Alfred Hermanni

Bekifft in Deutschland - I dreamed I could fly

 

von Alfred Hermanni 24.11.2006 Alle Rechte vorbehalten

 

 

Ich war noch keine achtzehn Jahre alt, als ich meinen Kumpel Ernst besuchte, auf seinem Sitzkissen hockte und die Wasserpfeife anpaffte. Türkischer Shit, damals Mitte der siebziger Jahre noch relativ häufig zu bekommen und leichter Tabak versprachen einen besonderen Genuss.

„Örnie“, wie wir Ernst nannten wenn er nicht dabei war, hatte wieder mal neue Langspielplatten von irgendwelchen coolen Undergroundbands gekauft oder auch erschachert. Ich ärgere mich heute noch, dass er mir John Mayall’s„Live in Laurel Canyon“ gegen „Trespass“ von Genesis

abschwatzte.

Egal. Heute zeigte er mir seine fette Beute, Eagles, Doobie Brother’s, Krokodil und Spooky Tooth waren dabei.

Alles, wie immer, geniale Musik.

Er stellte seine neuen Platten zu den ungefähr zweitausend anderen LP’s und legte Passing Through von Steamhammer auf. Ich mochte die Band und freute mich schon darauf. Die Musik begann, die Wirkung der Pfeife begann und die Schelle begann zu klingeln, im Sturm und schön laut.

Das kann nur Udo sein. Wer sonst nervt schon beim klingeln!?“ motzte Ernst los, stand auf und ging zur kleinen Luke aus der er runter schauen konnte, um zu sehen wer zu ihm wollte.

Alter!“, hörte ich ihn rufen. „Ich penn’ nicht. Und anne Ohrn hab’ ich au’ nix!“

Halb aus der Puste, Ernst wohnte in der vierten Etage und Udo lief die Treppen meistens hinauf, kam Udo ins Zimmer.

Hey Alfred, alles klar, Alter?“, war Udos Standardbegrüßung.

Klar, Alter, wie isses?“, war die Regelantwort.

Udo hockte sich hin, griff in seine Tasche und holte sein Brösel hervor.

Guck mal, Alter, Zero- Zero. Kommt gut die Sorte.“

Guck mal selber, türkisch, kommt noch besser“, sagte ich und zeigte ihm mein selbst gepresstes Stück Haschisch.

Bau mal einen!“, forderte Udo mich auf und ich baute einen. Udo baute einen und sogar Ernst baute einen.

Das wird heftig dachte ich aber egal.

 

 

 

Es war heftig. Wir hatten gerade die letzte Wasserpfeife geraucht, lagen

breit auf den Sitzkissen herum und hörten Jimmy Hendrix A star spangled banner live vom Woodstock Konzert.

Wenn das Lied zur Nationalhymne wird, dann hab’ ich Hoffnung“ hörte ich mich sagen.

Von Udo kam ein zustimmendes Grunzen. Ernst saß mit geschlossenen Augen auf der Couch, trug seine neuesten Sennheiser Kunstkopf Headphones und hörte Stereo.

 

Ein kratzendes, kreischendes und die Gehörgänge malträtierendes Geräusch ließ uns zusammenfahren.

Die Musik war weg und ein flatternder Vogel stieg vom Plattenspieler auf.

Örnies Nymphensittich hatte sich den Plattenarm als Landeplatz ausgesucht.

Scheiße!“ brüllte Ernst. „Die Nadel war noch neu! Mistviech!“

Innerlich grinste ich, denn nun musste Örnie sich wieder eine neue Nadel für seinen Hypertechnikwahnsinnstopschallplattenspieler kaufen.

Ich muss los“ meinte Udo. „Muss noch was checken, komm nachher noch mal vorbei. Boah ey, bin ich breit.“

Sprach es, stand auf und verschwand.

Wo will er hin?“ fragte Ernst.

Was checken“ erwiderte ich.

 

Ein paar Wasserpfeifen später, es war mittlerweile draußen schon dunkel kam Udo zurück.

Du bist ja immer noch hier“ stellte er fest. Ich hob ein Augenlid und sagte:„Ey, du auch schon wieder hier.“

Udo setzte sich zu Ernst und flüsterte ihm irgendetwas zu. Ich hörte nicht hin, die Musik war geil und ich ergab mich den seltsamen Gedanken und Visionen die mir so in den Sinn kamen.

Etwas später öffnete ich beide Augen und gähnte ausgiebig.

Udo warf Örnie irgendwas in die Hand und meinte „Tu alles rein.“

Ernst kramte aus einer Schublade seine Meerschaumpfeife hervor und fing an eine Mischung zu machen. Super, dachte ich freute mich auf ein neues Pfeifchen. Udo paffte die Pfeife an und reichte sie an Örnie weiter. Als ob er einen Joint in der Hand hätte, hielt er das Mundstück zwischen Mittelfinger und Ringfinger, umschloss die Faust mit der anderen Hand und sog den Rauch aus der sich nun ergebenden Höhlung.

