Helmut Wurm

Sokrates und der Bahnchef Herr Mehdorn

(Dieses Gespräch könnte alle halbe Jahre wieder neu geführt werden, wenn die neuen Deutsche-Bahn-Tarife bekannt werden)

Sokrates fährt mit einem Zug von Bonn nach Berlin. In diesem Zug sitzt auch der Bahnchef Hartmut Mehdorn und Sokrates setzt sich (natürlich rein zufällig) bescheiden neben ihn.

Herr Mehdorn: Guten Morgen Sokrates, schön, dass du auch einmal mit der Bahn fährst. Du liest so interessiert in den neuen Tarifen und in den neuesten Plänen zur Sanierung der Bundesbahn. Findest du als kritischer Denker die dortigen Vorschläge etwa nicht gerechtfertigt, logisch und ökonomisch sinnvoll?

Sokrates: Ach weißt du, lieber Bahnchef, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wenn ich gelegentlich mit der Bahn fahre, fällt mir außerhalb des Berufsverkehres, außerhalb billiger Wochenendtarife und außerhalb besonderer Angebote die Leere der Züge auf. Immer weniger Menschen fahren mit der Bahn, immer mehr mit dem Auto. Das ist bedauerlich, denn die Bahn ist umweltfreundlicher als das Auto. Aber andererseits schmerzen die hohen Preise für die normalen Fahrkarten außerhalb der Berufsfahrkarten und Billigangebote natürlich die Kleinverdiener, wie z. B. mich. Und dann gibt es, was das allgemeine Service-Angebot der Bahn betrifft, immer mehr Abbau und merkwürdige Vorhaben. Immer mehr Schalter werden geschlossen, außerhalb des Kartenerwerbes per Fahrkartenautomaten sind Zusatzgebühren für den Fahrkartenkauf an Schaltern im Gespräch... Irgendwie scheint es mir, dass, geschickt verpackt, die Bahn Gebühren erhöhen möchte. Da wundert es mich nicht, wenn immer mehr Menschen, besonders Familien, immer öfter mit dem Auto fahren. Und wenn alle angeblich unrentablen Strecken noch stillgelegt werden, werden noch mehr mit dem Auto fahren, obwohl die Autoabgase die Umwelt so belasten... Das ist doch ein Kreislauf...

Herr Mehdorn: Lieber Sokrates, die Bahn ist seit der Bahnreform ein wirtschaftliches Unternehmen, das seine Einnahmen und Ausgaben in Übereinstimmung bringen muss, damit nicht der Staat und damit der Bürger das bisherige Millionendefizit der Bahn weiterhin mit Steuergeldern ausgleichen muss. Der Staat muss sparen und die Bahn muss wirtschaftlich kalkulieren. Diese Argument sind doch logisch und du schätzt doch logische Gedankengänge.

Sokrates: Wenn ich das Ganze durchdenke, erscheint mir das Ganze nicht so logisch, sondern letztlich falsch überlegt zu sein. Prüfe einmal meine Gedankengänge: Die Bahn wird immer teurer, weil immer weniger mit der Bahn fahren. Denn sie will ihre Ausgaben durch die Einnahmen ausgleichen. Weil aber die Bahn immer teurer wird, fahren immer mehr mit dem Auto. Deshalb muss die Bahn wieder die Preise erhöhen und Strecken stilllegen, weshalb dann noch weniger Menschen mit der Bahn fahren... Das ist wie die Schraube des Archimedes. Und was das Sparen und den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben betrifft, so scheint mir diese Schraube nicht weniger, sondern mehr Ausgaben für den Staat und den Steuerzahl zu bringen.

Herr Mehdorn: Das musst du mir genauer erklären, lieber Sokrates.

Sokrates: Gern. Die Bahn spart sich zwar vielleicht ökonomisch gesund, aber immer mehr und immer breitere Straßen müssen gebaut werden, immer mehr Autoabgase verpesten die Luft, immer mehr saurer Regen fällt deswegen, die Atmosphäre wird immer mehr aufgeheizt. Es werden also die Umweltschäden immer mehr zunehmen. Und ich fürchte, dass die Gegenmaßnahmen gegen die zunehmenden Umweltschäden und die Mehrkosten für den Straßenbau mehr kosten werden als leere Züge und unwirtschaftliche Bahnstrecken.

Herr Mehdorn: Wenn du das so sagst, dann würde die Bahnsanierung ein Sparen an der falschen Stelle bedeuten. So darf man die Zusammenhänge nicht sehen. Jeder sollte nur an seinen eigenen engen Aufgabenbereich denken... Dieses Denken in größeren Zusammenhängen und in langfristigeren Dimensionen ist teilweise reine Spekulation und teilweise Bevormundung anderer Bereiche...

Sokrates: Ich denke noch weiter, lieber Bahnchef. Ich überlege, wenn die Bahn ihre Preise erheblich senken und mehr Züge als bisher auf allen Strecken einsetzen würde, könnten ihre Einnahmen sogar wieder steigen und zwar erstaunlich steigen....

Herr Mehdorn: Das, lieber Sokrates, ist mir unverständlich: Durch niedrigere Preise und mehr Aufwand mehr Einnahmen?

Sokrates: Richtig, lieber Herr Mehdorn. Wenn die Bahn wieder viel billiger würde und wenn viel mehr Züge führen, würden sicher wieder viel mehr Menschen mit der Bahn fahren, und dadurch würde die Bahn wieder mehr einnehmen. Die zusätzlich sinkenden Umweltbelastungen sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt.

Herr Mehdorn: Lieber Sokrates, du wirst langsam ein spinniger Grüner. Du wirst noch vorschlagen, dass die Bahn zum Nulltarif befördern sollte, damit dem Staat mehr Geld in der Kasse bliebe. Das ist reiner sophistischer Unsinn...

Sokrates: Ich überlege in der Tat, ob das nicht die billigste Lösung für den Staat und für den Steuerzahler wäre, und ob man das nicht einmal versuchen sollte. Man könnte das volkswirtschaftlich verkürzt so formulieren: Durch Null-Einnahmen bei der Bahn sehr viel weniger Unkosten für Umweltschäden und unter dem Bilanzstrich für den Staat ein Gewinn. Lass uns doch einmal darüber nachdenken.

Herr Mehdorn: Nicht jetzt, Sokrates, ich muss meine Bilanzen durchsehen...vielleicht später einmal...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.01.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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