Mara Krovecs

Der kleine Huschnapur

Am 1.Dezember jeden Jahres stellen wir auf unsere Küchenfensterbank ein Schnapsglas
mit frischer Milch und legen einen gebackenen Keks daneben. Zum ersten Mal geschah das, als unsere Tochter vier Jahre alt war.
Sie war ungehalten, weil etwas nicht so war, wie sie es sich dachte. Um sie abzulenken,
rief ich vermeintlich verwundert: „Oh nein, da ist er, oh wie wunderbar, er ist da, schau mal, er ist wirklich da.! „ Natürlich ruckte ihr Kopf in die Richtung in die ich zeigte und sie lief mir sofort hinterher, als ich „ ihn „ zu suchen begann.“ Oh wie schade, er ist schon wieder fort, nur seine rote Zipfelmütze habe ich noch sehen können „ „ Ich auch, hab sie auch gesehen,“ krähte sie mittlerweile wieder vergnügt. Wir einigten uns, dass „er“ hinter dem Kachelofen verschwunden war und ich begann meiner kleinen Tochter „ seine“ Geschichte zu erzählen.

Vor vielen Jahren lebte in einem unendlich weiten Tannenwald, Väterchen Frost mit
all seinen lustigen und magischen Geschöpfen. Der Winter war hier zu Hause und so kann man sich vorstellen, dass der Schnee niemals niedriger lag als ein Mann hoch war. Die Bäume bogen sich unter der schweren weißen Last und unzählige Eishexen erfanden ständig Schneeerleichterungszauber, damit die schweren Schneezweige nicht in die unzähligen Eisfeuer brachen und die ganze Zauberei dann zunichte froren. Die Tiere, die hier lebten hatten es nicht immer leicht, denn anscheinend störten sie die merkwürdigen Geschöpfe des Waldes bei ihren Ritualen und Hexereien. Damit die Zauberwaldtiere nicht zu kurz kamen, hatte Väterchen Frost einige Huschnapure aus einem noch viel älterem Zauberwald herbei hexen lassen. Sie sollten zukünftig für das Wohl aller Tiere im Wald sorgen.

Huschnapure sind fingergroße, zierliche Geschöpfe, wobei ausschließlich männliche Geschöpfe bekannt sind. Allerdings gibt es weibliche Huschnapure; sie sind aber nicht einmal in den ältesten Winterbüchereien beschrieben. Ihr Aussehen und ihre Zauberkraft sind ein streng gehütetes Geheimnis der uralten Tannenwälder. Es ist nur bekannt, dass sie an Schönheit die der Elfen noch weit übertreffen sollen.

Die Heilkraft der männlichen Huschnapure in Väterchen Frosts Wäldern sprach sich schnell herum und bald kamen nicht nur Tiere um ihre Schmerzen zu lindern und den tiefen Trost der kleinen Wesen zu erhaschen. Eishexen, die sich oft verbrannten, Wirbelwindler, die sich schnell die Köpfe stießen, und sogar Väterchen Frost selber, der an einer geheimnisvollen Krankheit litt, waren ständig bei den Kleinen zu Gast. Huschnapure schlafen wie die Eulen des Tags und so kam es, dass der Wald immer öfter zu Nachtzeiten hell erleuchtet und voller Geräusche war. Das tat niemandem auf die Dauer wirklich gut und eines Tages kamen die Tiere, Hexen, Grimmbarte, Pilzzauberer und Winterwinde, um sich bei dem alten Frostvater zu beschweren.
„Wir brauchen wenigstens einen Monat im Jahr Pause „, brauste der alte Nordwind auf.
„Sieh mich an, ich habe tiefe Ringe unter den Augen. So bekomme ich bald einen Schnupfen. Wenn meine Nase läuft, kann ich nicht wehen, das wäre eine Zumutung für alle !“Väterchen Frost seufzte, auch ihm mangelte es mittlerweile an Schlaf.“ Gut, ich schicke sie für einen Monat im Jahr zu den Menschen.“ , entschied der Waldesvater, und so war es von dieser Stunde an.

Die kleinen Huschnapure sind treue Geschöpfe;  wo sie einmal gut behandelt werden, kehren sie immer wieder ein. Man erkennt sie an den flammendroten langen Zipfelmützen, die bis in ihre Kniekehlen baumeln und mit einem weißen Troddel enden. Wer im Dezember Milch und Kekse auf die Fensterbank stellt, und entdeckt, dass etwas Milch oder ein wenig Keks fehlt, der kann sich sicher sein, einen Huschnapur in seine Hausgemeinschaft aufgenommen zu haben. Sie sorgen für ihre Menschen auf eine ganz eigene Weise: Glück und Gesundheit stellen sich ein, ein Weihnachtsfest mit einem Huschnapur ist warm leuchtend, friedlich und voller Seelenfreude.

„ Und in unserem Hause gibt es anscheinend einen Huschnapur,“ beendete ich meine Geschichte und zwinkerte meiner Tochter zu.
Die Luft draußen war frostkalt und ein einsamer Stern leuchtete über unseren Tannen. „ Es riecht nach Schnee „, sagte meine Mann. Ich liebe es wenn er sagt, dass es nach Schnee rieche, denn dann steht Weihnachten vor der Tür.  Meine kleine Tochter und ich sammelten einige Tannenzweige, aus denen wir dem Huschnapur ein Bettchen bauen wollten, falls er einmal müde werden sollte. Dann stellten wir noch ein Windlicht ins Fenster, damit er nicht stolperte, während er zur Fensterbank lief, denn von diesem Tage an sorgten wir Abend für Abend mit einem Keks und frischer Milch für unseren Huschnapur.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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