Gierhals, fiel mir dazu ein, dann war ich an der Reihe. Ich nahm ein paar kräftige Züge, hielt den Atem an und presste den Qualm dann kräftig aus, in Udos Gesicht.

Du bist dran“ sagte ich und reichte ihm die Pfeife. „Leg doch mal was an cooler Mucke auf“, bat ich Ernst.

Was willste denn hören?“

Weiß nich’ was ruhiges.“

Jetzt sag aber nicht Genesis“ kam Udos Kommentar.

Ernst ging zu seiner Plattensammlung und entnahm mit sicherem Griff eine seiner zweitausend Platten.

Hier, hab’ ich vor kurzem getauscht“ pries er seine Erwerbung an.

Von wem soll die denn sein?“ war meine Frage.

Kannst ja mal raten“ antwortete Ernst und legte auf.

 

 

 

 

Sanfte Klänge, im Hintergrund Meeresrauschen, leise die Rufe der Seemöwen

und die Musik begann mich langsam zu erreichen.

Das Zeug ist gut, dachte ich, lehnte mich zurück...

 

 

 

...und öffnete meine Schwingen.

Meine zarte, lederne Flughaut blähte sich im Wind. Ich blickte hinab und sah weit unter mir das Meer. Links und rechts von mir erstreckten sich die hohen Kanten der Klippen. Heute erschien mir die Farbe des Meeres besonders schön.

Ein kräftiges Blau, von weißer, sich ständig bewegender Gischt unterbrochen und sich scheinbar endlos am Horizont ausbreitend, das war meine Heimat. So liebte ich sie. Ich krallte mich an der Felsenklippe fest und streckte meine Flughaut nun vollends aus. Hellbraun, und in der Sonne fast durchscheinend, von vielen kleinen Äderchen durchzogen, gaben sie mir den Auftrieb den ich brauchte. Noch aber hielt ich mich an der Klippe.

Ich schaute an meinem langen Schnabel entlang nach rechts, wo die Steilküste in die See hineinragte.

Auf halber Höhe etwa lagen unsere Bruthöhlen, die von oben über einen schmalen Sims zu erreichen waren, wenn man sich auf die Ellbogen niederließ und „zu Fuß“ rauf oder runter wollte.

Es war ein herrliches Gefühl wie der Wind in meinen Schwingen sich fing und mich nach oben drückte. Ich aber hielt mich fest und genoss diese Empfindung.

Ein Artgenosse landete neben mir, ließ sich auf die Greifklauen an der Flügelmitte nieder und watschelte auf mich zu.

Sein dunkelroter, langer Schnabel hatte viele fahlgelbe Einsprenkelungen.

Der ist so hässlich, kam mir in den Sinn als er mich mit seinen schwarzen Augen anstarrte.

Seine Flügel waren rissig und von vielen Narben gezeichnet. Er ist alt, dachte ich, sehr alt.

Ich öffnete meine Schwingen und ließ mich los.

Sofort packte mich der kräftige Wind und drückte mich rasend schnell in die Höhe. Schnell wurde das Land unter mir immer kleiner, ich genoss diesen schnellen Auftrieb immer wieder und erst in sehr großer Höhe, als ich meine Insel zur Gänze überblicken konnte, neigte ich mich steil in den Wind, legte meine Flügel eng an den Körper und ließ mich in die Tiefe stürzen

Rasend schnell wurde mein Sturzflug, ich drehte mich ein paar Mal um meine eigene Achse und widerstand der Versuchung

mich noch schneller zu drehen, denn der Erdboden kam nun doch

rasant auf mich zu.

Ich spreizte meine Flügel und bremste den Sturzflug bis ich eine passable Fluggeschwindigkeit erreichte.

Nach links abkippend und mit mäßiger Geschwindigkeit ging mein Flug nun in ein sanftes Gleiten über. Unter mir die Klippen und das Meer, über mir der blaue Himmel. Hier zog ich nun meine Kreise und berauschte mich an meiner eigenen Lebensfreude.

Langsam näherte ich mich dem äußersten Rand der Klippen und sah den großen, steil in den Himmel ragenden, fingerförmigen Felsen. Auf seiner Spitze hatte man gerade noch genug Platz für eine halbwegs gelungene Landung. Ich überlegte es zu versuchen, als ich einen Artgenossen erblickte, der sich dort niedergelassen hatte. Also beließ ich es dabei und flog weiter.

Ließ mich höher und höher treiben, bis ich die Insel wieder als Ganzes unter mir sah. Und noch höher wollte ich. Immer kleiner wurde meine Insel, immer kleiner. Das war die Welt, meine kleine Insel, umgeben vom großen Ozean der schon immer war und der immer bleibt.

Nun war ich hoch genug, kalt wurde es auch. Zeit um wieder hinab zu fliegen.

 

Auf halbem Wege nach unten erregte ein Licht am Himmel meine Aufmerksamkeit. Ein Stern wurde sichtbar und kam langsam auf mich zu.

Er wurde heller und größer. Immer größer und schneller, immer heller wurde er.

So etwas hatte ich noch nie gesehen. Einen Stern, der vom Himmel fällt.

Aber er fiel nicht. Er raste immer schneller werdend, einen riesigen Schweif hinter sich herziehend über unsere Insel hinweg und verschwand mit einem lauten und heftigen Donnergrollen hinter dem Horizont.

Kurze Zeit später erschien ein helles Licht am Horizont, nur kurz war es zu sehen dann war es auch schon wieder weg.

Noch bevor ich die Inseloberfläche erreichte erfasste mich eine Windbö mit unglaublicher Heftigkeit und drückte mich mit unwiderstehlicher Gewalt nach oben. Ich zog meine Flügel eng an meinen Körper, stürzte hinab und fing mich knapp über dem Boden ab. Jetzt erklang ein dumpfes, lautes Grollen. Es wurde lauter und immer lauter. Mit einem Knall in noch nie gehörter Stärke endete dieses Getöse. Es wurde leiser. Kein Laut außer dem Rauschen der See war zu hören.

Das war ungewöhnlich.

Und dann wurde es hektisch. Plötzlich war ich von vielen meiner Artgenossen umgeben. Aufgeregt flatterten sie hin und her, und mir wurde schlagartig klar was zu tun war. Wir mussten schnellsten zu unseren Bruthöhlen, um unsere Weibchen in Sicherheit zu bringen.

Ich wusste nicht warum, aber eine Gefahr lag in der Luft. Eine Bedrohung wie ich sie noch nie gespürt habe. Die Furcht vor dieser Bedrohung durchdrang mich, hielt mich in ihrem Bann und ließ mich nur das Eine denken.

Wir müssen unsere Weibchen retten.

Also flog ich zu den Klippen, das heißt ich wollte es, aber dann blickte ich nach unten und sah das Meer verschwinden. Es zog sich zurück und immer mehr vom Meeresboden wurde sichtbar. Felsen und Korallenbänke erschienen, ein Krake der sich verzweifelt an einem großen Stein klammerte, aber dennoch vom Wasser mitgerissen wurde.

Mein Blick folgte dem Lauf der neuen Küstenlinie und dann sah ich sie. Sie war riesig, übernatürlich riesig und sie war scheinbar überall. Ich blickte von links nach rechts und sah nur diese eine Riesenwelle, die da auf unsere Insel zuraste. Nun hatte mich die Angst endgültig in ihrem Griff. Panik überkam mich. Ich sah das Ende auf uns alle zukommen. Ich konnte nur noch eines tun, Flügel ausbreiten und zusehen dass ich irgendwie an Höhe gewann.

Die Welle wurde immer größer und ich hatte noch nicht genug Höhe erreicht, um mich sicher fühlen zu können.

Ich musste schneller nach oben.

Die Welle kam immer näher und sie war größer als alles was ich je gesehen hatte. Größer noch als unsere Insel war sie. Die Insel, meine Welt, würde von ihr verschluckt werden, da war ich mir sicher.

Ich muss nach oben, drängte es in mir. Höher. Noch höher.

Dann sah ich den Wellenkamm, er war fast da, aber immer noch über mir.

Ich bin noch nicht hoch genug war mein letzter Gedanke als das Wasser mich verschlang...

 

...und mir ins Gesicht spritzte.

Alter, wach auf, hör’ auf zu pennen!“ hörte ich. Im Hintergrund kicherte Udo vor sich hin und meinte „Bist wohl ganz schön breit, wa’?“

Was ist los, wach auf Alter!“ Ernst rüttelte an meiner Schulter und spritzte mir wieder Wasser ins Gesicht.

Iss’ ja gut“ hörte ich mich sagen.

Und, war das Zeug gut?“ fragte Udo.

Ich weiß nicht, ich hab was irres geträumt. Was war das für ’ ne Sorte? Hab ich ja noch nie geraucht. Aber irgendwie fühl’ ich mich jetzt beschissen, so richtig scheiße. Ich glaub’ ich muss gleich kotzen.“ Übelkeit stieg in mir auf, alles drehte sich und ich brauchte eine Weile um den Kotzreiz zu unterdrücken.

Tja, Alter.“ Ernst guckte mich ganz komisch an und meinte weiter: „ Dass war H, Brown sugar, Heroin. Udo hat ein’ ausgegeben und ich hab ein ganzes Päckchen in die Pfeife getan. Geil, wa’?!“

 

Ich fand es aber irgendwie gar nicht geil. Mit Übelkeit und Kopfschmerzen schwankte ich nach Hause, für heute hatte ich genug, ich wollte nur noch pennen und vielleicht etwas träumen...

 

ENDE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als ich 1980 mit unserer Bikergruppe in die Toskana fuhr, zu einem kleinen Ort namens
Montanare in der Nähe von Cortona, durften wir im Garten eines Schriftstellers, Thomas
D. Calnan, für etwa eine Woche unsere Zelte aufschlagen. In der Story "Es begann mit
einem Klopfen" werden die Gründe dafür erklärt. Nach dem Genuss einer Flasche
leckeren Rotweins aus der Region hatte ich nach dem Einschlafen diesen sehr
intensiven Traum, den ich nie vergessen werde.
Alfred Hermanni, Anmerkung zur Geschichte

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