Hans-Peter Zürcher

Einsam

 

21. Januar 2009

 

Ernst war schon immer ein Einzelgänger gewesen, schon als Kind. Obwohl er mit seinem kleinen Bruder im selben Kinderzimmer gewohnt hatte, fand es den Zugang zu ihm nicht. Er spielte alleine, saß verklärt auf dem Boden und führte sein rotes Blechauto belanglos über seine gedachten Strassen. Den Motor nachahmend blubberte es vor sich hin. „Komm, wir spielen Post“ wurde er etwa von seinem Bruder aufgefordert. „ Nein“ war seine lakonisch knappe Antwort. „Ja“, „nein“, „ich weiss nicht“, das war sein ganzer Wortschatz und das mit 5 Jahren. Im Kindergarten wurde er als aufgeweckter Bub, aber auch als Einzelgänger taxiert. Redete kaum oder gab nur eine knappe Antwort. Das änderte sich auch später in der Schule nicht. Er war fleißig, hatte gute Schulnoten im Zeugnis, aber auch Vermerke wie - Ernst träumt -, oder - Ernst ist ein Einzelgänger -. Lehrer und Eltern machten sich Gedanken, der Schulpsychologe meinte aber nur, „Ernst ist intelligent, gescheit, und der Rest kommt dann schon noch, er wird seinen Knopf sicher noch öffnen“. Auch sein Studium als Mathematiker schloss er mit Bravour ab und bekam schon bald mal eine Anstellung in einem großen Konzern.

 

Viele Jahre vergingen, Ernst lebte allein und zurückgezogen in einem schönen, ruhigen Quartier in der Stadt. Verließ morgens pünktlich seine Wohnung, ging zur Arbeit und kam abends ebenso regelmäßig und pünktlich wieder nach Hause. All seine Schul- und Studienkollegen waren bereits verheiratet, oder sie hatten eine Freundin. Nicht so Ernst, alleine, in sich zurückgezogen lebte er vor sich hin, macht seine Arbeit zur besten Zufriedenheit seines Vorgesetzten. Entsprechend seiner Einzelgängerart, wurde ihm denn auch die Arbeit zugeteilt. Diese Arbeit bestand darin, dass er komplexe Berechnungen von noch komplexeren Aufgaben lösen musste, eine Arbeit, die keinen Kontakt zu anderen Menschen erforderte. Kontakt zu seiner Familie pflegte er eben so minimal, wie seine Antworten immer waren. Wenn er etwas gefragt wurde, gab er nach wie vor nur ein knappes  „ja“, „nein“ oder „ich weiss nicht“ zurück.

 

Ferien machte er zurückgezogen in seinem Reich, der kleinen Wohnung im ruhigen Quartier in der Stadt. Da er keine Freunde hatte, kam er auch nie Besuch in seine Wohnung. Der Familie verweigerte er durch seine Zurückgezogenheit ebenfalls den Zugang in seine Räume. Gegenüber seinen Mitbewohnern im Haus verhielt er sich eben so verhalten und zurückgezogen, dass die schon gar nicht merkten, dass in dieser Wohnung jemand lebte. Er war nie krank, kam immer pünktlich zur Arbeit und war seit nunmehr über dreissig Jahren so zuverlässig wie am ersten Arbeitstag.

 

Doch eines Tages geschah das unerklärliche, das keiner fassen konnte. Ernst erschien nicht zur Arbeit. Das machte seinen Vorgesetzten wohl stutzig. Er dachte sich aber im Moment nicht all zu viel, außer: - Ernst hat kein Telefon zu hause, war wohl krank geworden und wird sich dann morgen Früh schon melden, so zuverlässig er ja auch ist -. Als nach zwei Tagen immer noch nichts von ihm zu hören war, klingelte sein Vorgesetzter wieder an der Wohnungstür von Ernst, einmal, zweimal, doch niemand öffnete. Am nächsten Tag versuchte er es noch einmal, nichts, kein Laut, nur Stille. Nun öffnete er zusammen mit dem Hauswart die Wohnungstür. Stille und Dunkelheit strömte ihnen aus dem Wohnungseingang entgegen und ein süßlich-muffiger Geruch. Küche und Bad waren fein säuberlich aufgeräumt, Ordnung auch im Schlafzimmer, das Bett unterrührt. Sämtliche Läden und Fenster geschlossen und …im Wohnzimmer, auf dem Boden sitzend, in sich zusammengesunken fanden sie Ernst, tot, vor sich ein rotes Blechauto…

 

© Hans-Peter Zürcher    

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