirekt dazu bringen, dass sie das machen, was du als Schulleiter wünschst. Und dann soll ein moderner Schulleiter mit den neuen Trends und Tricks, wie man als Schule auffällt, vertraut sein. Darin muss sich ein Schulleiter ständig fortbilden. Und weiter muss ein Schulleiter bei möglichst vielen Aktivitäten innerhalb und außerhalb seiner Schule präsent, zumindest teilpräsent sein, damit sein Name und damit seine Schule allgemein bekannt wird und bleibt. Deswegen erwartet man von einem Schulleiter-Bewerber, dass er Beweise über seine Belastbarkeit und Managerfähigkeiten mitbringt und statt Durchsetzungsfähigkeit Geschick-lichkeit in der Menschenführung.

Sokrates: Das macht mich jetzt unsicher, das bringt mich jetzt zum Nachdenken. Ich bin tatsächlich nicht mehr auf dem Laufenden, ich habe mich um diesen Bereich offensichtlich die letzten Jahrzehnte zu wenig gekümmert, weil ich dachte, es wären zeitlose Anforderungskriterien, was ich erwähnte. Nun erfahre ich, dass durch Verordnungen, Lehrpläne, Schulbücher und Fortbildungen den Lehrern das Wissen und den Schulleitern das Führen und Leiten abgenommen werden und dass ein Schulleiter heutzutage mehr ein Aktivist, Werbefachmann, Entertainer und Psychologe sein soll. Ob das den Schülern wirklich nützt?

Der Schulleiter-Bewerber: Es soll hauptsächlich der modernen Gesellschafts-Atmosphäre nützen. Man möchte heutzutage möglichst wenig Ärger, Belastungen, Spannungen, Kritik. „Harmonie-Gesellschaft“ ist das richtige Wort und dafür soll ein Schulleiter taugen.

Sokrates: Ich komme immer mehr selber ins Nachdenken. Aber dir werde ich kaum etwas zum Nachdenken mitgeben können. Was hast du denn jetzt alles zusammengestellt, was dir nach diesem neuen Anforderungskatalog nützen könnte? Deine Mappe ist ja ziemlich dick.

Der Schulleiter-Bewerber: Ich habe in den letzten Jahren Kurse in indirekter Menschenführung besucht (die werde ich gut brauchen), ich habe autogene Trainingskurse mit dem Thema im „Immer-nur-lächeln“ mitgemacht (ich darf nie meine unverbindliche Freundlichkeit verlieren), ich habe Kurse in Marketing absolviert (Schule ist heute ein Produkt wie jedes andere und muss erfolgreich vermarktet werden), ich habe mich über alle modernen neuen Schulformen und Methodenformen informiert (ich muss in Pädagogik als moderner Alles-könner gelten), ich bin Mitglied der regierenden Partei geworden (das ist nützlich, denn wer die Macht hat, vergibt auch Schulleiterstellen), ich gehe regel-mäßig in die Kirche, sitze dabei möglichst vorne und singe im Kirchenchor (die Kirche hat einen großen Einfluss hinter den Kulissen bei der Besetzung von Schulleiterstellen), ich nehme regelmäßig an Umweltschutz-Veranstaltungen teil (das lässt mein Engagement für unsere Umwelt erkennen), ich bin Jugendtrainer in einem Sportverein (damit beweise ich mein allgemeines Engagement für die Jugend), ich habe engere Kontakte zu den lokalen Medien aufgebaut (wer nicht in der Zeitung steht, der wird in unserer schnellen und oberflächlichen Zeit schnell vergessen), ich gehe regelmäßig in ein Fitness-Studio (ein Schulleiter muss gut aussehen, das Äußere ist heutzutage wichtiger als das Innere), ich habe durch mein Verhalten als Lehrer dafür gesorgt, dass ich auf der Internet-Seite „Spick-mich“ nur gute Noten habe (auch danach schaut die Bezirksregierung)....

Sokrates: Halt ein, halt ein. Mir schwirrt der Kopf. Das also sollen die neuen Kriterien für einen guten Schulleiter sein? Das kann ich nicht verstehen und gut heißen. Es geht also primär um Geschicklichkeit, öffentliches positives Auffallen, sich Seilschaften besorgen und um Gefallen erzeugen... Was hat das alles mit gutem Unterricht, mit  fürsorglicher Erziehung, mit menschlichen Hilfen für die Lehrer und mit Vorbereitung der Schüler fürs Leben zu tun? Du hast das Wort „oberflächliche Zeit“ benutzt. Das passt offensichtlich auch zu den von dir genannten Bewerbungskriterien. Aber ich kann mir nicht denken, dass das die reale Wirklichkeit ist und dass danach die allermeisten Schulleiter ausgewählt worden sind. So oberflächlich sind Bezirksregierungen sicher nicht. Lass mich darüber nachdenken und gehe du deine Wege. Erfolg kann ich dir bei deinen Bewerbungs-Bemühungen nicht wünschen.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Helmut Wurm).
Der Beitrag wurde von Helmut Wurm auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Helmut Wurm als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Mit Seelenzeilen malen von Heidemarie Rottermanner



Gedanken des Jahres,
die sich ins Herz weben
und mit den Farben der
Natur eins werden ....
Lyrik und Fotografie


Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Helmut Wurm

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Sokrates und das egoistische Nachhilfe-Institut von Helmut Wurm (Schule)
Flaumis Entscheidung von Helga Edelsfeld (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Noch vier Stunden... von Luki K (Weihnachten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen